"Es geschieht Unrecht"
Nach Einschätzung von Sabine Haupt wünschen sich Syrer ein Eingreifen des Westens in dem Land - mit einer Embargopolitik. Abgelehnt werde eine militärische Intervention.
Vladimir Balzer: Seit Monaten demonstrieren die Menschen in Syrien fast täglich gegen Staatschef Baschar al-Assad. Bei der Niederschlagung der Proteste starben nach UN-Angaben mehr als 2200 Menschen, und die meisten von ihnen Zivilisten. Gestern sollen laut Oppositionsangaben wieder acht Menschen gestorben sein.
Auf der einen Seite gibt es Rückschläge im Kampf um Reformen – wir haben es gehört, der Generalsekretär der Arabischen Liga hat seinen heutigen Besuch abgesagt, er wollte sich für freie Wahlen und eine Entschädigung der Opfer aussprechen –, doch auf der anderen Seite, so scheint es zumindest, mehren sich die Anzeichen, dass das Regime von innen bröckelt. Am Telefon ist Sabine Haupt, sie ist die Leiterin des Goethe-Instituts in Damaskus, zurzeit in Deutschland. Einen schönen guten Morgen, Frau Haupt!
Sabine Haupt: Guten Morgen, Herr Balzer!
Balzer: Sie wurden bereits im April zurückgerufen wegen der gefährlichen Lage und waren seither noch nicht wieder in Damaskus. Wie ist Ihr Kontakt zu den verbliebenen Kollegen vor Ort?
Haupt: Der Kontakt ist sehr eng, weil wir natürlich in Damaskus und auch in Aleppo, wo wir eine Nebenstelle haben, noch die Strukturen aufrecht erhalten müssen. Das heißt, es gibt Dinge abzuwickeln, wir haben Mitarbeiter vor Ort, wir haben Nachfragen, es gibt E-Mails zu beantworten, Zeugnisse auszustellen und Ähnliches, und da ist uns sehr daran gelegen, erst einmal den Kontakt aufrecht zu erhalten, aber auch unseren Service natürlich weiter durchzuführen.
Balzer: Das Goethe-Institut in Damaskus ist komplett geschlossen, oder kann in geringem Maße auf irgendeine Weise weitergearbeitet werden?
Haupt: Wir arbeiten weiter, weil wir von Damaskus aus auch die subregionale Fortbildung der Deutschlehrer organisieren, verwalten und auch die entsprechenden Klausuren rausgeben, korrigieren und so weiter. Das heißt, wir können jetzt nicht, weil Damaskus geschlossen ist, darauf verzichten, die palästinensischen Autonomiegebiete, den Libanon und Jordanien weiter auszubilden – das heißt, das machen meine Mitarbeiter von zu Hause aus.
Balzer: Ihre Besucher und Sprachschüler im Goethe-Institut – vermuten Sie sie eigentlich auch bei den Protesten?
Haupt: Ja, ich vermute einige bei den Protesten, ich weiß auch, dass einige bei den Protesten sind, allerdings sind es wenige von ihnen.
Balzer: Halten Sie Kontakt zu diesen Protestierenden?
Haupt: Ja, das kann ich so sagen. Viele kommen nach Beirut, um dort Services sich einzuholen, die wir direkt in Syrien nicht mehr bieten können. Die Grenze nach Libanon ist offen, es sind 100 Kilometer, die sie per Taxi oder auch mit dem eigenen Pkw zurücklegen können, und ich habe die Mitschüler oder die Schüler von uns dann direkt in Beirut getroffen.
Balzer: Und was berichten Ihnen, die, ich sage mal, – zurzeit jedenfalls – arbeitslosen Mitarbeiter des Goethe-Instituts in Damaskus über die Lage?
Haupt: Gut, arbeitslos sind natürlich erst mal die Honorarmitarbeiter. Wir haben ja auch sehr viele festangestellte Mitarbeiter, die nach wie vor in Lohn und Brot sind, die auch nach wie vor den Betrieb zumindest rudimentär aufrechterhalten, wenn auch das Büro oder das Institut nicht direkt, also offiziell geöffnet ist.
