"Es hat sehr viel Krach gegeben"
Marion Brasch ist die letzte Überlebende einer berühmten Künstler- und Schriftstellerfamilie. Ihre drei Brüder, der bekannteste von ihnen der Autor Thomas Brasch, sind nicht mehr am Leben. Der Vater war stellvertretender Kulturminister der DDR.
Joachim Scholl: "Ab jetzt ist Ruhe", so hat die Berliner Radiomoderatorin Marion Brasch ihr erstes Buch genannt. Es erscheint in dieser Woche und ist ein "Roman meiner fabelhaften Familie", so der Untertitel. Diese Familie ist in der Tat fabelhaft, wenn man den Begriff als reich an Geschichten versteht, denn Marion Brasch ist die Tochter von Horst Brasch, der einst stellvertretender Kulturminister der DDR war, und sie ist die Schwester der drei Brüder Peter, Klaus und Thomas Brasch. Alle drei Künstler, alle früh vor ihrer Zeit gestorben. Thomas Brasch war der bekannteste der Schriftsteller, der nach seiner Übersiedlung auch im Westen zur Berühmtheit wurde. Jetzt spricht also die kleine Schwester. Marion Brasch, willkommen im "Radiofeuilleton"!
Marion Brasch: Danke schön!
Scholl: Wie stark hat Ihnen, Frau Brasch, diese Familie beim Schreiben dieses Buches über die Schulter geschaut, vor allem die Künstlerbrüder?
Brasch: Schön, dass Sie das fragen, denn sie haben mir eigentlich nicht über die Schulter geschaut, sie saßen vor mir. Über meinem Schreibtisch hängen die Bilder meiner Brüder und meiner Familie, und ich hab manchmal so hochgeguckt, und ja, sie haben mich nicht unbedingt inspiriert, aber sie waren dabei beim Schreiben, und das war ganz wichtig, dass sie dabei waren.
Scholl: Im Buch schildern Sie sich als junge Frau, die betont nicht den künstlerischen Weg einschlagen will, nicht Schauspieler wie Klaus, nicht Schriftsteller wie Peter und Thomas, jetzt aber doch ein Buch. Was hat Sie dazu gebracht?
Brasch: Ich glaube, das war dran. Also es gab immer Leute, die gesagt haben, du müsstest doch mal die Familiengeschichte aufschreiben, die Biografie, und ich dachte, nee, also das ist so ein Berg, den will ich nicht erklimmen, das ist mir zu hart und zu schwer. Und dann hab ich irgendwann aber angefangen zu schreiben und habe gemerkt, dass es einen Weg gibt oder gäbe, den ich gehen könnte, und zwar eben die Form des Romans zu wählen, also eine fiktive Form, die mir auch so eine Freiheit lässt, vor allem auch meine subjektive Sicht schweifen zu lassen oder meinen Blick schweifen zu lassen und vor allem meine Subjektivität zu bewahren. Und das hätte sich bei einer Biografie ausgeschlossen.
Scholl: Ich hab jetzt alle Namen genannt, Frau Brasch, Ihrer Familie, im Buch kommen überhaupt keine vor, wenn es um Ihre Familie geht. Das heißt immer nur mein Vater, mein ältester Bruder, mein mittlerer Bruder, mein jüngster Bruder, Ihr eigener Name, Marion, fällt auch nicht so, wenn ich richtig gelesen habe, auch niemals der Familienname Brasch – das ist viel zu auffällig, als dass es nicht Absicht sein kann. Warum haben Sie sich dazu entschieden, warum keine Namen?
Brasch: Das hat auch mit dieser Romanform zu tun. Also in dem Moment, wo ich Namen genannt hätte, also auch die "Klarnamen" in Anführungsstrichen, also meiner Brüder Thomas, Klaus, Peter, meiner Eltern, wäre es dokumentarisch geworden und hätte mich wieder eingeengt. Also vielleicht ist es so eine subjektive Wahrnehmung für mich, wie gesagt, dieses Gefühl der Freiheit zu haben, vielleicht auch hier und da ein bisschen rumzuspinnen. Ich musste ja auch inszenieren, ich musste Szenen inszenieren, die so nicht stattgefunden haben, Dialoge erfinden, die so nicht stattgefunden haben, und wenn die da gestanden hätten, die Namen, dann hätte ich mich schuldig gefühlt. Und wenn da andere Namen, also fremde Namen gestanden hätten, das hätte ich blöd gefunden.
Scholl: Es geht ja auch so weit, dass zum Beispiel auch keine Namen von Politikern fallen, ja. Also ich erinnere mich an eine Szene, Ihr Bruder Thomas bekommt einen großen Preis in Bayern, und dann wird immer von dem stiernackigen Ministerpräsidenten gesprochen. Jeder weiß, also jeder in unserem Alter, so ab 40, 50 weiß, dass Franz Josef Strauß damit gemeint ist und kann sich vielleicht sogar noch erinnern an den Skandal. Das ist auch mit Absicht sozusagen die Geschichte, auch möglichst ja die Historie sogar rauszuhalten?
Brasch: Ja, also ich hab mir gedacht, gerade – also es gibt ja mehrere Figuren, die ich nur so skizziert habe, also buchstäblich, die ich auch nicht beim Namen nenne –, ist das jetzt wichtig zu wissen, wer dieser Politiker oder dieser Schriftsteller, dieser Dichter oder dieser Liedermacher waren, wer die waren. Wenn man will, kann man es rausbekommen, aber es ist nicht notwendig, um die Geschichte zu verstehen, die ich da erzähle.
