Es geschah in Sonneberg

Von Martin Reischke |
Die Stadt Sonneberg liegt in Thüringen. Die Sonneberger fühlen sich als Franken. Kein Problem für den thüringisch-fränkischen Verein zur Förderung und Pflege der Jazzmusik und Kleinkunst. Er wurde gleich nach der Wende gegründet und beendete die lange Beziehungslosigkeit zwischen dem Grenzort Sonneberg und der fränkischen Stadt Coburg. Die Arbeit des Vereins und der Vergleich der Ortschroniken vor 1989 und heute dokumentiert die politische und landsmannschaftliche Veränderung der Region.
Der Todesstreifen ist längst verschwunden. Die Grenzanlagen abgebaut, der Kolonnenweg überwuchert. Eine Straße verbindet wieder, was früher durch die Grenze getrennt war: Im Norden Sonneberg. Ein paar Kilometer südwestlich Neustadt. Von Marktplatz zu Marktplatz sind es mit dem Auto zehn Minuten. Der Verkehr fließt. Alles kein Problem.

Auf der einen Seite der Straße ist ein Gewerbegebiet entstanden: Supermärkte, ein Möbelhaus, ein Baumarkt. Auf der anderen Seite: Wiesen und Felder. Einige Schritte von der Straße entfernt steht ein mannshohes Holzkreuz mit einer kleinen Plakette. "Zum Gedenken an die Opfer der Teilung Deutschlands von 1945 bis 1989" steht dort geschrieben. Eine Rose ist mit dünnem Draht an dem Kreuz befestigt. Sie ist längst verwelkt.

Wenn Georg Gehrlicher aus dem Küchenfenster schaut, dann blickt er direkt auf den ehemaligen Grenzstreifen mit dem Holzkreuz:

"Man sieht jetzt hier, wenn sie diese Heckenreihe hier runter laufen, da sieht man noch diesen PKW-Sperrgraben, der war 1,50m tief und an einer Seite Richtung Westen senkrecht, alsodass man da nicht drüber fahren konnte, den sieht man noch, der ist noch komplett, aber das Stückchen Plattenweg haben sie weggemacht, da haben sie jetzt Felder draus gemacht und Wiesen."

Georg Gehrlicher ist ein "Wossi". Sagt er selbst. In Oberfranken aufgewachsen, mit Verwandtschaft in Thüringen. Von dort kam auch seine Frau, mit ihr hat er drei Kinder. Heute sind sie getrennt. Aber Gehrlicher lebt weiter als "Wossi", er kennt beide Seiten. Er wohnt in Neustadt, aber sein Haus steht direkt an der ehemaligen Grenze. Als der Grenzzaun abgebaut wurde, hat er gedacht, dass nun alles zusammenwächst. Heute sieht Gehrlicher das ein bisschen anders:

"Ja, ich wohne direkt in der Mitte, fast in der Küche geht die Grenze durch. Die Familie ist auch: Halb Thüringen, halb Bayern, Sonne und Mond praktisch, so ungefähr müssen sie sich das vorstellen, wie Sonne und Mond, ab und zu sieht man sie ein bisschen zusammen, an manchen Tagen, frühmorgens und spätabends wenn sie untergeht, aber die meiste Zeit macht jeder sein Ding, nehme ich einmal an, und so wird das auch in Zukunft ausschauen."

Zwanzig Kilometer weiter nördlich, im thüringischen Steinach, interessiert sich an diesem Samstagmorgen niemand für deutsch-deutsche Befindlichkeiten.

Die Bigband der Volkshochschule Sonneberg übt für ihren großen Auftritt. Junge und alte Menschen spielen hier zusammen, Musiker aus Ost und West proben gemeinsam. Fragt man den Leiter Jürgen Demmler nach der genauen Herkunft seiner Bandkollegen, muss er erst mal überlegen.

Jürgen Demmler: "In dieser Band merkt man das überhaupt nicht, weil hier treffen sich Leute, die machen einfach gerne Musik so, und natürlich unterhält man sich mal über die Geschichte ein bisschen, aber das hat keinen Einfluss auf diese musikalischen Werte."

In ein paar Tagen werden sie das Sonneberger Jazz-Festival eröffnen, eine alte Tradition. Der Mann, der damals den Jazz nach Sonneberg bringt, heißt Peter Wicklein. Zu DDR-Zeiten ist er künstlerischer Leiter vom Jugendensemble des PIKO-Spielwarenkombinats. Wicklein gründet seine eigene Combo – die "Sonneberger Jazz Optimisten". Der 15. Geburtstag der Band soll 1986 groß gefeiert werden. So will es der Kombinatsleiter.