Balzer: Es scheint ja, es gibt Risse im System: Man hört von einem Generalstaatsanwalt, der zu den Aufständischen gewechselt ist, Soldaten desertieren, von Rot-Kreuz-Mitarbeitern hört man, sie dürfen Gefängnisse besuchen, einige Oppositionelle wurden sogar freigelassen. Sind das schon Zeichen für ein Einlenken des Regimes von Assad? Bahnt sich da wirklich ein politischer Wandel an, wenn auch langsam?
Haupt: Also, wie man das Regime kennt seit dem Jahr 2000 sind das einfach nur kleine Schritte, um zu zeigen, ... oder um sich an der Macht zu halten. Also man gibt immer so weit nach, wie man gerade eben kann, ohne sich selbst zu gefährden, aber auch, um sich nicht selbst zu gefährden, und so wird das auch bei der Mehrheit der Bevölkerung aufgefasst. Also man ist gewöhnt, dass Ankündigungen kommen, dass Modernisierung, dass Reformen angekündigt werden, die dann aber in der Tat nicht aktiv umgesetzt werden.
Balzer: Wie lange kann so ein Wandel dauern in Syrien?
Haupt: Es kann unheimlich lange dauern, und das ist genau die Angst der Syrer vor Ort, dass es so lange dauern könnte, wie man es im Nachbarland, wie man es im Libanon ja hatte mit 15 Jahren Bürgerkrieg, und das ist eine der ganz großen Befürchtungen der Leute vor Ort, ja.
Balzer: Wie stark sind die Erwartungen an den Westen?
Haupt: Sie meinen, in Deutschland?
Balzer: Ich meine in Syrien vor Ort, welche Erwartungen an den Westen dort gestellt werden? Wir haben es ja in Libyen erlebt, da ging es ja bis zum militärischen Einsatz und der UN-Resolution. Wird da ernsthaft, ich sage mal, unter den Oppositionellen, unter den Widerständlern in Syrien diskutiert, dass diese Art des Eingreifens infrage kommt?
Haupt: Ja, das wird es tatsächlich. Also was man sich wünscht, soweit ich das überblicken kann, ist ganz klar eine Embargopolitik, um zu zeigen, um dem Regime zu zeigen: Wir haben bemerkt, es geschieht Unrecht – wir wollen das nicht mitmachen und wir wollen sie nicht unterstützen. Was ganz klar abgelehnt wird, ist ein militärisches Eingreifen, weil man auch glaubt, dass man da vor Ort das selber regeln kann.
Balzer: Wir sind im Gespräch mit Sabine Haupt, der Leiterin des Goethe-Instituts in Damaskus. Noch vielleicht einmal zurück, bevor die Proteste begannen im März und April, bevor sie auch nach Deutschland zurückgerufen wurden: Ihr Institut in Damaskus – haben Sie das immer als eine Insel der freien Meinungsäußerung und Debatten gesehen?
Haupt: Das kann man ganz klar so sagen, und ich denke, das ist auch nicht nur meine Meinung. Meine Schüler sagen mir oder die Leute, die zu uns kommen, um an der Kulturarbeit teilzunehmen, um sich Ausstellungen und Filme anzuschauen: Sobald wir durch die Tür schreiten, sind wir in einer anderen Welt, wir sind in der Lage zu debattieren, wir sind in der Lage, auch diskursiv zu sein, wir sind in der Lage, Dinge anzuschauen und Dinge zu hören, an denen wir sonst nicht teilhaben können – und das ist ein ganz klarer Standpunkt des Goethe-Institutes und wird vor Ort auch so aufgefasst.
Balzer: Wie genau war das, haben Sie vielleicht Beispiele? Gab es da konkrete Diskussionen, Debatten bei Ihnen im Haus?
Haupt: Unbedingt, ja. Also wir hatten zum Beispiel eine ganz klare Diskussion darüber, was Demokratie ist, denn das Demokratieverständnis in Syrien ist möglicherweise ein völlig anderes als wir es mit westlichen Demokratien haben. Und meine Schüler nehmen so etwas zum Anlass, mithilfe eines Textes darüber zu sprechen, und das wird von uns auch gefördert.
Balzer: Wird da Deutschland, wird der Westen mit seinen demokratischen, rechtsstaatlichen Strukturen als Vorbild gesehen?
Haupt: Nicht unbedingt, nein, also das ist auf jeden Fall ein Modell, das man sich vorstellen kann, ich habe aber das Gefühl, dass man sich vor Ort gerne selber vorbehalten möchte, ein eigenes Gesellschaftsbild und ein eigenes System zu entwickeln, wie auch immer das am Ende aussehen mag.
