"Es gibt einen großen Frust"
Dass Silvio Berlusconi bei den Parlamentswahlen am Wochenende ein Comeback feiern könnte, liegt nach Einschätzung der in Italien lebenden Journalistin Birgit Schönau auch an der gescheiterten Mitte-links-Regierung. Das Bündnis unter Romano Prodi habe zwar die Staatsfinanzen saniert, es sei ihm aber nicht gelungen, "das Gespenst Berlusconi ein für allemal in die Kiste zu schicken".
Liane von Billerbeck: Dass Wähler der Politik überdrüssig sind, das ist weit verbreitet. Doch für kaum ein Land gilt das so sehr wie für Italien. Am Wochenende sollen die Italiener ihr Parlament wählen, sie bekämen dann die 62. Regierung der Nachkriegszeit. Die vorige unter Romano Prodi war gestürzt, weil ein Minister die Seiten gewechselt hatte und eine Splitterpartei von gerade mal 1,5 Prozent damit das Ende der Regierung besiegelte. Was außerhalb Italiens schwer zu verstehen ist, der Medienmilliardär Silvio Berlusconi liegt in der Wählergunst vorn und könnte damit zum dritten Mal an die Macht kommen. Über die italienischen Verhältnisse wollen wir jetzt mit der Journalistin Birgit Schönau sprechen. Sie lebt in Italien, schreibt für "Die Zeit" und die "Süddeutsche", und von ihr stammt auch ein Buch, eine Gebrauchsanweisung für Rom. Ich grüße Sie!
Birgit Schönau: Hallo!
von Billerbeck: Wie wäre es denn mal mit einer Gebrauchsanweisung, "Wie wähle ich eine Regierung, die hält"?
Schönau: Also es gab in Italien ja in den letzten Jahrzehnten durchaus Regierungen, die gehalten haben. Die letzte war tatsächlich die von Silvio Berlusconi, die fünf Jahre lang durchregiert hat, von 2001 bis 2006. Dann hat Berlusconi vor den Wahlen im Frühling 2006 das Wahlgesetz geändert und dafür gesorgt, dass die nächste Regierung – er ahnte schon, dass das Romano Prodi sein würde, nicht mehr durchregieren könnte.
von Billerbeck: Wir lieben ja Italien, aber bei vielen Deutschen hört an diesem Punkt genau die Liebe und auch das Verständnis auf. Wie kann einer wie Berlusconi, der "Spiegel" hat ihn diese Woche den Komödianten genannt, ernsthaft Chancen auf das Regierungsamt unseres liebsten Nachbarlandes haben?
Schönau: Ich weiß jetzt auch nicht, ob ich Ihnen darauf eine gültige Antwort geben kann. Tatsächlich ist es so, Sie haben es ja schon angesprochen, dass die Politikverdrossenheit in Italien immens groß ist. 30 Prozent der Wähler, 30 Prozent nach letzten Umfragen, wissen noch gar nicht, wen sie wählen sollen am Sonntag und Montag und ob sie überhaupt zur Wahl gehen sollen. Es gibt einen großen Frust, und dieser Frust hängt zusammen mit den schmalen Ergebnissen, die die letzte Regierung, die Mitte-links-Regierung von Romano Prodi geliefert hat, die zwar die Staatsfinanzen saniert hat, was absolut notwendig war, aber doch, da sie mit neun Parteien regierte, sagen wir mal, das Gespenst Berlusconi nicht ein für allemal in die Kiste geschickt hat. Die haben also das nicht getan, was wichtigstes Wahlversprechen im letzten Wahlkampf war, nämlich den Interessenkonflikt von Silvio Berlusconi ein für allemal per Gesetz zu lösen und so vielleicht zu verhindern, dass er das nächste Mal für das Amt des Ministerpräsidenten überhaupt erst kandidiert.
von Billerbeck: Worauf muss sich dann Europa nun einstellen, sollte Berlusconi tatsächlich wieder an die Macht kommen?
