"Es gibt einen dramatischen Rückgang der Arten in den letzten Jahren"
Die Grünen-Politikerin Undine Kurth sieht bei den Verhandlungen der UN-Konferenz für biologische Vielfalt im japanischen Nagoya noch viele offene Fragen. Ein gerechter Interessenausgleich zwischen Industrie- und Entwicklungsländern sei Voraussetzung für die Einigung auf ein Abkommen.
Marcus Pindur: Dass Artenvielfalt wichtig ist für das ökologische Gleichgewicht, ist zwar ein Gemeinplatz, aber der Schutz der Artenvielfalt ist alles andere als selbstverständlich. Dass immer mehr Arten, Pflanzen und Tiere aussterben beziehungsweise vom Aussterben bedroht sind, das können wir bereits seit mehreren Jahrzehnten beobachten. Heute tritt in Nagoya in Japan die Abschlusskonferenz der Vertragsstaaten zur UN-Konvention über biologische Vielfalt zusammen. Wir wollen jetzt mit Undine Kurth sprechen, Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen im Bundestag und Sprecherin für Naturschutzpolitik. Guten Morgen, Frau Kurth!
Undine Kurth: Einen schönen guten Morgen!
Marcus Pindur: Deutschland hat den Vorsitz bei diesen Verhandlungen über den Erhalt biologischer Vielfalt gehabt, und der Chef des Bundesumweltamtes, Jochen Flasbarth, der den Vorsitz dort führte, hat ein ernüchterndes Fazit gezogen: Man sei in den vergangenen acht Jahren beim Artenschutz weltweit nicht vorangekommen. Woran liegt das?
Kurth: Da hat er erstens leider recht, und es liegt daran, dass glaube ich immer noch nicht begriffen worden ist, dass es beim Artenschutz nicht um die Liebhaberei von Naturschützern geht, die irgendwie ihre Lieblingsart schützen wollen, sondern um die existenzielle Sicherung unserer Lebensgrundlagen. Wir kennen die Gründe für die Bedrohung der Artenvielfalt recht genau, was Übernutzung betrifft, was Flächenverschneidung betrifft, was falsche Nutzung betrifft, aber wir tun einfach nicht genug dagegen.
Marcus Pindur: Was sind denn konkrete Maßnahmen des Artenschutzes, mit denen man voran kommen könnte?
Kurth: Wir müssen zum Beispiel sehr konsequent daran arbeiten, dass es zu Land und zu Wasser wirkliche Schutzgebiete gibt, Rückzugsräume, in denen sich Arten wieder erholen können, um dann weiterhin gesunde Bestände zu sichern. Die aber müssen finanziert werden, und wenn wir uns nicht darauf verständigen können, dass wir diese Finanzierung verbindlich festlegen, dann werden wir sie weltweit auch nicht durchbekommen. Wir haben in Deutschland zum Beispiel eine nationale Biodiversitätsstrategie verabschiedet, aber keinen Plan dazu, wie wir sie umsetzen wollen, die haben wir bis heute nicht. Und solange man nicht sich konkret darauf verständigt, eine solche Querschnittsaufgabe wirklich verbindlich festzuschreiben, Ziele zu definieren, Termine zu definieren und auch Sanktionen zu definieren – wenn man diese Ziele nicht einhält, wird man nicht weiterkommen.
Marcus Pindur: In welchen Regionen, bei welchen Arten sehen Sie denn derzeit die größten Schwierigkeiten?
Kurth: Das kann man inzwischen leider so schon gar nicht mehr sagen, weil man muss einen globalen Rückgang wirklich beklagen, und alle Unterlagen, die wir in der letzten Zeit haben – ob es da der globale Ausblick der UN ist, ob es die Unterlagen des WWF sind –, alle belegen uns: Es gibt einen dramatischen Rückgang der Arten in den letzten Jahren, und wir müssen in einem Zeitraum der letzten zehn Jahre mit einem Artenrückgang von ungefähr 30 Prozent leben, und in den Tropen sind es sogar 60 Prozent.
Marcus Pindur: Ein Grund, warum die Verhandlungen in Nagoya nicht so recht vom Fleck kommen, ist, dass die Entwicklungsländer sich nur zu mehr Artenschutz bereitfinden wollen, wenn die großen Lebensmittelkonzerne, die ja meistens in den entwickelten Ländern beheimatet sind, für die Nutzung von traditionellen Pflanzen, zum Beispiel aus Regenwäldern, auch bezahlen dann. Da sind die Verhandlungen noch nicht weitergekommen. Warum ist das so?
