"Es geht um Flüchtlingsaufnahme, nicht um Asyl"
Das UN-Flüchtlingshilfswerk schätzt, dass die Zahl der Bürgerkriegsflüchtlinge in den Nachbarländern Syriens auf über eine Million steigen wird. Weil die Aufnahmekapazitäten vor Ort bald erschöpft seien, müsse die Europäische Union handeln, sagt der CDU-Politiker Ruprecht Polenz. Er fordert zudem, dass Deutschland die Familienzusammenführung erleichtert.
Nana Brink: Sie haben bestimmt die letzten Fernsehbilder im Kopf von den syrischen Flüchtlingen, die zwar der Gewalt in ihrem Land entkommen sind, nun aber wie jene rund 60.000 im jordanischen Lager Saatari unter katastrophalen Bedingungen leben müssen. Der Winter hat zugeschlagen, die Zelte sind zerstört, oft gibt es kein heizbares Material, Essen ist rar und die Kinder rennen in Plastiksandalen durch die Eispfützen.
Und am Telefon ist jetzt Ruprecht Polenz von der CDU, er ist Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages. Einen schönen guten Morgen, Herr Polenz!
Ruprecht Polenz: Einen schönen guten Morgen!
Brink: Ist Deutschland bereit, Flüchtlinge aus Syrien aufzunehmen?
Polenz: Wir haben ja in dem Bericht über die Lage der syrischen Flüchtlinge Bericht gehört, dass es vereinzelt Menschen gelungen ist, in Deutschland Asyl zu beantragen. Das ist eine Zahl, die liegt irgendwo zwischen 3000 und 5000 Menschen, die das auf diese Weise geschafft haben. Angesichts der großen Zahlen, über die Sie gesprochen haben, und der Erwartungen des UN-Flüchtlingshilfswerks, das ja bis Mitte des Jahres mit über einer Million syrischer Flüchtlinge insgesamt rechnet, glaube ich, werden wir diese Politik überprüfen müssen.
Brink: Bundesinnenminister Friedrich von der CSU spricht ja von illegalen Migranten. Das spricht ja überhaupt nicht dafür, dass er Flüchtlinge aufnehmen will!
Polenz: Wir müssen, glaube ich, auch mit der Terminologie aufpassen. Wir haben in Syrien eine Bürgerkriegssituation und ich sehe diese Menschen, die sich in die Nachbarländer in Sicherheit bringen, als Kriegsflüchtlinge. Und wir sind ja als Bundesrepublik Deutschland auch mit der internationalen Gemeinschaft dabei, den Nachbarländern zu helfen. Insgesamt sind eine Milliarde US-Dollar bereitgestellt, Deutschland ist mit über 100 Millionen US-Dollar der zweitgrößte Geber bei dieser Aktion nach den USA.
Aber trotzdem werden wir uns auch darüber Gedanken machen müssen in der Europäischen Union, auch in Deutschland, ob bei einem weiteren Anschwellen des Flüchtlingsstroms nicht die Aufnahmekapazitäten der Nachbarländer wirklich erschöpft sind und auch zur Entlastung europäische Länder in der ein oder anderen Weise bereit sein müssen, Flüchtlinge aufzunehmen. Als Flüchtlinge, nicht als Asylbewerber, nicht als Touristen, sondern als Flüchtlinge.
Brink: Aber das sagen Sie, aber es gibt ja offensichtlich keinen Konsens in der Regierungskoalition darüber!
Polenz: Na ja, Sie sprechen jetzt ja auch mit mir, und ich habe diese Position seit Längerem. Ich habe schon vor längerer Zeit einen Vorschlag gemacht, auf den ich durch meine ganz normale Wahlkreisarbeit gekommen bin. Mein Wahlkreis ist die Stadt Münster und ich habe in meiner Sprechstunde inzwischen häufiger Syrer gehabt, die in Münster leben, als Ärzte, als Anwälte, und die mich gefragt haben, ist es denn möglich, meine Verwandten, meinen Bruder, meine Schwester, meine Eltern haben sich in die Türkei oder nach Jordanien in Sicherheit gebracht, ich würde sie gerne nach Deutschland holen, ich kann hier für sie sorgen, unsere Wohnung ist groß genug, wir haben auch genug Geld.
