"Es gibt keine Ausrede"

Moderation: Katrin Heise |
Anlässlich des 100. Geburtstags des Erfinders der Wasserstoffbombe, Edward Teller, hat sein ehemaliger Schüler Hans-Peter Dürr die Naturwissenschaftler aufgerufen, ihre Ergebnisse kritisch zu reflektieren. Es reiche nicht, wie sein Lehrer in der Forschung "fantasiereich" zu sein. Teller habe die "Rolle des Teufels" auch genossen.
Katrin Heise: Und jetzt spreche ich mit einem ehemaligen Studenten von Edward Teller, Hans-Peter Dürr. Er ist Kernphysiker und Atomkritiker, er ist Träger des Alternativen Nobelpreises und er hat als Mitglied der Pugwash-Gruppe, die sich mit der atomaren Bedrohung beschäftigte, 1995 den Friedensnobelpreis bekommen. Er hat bei Edward Teller in den 50er Jahren promoviert, ich begrüße Sie ganz herzlich, Herr Dürr!

Hans-Peter Dürr: Ja.

Heise: Herr Dürr, wie erinnern Sie sich an die Zeit mit Edward Teller?

Dürr: Ja, das war eine ganz aufregende Zeit. Ich hatte ein Fulbright-Stipendium bekommen, um über kernmagnetische Momente zu arbeiten, und hatte mir dann vorgenommen, dass ich meinen Doktor nicht in Deutschland machen würde, sondern in den USA, in Berkeley. Und da habe ich nach einem Doktorvater gesucht, und da sagte man mir: Probiere es doch mal mit Edward Teller! Und dann bin ich zu ihm gestoßen. Insbesondere fand ich das sehr gut, weil ich gehört habe, dass er ein Schüler von Werner Heisenberg war, und Heisenberg war für mich so ein Idol damals, weil ich wollte wirklich so Physik machen – also, was die Welt im Innersten zusammenhält – und ich wollte um Gottes Willen nie in Kontakt kommen mit irgendwelchen kriegerischen Dingen, ich hatte keine Ahnung!

Heise: Das sind Sie ja dann durch Zufall, genau, ja gekommen. Sie sind ausgewiesener Atomkritiker. Wie war denn damals Ihre Einstellung, als Sie in die USA zu Teller gingen, für den ja die Atombombe quasi als Kriegsverhinderungsmittel …

Dürr: Ja, ich meine, ich wusste das ja gar nicht. Im Dezember habe ich bei ihm angefangen und habe dann im März, dann haben sie plötzlich ihren Jungen gefeiert, was sich herausgestellt hat, die Bikinibombe hat funktioniert, und da erfuhr ich erst, dass Teller eigentlich der Vater der Wasserstoffbombe war. Und es war für mich ein Riesenschreck, genau dort gelandet zu sein, wo ich es eigentlich vermeiden wollte. Ich hatte auch mit Teller eine Auseinandersetzung, weil ich außer mir war, dass ich hier doch jetzt in die Nähe von diesen Bomben geraten musste und er sagte mir damals mit voller Überzeugung, sagte er: Hans-Peter, wissen Sie, wir sind heute in der Situation, dass wir den Weltfrieden für immer auf Erden schaffen können. Wenn der Beste gleichzeitig auch der Militärstärkste ist und auch die Macht hat, in Zukunft doppelt so stark zu sein wie der Rest der Welt, dann können wir den Frieden auf Erden garantieren.

Heise: Das heißt, absoluter Vertreter des Kalten Krieges eigentlich.

Dürr: Absolut! Absolut! Und, ich meine, ich war so erschreckt darüber, dass wir eigentlich einen Streit hatten, weil ich ihm gesagt habe: Ich komme aus Deutschland und Sie muten mir das zu?

Heise: Wie hat Teller reagiert?

Dürr: Er hat einfach gesagt, Hans-Peter, Sie sind politisch naiv, und ich habe ihm gesagt, ich glaube, Doktor Teller, in diesem Fall sind Sie politisch naiv. Ich bin nicht bereit, diesen Weg weiterzugehen, dass wir glauben, mit größerer Gewalt könnten wir irgendwelche Probleme lösen.

Heise: Ich würde gerne noch ein bisschen näher auf Teller eingehen. Also, wie Sie ja sagen: Er hat die Kriege erlebt, er hat sogar beide Weltkriege in ihren Schrecknissen miterlebt, und hat trotzdem sein ganzes Leben der Entwicklung von Waffen gewidmet. Können Sie noch mehr beschreiben, was ihn eigentlich angetrieben hat?

Dürr: Ja, er wollte einfach, wie problems, wie man das nannte, das war eine große Herausforderung für den Menschen. Schon Oppenheimer war sehr beeindruckt dadurch, dass die A-Bombe funktioniert hat und hat gesagt, der Mensch ist hier auf ein anderes Niveau gehoben worden. Und Teller wollte die Superbombe bauen, und Oppenheimer war eigentlich gar nicht gegen die Superbombe, aber nicht nach der Art und Weise, wie Teller es machte. Er fand Teller etwas größenwahnsinnig, dass er immer meinte, die Bombe müsste immer noch größer werden, und da war der ganze Streit, und das hat dann Edward Teller geärgert, dass er nicht die volle Unterstützung bekam.