Kurth: Weil Interessen gegeneinanderstehen. Sie haben ja eben gesagt, da stehen die Interessen der Nutzerländer, in aller Regel sind das die Industriestaaten, den Interessen der Länder, die die Artenvielfalt bewahrt haben, in aller Regel Entwicklungsländer, gegenüber. Und da ist es ein sehr schwieriges Verhandeln, zu diesem seit Jahren geforderten Protokoll über einen gerechten Vorteilsausgleich zu kommen.
Marcus Pindur: Aber das wäre doch relativ einfach zu regeln. Es gibt ja den Fall, wo der Lebensmittelkonzern Nestlé sich hat bestimmte Pflanzen und bestimmte pflanzliche Lebensmittel patentieren lassen, aber es wurde festgestellt, dass das gegen internationales Recht verstößt.
Kurth: Dafür gibt es auch andere Beispiele. Letztendlich brauchen wir eine verbindliche Regelung. Seit 2002 ist festgeschrieben – das war damals auf der COP in Johannesburg –, dass es ein ordentliches Protokoll darüber geben muss, dass Nutzen und Erhalt in einem fairen Ausgleich zueinander stehen müssen. Erst 2008 wurde dann wirklich eine Arbeitsgruppe ins Leben gerufen, und wenn Sie überlegen, dass das jetzt schon acht Jahre dauert und wir immer noch nicht so weit sind, dass wir einen unterschriftsreifen Text haben.
Es gibt zwar viele Bemühungen, das jetzt wirklich in Nagoya zu regeln, aber noch haben wir einen Verhandlungstext, der mehr offene Fragen als verbindlich geregelte Fragen hat, und wir können nur hoffen, dass das bis dahin gelingt, denn es ist verständlich, dass die Entwicklungsländer ein hohes Interesse daran haben, zu sagen: Wir brauchen einen fairen Ausgleich, auch im ökonomischen Sinne.
Marcus Pindur: Sie sagen es, die Verhandlungen werden jetzt seit fast einem Jahrzehnt geführt dort. Rechnen Sie denn mit einem baldigen Abschluss?
Kurth: Ich glaube, dieser baldige Abschluss ist zwingend notwendig und ich hoffe darauf, aber wenn ich mir die Klimaverhandlungen angucke, wo wir ebenso zwingend einen Abschluss brauchen, weiß ich nicht, ob meine Hoffnung zu blauäugig ist. Denn wenn wir zu diesem verbindlichen Protokoll über den fairen Ausgleich von Nutzung und Bereitstellung nicht kommen, werden die Entwicklungsländer auch die anderen Ziele für die internationalen Vereinbarungen zum Artenschutz nicht mittragen. Also der berühmte strategische Plan, den wir jetzt angreifen müssen, um die Ziele für den Zeitraum 2011 bis 2020 zu definieren, hängt davon ab, ob es eine Vereinbarung bei der Debatte zum Vorteilsausgleich geben wird.
Marcus Pindur: Frau Kurth, vielen Dank für das Gespräch!
Kurth: Okay, danke!
Marcus Pindur: Undine Kurth, Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen im Bundestag und Sprecherin für Naturschutzpolitik.
Undine Kurth: Einen schönen guten Morgen!
Marcus Pindur: Deutschland hat den Vorsitz bei diesen Verhandlungen über den Erhalt biologischer Vielfalt gehabt, und der Chef des Bundesumweltamtes, Jochen Flasbarth, der den Vorsitz dort führte, hat ein ernüchterndes Fazit gezogen: Man sei in den vergangenen acht Jahren beim Artenschutz weltweit nicht vorangekommen. Woran liegt das?
Kurth: Da hat er erstens leider recht, und es liegt daran, dass glaube ich immer noch nicht begriffen worden ist, dass es beim Artenschutz nicht um die Liebhaberei von Naturschützern geht, die irgendwie ihre Lieblingsart schützen wollen, sondern um die existenzielle Sicherung unserer Lebensgrundlagen. Wir kennen die Gründe für die Bedrohung der Artenvielfalt recht genau, was Übernutzung betrifft, was Flächenverschneidung betrifft, was falsche Nutzung betrifft, aber wir tun einfach nicht genug dagegen.
Marcus Pindur: Was sind denn konkrete Maßnahmen des Artenschutzes, mit denen man voran kommen könnte?
Kurth: Wir müssen zum Beispiel sehr konsequent daran arbeiten, dass es zu Land und zu Wasser wirkliche Schutzgebiete gibt, Rückzugsräume, in denen sich Arten wieder erholen können, um dann weiterhin gesunde Bestände zu sichern. Die aber müssen finanziert werden, und wenn wir uns nicht darauf verständigen können, dass wir diese Finanzierung verbindlich festlegen, dann werden wir sie weltweit auch nicht durchbekommen. Wir haben in Deutschland zum Beispiel eine nationale Biodiversitätsstrategie verabschiedet, aber keinen Plan dazu, wie wir sie umsetzen wollen, die haben wir bis heute nicht. Und solange man nicht sich konkret darauf verständigt, eine solche Querschnittsaufgabe wirklich verbindlich festzuschreiben, Ziele zu definieren, Termine zu definieren und auch Sanktionen zu definieren – wenn man diese Ziele nicht einhält, wird man nicht weiterkommen.