Peter Wicklein: "Und da sagt er: Es sind, wenn ich es richtig sehe, 15 Jahre, sagt er ... - Ja, sag ich – Ja, was wollt ihr denn da machen? – Ich sag: Was sollen wir denn machen, in einer Region, wo Männerchöre und Jagd- und Bläsergruppen dominieren, der Jazz als Außenseiter, ist keine gebietstypische Musik. Meint er: Das werden wir mal sehen."

Wicklein bekommt Geld für ein kleines Festival. Doch in der thüringischen Provinz gibt es nicht viele, die sich für Jazz-Musik interessieren. Das Festival droht zum Flop zu werden. Um nicht in leeren Sälen spielen zu müssen, bittet Wicklein einen Kulturoffizier der DDR-Grenztruppen um Hilfe. Der Offizier willigt ein.

Peter Wicklein: "Na, und da habe ich gesagt: Eine Kompanie, 120 Leute. Naja, und die haben dann den Befehl gekriegt Ausgangsuniform anzuziehen und sind dann transportiert worden, waren 120 Leute drin, wo mindestens zwei Drittel von denen begeistert waren. Trotz dieser sozusagen Zwangsmaßnahme, ne."

Jazz in Sonneberg: Der Kombinatsleiter ist stolz auf das gelungene Fest. Aus der Geburtstagsfeier wird eine feste Institution.

Peter Wicklein: "Das war also der embryonale Punkt, wo die Sache also dann entstanden ist. Und weil er sagte: Weil's so schön war, machst du das mal jedes Jahr!"

Jazzbands aus der DDR und dem sozialistischen Ausland kommen nach Sonneberg. Gruppen aus dem Westen sind tabu – genauso wie Kontakte ins benachbarte Franken.

Peter Wicklein: "Gab keine Patenschaften, gab überhaupt nichts, es war verboten. Wir haben nur an der Grenze gestanden und waren betrübt, wie wir in das Oberfrankenland hineingucken wie in eine Theaterkulisse."

Dann kommt die Wende, und auch in Oberfranken füllt sich die Theaterkulisse plötzlich mit Leben. Als in Berlin die Mauer fällt, ist Wicklein mit seiner Band gerade auf einer Tournee durch die CSSR. Nach dem letzten Konzert fahren sie zurück Richtung Deutschland.

Peter Wicklein: "Bis wir in Cheb, also in Eger angekommen sind und dort überlegt haben: Welche Richtung schlagen wir ein: Entweder Schirnding oder Plauen? Und nach einigen Diskussionen, Bedenken und sonstigen Dingen habe ich gesagt: Passt auf, ich fahre vorneweg, und wir stellen uns an in Richtung Schirnding."

Nicht zurück nach Plauen in die DDR, sondern ins bayrische Schirnding. Doch die tschechischen Grenzer machen Probleme.

Peter Wicklein 11: "Und da habe ich gesagt: Wir haben ein Konzert in Coburg, ist mir schnell eingefallen (...) Und wo der Vertrag ist? Habe ich gesagt: Es gibt keinen Vertrag, das ist ne mündliche Vereinbarung, die gilt genauso unter Musikern."

Schließlich darf die Band nach Bayern einreisen. Sie fahren weiter nach Coburg – und geben am Ende wirklich ein Konzert, auch ohne Vertrag.

Peter Wicklein: "... und mit einem Mal waren wir mitten in diesem Haufen von Leuten drin, die da in Richtung Marktplatz gewandert sind, und die haben den Platz freigemacht, und wir mussten eben dann auspacken und mussten in Coburg auf dem Marktplatz vis à vis vom Rathaus dann spielen. 8000 oder 10.000 Leute waren dann dort, also die begeistert uns aufgenommen haben und uns überschüttet haben mit Bratwürsten und Bier, was wir gar nicht trinken konnten."

Die ersten Kontakte nach Oberfranken werden rasch ausgebaut. Drei Jahre nach der Wende gründet Wicklein den Verein Sonneberger Jazzfreunde – mit heute mehr als 100 Mitgliedern aus Thüringen und Franken.

Peter Wicklein: "Wir haben dann ganz einfach eine Gesetzmäßigkeit ausgenutzt, die darin bestand, die wir erkannt haben: Dass es für uns keine Ländergrenze gibt, das ist sowieso für einen richtigen Musiker egal, was der für einen Pass in der Tasche hat, der Musiker ist wichtig."