Und ich finde, solchen Fällen, in solchen Fällen sollten wir die Familienzusammenführung mit den Flüchtlingen erleichtern und das möglich machen. Wir haben in Deutschland etwa 50.000 Syrer, die bei uns legal leben, hier arbeiten, hier ein Aufenthaltsrecht haben, und ich gehe davon aus, dass noch eine größere Zahl von ihnen mit ähnlichen Fragen zu uns kommen würde, wie ich das in meiner Sprechstunde erlebt habe.
Brink: Eine andere Sache ist, dass immer mehr – das haben wir auch in dem Beitrag gehört – Syrer versuchen, jetzt auch diesen lebensgefährlichen Weg über das Mittelmeer zu suchen, also, auch weil die Grenze zwischen der Türkei und Griechenland nicht zuletzt auch auf Betreiben Deutschlands immer schwerer zu passieren ist. Wie wollen Sie das verhindern?
Polenz: Ja, ich glaube, wir werden und die Europäische Union wird das nur dann verhindern können, wenn es legale Wege gibt, zu uns zu kommen, wenn man die Tür auch ein Stück öffnet. Wir haben ja bei großen humanitären Katastrophen infolge von Krieg und Bürgerkrieg in den 90er-Jahren, als es in dem ehemaligen Jugoslawien diese Bürgerkriegssituation gab, auch ähnlich gehandelt. Und wenn wir uns jetzt mal die deutschen Erfahrungen damit anschauen, damals sind viele Menschen nach Deutschland gekommen - es war natürlich auch noch näher in unserer Nachbarschaft, das ist richtig -, aber die allermeisten sind ja dann auch nach Ende der Kriegshandlungen in ihr Heimatland zurückgekehrt. Und davon müssten wir und würden wir ja bei Syrien auch ausgehen, dass nach dem Ende der Bürgerkriegshandlungen die Menschen in ihre Heimatländer zurückkehren. Es geht um Flüchtlingsaufnahme, nicht um Asyl. Und so müsste die Europäische Union das Thema behandeln.
Brink: Aber genau da müsste man ja eigentlich einhaken: Gerade weil es um Flüchtlinge geht, die werden ja, wenn sie über das Mittelmeer kommen, aufgegriffen, sie müssen dann innerhalb von 30 Tagen offiziell Griechenland verlassen, am besten in die Türkei, aber die will sie auch nicht. Wie lösen Sie denn dieses Dilemma, es muss doch da eine europäische Lösung geben?
Polenz: Ja, das ist richtig. Und bisher hat man gehofft, erstens – und das hoffen wir natürlich weiter –, dass die Fluchtursache, nämlich die Bürgerkriegssituation, das Vorgehen der syrischen Regierung gegen die eigene Bevölkerung, das Zwischen-die-Fronten-geraten-Können, dass das möglichst schnell aufhört durch eine Waffenruhe, durch eine Übergangsregierung und durch einen Transitionsprozess in Syrien, der zu dem Ergebnis führt, dass Syrien eine Verfassung, eine Regierung bekommt, so wie sie die Menschen wollen und nach der sie dann in Syrien ihre eigenen Geschicke gestalten können.
Das ist ja das Ziel, dann würde ja die Flucht auch aufhören. Und da war sicherlich die Hoffnung, dass dieses Ziel auch eher erreicht werden könnte, und bis dahin seien die Nachbarländer, denen wir sehr dabei helfen, in der Lage, die Flüchtlinge aufzunehmen. Und in der Tat kann man ja mit dem gleichen Geld in der unmittelbaren Nachbarschaft wesentlich mehr Menschen helfen, als wenn erst weite Reisen angetreten werden müssen und die Menschen in den Norden Europas kommen.
Brink: Lassen Sie mich da noch mal einhaken, denn die Zustände in den jordanischen Flüchtlingslagern wie in Saatari sind ja unhaltbar, offensichtlich ist ja die jordanische Regierung auch überfordert mit dieser schieren Anzahl der Flüchtlinge. Warum sehen wir diese Bilder immer noch, von den Kindern, die durch diese Pfützen rennen, warum geht die Hilfe nicht schneller?
