Renaissance des Mündlichen

Es gilt das gesprochene Wort

54:58 Minuten
Illustration. Sprechende rote Lippen auf gelbem Hintergrund.
Die Flüchtigkeit des Mündlichen war gestern, nun verhilft ihr die Technik zur Dauer. © Getty Images
Moderation: Hans von Trotha |
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Die menschliche Kultur ist seit Jahrtausenden schriftlich. Doch das Mündliche kehrt machtvoll zurück. Denn die Technik kann ihm die Flüchtigkeit nehmen. Allerdings verändert es auch das Gesprochene.
Das Mündliche erlebt eine Renaissance. Mit dem gesprochenen Wort begann einst die Existenz der Welt und nahm die Kulturgeschichte des Menschen einen Aufschwung. Doch erst die Erfindung der Schrift erlaubt es, die Zeit zu überwinden und Erfahrungen, Wissen und Traditionen über mehr als zwei, drei Generationen weiterzugeben. Das gesprochene Wort trat zurück, seine Flüchtigkeit erschien für diese Zwecke als Nachteil.
In der Gegenwart verliert die Mündlichkeit die Flüchtigkeit: Die einfach und preiswert gewordene Aufnahme und Speicherung des Gesprochenen ist wohl die zentrale Voraussetzung für seine Konjunktur.
Nicht immer ist die Stimme übrigens menschlich: Computer haben begonnen, zu sprechen und auf Sprache zu reagieren – und sie können das gesprochene Wort zurück in Text verwandeln. Er unterscheidet sich allerdings von einem geschriebenen Text – es ist ein „mündlicher Text“, ein Hybrid. „Das Mündliche“ ist ein schillernder Begriff. 

Flüchtigkeit war gestern

„Es gilt das gesprochene Wort“ lautete das Motto des Literaturfests Nantesbuch in Bad Heilbrunn. Auf dem Festival wurde „Landschaftsradio“ gesendet, live entstand ein Podcast, und die Besucher hörten einen Text von Thea Dorn, den die Autorin nach der Lesung vernichtete. Von ihm bleiben allein die Aufnahme und die Erinnerung.
Die Flüchtigkeit des Mündlichen war gestern, nun verhilft ihr die Technik zur Dauer. In einem vom Festivalkurator Hans von Trotha moderierten Gespräch diskutierten die Kunsthistorikerinnen Bénédicte Savoy und Eva Ehninger mit dem Kulturwissenschaftler Thomas Macho.

Mündlich überlieferte Abwesenheit

Savoy berichtete von Studentinnen und Studenten, die anders als ihre Generation vom Lesen erschöpft werden. Sie näherten sich, so Savoy, den Gedanken des Philosophen Michel Foucault lieber mithilfe eines Videos als eines Textes.
Als Kunsthistorikern, die mit kolonialer Beutekunst beschäftigt ist, drängten sich auch ihr in der Kooperation mit Wissenschaftlern in Kamerun orale Quellen auf. Die Anwesenheit der kamerunischen Kunst in den deutschen Museen sei schriftlich gut dokumentiert, die Abwesenheit im Herkunftsland jedoch nicht. Dort gebe es nur eine mündliche Überlieferung des Fehlenden, der Abwesenheit und der Phantomschmerzen, was für die Wissenschaftler eine große Herausforderung bedeute.

Inneres versus visuelles Lesen

Thomas Macho sprach nach einem Ausflug zu ägyptischen Statuen und Mumien mit Seh- und Mundschlitzen über die Ausbildung einer inneren Stimme, die die Voraussetzung des Lesens und Schreibens sei. Das heute übliche visuelle Lesen, das Überfliegen kurzer elektronischer Nachrichten, komme ohne innere oder Lesestimme aus. Dass so die innere Stimme nicht mehr kultiviert werde, führe wahrscheinlich zu „Hass und dem Verlust der Contenance und Höflichkeit“ auf den Social-Media-Plattformen.
Eva Ehninger berichtete vom Autoritätsverlust der universitären Vorlesung, wenn diese den steil ansteigenden Hörsaal verlasse und im digitalen Raum, in Häppchen von 20 Minuten unterteilt, mit anderen Darbietungen konkurrieren müsse. Hoffnung machte ihr ein Versuch mit Studentinnen und Studenten, die Vorträge zu einem Gemälde von Adolf Menzel in drei Stufen erarbeiten mussten: mündliche Aufzeichnung, schriftliche Verdichtung, mündlicher Vortrag.
Sie habe an den Lippen der Studentinnen und Studenten gehangen, sagte Ehninger. Aber nicht, weil die Stimme Autorität habe, sondern weil die Sprechenden mit Stimme und Körper für die Inhalte einträten. Denn die Stimme sei immer verflochten mit anderen Medien. Ein Gespräch über Historie, Macht und Ohnmacht des Mündlichen.
(pla)

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