"Es handelt sich höchstens um eine Prognose"

Mathias Edler im Gespräch mit Jürgen König · 15.09.2010
Einen Langzeitsicherheitsnachweis für die Endlagerung von Atommüll ist faktisch nicht zu bringen, sagt Mathias Edler von Greenpeace. Das tiefengeologische Verbuddeln radioaktiver Abfälle ist daher nur ein Versuch - im schlechtesten Fall auf Kosten der Bevölkerung.
Jürgen König: Die Laufzeitverlängerung für deutsche Atomkraftwerke ist beschlossene Sache, dass es dadurch mehr, viel mehr radioaktiven Abfall geben wird, ist klar. Umso dringlicher stellt sich damit die Frage nach der Endlagerung des Atommülls. Für mehrere Millionen Jahre muss sichergestellt werden, dass die Strahlung des Materials nicht mit dem Menschen in Berührung kommt. Kann man das mit den gegebenen technischen Mitteln sicherstellen, mit den wissenschaftlichen Expertisen, die heute zur Verfügung stehen? Im gestrigen Radiofeuilleton-Interview hat der Clausthaler Professor für Endlagerforschung Klaus-Jürgen Röhlig, der auch Berater der Bundesregierung ist, dazu Stellung genommen. Heute sprechen wir mit Mathias Edler von der Umweltschutzorganisation Greenpeace. Herr Edler, guten Tag!

Mathias Edler: Guten Tag!

König: Klaus-Jürgen Röhlig hat gestern gesagt, das Problem sei im Prinzip beherrschbar. Vielleicht hören wir uns einmal gemeinsam seine Argumentation an:

"Wenn Sie den Salzstock Gorleben betrachten, der ist also mehrere Hundert Millionen Jahre alt. Die Geowissenschaften sagen, dass die tiefen Schichten, die für eine Endlagerung infrage kommen, auch weitere zehn oder hundert Millionen Jahre so verbleiben werden, wie wir sie brauchen. Wir wissen einiges über geologische Formationen, wie lange diese geologischen Formationen ihre Form behalten und wie lange wir sie schon kennen. Wir wissen, wo es Erdbeben gibt, wo es keine Erdbeben gibt, wir wissen, wo Erdplatten sich gegeneinander verschieben, wir kennen also die instabilen Bereiche, in die wir natürlich auch kein Endlager bauen würden. Und insofern denke ich, ist – aufgrund der geologischen Expertise insbesondere – schon gewährleistet, dass man über diese Zeit tatsächlich auch einen Einschluss der Abfälle gewährleisten kann."

König: Die Sicherheit eines Atommüll-Endlagers sei geologisch prognostizierbar, sagt Professor Klaus-Jürgen Röhlig vom Institut für Endlagerforschung an der TU Clausthal. Herr Edler, wie sehen Sie das?

Edler: Man versucht, einen Langzeitssicherheitsnachweis für eine Million Jahre zu rechnen. Dieses Wortungetüm in Verbindung mit diesem Zeitraum zeigt schon, dass wir hier eher vor einer philosophischen Frage stehen denn vor einer geologischen Frage. Ein Nachweis für solche Zeiträume ist sicherlich nicht zu erbringen, es handelt sich höchstens um eine Prognose. Und insofern muss man natürlich sagen, dass, wenn man radioaktive Abfälle tiefengeologisch verbuddelt – nichts anderes tut man da ja –, dann ist das ein Versuch, ein Versuch über einen sehr langen Zeitraum, der auf Kosten der Bevölkerung gehen kann. Vielleicht muss man sich einmal vor Augen halten, worum es geht: Es geht um die Lagerung von hoch radioaktiven Abfällen, gerade im Beispiel Gorleben, nehmen wir Plutonium, ein radioaktives Isotop, Plutonium 239 – ein millionstel Gramm kann Krebs erzeugen. Das ist in der Wissenschaft völlig unumstritten. Das sagen auch die Befürworter. Es geht eher die Diskussion noch, ob es noch weniger ist. 24.000 Jahre Halbwertszeit, das bedeutet, dass nach 24.000 Jahren erst die Hälfte dieses Plutoniums abgeklungen ist. Es gibt auch radioaktive Isotope, die viel längere Halbwertszeiten noch haben, also Uran 235 zum Beispiel 704 Millionen Jahre. Jetzt zurück zu der Geologie: Die Geologen machen ja nichts anderes, als seriös in ihrem Wissenschaftsbereich natürlich in die Vergangenheit zu gucken, und die Vergangenheit in die Zukunft zu prognostizieren. Sie sagen also zum Beispiel in Bezug auf Gorleben, der Salzstock ist seit mehreren Millionen Jahren da unverändert, und die Laugeneinschlüsse – Wasser im Salzstock, was es da gibt – wären auch seit Hunderttausenden von Jahren da, und deswegen könne in dem Zeitraum in der Zukunft auch nichts passieren. Das Problem ist, dass ich hoch radioaktive Abfälle einlagere. Diese sind wärmeentwickelnd, und dadurch verändere ich das Gefüge in diesem Salzstollen.