Polenz: Das kann ich nicht im Einzelnen beantworten. Ich weiß, dass gerade Jordanien auch von Deutschland, vom Technischen Hilfswerk, von deutschen Nichtregierungsorganisationen, dem Roten Kreuz unterstützt wird. Das wiederum wird auch staatlich mit finanziert, damit diese Hilfe geleistet werden kann. Aber die Zahlen sind einfach so gewaltig, dass man nicht hinterherkommt.
Jordanien baut ja auch weitere Flüchtlingslager, in der Türkei haben wir 14 Camps. Wenn Sie allein sich die Zahl mal von Jordanien anschauen: Nach Jordanien sind 153.000 Menschen aus Syrien geflohen. Die meisten sind übrigens im Libanon, 195.000. Es liegt auf der Hand, dass in einer doch vergleichsweise kurzen Zeit von nicht mal einem Jahr kein Land in der Lage ist, so ohne Weiteres eine solch große Flüchtlingszahl so in Lagern unterzubringen, dass man sagen könnte, nach unserem Standard …
Brink: Genau darüber, Herr Polenz, genau darüber, Herr Polenz – ich muss Sie an dieser Stelle etwas stoppen, weil unsere "Nachrichten" gleich kommen –, genau an dieser Stelle werden heute auch wahrscheinlich die EU-Innenminister darüber diskutieren. Herzlichen Dank, Ruprecht Polenz, …
Polenz: Bitte schön!
Brink: CDU-Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages!
Polenz: Bitteschön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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Ruprecht Polenz: Einen schönen guten Morgen!
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Polenz: Wir haben ja in dem Bericht über die Lage der syrischen Flüchtlinge Bericht gehört, dass es vereinzelt Menschen gelungen ist, in Deutschland Asyl zu beantragen. Das ist eine Zahl, die liegt irgendwo zwischen 3000 und 5000 Menschen, die das auf diese Weise geschafft haben. Angesichts der großen Zahlen, über die Sie gesprochen haben, und der Erwartungen des UN-Flüchtlingshilfswerks, das ja bis Mitte des Jahres mit über einer Million syrischer Flüchtlinge insgesamt rechnet, glaube ich, werden wir diese Politik überprüfen müssen.
Brink: Bundesinnenminister Friedrich von der CSU spricht ja von illegalen Migranten. Das spricht ja überhaupt nicht dafür, dass er Flüchtlinge aufnehmen will!
Polenz: Wir müssen, glaube ich, auch mit der Terminologie aufpassen. Wir haben in Syrien eine Bürgerkriegssituation und ich sehe diese Menschen, die sich in die Nachbarländer in Sicherheit bringen, als Kriegsflüchtlinge. Und wir sind ja als Bundesrepublik Deutschland auch mit der internationalen Gemeinschaft dabei, den Nachbarländern zu helfen. Insgesamt sind eine Milliarde US-Dollar bereitgestellt, Deutschland ist mit über 100 Millionen US-Dollar der zweitgrößte Geber bei dieser Aktion nach den USA.
Aber trotzdem werden wir uns auch darüber Gedanken machen müssen in der Europäischen Union, auch in Deutschland, ob bei einem weiteren Anschwellen des Flüchtlingsstroms nicht die Aufnahmekapazitäten der Nachbarländer wirklich erschöpft sind und auch zur Entlastung europäische Länder in der ein oder anderen Weise bereit sein müssen, Flüchtlinge aufzunehmen. Als Flüchtlinge, nicht als Asylbewerber, nicht als Touristen, sondern als Flüchtlinge.
Brink: Aber das sagen Sie, aber es gibt ja offensichtlich keinen Konsens in der Regierungskoalition darüber!