Schönau: Berlusconi ist sehr weit nach rechts gerückt in diesem Wahlkampf. Und es gibt ganz eindeutig europafeindliche Töne in diesem Wahlkampf, was es zuvor so offen nicht gegeben hat. Er ist weiter rechts gerückt, warum? Weil ihn sein Bündnispartner der Mitte, die Zentrumspartei, verlassen hat und jetzt allein in den Wahlkampf zieht. Dadurch hat sich Berlusconi zusammengetan mit der Lega Nord, ist aber von ihr sehr viel stärker abhängig als früher. Das ist eine offen populistische und offen ausländerfeindliche, offen europafeindliche Partei, deren Chef Umberto Bossi in diesen Tagen noch mal daran erinnert hat, dass für ihn Europa ein Konstrukt von Kommunisten und Freimaurern ist. Und dann könnte Berlusconi auch angewiesen sein, wenn es, was wir alle erwarten, zu einem knappen Wahlausgang kommt, auf die Stimmen der extremen Rechten. Das sind offen neofaschistische Splitterparteien, auf deren Stimmen er aber wie gesagt angewiesen sein könnte. Und die haben natürlich mit Europa gar nichts am Hut.
von Billerbeck: Sie haben es erwähnt, dass die Splitterparteien eine große Rolle spielen könnten, unter anderem liegt das auch im Wahlrecht, das Berlusconi ja eingeführt hatte, Sie hatten das auch gesagt. Warum ist eigentlich nichts geworden aus der Reform des Wahlrechts hin zu einem Mehrheitswahlrecht?
Schönau: Tja, daraus ist nichts geworden, weil viele der neuen Parteien, mit denen Romano Prodi regiert hat, überhaupt kein Interesse daran hatten, das Wahlrecht zu ändern, denn mit einer Vier- oder Fünf-Prozent-Regelung für das Parlament, dass also Parteien, die auf weniger Prozentpunkte kommen, gar nicht ins Parlament einziehen können, so wie das in Deutschland der Fall ist, hätten sie sich ja quasi in Luft aufgelöst und ihre Posten und Pöstchen aufgeben müssen. Interesse an einer solchen Wahlrechtsreform konnte tatsächlich nur die demokratische Partei haben und in gewisser Hinsicht auch die Forza Italia von Silvio Berlusconi. Aber Berlusconi ist diese Reform dann eben nicht angegangen, weil er sich ausrechnen konnte, dass das bestehende Wahlrecht vor allen Dingen die Linke schwächt.
von Billerbeck: Gäbe es denn nun Alternativen zu Berlusconi?
Schönau: Ich glaube, in der rechten Mitte, wenn ich das mal so sage, die rechte Mitte, eigentlich ist es ja die Rechte, da gibt es eben keine Alternativen, denn Berlusconi hat seine Partei genauso wie Umberto Bossi von der Lega nach dem Führerprinzip aufgebaut und in den letzten 14 Jahren nicht nur nie einen Parteitag abgehalten, sondern auch es vermieden, Kronprinzen in seinem Schatten wachsen zu lassen, sodass es zu ihm in diesem Moment auf der Rechten wirklich keine Alternative gibt.
von Billerbeck: Wir müssen uns also auf eine Art westlichen Putinismus einstellen, so hat das, glaube ich, mal der Herausgeber einer kulturpolitischen Zeitschrift genannt. Der Gegenkandidat von Berlusconi, Walter Veltroni von der Linken, der hat gesagt, Italien ist ein Land, unfähig Entscheidungen zu treffen und Verantwortung zu übernehmen, mit in sich zersplitterten Parteien, das Land ist müde und krank. Wie kann denn Italien aus dieser Situation herauskommen?
Schönau: Das Land ist müde, das war auch unser Eindruck der ausländischen Beobachter in diesem Wahlkampf. Wie kann das Land aus dieser Krise herauskommen? Indem ein Ruck durch das Land geht …
von Billerbeck: Das kommt uns bekannt vor.
Schönau: … das kommt Ihnen sehr bekannt vor, ich weiß, aber diese Ruck-Rede hat bisher hier noch keiner gehalten, auch Veltroni nicht –, indem man jungen Leuten endlich eine Chance gibt. Die italienische Politik ist ja vollkommen überaltert, der Staatspräsident ist über 80, Berlusconi ist über 70, Veltroni ist 20 Jahre jünger, aber auch nicht wirklich blutjung und man lässt ihn jetzt auch noch nicht so richtig ran. Also da müsste sich etwas tun. Und da müsste sich natürlich auch auf anderen Gebieten etwas tun, wenn man bedenkt, dass die Müdigkeit sich auch in der Wirtschaft ausdrückt, denn die Produktivität Italiens ist im Moment die niedrigste sämtlicher Industrieländer, und es gibt null Wachstum schon im dritten Jahr. Das ist alles sehr beunruhigend.
von Billerbeck: Frau Schönau, ein Fünftel des Sozialproduktes werden in Italien schwarz erwirtschaftet. Mafia, Camorra und ‛Ndrangheta sind so die größten Wirtschaftszweige. Wenn man jetzt beispielsweise das Buch über die Camorra von Roberto Saviano liest, wie ist das, lässt sich dieses Kartell eigentlich je aufbrechen?
