"Es gibt keine Branche, die so hohe Gewinne macht"

Hans Weiss im Gespräch mit Joachim Scholl |
Hans Weiss kritisiert das Preisdiktat der Arzneimittelindustrie. Für Recherchen des Buches "Korrupte Medizin" ließ er sich zum Pharmavertreter ausbilden und stellte fest, dass die Medikamentenhersteller "zwei Gesichter" haben.
Joachim Scholl: Wer diesen Kampf gewinnt - immerhin nimmt er ihn auf, unser Gesundheitsminister Philipp Rösler, und tapfer legt er sich mit der Pharmaindustrie an. Ein anderer Mann, der das schon seit Jahren macht, ist der österreichische Autor Hans Weiss.

Sein Buch "Bittere Pillen" verkaufte sich an die drei Millionen Mal. Vor einiger Zeit erschien der Band "Korrupte Medizin", ein Buch, das zum Thema überteuerte Arzneimittelpreise zahlreiche interessante Fakten liefert. Hans Weiss ist uns jetzt aus einem Studio in Wien zugeschaltet. Ich grüße Sie, Herr Weiss!

Hans Weiss: Schönen guten Tag aus Wien!

Scholl: Die Pharmaindustrie behauptet ja immer beinhart, unsere Präparate müssen so teuer sein, weil wir vorher Milliarden und Milliarden in die Forschung und Entwicklung gesteckt haben. Stimmt das nicht?

Weiss: Das klingt schön, ist aber leider total falsch – oder jedenfalls zur Hälfte falsch. Nach meiner Erfahrung hat die Pharmaindustrie zwei Gesichter. Das eine ist das offizielle schöne, wo uns immer wieder erzählt wird, wie viel Geld in die Forschung gesteckt wird, wie viel das kostet und wie viel neue, schöne Präparate da entwickelt werden.

Das zweite Gesicht der Pharmaindustrie, die Realität, die ist ganz anders, und die habe ich mit eigenen Augen und Ohren kennengelernt. Ich habe mich für das Buch "Korrupte Medizin" beispielsweise als Pharmaconsultant ausgegeben, das ist ein Industrieberater im Pharmabereich, habe einen Firmennamen erfunden – Solutions – und habe mich angemeldet für pharmainterne Kongresse.

Habe für die Einladung – drei Tage Teilnahme an einem Kongress – knapp 4000 Euro bezahlt, das ist sehr viel Geld, aber in der Pharmaindustrie ist halt alles teuer. Und wenn Sie so viel Geld bezahlen, dann fragt niemand danach, wer Sie sind, was Sie tun, Sie sind vollkommen unverdächtig. Da waren etwa 500 Topleute aus der Pharmabranche unter sich, keine Öffentlichkeit, keine Journalisten, ungefähr 30 Top-Pharmamanager aus Deutschland, und da hören Sie dann halt ganz unverblümte Wahrheiten, wie etwa die: Wir kotzen den Ärzten einen Marketingmix ins Gesicht, und das Erstaunliche ist, die schlucken das.

Und solange die das schlucken, gibt es keinen Grund, unsere Geschäftspolitik zu ändern. Da ist auch ganz unverblümt davon die Rede gewesen, dass die Pharmaindustrie eine marketingorientierte Industrie ist und keine forschungsorientierte, dass viel zu viel Geld in Marketing hineingesteckt wird, viel zu wenig Geld in Forschung, und dass das, was rauskommt aus der Forschung, in der letzten Zeit sehr dürftig ist. Zum Großteil sind das nämlich nur Nachahmerpräparate und keine wirklichen Neuheiten.

Scholl: Ein weiteres Argument ist, dass die jeweiligen Wirkstoffe in den Medikamenten hohe Kosten verursachen. In Ihrem Buch, Herr Weiss, schreiben Sie, dass dieses Argument der größte Witz sei. Wieso?

Weiss: Ja, das ist ja eigentlich ein streng gehütetes Geheimnis, was die Wirkstoffe wirklich kosten. Ich habe das mit einem simplen Trick herausgefunden, wieder nach Art von Günter Wallraff. Ich habe mich ausgegeben als Import-Export-Händler, habe internationale renommierte Wirkstoffhändler angeschrieben – die Pharmaindustrie, also die großen Konzerne, die stellen ja nicht alles selber her, sondern lassen herstellen –, und ich habe mir für etwa 20 Medikamente, die in Deutschland häufig verwendet werden, Angebote stellen lassen.