König: Das heißt, man weiß nicht, wie sich das Gestein im Zusammenspiel mit dem radioaktiven Müll verhalten würde.

Edler: Einen realen Versuch dazu hat es nie gegeben. Die Versuche, die in der Asse dazu gemacht wurden, sind abgebrochen worden. Es kommt zur Rissbildung und dann eben zu sogenannten Wasserwegsamkeiten, die dann dazu führen können, dass Radionuklide in grundwasserführende Schichten kommen. Wenn wir uns den Zeitraum angucken: In Gorleben ist es Deckgebirge, auf sieben Quadratmetern aberodiert worden von der letzten Eiszeit. Die war aber vor 10.000, 15.000 Jahren, das heißt, gar nicht so lange zurück, das heißt, auch ohne die Einbringung von hochradioaktiven Abfällen halte ich es für gewagt, sich heute als Mensch, auch als Wissenschaftler, hinzustellen und zu sagen, das sei für einen Zeitraum von einer Million Jahren sicher.

König: Was sagen denn die Geologen zu der, wie Sie es beschreiben, Prognosenhaftigkeit dieser Berechnungen in die Zukunft? Denn das werden die ja auch wissen.

Edler: Ja, da kommt man nicht umhin, das Beispiel Asse zu zitieren. Auch hier hat man jahrelang erklärt, dass das für Hunderte oder Tausende von Jahren ein sicherer Ort sei, und heute stellt man sich hin und sagt, das sei alles mit zum Beispiel Gorleben nicht zu vergleichen, man sei zu stark an den Rand des Salzes gegangen, man habe nicht genug Abstand zum Deckgebirge gehalten. Fakt ist: Es hat 40 Jahre gedauert, bis Wasser in Kontakt mit radioaktiven Abfällen gekommen ist. Man hat am Anfang, also Ende der 70er-Jahre, mit Inbrunst in der Wissenschaft das Mehr-Barrieren-System vertreten. Da hat man gesagt: Wenn man schon hoch radioaktive Abfälle tiefengeologisch vergraben will, dann braucht man a) eine technische Barriere – das ist der Behälter –, b) das Wirtsgestein – das ist in dem Fall Salz –, und c) ein Deckgebirge, eine Tonschicht, die dieses Wirtsgestein eben gegenüber dem Oberflächengrundwasser abdichtet. Als man dann in Gorleben erkundet hat und festgestellt hat, Mensch, das Deckgebirge ist gar nicht vorhanden, jedenfalls in entscheidenden Teilen nicht, ist man davon abgerückt. Heute ist man beim sogenannten einschlusswirksamen Gebirgsbereich, ein weiteres Wortungetüm, was die Hilflosigkeit sehr deutlich macht, mit der da argumentiert wird. Das heißt, man will die Sicherheit nur innerhalb des Salzgesteins nachweisen. Und dieser Nachweis erfolgt über Errechnung. Man sagt, dass Radionuklide innerhalb von einer Million Jahre diesen Bereich im Steinsalz nicht verlassen können. Und das ist natürlich eine reine Rechnung. Und da fragt man sich natürlich: Warum berechnet man das nicht für das Mehr-Barrieren-System? Warum ist man dabei nicht geblieben? Warum macht man nicht Gürtel und Hosenträger und nimmt das Deckgebirge dazu? Das hat den ganz einfachen Grund, dass es keinen Computer auf der Welt gibt, der das errechnen könnte. Zur Berechnung brauche ich diesen homogenen Steinsalzblock, wo die Bedingungen gleich sind, um diese eine Million Jahre zu rechnen, aber im Endeffekt bleibt es eben eine Rechnung.