Schönau: Wenn man es politisch ernsthaft angeht, ja. Veltroni hat die Mafia zu seinem Wahlkampfthema gemacht, zumindest in der letzten Woche, das ist ein sehr positives Zeichen, denn in vergangenen Wahlkämpfen war die Mafia überhaupt kein Thema. Berlusconi scheint um die Mafia-Stimmen, er scheint sie nötig zu haben, zu werben in den letzten Tagen, denn er hat einen Mafioso, der für ihn gearbeitet hat und der wegen dreimal Mord, Mafia-Mord, lebenslänglich bekommen hat, als Helden bezeichnet, weil dieser Mann ihn seinerzeit nicht in den Ruch der Mafia gebracht hat. Das sind auch sehr beunruhigende Zeichen, aber wie gesagt, politisch kann man der Mafia durchaus beikommen. Und indem man eine Justizreform macht, die die italienische Justiz etwas aus ihrer Langsamkeit herausholt. Denn wir haben die langsamste Justiz in Europa, was dazu führt, dass immer wieder Prozesse nicht abgeschlossen werden können oder dass Leute aus der Untersuchungshaft entlassen werden müssen, weil man es noch nicht bis zur nächsten Instanz geschafft hat. Und mit solchen Instrumenten kann man die Mafia natürlich nicht wirksam bekämpfen.
von Billerbeck: Aber die Mafia ist ja im Prinzip ein Wirtschaftszweig. Also wenn man da aus diesem Saviano-Buch erfährt, dass man zum Beispiel keinen Kaffee bekommen kann, ohne mit der Mafia Handel zu treiben, dann ahnt man etwa, wie stark die Mafia in der italienischen Wirtschaft verwurzelt ist.
Schönau: Ja, da gibt es aber gute Zeichen vor allen Dingen aus Sizilien, wo der Unternehmerverband zum ersten Mal Unternehmer, die mit der Mafia zu tun haben oder von denen man auch erfährt, dass sie Schutzgeld zahlen, aus dem Verband ausschließt. Das hat es zuvor noch nie gegeben. Es gibt eine breite Antischutzgeld-Kampagne auch in der Nähe von Neapel. Also da tut sich von Unternehmerseite zum ersten Mal wirklich etwas.
von Billerbeck: Ein Thema, das hat die außeritalienische Öffentlichkeit ja in den letzten Monaten sehr beschäftigt und auch in Italien war das natürlich ein Thema, und das war eine Weile, jedenfalls hierzulande, so raus aus den Medien. Ich meine die stinkenden Müllberge in Neapel. In einer "FAZ"-Reportage, die heute erschienen ist, habe ich nun erfahren, er liegt noch, der Müll. Und nun meine Frage an Sie: Während man ja immer weiß, dass der Norden Italiens eher möchte, dass Rom sich aus allem raushält, wartet der Süden darauf, dass Rom das Problem für ihn erledigt. Gilt das auch für die Müllberge?
Schönau: Der Süden ist eigentlich daran gewöhnt, darauf zu warten, dass Rom die Probleme für ihn erledigt. Das gilt sicherlich auch für die Müllberge. Es ist aber so, dass eben auch die lokalen und regionalen Politiker, die der Linken angehören in Neapel und Kampanien, das ist die Region, ihre Verantwortung endlich übernehmen müssen. Der Müll liegt ja auch nicht erst seit Monaten dort auf den Straßen, sondern seit mehr als 13 Jahren. Dadurch, dass er im Fernsehen, im ausländischen Fernsehen, gezeigt wurde, ist das Ausland überhaupt auf das Problem aufmerksam geworden. Definitiv muss da etwas auf regionaler Ebene passieren. Und Veltroni hat seinen Parteifreund Bassolino, der eben für Neapel, Kampanien und diesen Müllskandal politisch eigentlich zuständig ist, dazu gebracht, dass er jetzt endlich gesagt hat, er wolle nächstes Jahr zurücktreten.
von Billerbeck: Ihre Prognose, Frau Schönau, für die Wahl am Wochenende. Haben Sie da Hoffnung?