Balzer: Was ist da die dominierende Idee, was ist, bei Ihren Sprachschülern zumindest oder bei Ihren Besuchern, die Vorstellung von einem freieren, demokratischen Syrien?
Haupt: Es ist vor allen Dingen die Möglichkeit, sich auszubilden, es ist vor allen Dingen die gesellschaftliche Teilhabe, die man möchte, ohne jetzt Angst zu haben, dass einem der Zutritt verwehrt wird, dass einem aufgrund freier Meinungsäußerungen Nachteile entstehen bis hin zu Nachteilen, wie es ja jetzt sein kann, dass es sie ihr Leben kosten kann oder ihre Freiheit, weil sie in einem politischen Gefängnis dann eingesperrt werden.
Balzer: Fühlten Sie sich auch immer verantwortlich für Ihre Schüler und Studenten?
Haupt: Ja, unbedingt, ja.
Balzer: Inwieweit?
Haupt: Vor allen Dingen für ihr Wohlsein und für ihre Unversehrtheit, solange natürlich, wie sie sich im Goethe-Institut aufhalten und auch darüber hinaus. Also man kann keine Verantwortung für Erwachsene und Menschen übernehmen, das ist ganz klar, aber die Verantwortung habe ich dahingehend gefühlt, dass man auf offene Fragen offen antwortet und dass man vor allen Dingen Modelle vorstellt, dann aber auch die freie Wahl zulässt.
Balzer: Gab es schon direkte Konfrontationen etwa mit Geheimdienstmitarbeitern?
Haupt: Direkte Konfrontationen nicht, also es gibt versteckte Konfrontationen.
Balzer: In welcher Art?
Haupt: Sie werden angerufen, Ihre Telefonate werden komplett abgehört, es gibt auch Drohungen, ja, das kann man so sagen.
Balzer: Drohungen, welche Art von Drohungen gab es da?
Haupt: Tatsächlich, dass man mit dem Leben bedroht wurde, ja.
Balzer: Sie persönlich?
Haupt: Ja.
Balzer: Wie haben Sie darauf reagiert?
Haupt: Gut, das war jetzt eine, die ich nicht ernst genommen habe. Wenn es eine Drohung ist, die Sie tatsächlich ernst nehmen – und Sie merken das daran, wie sie geäußert wird –, dann wird man natürlich sofort die Botschaft benachrichtigen und die entsprechenden Schutzmaßnahmen einleiten lassen.
Balzer: Waren auch Regimespitzel in den Kursen?
Haupt: Ja, natürlich.
Balzer: Das wussten Sie?
Haupt: Sie können damit rechnen, dass mindestens in jedem Kurs ein Spitzel sitzt, was natürlich die freie Meinungsäußerung sehr stark einschränkt, aber die Syrer sind natürlich von klein auf gewöhnt, ihre Meinung so zu äußern, dass man zwischen den Zeilen dann die entsprechenden Dinge durchblicken lässt, und man ist eben auch trainiert, das entsprechend wahrzunehmen.
Balzer: Welche Chancen gibt es denn jetzt in absehbarer Zeit, das Institut wieder zu eröffnen in Damaskus?
Haupt: Das hängt ganz klar an der Sicherheitslage, und ich habe gerade gestern noch mit Mitarbeitern von mir telefoniert: Also das Bedrohungsempfinden vor Ort – man kann jetzt gar nicht von einer reellen Gefahr sprechen –, in den Großstädten, und ich spreche da von Aleppo und von Damaskus, steigt.
Das heißt, man geht nicht mehr unbedingt auf die Straße, wenn man nicht unbedingt muss, man kauft einmal in der Woche komplett für die Familie ein, um einfach möglichst wenig exponiert zu sein. Also es gibt Straßensperren bei den großen Zufahrtsstraßen, auch das nimmt man natürlich wahr, vor den großen Moscheen steht schon mal ein Panzer bei der Freitagspredigt, einfach um Präsenz zu zeigen und um zu drohen und um einzuschüchtern. Aber das ist man natürlich gewöhnt, also gerade Leute, die jetzt älter als 40 Jahre alt sind, kennen das natürlich noch aus den 80er-Jahren.
Balzer: Sabine Haupt, ich danke Ihnen sehr für das Gespräch ...
Haupt: Bitteschön!