Was kosten die Wirkstoffe, wenn ich da ein Kilo, zehn Kilo et cetera kaufe. Da waren Schmerzmittel drunter, Krebsmittel, Hochdruckmittel, Cholesterinsenker et cetera. Und das Verblüffende war, der Kostenanteil des Wirkstoffs am Verkaufspreis des Medikamentes, also das, was wir in der Apotheke für eine Packung bezahlen beziehungsweise das, was die Krankenkassen bezahlen, beträgt nur ein bis zwei Prozent. So niedrig. Das heißt, die Kosten des Wirkstoffes gehen eigentlich gegen null.

Scholl: Also wenn man es mal zusammenrechnet, 86 Millionen Euro kosten die Wirkstoffe, die in einem Jahr in Deutschland verordnet werden, für die Medikamente selbst verlangen die Firmen aber 34 Milliarden. Demnach sind es also wirklich Wucherpreise, die die Konzerne verlangen?

Weiss: Ja, das ist richtig. Also um das noch einmal deutlich zu machen vielleicht an einem Beispiel, an einem Krebsmittel: Taxol, das ist ein Krebsmittel einer amerikanischen Firma, Bristol-Myers Squibb, da kostet eine Packung, also eine Infusion, 676,70 Euro. Das ist ein Wucherpreis.

Der Anteil des Wirkstoffs von diesem Medikament beträgt lediglich ein Euro. Das heißt, die Firma zahlt da einen Euro beim Wirkstoffhersteller und verkauft es um 676,70 Euro. Ja, wenn man das nicht Wucher nennen soll, was dann? Und das, weil diese Spannen so groß sind, das ist der Grund, warum die Pharmakonzerne so viel Geld verdienen. Es gibt keine Branche, die so hohe Gewinne macht wie die. 20 bis 30 Prozent des Umsatzes sind reiner Gewinn, der ihnen bleibt.

Scholl: Welche Rolle spielen die Ärzte dabei? Sie, Hans Weiss, Sie haben jetzt erzählt schon von Ihrer Tarnung als Pharmaconsultant, also die Pharmareferenten sind ja auch diejenigen, die in die Praxen gehen und sozusagen den Arzt dazu bringen, irgendwie dieses oder jenes Medikament zu verschreiben. Da gibt es ja auch ganz große Unterschiede, auch preisliche. Wie kriegt man denn sozusagen einen Arzt dazu, ein teureres Medikament zu verschreiben?

Weiss: Na ja, ein wichtiges Instrument ist die sogenannte Anwendungsbeobachtung. Verkauft wird uns das von der Pharmaindustrie als Forschung. Die sagen, es ist notwendig, wir müssen also uns anschauen genau, wie die Medikamente in der Praxis angewendet werden und was das für Auswirkungen hat.

In Wirklichkeit ist das ein reines Marketinginstrument. Da gehe ich als Pharmareferent zum Arzt und biete ihm an eine Art Kopfgeld. Dafür, dass er das neue Medikament von meiner Firma anwendet, kriegt er pro Patient, auf den er das Medikament einstellt, sagen wir 50 bis – das ist variabel – bis 1000 Euro. Und das ist natürlich ein hoher Anreiz dafür, dass er das Medikament dann tatsächlich verschreibt.

Scholl: Das ist ja, ich meine, das ist ja beinhart Bestechung. Ich meine, wenn ich einem Arzt sage, du kriegst 1000 Euro pro Nase, wenn du das Medikament anwendest, dann ist der ja saniert.

Weiss: Na ja, also mit dem Wort Bestechung muss man natürlich vorsichtig sein, denn die Pharmaindustrie, die hat sehr viel Geld und sehr gute Anwälte, drum läuft es eben unter dem Titel Forschung. Ja, aber tatsächlich ist es natürlich so, dass das meiner Meinung nach eine reine Tarnung ist.

Als Tarnung muss der Arzt dann noch einen Fragebogen ausfüllen, wo er angibt, bei welchem Patienten er das verwendet hat, was er da für Nebenwirkungen gesehen hat. Im Grunde genommen ist das aber einfach nur ein Deckmäntelchen.

Scholl: Die Pharmaindustrie und ihre Fantasiepreise. Im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur ist Hans Weiss, Autor der Bücher "Bittere Pillen" und "Korrupte Medizin". Wie beurteilen Sie denn nun den Vorstoß von Gesundheitsminister Rösler, Herr Weiss, ist das der richtige Ansatz?