Schönau: Schon. Ich glaube, Berlusconi zeigt so eindeutig Zeichen von Nervosität, dass es doch alles auf ein sehr knappes Wahlergebnis hindeutet, und das haben wir in den letzten Jahren ja auch immer gehabt. Man weiß noch nicht so richtig, in welche Richtung die Nadel ausschlägt.
Birgit Schönau: Hallo!
von Billerbeck: Wie wäre es denn mal mit einer Gebrauchsanweisung, "Wie wähle ich eine Regierung, die hält"?
Schönau: Also es gab in Italien ja in den letzten Jahrzehnten durchaus Regierungen, die gehalten haben. Die letzte war tatsächlich die von Silvio Berlusconi, die fünf Jahre lang durchregiert hat, von 2001 bis 2006. Dann hat Berlusconi vor den Wahlen im Frühling 2006 das Wahlgesetz geändert und dafür gesorgt, dass die nächste Regierung – er ahnte schon, dass das Romano Prodi sein würde, nicht mehr durchregieren könnte.
von Billerbeck: Wir lieben ja Italien, aber bei vielen Deutschen hört an diesem Punkt genau die Liebe und auch das Verständnis auf. Wie kann einer wie Berlusconi, der "Spiegel" hat ihn diese Woche den Komödianten genannt, ernsthaft Chancen auf das Regierungsamt unseres liebsten Nachbarlandes haben?
Schönau: Ich weiß jetzt auch nicht, ob ich Ihnen darauf eine gültige Antwort geben kann. Tatsächlich ist es so, Sie haben es ja schon angesprochen, dass die Politikverdrossenheit in Italien immens groß ist. 30 Prozent der Wähler, 30 Prozent nach letzten Umfragen, wissen noch gar nicht, wen sie wählen sollen am Sonntag und Montag und ob sie überhaupt zur Wahl gehen sollen. Es gibt einen großen Frust, und dieser Frust hängt zusammen mit den schmalen Ergebnissen, die die letzte Regierung, die Mitte-links-Regierung von Romano Prodi geliefert hat, die zwar die Staatsfinanzen saniert hat, was absolut notwendig war, aber doch, da sie mit neun Parteien regierte, sagen wir mal, das Gespenst Berlusconi nicht ein für allemal in die Kiste geschickt hat. Die haben also das nicht getan, was wichtigstes Wahlversprechen im letzten Wahlkampf war, nämlich den Interessenkonflikt von Silvio Berlusconi ein für allemal per Gesetz zu lösen und so vielleicht zu verhindern, dass er das nächste Mal für das Amt des Ministerpräsidenten überhaupt erst kandidiert.
von Billerbeck: Worauf muss sich dann Europa nun einstellen, sollte Berlusconi tatsächlich wieder an die Macht kommen?
Schönau: Berlusconi ist sehr weit nach rechts gerückt in diesem Wahlkampf. Und es gibt ganz eindeutig europafeindliche Töne in diesem Wahlkampf, was es zuvor so offen nicht gegeben hat. Er ist weiter rechts gerückt, warum? Weil ihn sein Bündnispartner der Mitte, die Zentrumspartei, verlassen hat und jetzt allein in den Wahlkampf zieht. Dadurch hat sich Berlusconi zusammengetan mit der Lega Nord, ist aber von ihr sehr viel stärker abhängig als früher. Das ist eine offen populistische und offen ausländerfeindliche, offen europafeindliche Partei, deren Chef Umberto Bossi in diesen Tagen noch mal daran erinnert hat, dass für ihn Europa ein Konstrukt von Kommunisten und Freimaurern ist. Und dann könnte Berlusconi auch angewiesen sein, wenn es, was wir alle erwarten, zu einem knappen Wahlausgang kommt, auf die Stimmen der extremen Rechten. Das sind offen neofaschistische Splitterparteien, auf deren Stimmen er aber wie gesagt angewiesen sein könnte. Und die haben natürlich mit Europa gar nichts am Hut.
von Billerbeck: Sie haben es erwähnt, dass die Splitterparteien eine große Rolle spielen könnten, unter anderem liegt das auch im Wahlrecht, das Berlusconi ja eingeführt hatte, Sie hatten das auch gesagt. Warum ist eigentlich nichts geworden aus der Reform des Wahlrechts hin zu einem Mehrheitswahlrecht?
