"Es gibt nur eine Menschenrasse: Homo sapiens"

Von Bettina Kaps |
Lilian Thuram war einer der erfolgreichsten französischen Fußballer und hat seine Karriere 2008 beendet. Seitdem kämpft der Sportler von der Antilleninsel Guadeloupe gegen Rassismus. Er betreibt eine eigene Stiftung und diskutiert mit Schulklassen.
Schwarzer Lederhut, schwarzer Trenchcoat - Lilian Thuram betritt den Klassenraum. Die Schüler tuscheln aufgeregt, der Fußballweltmeister geht die Tischreihen ab, schüttelt Hände, klopft auf Schultern. Dann legt er Hut und Mantel ab, setzt sich vor die Klasse, winkt drei Schülerinnen neben sich. Der 40-jährige beugt sich zu den Mädchen hin, flüstert einem nach dem anderen vertraulich ins Ohr. Die drei überlegen kurz, flüstern zurück. Die Klasse kichert. Später, verspricht der Fußballstar, verrate ich, was wir uns gesagt haben.

"Aber zuerst erkläre ich euch, warum ich die Stiftung `Bildung gegen Rassismus´ gegründet habe. Ich wurde auf Guadeloupe geboren. Wisst ihr, wo das liegt? Stammt hier vielleicht noch jemand von Guadeloupe?"

Einige Schüler heben die Hand, auch das Mädchen zu seiner Rechten. Thuram umarmt es wie eine Verwandte.

Thuram:"Im Alter von neun Jahren bin ich in der Pariser Gegend eingetroffen. Damals lief ein Zeichentrickfilm im Fernsehen, mit einer sehr intelligenten weißen Kuh und einer schwarzen Kuh. Die hieß Schwärzchen und war strohdumm. Mich haben sie in der Schule auch Schwärzchen genannt, das hat mich getroffen. Später habe ich begriffen, dass in unserer Gesellschaft Bilder und Vorurteile zirkulieren, die - oft unbewusst - von Generation zu Generation weiter gegeben werden, weil uns gewisse Erkenntnisse fehlen. Meine Stiftung will dieses Wissen verbreiten, damit wir lernen, anders zu denken."

Die Jugendlichen hören gespannt zu. Ihre Schule ist in Mitry Mory. Das ehemalige Dorf liegt nahe des Pariser Flughafens Charles de Gaulle. In den vergangenen 50 Jahren haben sich hier zahlreiche Fabriken angesiedelt, in denen Einwanderer aus aller Welt arbeiten. So kommt es, dass die beiden Schulklassen ethnisch stark gemischt sind.
Thuram: "Ich habe eure drei Kameradinnen vorhin gefragt, wie viele Rassen sie kennen. Was hast du mir ins Ohr gesagt?"

"Vier", antwortet die dunkelhäutige Loraine und zählt auf: die schwarze, weiße, gelbe und die rote Rasse. Ihre Mitschülerinnen glauben, dass es drei Menschenrassen gibt. "Vermutlich", sagt Lilian Thuram, "denken das noch mehr von euch."

Thuram: "Das ist komplett falsch, hört ihr? Aber Irren ist menschlich. Die Gelben, sind das vielleicht die Simpsons?"

Mit seiner Anspielung auf die amerikanische Zeichentrickserie lockert Thuram die Situation auf und nimmt den 14-Jährigen das Gefühl, etwas Dummes gesagt zu haben. Die Rassentheorien, erklärt er dann, seien im 18. und 19. Jahrhundert entstanden. Über Generationen hinweg sei auch in Schulen gelehrt worden, der Andere sei minderwertig. Zum Beweis zieht er ein altes Lehrbuch aus der Tasche. Ein Junge liest vor.

Thuram: "Habt ihr gehört: ‚Die weiße Rasse ist die perfekteste Rasse, die es gibt‘, steht da. Es ist noch nicht sehr lange her, dass wir begonnen haben, die Rassentheorie in Frage zu stellen und zu widerlegen. Heute wissen wir, dass es nur eine Rasse gibt: Homo sapiens. Aber warum gibt es denn unterschiedliche Hautfarben?"

Ein Junge erklärt, dass dafür die Sonneneinstrahlung auf den jeweiligen Kontinenten verantwortlich ist. Thuram nickt zustimmend und warnt vor gängigen Klischees.

Thuram:"Früher hieß es, die einzelnen Rassen hätten besondere Eigenschaften. Auch heute hört ihr oft: Die Schwarzen rennen schneller. Sie singen und tanzen besser. Glaubt ihr wirklich, dass es an der Hautfarbe liegt, wenn man schnell rennt?"

Thuram will nun wissen, wer hier Franzose ist. Die meisten Schüler, aber nicht alle, strecken die Hände hoch. Ein Junge ruft: "Die schämen sich."

Thuram: "Schämen? Was soll denn dieser Quatsch! Wer schämt sich hier, Franzose zu sein? Nehmt euch in Acht! Franzose sein, das ist keine Frage der Hautfarbe und auch keine Frage der Abstammung. Ihr seid in Frankreich geboren, damit seid ihr Franzosen. Wenn ihr die Dinge hier ändern wollt, müsst ihr euch unbedingt als Franzosen verstehen und später, wenn ihr volljährig seid, zur Wahl gehen. Sonst wird es immer Rassismus und Ungerechtigkeit geben."

In den vergangenen Jahren, sagt Thuram später, hätten viele Politiker und sogar Minister den Einwanderern und ihren französischen Kindern eingehämmert, dass sie keine echten Franzosen seien. Solche Reden zeigten immer noch ihre Wirkung. Der Fußballer investiert viel Zeit, um Fremdenhass zu bekämpfen und staatsbürgerliches Engagement zu fördern. Er reist durchs ganze Land, besucht auch Schulen auf dem Land, wo es kaum farbige Schüler gibt. Dort, sagt er, seien die rassistischen Vorurteile oft besonders ausgeprägt.

Thuram: "Ich diskutiere gerne mit den Kindern, und versuche, meine Botschaften zu vermitteln. Viele meinen ja, diese Themen seien tabu. Ich bin anderer Ansicht. Es ist unglaublich! Im Jahr 2013 glauben noch so viele Kinder, dass es verschiedene Rassen gibt. Sie sind immer noch in diesen alten Ideologien verhaftet, die auf den Hautfarben basieren. Aber um das überhaupt zu erfahren, und um es zu ändern, müssen wir erst einmal mit ihnen darüber reden. Ich glaube, dass sehr wenige Familien zuhause über Rassismus sprechen."

Die Stunde ist um. Lilian Thuram stellt sich mit den Schülern zum Klassenfoto auf.


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