König: Das Thema Atom beschäftigt ja die Öffentlichkeit im Moment wieder sehr. Mein Eindruck ist, dass die Fachleute so ganz überzeugt von dieser Endlagerungsidee auch nicht mehr sind, sondern dass schon in andere Richtungen überlegt wird. Stimmt der Eindruck? Ich meine, es muss ja nicht gleich ein Paradigmenwechsel sich da abzeichnen, aber vielleicht schon eine Skepsis auch bei den Fachleuten hinsichtlich der Endlagerfrage?

Edler: Mit der Asse hat da sicherlich zumindest ein Umdenken angefangen. Nach wie vor: Wenn man tiefengeologisch radioaktive Abfälle lagern will, dann müsste es zumindest einen Vergleich geben. Wir fordern die Untersuchung an mehreren Standorten in der Bundesrepublik in unterschiedlichen Wirtsgesteinen, um das bestmögliche Endlager zu finden. Ich persönlich halte angesichts dieser Zeiträume, vor denen wir da stehen und für die jetzt verantwortliche Entscheidungen getroffen worden sind, allerdings die Zivilisation für überhaupt nicht so weit, dass man diese gefährlichen Abfälle einfach verbuddeln könnte. Da setzt meines Erachtens vor allen Dingen mit den Erfahrungen aus der Asse ein Paradigmenwechsel ein.

König: Und wohin könnte der gehen? Also wenn man sich von einer Idee verabschiedet, muss man ja irgendwie eine andere haben. Welche könnte das sein?

Edler: Na, der erste Schritt dazu ist zumindest, dass die Rückholung der Abfälle in der Diskussion ist, die Rückholbarkeit. Man hat lange Jahre gesagt, man verbuddelt das einfach und zwar so, dass man es auch nicht zurückholen kann, falls sich eben etwas ändert, was man vorher nicht bedacht hat. Und das ist der erste Schritt hin auf diesem Weg. Im Moment hat man keine Technik, wie mit dem Müll umzugehen ist. Es bliebe dann eben eine Zwischenlagerung, bis man da forschungsmäßig weiter ist.

König: Wir erleben ja gerade in Stuttgart anhaltende Bürgerproteste gegen das Bahnhofsprojekt Stuttgart 21. Könnte es auch beim Thema Atommüll zu ähnlichen Demonstrationen kommen, also will sagen, halten Sie eine Renaissance dieser Anti-AKW-Bewegung, wie es sie in den 70er-, in den 80er-Jahren gab, für denkbar?

Edler: Die Renaissance gibt es bereits. Beim Castortransport, beim letzten in Gorleben, waren bereits wieder 16.000 Menschen, bei der Menschenkette zwischen Krümmel und Brunsbüttel waren auf 100 Kilometern circa 100.000 Menschen. Und es kommen noch andere Motive hinzu: Die Ungerechtigkeit wird dem Bürger angesichts der Laufzeitsverlängerungsentscheidung der Bundesregierung sehr deutlich, da schließen Privatfirmen einen Vertrag mit der Bundesregierung. Das kann kein Bürger machen. Ich kann nicht sagen, ich fahre ein altes Auto, ich will die Steuern nicht mehr bezahlen, ich treffe mich nächsten Montag mit Frau Merkel und mache einen Vertrag, wo ich weniger Steuern bezahlen muss. Das führt sicherlich dazu, dass viel mehr Menschen aufgewacht sind, was da eigentlich passiert, und dass ist neben dem Thema Atomkraft tatsächlich auch um die Bewahrung der Demokratie geht.

König: Vielen Dank! Eine für Menschen ungefährliche Endlagerung über Millionen Jahre hinweg ist derzeit nicht möglich, sagt Mathias Edler von Greenpeace. Ich danke Ihnen, Herr Edler!

Edler: Ich danke Ihnen!

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