Balzer: ... und wünsche dennoch viel Erfolg, trotz der schwierigen Lage.
Haupt: Danke!
Balzer: Sabine Haupt, Leiterin des Goethe-Instituts in Damaskus, über ihr Institut in diesen Tagen und über die Hoffnungen auf einen Wandel in Syrien.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Auf der einen Seite gibt es Rückschläge im Kampf um Reformen – wir haben es gehört, der Generalsekretär der Arabischen Liga hat seinen heutigen Besuch abgesagt, er wollte sich für freie Wahlen und eine Entschädigung der Opfer aussprechen –, doch auf der anderen Seite, so scheint es zumindest, mehren sich die Anzeichen, dass das Regime von innen bröckelt. Am Telefon ist Sabine Haupt, sie ist die Leiterin des Goethe-Instituts in Damaskus, zurzeit in Deutschland. Einen schönen guten Morgen, Frau Haupt!
Sabine Haupt: Guten Morgen, Herr Balzer!
Balzer: Sie wurden bereits im April zurückgerufen wegen der gefährlichen Lage und waren seither noch nicht wieder in Damaskus. Wie ist Ihr Kontakt zu den verbliebenen Kollegen vor Ort?
Haupt: Der Kontakt ist sehr eng, weil wir natürlich in Damaskus und auch in Aleppo, wo wir eine Nebenstelle haben, noch die Strukturen aufrecht erhalten müssen. Das heißt, es gibt Dinge abzuwickeln, wir haben Mitarbeiter vor Ort, wir haben Nachfragen, es gibt E-Mails zu beantworten, Zeugnisse auszustellen und Ähnliches, und da ist uns sehr daran gelegen, erst einmal den Kontakt aufrecht zu erhalten, aber auch unseren Service natürlich weiter durchzuführen.
Balzer: Das Goethe-Institut in Damaskus ist komplett geschlossen, oder kann in geringem Maße auf irgendeine Weise weitergearbeitet werden?
Haupt: Wir arbeiten weiter, weil wir von Damaskus aus auch die subregionale Fortbildung der Deutschlehrer organisieren, verwalten und auch die entsprechenden Klausuren rausgeben, korrigieren und so weiter. Das heißt, wir können jetzt nicht, weil Damaskus geschlossen ist, darauf verzichten, die palästinensischen Autonomiegebiete, den Libanon und Jordanien weiter auszubilden – das heißt, das machen meine Mitarbeiter von zu Hause aus.
Balzer: Ihre Besucher und Sprachschüler im Goethe-Institut – vermuten Sie sie eigentlich auch bei den Protesten?
Haupt: Ja, ich vermute einige bei den Protesten, ich weiß auch, dass einige bei den Protesten sind, allerdings sind es wenige von ihnen.
Balzer: Halten Sie Kontakt zu diesen Protestierenden?
Haupt: Ja, das kann ich so sagen. Viele kommen nach Beirut, um dort Services sich einzuholen, die wir direkt in Syrien nicht mehr bieten können. Die Grenze nach Libanon ist offen, es sind 100 Kilometer, die sie per Taxi oder auch mit dem eigenen Pkw zurücklegen können, und ich habe die Mitschüler oder die Schüler von uns dann direkt in Beirut getroffen.
Balzer: Und was berichten Ihnen, die, ich sage mal, – zurzeit jedenfalls – arbeitslosen Mitarbeiter des Goethe-Instituts in Damaskus über die Lage?
Haupt: Gut, arbeitslos sind natürlich erst mal die Honorarmitarbeiter. Wir haben ja auch sehr viele festangestellte Mitarbeiter, die nach wie vor in Lohn und Brot sind, die auch nach wie vor den Betrieb zumindest rudimentär aufrechterhalten, wenn auch das Büro oder das Institut nicht direkt, also offiziell geöffnet ist.
Balzer: Es scheint ja, es gibt Risse im System: Man hört von einem Generalstaatsanwalt, der zu den Aufständischen gewechselt ist, Soldaten desertieren, von Rot-Kreuz-Mitarbeitern hört man, sie dürfen Gefängnisse besuchen, einige Oppositionelle wurden sogar freigelassen. Sind das schon Zeichen für ein Einlenken des Regimes von Assad? Bahnt sich da wirklich ein politischer Wandel an, wenn auch langsam?