Marcus Pindur: In welchen Regionen, bei welchen Arten sehen Sie denn derzeit die größten Schwierigkeiten?
Kurth: Das kann man inzwischen leider so schon gar nicht mehr sagen, weil man muss einen globalen Rückgang wirklich beklagen, und alle Unterlagen, die wir in der letzten Zeit haben – ob es da der globale Ausblick der UN ist, ob es die Unterlagen des WWF sind –, alle belegen uns: Es gibt einen dramatischen Rückgang der Arten in den letzten Jahren, und wir müssen in einem Zeitraum der letzten zehn Jahre mit einem Artenrückgang von ungefähr 30 Prozent leben, und in den Tropen sind es sogar 60 Prozent.
Marcus Pindur: Ein Grund, warum die Verhandlungen in Nagoya nicht so recht vom Fleck kommen, ist, dass die Entwicklungsländer sich nur zu mehr Artenschutz bereitfinden wollen, wenn die großen Lebensmittelkonzerne, die ja meistens in den entwickelten Ländern beheimatet sind, für die Nutzung von traditionellen Pflanzen, zum Beispiel aus Regenwäldern, auch bezahlen dann. Da sind die Verhandlungen noch nicht weitergekommen. Warum ist das so?
Kurth: Weil Interessen gegeneinanderstehen. Sie haben ja eben gesagt, da stehen die Interessen der Nutzerländer, in aller Regel sind das die Industriestaaten, den Interessen der Länder, die die Artenvielfalt bewahrt haben, in aller Regel Entwicklungsländer, gegenüber. Und da ist es ein sehr schwieriges Verhandeln, zu diesem seit Jahren geforderten Protokoll über einen gerechten Vorteilsausgleich zu kommen.
Marcus Pindur: Aber das wäre doch relativ einfach zu regeln. Es gibt ja den Fall, wo der Lebensmittelkonzern Nestlé sich hat bestimmte Pflanzen und bestimmte pflanzliche Lebensmittel patentieren lassen, aber es wurde festgestellt, dass das gegen internationales Recht verstößt.
Kurth: Dafür gibt es auch andere Beispiele. Letztendlich brauchen wir eine verbindliche Regelung. Seit 2002 ist festgeschrieben – das war damals auf der COP in Johannesburg –, dass es ein ordentliches Protokoll darüber geben muss, dass Nutzen und Erhalt in einem fairen Ausgleich zueinander stehen müssen. Erst 2008 wurde dann wirklich eine Arbeitsgruppe ins Leben gerufen, und wenn Sie überlegen, dass das jetzt schon acht Jahre dauert und wir immer noch nicht so weit sind, dass wir einen unterschriftsreifen Text haben.
Es gibt zwar viele Bemühungen, das jetzt wirklich in Nagoya zu regeln, aber noch haben wir einen Verhandlungstext, der mehr offene Fragen als verbindlich geregelte Fragen hat, und wir können nur hoffen, dass das bis dahin gelingt, denn es ist verständlich, dass die Entwicklungsländer ein hohes Interesse daran haben, zu sagen: Wir brauchen einen fairen Ausgleich, auch im ökonomischen Sinne.
Marcus Pindur: Sie sagen es, die Verhandlungen werden jetzt seit fast einem Jahrzehnt geführt dort. Rechnen Sie denn mit einem baldigen Abschluss?
Kurth: Ich glaube, dieser baldige Abschluss ist zwingend notwendig und ich hoffe darauf, aber wenn ich mir die Klimaverhandlungen angucke, wo wir ebenso zwingend einen Abschluss brauchen, weiß ich nicht, ob meine Hoffnung zu blauäugig ist. Denn wenn wir zu diesem verbindlichen Protokoll über den fairen Ausgleich von Nutzung und Bereitstellung nicht kommen, werden die Entwicklungsländer auch die anderen Ziele für die internationalen Vereinbarungen zum Artenschutz nicht mittragen. Also der berühmte strategische Plan, den wir jetzt angreifen müssen, um die Ziele für den Zeitraum 2011 bis 2020 zu definieren, hängt davon ab, ob es eine Vereinbarung bei der Debatte zum Vorteilsausgleich geben wird.
Marcus Pindur: Frau Kurth, vielen Dank für das Gespräch!
Kurth: Okay, danke!
Marcus Pindur: Undine Kurth, Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen im Bundestag und Sprecherin für Naturschutzpolitik.