Heise: Teller belastete während der McCarthy-Verhöre ja den Physiker Robert Oppenheimer, danach war Teller sozusagen Geächteter der Wissenschaftlergemeinde, überhaupt wurde er ziemlich oft karikiert als verbohrter Forscher mit Problemen im zwischenmenschlichen Bereich. Wie ging er eigentlich mit dieser Rolle des, ja, des Teufels im Wissenschaftsformat um?

Dürr: Ja, ich meine, Oppenheimer war nicht der Engel und Teller war nicht der Teufel, sondern die waren alle besessen von diesem hier. Aber ich habe den Eindruck, dadurch, dass er geschnitten wurde von seinen Kollegen, weil er Oppenheimer gewissermaßen in die Enge getrieben hat, ist er in die Rolle des Teufels gekommen und hat es in gewisser Weise auch genossen. Das habe ich gemerkt, als ich mit ihm in München mal in den Kammerspielen da war, wo "Der Fall Oppenheimer" gespielt wurde, …

Heise: Von Kipphard.

Dürr: … von Kipphard, und er mit mir da reingegangen ist, und ich habe ihn gefragt, wie ist es gewesen, und da sagt er: Du musst zugeben, ich bin doch wirklich der Teufel. Und dann hat er gelächelt und hat gesagt: Aber der Oppenheimer ist doch schlechter weggekommen, er ist der Lügner.

Heise: Edward Teller, der als der Vater der Wasserstoffbombe gilt, wäre heute 100 Jahre alt geworden. Im Radiofeuilleton spreche ich mit einem seiner Schüler, dem Kernphysiker, Atomkritiker und Friedensnobelpreisträger Hans-Peter Dürr. Herr Dürr, den Wissenschaftler vom Typus Teller – gibt es den heutzutage eigentlich noch?

Dürr: Ja, das gibt es schon. Ich meine, Teller war ungeheuer fantasiereich, und das habe ich an ihm bewundert, aber er war als Dialogpartner außerordentlich schwierig, weil er sehr egozentrisch war. Man musste sich auf seine Bilder einlassen, aber ich habe bei ihm gelernt, dass man, wenn man Physik machen will, fundamentale Physik, dann muss man mehr Fantasie entwickeln, und das hat er in hohem Grade gekonnt. Aber er konnte meines Erachtens nicht unterscheiden, welche Idee eine Schnapsidee war und welches sozusagen eine gute Idee war. Da hat er eigentlich die anderen immer gebraucht und hat ihnen das vorgemacht, und wenn er dann verloren hat, dann hat er sofort eine neue Idee gehabt, wie man weitermachen kann. In dem Sinne war er schon genial, und für mich war es auch eine Überraschung, dass ich mit jemandem, der so gegensätzliche Meinungen hatte über Krieg und Frieden wie wir beiden, dass ich doch immerhin vier Jahre mit ihm zusammen war. Und ich habe ihn genossen als einen Wissenschaftler, aber mit seiner Ausrichtung war ich absolut verzweifelt. Der hat die Grünen gehasst und er hat die Sowjetunion mehr gehasst, als … Also, er war gegen die Bombenabwürfe über Japan, weil er sagt, was haben die Japaner damit zu tun? Wir haben die Bombe gegen Hitler gebaut, und wenn er nicht da ist, dann müssen wir die eigentlichen Schurken erwischen, und das sind die, die in der Sowjetunion sind. Und deshalb müssen wir uns dagegen rüsten.

Heise: Herr Dürr, Sie und auch Herr Teller haben beide einmal in der Zeitschrift "Wissenschaft und Frieden" geschrieben und da ging es eigentlich genau um das Thema verantwortlicher, moralischer Wissenschaftler. Sie haben ja die Kehrtwendung hin eben zum Kernkraftgegner gemacht. Wie wird man denn zu einem verantwortlichen, moralischen Wissenschaftler?

Dürr: Dass man einfach weiß, es gibt keine Ausrede. Jeder muss selber sehen, dass das, was er tut, dass er das selbst zensiert und sich nicht darauf verlässt, dass einer ihm vormacht. Wir haben ja das ganze Dritte Reich hinter uns gehabt und sind hinterher sozusagen geprügelt worden, und waren überhaupt nie gefragt worden, ob wir wollen oder nicht wollen, sondern wurden mit Propaganda eben überschüttet, so dass wir auch gar keine andere Möglichkeit hatten, uns zu orientieren, und das passiert ja immer wieder. Und deshalb ist es unsere Pflicht, auch als Naturwissenschaftler, dass wir gesellschaftspolitisch sozusagen tätig werden, und das bedeutet für mich Demokratie, ich bin hier dagegen und wenn ich dagegen bin, dass ich rausgehe auf die Straße und sage, ich bin dagegen.

Heise: Und wie kommt man dann klar mit Abhängigkeiten – zum Beispiel von Politik und Wirtschaft – als Wissenschaftler?

Dürr: Ja, dann kriegt man viel Ärger, aber das ist es, wenn man in einem demokratischen Staat ist, dann kriegt man den Ärger, aber nicht mehr. Man hat mich nicht gemocht, weil ich mich überall eingemischt habe, aber das war ja vorauszusetzen. Wenn man gegen etwas ist, dann wird das nicht reine Freude sein.

Heise: Der Kernphysiker und Atomkritiker Hans-Peter Dürr zur Verantwortung von Naturwissenschaftlern. Vielen Dank, Herr Dürr, für dieses Gespräch!

Dürr: Bitte!
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