Haupt: Also, wie man das Regime kennt seit dem Jahr 2000 sind das einfach nur kleine Schritte, um zu zeigen, ... oder um sich an der Macht zu halten. Also man gibt immer so weit nach, wie man gerade eben kann, ohne sich selbst zu gefährden, aber auch, um sich nicht selbst zu gefährden, und so wird das auch bei der Mehrheit der Bevölkerung aufgefasst. Also man ist gewöhnt, dass Ankündigungen kommen, dass Modernisierung, dass Reformen angekündigt werden, die dann aber in der Tat nicht aktiv umgesetzt werden.
Balzer: Wie lange kann so ein Wandel dauern in Syrien?
Haupt: Es kann unheimlich lange dauern, und das ist genau die Angst der Syrer vor Ort, dass es so lange dauern könnte, wie man es im Nachbarland, wie man es im Libanon ja hatte mit 15 Jahren Bürgerkrieg, und das ist eine der ganz großen Befürchtungen der Leute vor Ort, ja.
Balzer: Wie stark sind die Erwartungen an den Westen?
Haupt: Sie meinen, in Deutschland?
Balzer: Ich meine in Syrien vor Ort, welche Erwartungen an den Westen dort gestellt werden? Wir haben es ja in Libyen erlebt, da ging es ja bis zum militärischen Einsatz und der UN-Resolution. Wird da ernsthaft, ich sage mal, unter den Oppositionellen, unter den Widerständlern in Syrien diskutiert, dass diese Art des Eingreifens infrage kommt?
Haupt: Ja, das wird es tatsächlich. Also was man sich wünscht, soweit ich das überblicken kann, ist ganz klar eine Embargopolitik, um zu zeigen, um dem Regime zu zeigen: Wir haben bemerkt, es geschieht Unrecht – wir wollen das nicht mitmachen und wir wollen sie nicht unterstützen. Was ganz klar abgelehnt wird, ist ein militärisches Eingreifen, weil man auch glaubt, dass man da vor Ort das selber regeln kann.
Balzer: Wir sind im Gespräch mit Sabine Haupt, der Leiterin des Goethe-Instituts in Damaskus. Noch vielleicht einmal zurück, bevor die Proteste begannen im März und April, bevor sie auch nach Deutschland zurückgerufen wurden: Ihr Institut in Damaskus – haben Sie das immer als eine Insel der freien Meinungsäußerung und Debatten gesehen?
Haupt: Das kann man ganz klar so sagen, und ich denke, das ist auch nicht nur meine Meinung. Meine Schüler sagen mir oder die Leute, die zu uns kommen, um an der Kulturarbeit teilzunehmen, um sich Ausstellungen und Filme anzuschauen: Sobald wir durch die Tür schreiten, sind wir in einer anderen Welt, wir sind in der Lage zu debattieren, wir sind in der Lage, auch diskursiv zu sein, wir sind in der Lage, Dinge anzuschauen und Dinge zu hören, an denen wir sonst nicht teilhaben können – und das ist ein ganz klarer Standpunkt des Goethe-Institutes und wird vor Ort auch so aufgefasst.
Balzer: Wie genau war das, haben Sie vielleicht Beispiele? Gab es da konkrete Diskussionen, Debatten bei Ihnen im Haus?
Haupt: Unbedingt, ja. Also wir hatten zum Beispiel eine ganz klare Diskussion darüber, was Demokratie ist, denn das Demokratieverständnis in Syrien ist möglicherweise ein völlig anderes als wir es mit westlichen Demokratien haben. Und meine Schüler nehmen so etwas zum Anlass, mithilfe eines Textes darüber zu sprechen, und das wird von uns auch gefördert.
Balzer: Wird da Deutschland, wird der Westen mit seinen demokratischen, rechtsstaatlichen Strukturen als Vorbild gesehen?
Haupt: Nicht unbedingt, nein, also das ist auf jeden Fall ein Modell, das man sich vorstellen kann, ich habe aber das Gefühl, dass man sich vor Ort gerne selber vorbehalten möchte, ein eigenes Gesellschaftsbild und ein eigenes System zu entwickeln, wie auch immer das am Ende aussehen mag.
Balzer: Was ist da die dominierende Idee, was ist, bei Ihren Sprachschülern zumindest oder bei Ihren Besuchern, die Vorstellung von einem freieren, demokratischen Syrien?