Schönau: Tja, daraus ist nichts geworden, weil viele der neuen Parteien, mit denen Romano Prodi regiert hat, überhaupt kein Interesse daran hatten, das Wahlrecht zu ändern, denn mit einer Vier- oder Fünf-Prozent-Regelung für das Parlament, dass also Parteien, die auf weniger Prozentpunkte kommen, gar nicht ins Parlament einziehen können, so wie das in Deutschland der Fall ist, hätten sie sich ja quasi in Luft aufgelöst und ihre Posten und Pöstchen aufgeben müssen. Interesse an einer solchen Wahlrechtsreform konnte tatsächlich nur die demokratische Partei haben und in gewisser Hinsicht auch die Forza Italia von Silvio Berlusconi. Aber Berlusconi ist diese Reform dann eben nicht angegangen, weil er sich ausrechnen konnte, dass das bestehende Wahlrecht vor allen Dingen die Linke schwächt.
von Billerbeck: Gäbe es denn nun Alternativen zu Berlusconi?
Schönau: Ich glaube, in der rechten Mitte, wenn ich das mal so sage, die rechte Mitte, eigentlich ist es ja die Rechte, da gibt es eben keine Alternativen, denn Berlusconi hat seine Partei genauso wie Umberto Bossi von der Lega nach dem Führerprinzip aufgebaut und in den letzten 14 Jahren nicht nur nie einen Parteitag abgehalten, sondern auch es vermieden, Kronprinzen in seinem Schatten wachsen zu lassen, sodass es zu ihm in diesem Moment auf der Rechten wirklich keine Alternative gibt.
von Billerbeck: Wir müssen uns also auf eine Art westlichen Putinismus einstellen, so hat das, glaube ich, mal der Herausgeber einer kulturpolitischen Zeitschrift genannt. Der Gegenkandidat von Berlusconi, Walter Veltroni von der Linken, der hat gesagt, Italien ist ein Land, unfähig Entscheidungen zu treffen und Verantwortung zu übernehmen, mit in sich zersplitterten Parteien, das Land ist müde und krank. Wie kann denn Italien aus dieser Situation herauskommen?
Schönau: Das Land ist müde, das war auch unser Eindruck der ausländischen Beobachter in diesem Wahlkampf. Wie kann das Land aus dieser Krise herauskommen? Indem ein Ruck durch das Land geht …
von Billerbeck: Das kommt uns bekannt vor.
Schönau: … das kommt Ihnen sehr bekannt vor, ich weiß, aber diese Ruck-Rede hat bisher hier noch keiner gehalten, auch Veltroni nicht –, indem man jungen Leuten endlich eine Chance gibt. Die italienische Politik ist ja vollkommen überaltert, der Staatspräsident ist über 80, Berlusconi ist über 70, Veltroni ist 20 Jahre jünger, aber auch nicht wirklich blutjung und man lässt ihn jetzt auch noch nicht so richtig ran. Also da müsste sich etwas tun. Und da müsste sich natürlich auch auf anderen Gebieten etwas tun, wenn man bedenkt, dass die Müdigkeit sich auch in der Wirtschaft ausdrückt, denn die Produktivität Italiens ist im Moment die niedrigste sämtlicher Industrieländer, und es gibt null Wachstum schon im dritten Jahr. Das ist alles sehr beunruhigend.
von Billerbeck: Frau Schönau, ein Fünftel des Sozialproduktes werden in Italien schwarz erwirtschaftet. Mafia, Camorra und ‛Ndrangheta sind so die größten Wirtschaftszweige. Wenn man jetzt beispielsweise das Buch über die Camorra von Roberto Saviano liest, wie ist das, lässt sich dieses Kartell eigentlich je aufbrechen?