Polenz: Na ja, Sie sprechen jetzt ja auch mit mir, und ich habe diese Position seit Längerem. Ich habe schon vor längerer Zeit einen Vorschlag gemacht, auf den ich durch meine ganz normale Wahlkreisarbeit gekommen bin. Mein Wahlkreis ist die Stadt Münster und ich habe in meiner Sprechstunde inzwischen häufiger Syrer gehabt, die in Münster leben, als Ärzte, als Anwälte, und die mich gefragt haben, ist es denn möglich, meine Verwandten, meinen Bruder, meine Schwester, meine Eltern haben sich in die Türkei oder nach Jordanien in Sicherheit gebracht, ich würde sie gerne nach Deutschland holen, ich kann hier für sie sorgen, unsere Wohnung ist groß genug, wir haben auch genug Geld.
Und ich finde, solchen Fällen, in solchen Fällen sollten wir die Familienzusammenführung mit den Flüchtlingen erleichtern und das möglich machen. Wir haben in Deutschland etwa 50.000 Syrer, die bei uns legal leben, hier arbeiten, hier ein Aufenthaltsrecht haben, und ich gehe davon aus, dass noch eine größere Zahl von ihnen mit ähnlichen Fragen zu uns kommen würde, wie ich das in meiner Sprechstunde erlebt habe.
Brink: Eine andere Sache ist, dass immer mehr – das haben wir auch in dem Beitrag gehört – Syrer versuchen, jetzt auch diesen lebensgefährlichen Weg über das Mittelmeer zu suchen, also, auch weil die Grenze zwischen der Türkei und Griechenland nicht zuletzt auch auf Betreiben Deutschlands immer schwerer zu passieren ist. Wie wollen Sie das verhindern?
Polenz: Ja, ich glaube, wir werden und die Europäische Union wird das nur dann verhindern können, wenn es legale Wege gibt, zu uns zu kommen, wenn man die Tür auch ein Stück öffnet. Wir haben ja bei großen humanitären Katastrophen infolge von Krieg und Bürgerkrieg in den 90er-Jahren, als es in dem ehemaligen Jugoslawien diese Bürgerkriegssituation gab, auch ähnlich gehandelt. Und wenn wir uns jetzt mal die deutschen Erfahrungen damit anschauen, damals sind viele Menschen nach Deutschland gekommen - es war natürlich auch noch näher in unserer Nachbarschaft, das ist richtig -, aber die allermeisten sind ja dann auch nach Ende der Kriegshandlungen in ihr Heimatland zurückgekehrt. Und davon müssten wir und würden wir ja bei Syrien auch ausgehen, dass nach dem Ende der Bürgerkriegshandlungen die Menschen in ihre Heimatländer zurückkehren. Es geht um Flüchtlingsaufnahme, nicht um Asyl. Und so müsste die Europäische Union das Thema behandeln.
Brink: Aber genau da müsste man ja eigentlich einhaken: Gerade weil es um Flüchtlinge geht, die werden ja, wenn sie über das Mittelmeer kommen, aufgegriffen, sie müssen dann innerhalb von 30 Tagen offiziell Griechenland verlassen, am besten in die Türkei, aber die will sie auch nicht. Wie lösen Sie denn dieses Dilemma, es muss doch da eine europäische Lösung geben?
Polenz: Ja, das ist richtig. Und bisher hat man gehofft, erstens – und das hoffen wir natürlich weiter –, dass die Fluchtursache, nämlich die Bürgerkriegssituation, das Vorgehen der syrischen Regierung gegen die eigene Bevölkerung, das Zwischen-die-Fronten-geraten-Können, dass das möglichst schnell aufhört durch eine Waffenruhe, durch eine Übergangsregierung und durch einen Transitionsprozess in Syrien, der zu dem Ergebnis führt, dass Syrien eine Verfassung, eine Regierung bekommt, so wie sie die Menschen wollen und nach der sie dann in Syrien ihre eigenen Geschicke gestalten können.
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Brink: Genau darüber, Herr Polenz, genau darüber, Herr Polenz – ich muss Sie an dieser Stelle etwas stoppen, weil unsere "Nachrichten" gleich kommen –, genau an dieser Stelle werden heute auch wahrscheinlich die EU-Innenminister darüber diskutieren. Herzlichen Dank, Ruprecht Polenz, …
Polenz: Bitte schön!
Brink: CDU-Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages!
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