Haupt: Es ist vor allen Dingen die Möglichkeit, sich auszubilden, es ist vor allen Dingen die gesellschaftliche Teilhabe, die man möchte, ohne jetzt Angst zu haben, dass einem der Zutritt verwehrt wird, dass einem aufgrund freier Meinungsäußerungen Nachteile entstehen bis hin zu Nachteilen, wie es ja jetzt sein kann, dass es sie ihr Leben kosten kann oder ihre Freiheit, weil sie in einem politischen Gefängnis dann eingesperrt werden.
Balzer: Fühlten Sie sich auch immer verantwortlich für Ihre Schüler und Studenten?
Haupt: Ja, unbedingt, ja.
Balzer: Inwieweit?
Haupt: Vor allen Dingen für ihr Wohlsein und für ihre Unversehrtheit, solange natürlich, wie sie sich im Goethe-Institut aufhalten und auch darüber hinaus. Also man kann keine Verantwortung für Erwachsene und Menschen übernehmen, das ist ganz klar, aber die Verantwortung habe ich dahingehend gefühlt, dass man auf offene Fragen offen antwortet und dass man vor allen Dingen Modelle vorstellt, dann aber auch die freie Wahl zulässt.
Balzer: Gab es schon direkte Konfrontationen etwa mit Geheimdienstmitarbeitern?
Haupt: Direkte Konfrontationen nicht, also es gibt versteckte Konfrontationen.
Balzer: In welcher Art?
Haupt: Sie werden angerufen, Ihre Telefonate werden komplett abgehört, es gibt auch Drohungen, ja, das kann man so sagen.
Balzer: Drohungen, welche Art von Drohungen gab es da?
Haupt: Tatsächlich, dass man mit dem Leben bedroht wurde, ja.
Balzer: Sie persönlich?
Haupt: Ja.
Balzer: Wie haben Sie darauf reagiert?
Haupt: Gut, das war jetzt eine, die ich nicht ernst genommen habe. Wenn es eine Drohung ist, die Sie tatsächlich ernst nehmen – und Sie merken das daran, wie sie geäußert wird –, dann wird man natürlich sofort die Botschaft benachrichtigen und die entsprechenden Schutzmaßnahmen einleiten lassen.
Balzer: Waren auch Regimespitzel in den Kursen?
Haupt: Ja, natürlich.
Balzer: Das wussten Sie?
Haupt: Sie können damit rechnen, dass mindestens in jedem Kurs ein Spitzel sitzt, was natürlich die freie Meinungsäußerung sehr stark einschränkt, aber die Syrer sind natürlich von klein auf gewöhnt, ihre Meinung so zu äußern, dass man zwischen den Zeilen dann die entsprechenden Dinge durchblicken lässt, und man ist eben auch trainiert, das entsprechend wahrzunehmen.
Balzer: Welche Chancen gibt es denn jetzt in absehbarer Zeit, das Institut wieder zu eröffnen in Damaskus?
Haupt: Das hängt ganz klar an der Sicherheitslage, und ich habe gerade gestern noch mit Mitarbeitern von mir telefoniert: Also das Bedrohungsempfinden vor Ort – man kann jetzt gar nicht von einer reellen Gefahr sprechen –, in den Großstädten, und ich spreche da von Aleppo und von Damaskus, steigt.
Das heißt, man geht nicht mehr unbedingt auf die Straße, wenn man nicht unbedingt muss, man kauft einmal in der Woche komplett für die Familie ein, um einfach möglichst wenig exponiert zu sein. Also es gibt Straßensperren bei den großen Zufahrtsstraßen, auch das nimmt man natürlich wahr, vor den großen Moscheen steht schon mal ein Panzer bei der Freitagspredigt, einfach um Präsenz zu zeigen und um zu drohen und um einzuschüchtern. Aber das ist man natürlich gewöhnt, also gerade Leute, die jetzt älter als 40 Jahre alt sind, kennen das natürlich noch aus den 80er-Jahren.
Balzer: Sabine Haupt, ich danke Ihnen sehr für das Gespräch ...
Haupt: Bitteschön!
Balzer: ... und wünsche dennoch viel Erfolg, trotz der schwierigen Lage.
Haupt: Danke!
Balzer: Sabine Haupt, Leiterin des Goethe-Instituts in Damaskus, über ihr Institut in diesen Tagen und über die Hoffnungen auf einen Wandel in Syrien.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.