Schönau: Wenn man es politisch ernsthaft angeht, ja. Veltroni hat die Mafia zu seinem Wahlkampfthema gemacht, zumindest in der letzten Woche, das ist ein sehr positives Zeichen, denn in vergangenen Wahlkämpfen war die Mafia überhaupt kein Thema. Berlusconi scheint um die Mafia-Stimmen, er scheint sie nötig zu haben, zu werben in den letzten Tagen, denn er hat einen Mafioso, der für ihn gearbeitet hat und der wegen dreimal Mord, Mafia-Mord, lebenslänglich bekommen hat, als Helden bezeichnet, weil dieser Mann ihn seinerzeit nicht in den Ruch der Mafia gebracht hat. Das sind auch sehr beunruhigende Zeichen, aber wie gesagt, politisch kann man der Mafia durchaus beikommen. Und indem man eine Justizreform macht, die die italienische Justiz etwas aus ihrer Langsamkeit herausholt. Denn wir haben die langsamste Justiz in Europa, was dazu führt, dass immer wieder Prozesse nicht abgeschlossen werden können oder dass Leute aus der Untersuchungshaft entlassen werden müssen, weil man es noch nicht bis zur nächsten Instanz geschafft hat. Und mit solchen Instrumenten kann man die Mafia natürlich nicht wirksam bekämpfen.
von Billerbeck: Aber die Mafia ist ja im Prinzip ein Wirtschaftszweig. Also wenn man da aus diesem Saviano-Buch erfährt, dass man zum Beispiel keinen Kaffee bekommen kann, ohne mit der Mafia Handel zu treiben, dann ahnt man etwa, wie stark die Mafia in der italienischen Wirtschaft verwurzelt ist.
Schönau: Ja, da gibt es aber gute Zeichen vor allen Dingen aus Sizilien, wo der Unternehmerverband zum ersten Mal Unternehmer, die mit der Mafia zu tun haben oder von denen man auch erfährt, dass sie Schutzgeld zahlen, aus dem Verband ausschließt. Das hat es zuvor noch nie gegeben. Es gibt eine breite Antischutzgeld-Kampagne auch in der Nähe von Neapel. Also da tut sich von Unternehmerseite zum ersten Mal wirklich etwas.
von Billerbeck: Ein Thema, das hat die außeritalienische Öffentlichkeit ja in den letzten Monaten sehr beschäftigt und auch in Italien war das natürlich ein Thema, und das war eine Weile, jedenfalls hierzulande, so raus aus den Medien. Ich meine die stinkenden Müllberge in Neapel. In einer "FAZ"-Reportage, die heute erschienen ist, habe ich nun erfahren, er liegt noch, der Müll. Und nun meine Frage an Sie: Während man ja immer weiß, dass der Norden Italiens eher möchte, dass Rom sich aus allem raushält, wartet der Süden darauf, dass Rom das Problem für ihn erledigt. Gilt das auch für die Müllberge?
Schönau: Der Süden ist eigentlich daran gewöhnt, darauf zu warten, dass Rom die Probleme für ihn erledigt. Das gilt sicherlich auch für die Müllberge. Es ist aber so, dass eben auch die lokalen und regionalen Politiker, die der Linken angehören in Neapel und Kampanien, das ist die Region, ihre Verantwortung endlich übernehmen müssen. Der Müll liegt ja auch nicht erst seit Monaten dort auf den Straßen, sondern seit mehr als 13 Jahren. Dadurch, dass er im Fernsehen, im ausländischen Fernsehen, gezeigt wurde, ist das Ausland überhaupt auf das Problem aufmerksam geworden. Definitiv muss da etwas auf regionaler Ebene passieren. Und Veltroni hat seinen Parteifreund Bassolino, der eben für Neapel, Kampanien und diesen Müllskandal politisch eigentlich zuständig ist, dazu gebracht, dass er jetzt endlich gesagt hat, er wolle nächstes Jahr zurücktreten.
von Billerbeck: Ihre Prognose, Frau Schönau, für die Wahl am Wochenende. Haben Sie da Hoffnung?
Schönau: Schon. Ich glaube, Berlusconi zeigt so eindeutig Zeichen von Nervosität, dass es doch alles auf ein sehr knappes Wahlergebnis hindeutet, und das haben wir in den letzten Jahren ja auch immer gehabt. Man weiß noch nicht so richtig, in welche Richtung die Nadel ausschlägt.