Der Verein will das Sonneberger Jazz-Festival retten. Denn Wicklein kann nun zwar einladen, wen er will – aber Geld bekommt er dafür keines mehr. Und von Sponsoring und Vereinsrecht hat er keine Ahnung. Das kennt man dafür in Bayern: Dietrich Schulz ist einer der ersten Oberfranken, die den Verein unterstützen. Kulturell und sprachlich gehören die Regionen Sonneberg und Neustadt ohnehin zusammen, sagt Schulz.

Dietrich Schulz: "Wir sind nämlich Franken, und das bedeutendste Merkmal ist die Sprache. Es war für mich ein unglaublich erhebender Moment, als wir zum ersten Mal Silvester 1989 zusammengekommen sind und dann haben sich die Leute in den Armen gelegen, die die gleiche Sprache gesprochen haben und 40 Jahre lang kein Wort miteinander reden durften."

Schulz fühlt sich deshalb auf beiden Seiten der Grenze zu Hause.

Dietrich Schulz: "Und es ist uns dadurch, dass wir eben diesen gleichen kulturellen Hintergrund haben, sehr gut gelungen, diese Naht, diese Trennung zu überwinden."

Das Sonneberger Jazzfestival ist ein Beispiel dafür. Es gibt einen Gospel-Workshop für Schüler aus Ost und West, eine "Jazznacht" in Neustadt und Konzerte im Sonneberger Kulturhaus, organisiert von Menschen aus Thüringen und Bayern. Wicklein kümmert sich um das Künstlerische, Schulz berät bei Rechtsfragen und Finanzen. Jeder hat seine Aufgabe. Über die Grenze spricht niemand mehr.

Auch Sybille Abel hat wenig Lust auf ein Gespräch über die Grenze. Zu oft schon hat die Oberbürgermeisterin von Sonneberg das machen müssen. Die Grenze hat sie ein Leben lang begleitet. Zu DDR-Zeiten lebt sie in Hönbach, einer kleinen Gemeinde im Sperrgebiet. Wenn sie auf den Friedhof geht, kann sie über die Grenze schauen.

Sybille Abel: "Das heißt auch hier wurde man wieder unter Bewachung nur zwei Stunden in der Woche rein gelassen, und dann konnte man natürlich auch die Bundesgrenzsoldaten sehen, die auf Neustadter Gebiet waren, aber man durfte weder winken noch ein Wort von sich geben, also das war wie wenn diese Welt auf der anderen Seite für uns nicht existiert."

Hier ist die Welt für DDR-Bürger zu Ende. Bis zur Wende liegt Hönbach am äußersten Rand, hineingezwängt in den südwestlichen Zipfel des DDR. Dann fällt die Mauer. Hönbach wird eingemeindet, gehört seit ein paar Jahren zu Sonneberg. Und plötzlich ist Sonneberg mitten in Deutschland.

Sybille Abel: "Wir haben natürlich mit der Grenzöffnung eine lebenswerte Alternative bekommen, die wir unter DDR-Verhältnissen nie bekommen hätten."

Am 1. Juli 1990 wird an der Grenze zwischen Sonneberg und Neustadt der Vertrag über die Abschaffung der innerdeutschen Grenzkontrollen unterzeichnet. Nun ist der Weg frei für eine gemeinsame Zukunft. Doch die Euphorie der ersten Tage ist schon längst verflogen, erinnert sich der damalige bayrische Landtagsabgeordnete aus Neustadt, Walter Knauer.

Walter Knauer: "Die Begeisterung war ein bisschen abgeflacht, und das ging dann peu à peu, dass zum Beispiel ein Neustadter Stadtrat in einer Sitzung mal den Antrag gestellt hatte, also diese stinkenden Trabis die können wir nicht mehr durch die Innenstadt fahren lassen, wir müssen eine Umgehung suchen, damit die Trabis dort umgeleitet werden, habe ich gesagt: Mensch, du bis doch nicht ganz dicht, habe ich zu dem gesagt."

Musik "Wir sind Helden": "Die Zeit heilt alle Wunder"
Und auch das größte Wunder geht vorbei
Und wenn es dich nicht loslässt zähl bis drei
Und es geht vorbei es geht vorbei


Frank Rebhan: "Da gab's bei vielen so die Erwartung: Man muss sich jetzt nicht nur in den Armen liegen nach Grenzöffnung, sondern man muss dieses künftig täglich tun. Aber etwas Anderes ist richtig: Alles was Richtung Normalität geht, und da ist extrem viel Richtung Normalität gegangen, ist eine gesunde Entwicklung."