Weiss: Ja, ich denke schon. Einer der wichtigen Ansätze – ich bin erstaunt darüber, dass er so viel Mut hat, das hätte ich ihm nicht zugetraut. In der Vergangenheit gab es immer wieder – wie soll man sagen – zaghafte Versuche einzelner Gesundheitsminister, ein bisschen was zu ändern, die Pharmaindustrie ein bisschen dazu zu zwingen, dass sie mit den Preisen heruntergeht. Dass Rösler sich traut, so frontal gegen die Pharmaindustrie vorzugehen, das finde ich erstaunlich.

Scholl: Er will ja, dass Industrie und Krankenkassen sich einigen und Preise festlegen. Aber warum sollten sich die Konzerne eigentlich darauf einlassen? Ich meine, sie haben ja das Recht, die Preise frei festzulegen.

Weiss: Ja, das stimmt, aber andererseits, wenn es den politischen und juristischen Willen dazu gibt, hier etwas zu ändern, dann kann man sie schon dazu zwingen, mit den Preisen runterzugehen. Die großen Konzerne haben so viel Dreck am Stecken, das sind ja, man kann das ruhig so sagen, die zehn großen Konzerne, die ich in meinem Buch beschreibe, das sind notorische Gesetzesbrecher, die ununterbrochen vor Gericht stehen.

Allerdings nicht in Europa, sondern in den USA, wo es eben seit Kurzem den politischen Willen dazu gibt, da etwas zu ändern. Da werden Strafen ausgesprochen in den vergangenen zwei Jahren gegen die Pharmakonzerne, da kann man sich nur wundern hier in Europa, das sind Milliardenstrafen. Beispielsweise der weltgrößte Konzern Pfizer im vergangenen Jahr wegen illegaler Marketingmethoden: 2,3 Milliarden Dollar Strafe, Elli Lilly 1,4 Milliarden Dollar Strafe im vergangenen Jahr, ebenfalls illegale Marketingmethoden. Die haben alle Dreck am Stecken. Und wie gesagt, wenn man will, dann kann man da schon etwas ändern.

Scholl: Nun haben solche Prozesse natürlich auch wirklich mit dem unterschiedlichen Justizsystem oder dem Rechtssystem in Amerika und Europa zu tun, weil bei uns ja sozusagen diese Art von Zivilklage und Schadensersatzklagen eigentlich gar nicht in dieser Form geführt werden können. Was hätten Sie denn, Hans Weiss, nach Ihren jahrelangen Recherchen und Erprobungen für Vorschläge, wo könnte man den Hebel ansetzen, damit hier also doch wirklich mal vielleicht politisch sich was ändert?

Weiss: Na ja, das ist eh das, was der Herr Rösler eigentlich auch vorgeschlagen hat, eine Art zweites Begutachtungsverfahren. Jetzt kommen Medikamente auf den Markt, da wird einfach nur festgestellt, ob sie eine Wirkung haben, und dann sind sie zugelassen. Ob sie wirklich sinnvoll sind, das wird überhaupt nicht bewertet.

Ich habe gemeinsam mit seriösen Medizinern seit 30 Jahren so eine Art Begutachtungsverfahren gemacht und mache das immer noch für die "Bitteren Pillen", wo ganz klar der Nutzen eines Medikaments festgestellt wird, ob das therapeutisch sinnvoll ist oder abzuraten, und genau so etwas sollte eigentlich der Staat machen, und zwar, bevor ein Medikament überhaupt von den Kassen erstattet wird, nicht im Nachhinein. Und das wäre meiner Meinung nach das geeignete Instrument, um die Industrie in die Mangel zu nehmen.

Scholl: Gäbe es denn sozusagen so ein Parameter, um Preise gerecht festzulegen? Adäquat, dass man sagt, da wird das Verhältnis von Forschung, von Marketing, von Aufwand und Ertrag irgendwie so eingerechnet, dass es "vernünftig" ist, in Anführungszeichen?

Weiss: Das ist natürlich möglich. Ich meine, die Pharmaindustrie veröffentlicht ja selber Zahlen, wo sie bekannt gibt, dass sie beispielsweise für Forschung etwa 15 Prozent des Umsatzes ausgibt an Geldern, im Vergleich dazu an Marketing 50, 55 Prozent, also das mehr als Dreifache. Und die Preise stehen in überhaupt keinem Verhältnis zu dem Forschungsaufwand, den die Firmen haben, derzeit.

Scholl: Die Diskussion um die Arzneimittelpreise. Das war Hans Weiss, Autor des Buches "Korrupte Medizin", erschienen im Kiepenheuer & Witsch Verlag. Herr Weiss, danke für das Gespräch, schönen Tag noch nach Wien!

Weiss: Ich danke auch!