Frank Rebhan ist Oberbürgermeister von Neustadt. Die neue Normalität sieht für ihn so aus: Sonneberg und Neustadt leben in friedlicher Koexistenz miteinander – wie viele andere Gemeinden auch. Es gibt einen gemeinsamen Nahverkehr und ein gemeinsames Radwegekonzept, ein Klinikverbund ist geplant.

Dass selbst der gemeinsame Stadtplan als großer Erfolg gefeiert wurde, erzählt allerdings viel darüber, was aus den hochtrabenden Plänen nach der Wende geworden ist.
Sind Sonneberg und Neustadt am Ende an deutsch-deutschen Befindlichkeiten gescheitert? Unsinn, sagt Rebhan.

Frank Rebhan: "Wenn die politischen Umstände, die Richtlinien zu unterschiedlich sind, tut man sich extrem schwer bei manchem von gemeinsamen Projekten, die unterm Strich eigentlich jedem sinnvoll erscheinen."

Zum Beispiel das Projekt "gemeinsames Mittelzentrum", für eine gemeinsame Planung der Wirtschaft, von Infrastruktur und Unternehmensansiedelungen. Eine Entwicklungsgesellschaft wird gegründet, ein Geschäftsführer eingestellt. Heute ist die Gesellschaft aufgelöst, der Geschäftsführer längst entlassen. Der Neustadter Bürgermeister Rebhan bedauert das. Für seine Sonneberger Kollegin Sybille Abel ist es eine logische Entwicklung.

Sybille Abel: "Wir sollten alles nur noch gemeinsam machen und ich denke, damit hätte die Stadt eine Identität verloren, und wer in Zeiten der Fördermittel diese nicht in Anspruch nimmt, also: Der ist nicht gut beraten, muss ich ehrlich sagen."

Sonneberg hat sich verwandelt in den vergangenen 20 Jahren: Von einer vernachlässigten Kommune am Ende der Welt zu einer repräsentativen Stadt mit saniertem Zentrum, moderner Infrastruktur und der niedrigsten Arbeitslosenquote in Thüringen. Abel verteidigt die großzügige Förderung für den Osten.

Sybille Abel: "Ich meine, die hatten halt 40 Jahre Vorsprung und wir mussten es aufholen, dass man da eine gewisse Neidsituation herbei geschworen hat, ist ganz normal. Aber aus eigener Kraft hätten die Kommunen das nicht leisten können."

Gern erzählt die Bürgermeisterin vom wirtschaftlichen Aufschwung ihrer Heimatstadt:

"Nach der Wende, vielleicht ein Beispiel, waren wir sehr froh, dass unsere Menschen Arbeit im bayrischen Raum gefunden haben, wir hatten also eine sehr hohe Auspendlerzahl, seit vielen Jahren ist es so, dass wir mehr Einpendler haben wie Auspendler, also darauf sind wir stolz, dass wir aus eigener Kraft ne Industrie wieder aufgebaut haben, die in Thüringen die höchste Industriedichte aufweist."

Doch während sich in Sonneberg Autozulieferer, Verpackungs- oder Logistikunternehmen angesiedelt haben, hat Neustadt das Nachsehen. Längst seien Firmen nach Thüringen abgewandert, sagt Oberbürgermeister Frank Rebhan:

"Bei jeder Betriebserweiterung gibt es in Sichtweite ganz andere finanzielle Rahmenbedingungen. Das heißt 50 Prozent Investitionszuschuss, teilweise Grundstücke, die man als Geschenk bezeichnen kann, erschlossene Grundstücke, alles das, was ich, selbst wenn ich es könnte, nicht darf, weil bei mir wäre es Subventionsbetrug. Noch mal: Ein ganz hohes Verständnis dafür, dass nach Grenzöffnung was passieren musste, aber irgendwann müssen die Dinge auch mal wieder überdacht werden."

Auch weil das bisher nicht geschehen ist, ist die Annäherung zwischen den beiden Städten ins Stocken geraten. Wenn Sibylle Abel heute von ihrem Verhältnis zu Neustadt spricht, dann klingt das eher nach offener Beziehung:

"Partnerschaft und Zusammenarbeit heißt ja nicht, dass man von A - Z alles gemeinsam machen muss."

Sybille Abel ist damit zufrieden. Walter Knauer dagegen, der als ehemaliger Landtagsabgeordneter und Neustadter SPD-Fraktionschef lange für eine Zusammenarbeit mit Sonneberg getrommelt hat, ist gescheitert. Seine radikalen Vorschläge sind nicht gut angekommen in der Bevölkerung der eigenen Stadt. Zum Beispiel die Idee, beide Kommunen zusammenzulegen – und die neue Stadt von Sonneberg aus regieren zu lassen. Knauer hat deshalb aufgegeben:

"Ich habe gesagt: Ich habe die Schnauze voll, ständig irgendwie etwas in die Wege zu leiten und absolut keinen Erfolg zu haben."

Dabei gab es durchaus Chancen für eine Zusammenarbeit. Zum Beispiel bei der Sache mit dem Schwimmbad. Als Sonneberg ein neues Schwimmbad plant, brennt die Neustadter Schwimmhalle wegen eines technischen Defekts ab. Glück im Unglück: Die Versicherung zahlt den Schaden – und macht damit den Weg frei für eine neue, gemeinsame Planung. Eigentlich.

Walter Knauer: "... und anstatt man dann wirklich sagt: wir machen gemeinsam etwas Neues – die Sonneberger mussten ja auch ein Hallenbad bauen, hat jede Kommune jetzt völlig defizitäre Hallenbäder gebaut. Die waren nicht auf einen Nenner zu bringen, weder Sonneberg auf die Neustadter Seite oder umgekehrt, die hätten am liebsten das Hallenbad, die eine Hälfte auf bayrischer Seite und die andere Hälfte auf thüringischer Seite gebaut, können Sie sich diese Idiotie vorstellen, soweit sind die Überlegungen gegangen."

Woran also ist die Annäherung zwischen Neustadt und Sonneberg gescheitert?
An dem Fördergefälle, sagt Neustadts Oberbürgermeister Rebhan.
An dem Zwang zur Gemeinsamkeit, sagt die Sonneberger Oberbürgermeisterin Abel.
An einem krassen Opportunismus im Osten, sagt Gustav Humann, der Leiter der Sonneberger Volkshochschule, der die Entwicklung seit vielen Jahren beobachtet.
Von staatlicher Gängelung in der DDR direkt in die völlige Freiheit nach der Wende – das sei nicht gut gegangen.

Gustav Humann: "Das was vorher unter Zwang war: Diese Zusammenarbeit, diese Kollektivierung, die wurde, so hatte ich das Gefühl, mit einem Schlag ins Gegenteil verkehrt: Jeder muss sich um sich selber kümmern, jeder ist sich selbst der Nächste."

Hat Sonneberg von dieser Haltung profitiert? Der Stadt geht es schließlich gut heute. Nein, meint Humann:

"Wenn man nicht bereit ist, über den Gartenzaun zu schauen oder über die Kirchturmspitze hinaus, da profitiert man nie, das ist immer ne falsche Einschätzung der Lage. Es ist immer besser, sich zu öffnen und Kooperationen zu suchen und Gemeinsamkeiten zu suchen, als sich abzugrenzen, das ist immer falsch, auch wenn es menschlich ist, es ist aber falsch."

Auch Georg Gehrlicher, der "Wossi", der vom Küchenfenster auf den früheren Grenzstreifen blickt, versteht nicht, warum man nicht zueinander findet. Warum er immer noch an einer Grenze wohnt.

Georg Gehrlicher: "Es ist jetzt nicht mehr Ost und West, es ist jetzt auch: Dort ist Thüringen und hier ist Bayern, das sind auch wieder zwei, ich habe mit Ämtern in Thüringen zu tun und mit Ämtern in Bayern, aber das ist sehr schwer, ja noch nicht einmal die kommen zusammen, im Gegenteil, ich habe erlebt, dass ich hier mit thüringischen Formularen auf die Zulassungsstelle nach Coburg bin und die haben Beamte zusammengeholt, haben gelacht, weil dort anders gesiedelt wird wie hier, und was haben die für Vorschriften und dann geht das auch so hin und her."

Musik Rocko Schamoni: "Mauern"
Die meisten Menschen haben Probleme,
die Gründe dafür sind immer gleich,
sie leiden unter zu viel Nähe,
und irgendwann bricht dann der Deich ...


Georg Gehrlicher: "... das wird immer noch so: Die Ossis und so und die Wessis und das ist irgendwie noch drin in den Köpfen, ich weiß es nicht, wodurch das ist ..."

Musik Rocko Schamoni: "Mauern"
Wir wollen eine Mauer bauen,
wir brauchen eine Mauer im Kopf,
wir müssen eine Mauer errichten,
eine Mauer der Liebe.


Georg Gehrlicher: "Wir sind mitten in Deutschland, sind exakt in der Mitte, sind das grüne Herz eigentlich, warum tut man sich nicht nach Thüringen orientieren – weil sie Angst haben, ich glaube, das ist einfach Angst, oder weiß der Teufel, ich weiß es nicht, mir ist es persönlich komplett egal."