Scholl: Man könnte ja auch annehmen, dass damit so eine Art Repräsentanz gemeint ist, also das Beispiel einer typischen ostdeutschen Familie, die aus dem Exil in die DDR kommt, mit hochfliegenden sozialistischen Träumen, der Vater wird ein hoher Parteifunktionär, stürzt dann, ja, tragisch in der Hierarchie, weil die Söhne alle rebellieren, bis hin zur Gefängnishaft. Sehen Sie Ihre Familie als auf diese Weise beispielhaft an?
Brasch: Ich hab meine Familie nie als beispielhaft angesehen, also wahrscheinlich, weil ich einfach dazugehörte, und es wäre komisch, wenn ich die so als etwas Besonderes wahrgenommen hätte. Natürlich, es war meine Familie. Ich bin in dieser Familie groß geworden, es war für mich normal, in dieser Familie groß zu werden. Ich hab diese Familie geliebt, ich hab natürlich wahrgenommen, dass bestimmte Dinge passierten, also schon als Kind, die in anderen Familien nicht passierten – also Thomas kam ins Gefängnis und Ähnliches. Insofern waren da Brüche, die ich zur Kenntnis genommen habe, aber als exemplarisch oder beispielhaft habe ich diese Familie nie verstanden, erst viel später.
Scholl: Ihr Buch ist über weite Strecken die Geschichte eines Kampfes, könnte man vielleicht sagen, der Kampf der Kinder gegen einen übermächtigen Vater. Was war das für eine Situation in Ihrer Familie, was war das für eine Atmosphäre? Also wenn man das Buch liest, denkt man, es muss ständig Krach gegeben haben.
Brasch: Es hat sehr viel Krach gegeben, es hat sehr viel knallende Türen und sehr viel laute Worte gegeben, aber es gab nebenbei eben auch völlig normale Situationen, wie sie in jeder Familie passierten. Das hab ich eigentlich auch versucht zu erzählen, und ich hoffe, dass man das auch so wahrnimmt, also dass für mich der Alltag in dieser Familie ein normaler war, durchschnitten immer durch Tragödien. Ich meine das jetzt nicht so schwerwiegend, aber die man ja auch als Kind – also Krach empfindet man als Kind immer als Tragödie und als schwerwiegenden Eingriff in das eigene Leben –, aber es war eine normale Familie, also mit allem, was dazugehört, mit allem Positivem und Negativem.
Scholl: Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit Marion Brasch. Sie hat jetzt ein Buch, einen Roman über ihre Familie geschrieben. Ihren Vater – ich möchte noch mal bei der Vaterfigur bleiben, weil die einfach so stark und so mächtig ist, und sie hat natürlich auch eine gewisse Repräsentanz, wenn man seine Geschichte dann doch kennt oder nachliest, also Horst Brasch, der einst stellvertretende Kultusminister der DDR –, diesen Vater, den schildern Sie auch als, ja, tragische, gescheiterte Existenz. An einer Stelle spricht er zum Beispiel darüber, dass er immer nur in die zweite Reihe gelassen wurde, also stellvertretender Kultusminister, zweiter Parteisekretär, weil er Exilant war und jüdischer Herkunft, deshalb immer nur Zweiter. Inwieweit war diese Geschichte, Frau Brasch, also das Exil, das Jüdische überhaupt Thema in Ihrer Familie? Sie schreiben kaum etwas drüber.
Brasch: Das Exil war sehr wichtig, also davon hat mein Vater und auch meine Mutter sehr oft gesprochen. Das Jüdischsein wurde in dieser Familie völlig verdrängt, also vor allem von meinem Vater, der auch jahrelang behauptet hatte, er sei überhaupt nicht als Jude ins Exil gegangen, sondern er sei Antifaschist gewesen, und das stimmte natürlich so nicht, natürlich musste er als Jude emigrieren. Also dieses Jüdischsein wurde sehr, sehr stark verdrängt und spielte auch im Leben unserer Familie keine Rolle. Es war eine sehr politische Atmosphäre auch in allen Gesprächen über Vergangenes – also Judentum spielte überhaupt keine Rolle, das musste ich mir dann auch später auch erst suchen, um es dann auch wieder verlassen zu können.
Scholl: Ich meine, Ihr Buch hätte leicht eine Abrechnung mit diesem Vater werden können, das wollten Sie aber nicht?
Brasch: Nee, dazu hab ich ihn auch zu gern gehabt. Was für mich wirklich faszinierend war beim Schreiben, ihn kennenzulernen. Ich musste mich auch in seine Situation versetzen, in seine Lage versetzen, also vor allem beim Dialogeschreiben. Ich hab ihn viel besser verstanden, ich hab auch seine eigene Biografie viel besser verstanden, also dieses immer wieder Konvertieren vom Judentum zum Katholizismus, später zum Kommunismus, diese tiefe Religiosität, die hab ich verstanden. Und ich habe auch seine Großzügigkeit viel mehr anerkennen können und viel mehr beschreiben können, als ich die vielleicht hätte beschreiben können, bevor ich das Buch geschrieben habe.
Scholl: Warum ist das mit Ihren Brüdern so furchtbar traurig ausgegangen? Alle drei bringen sich förmlich selber unter die Erde, mit Alkohol, Drogen, Exzessen. Was hat diese Form von Selbstzerstörung ausgelöst, war es der Vater, das Land, waren es die Verhältnisse?
Brasch: Ach, wenn ich das beantworten könnte. Ich hab natürlich versucht, das auch beim Schreiben herauszufinden, aber eine endgültige Antwort kann ich darauf auch nicht geben. Man könnte mal sagen, ja, das sind Künstler und diese politischen Zerwürfnisse in dieser Familie haben sie zerrüttet und so weiter, die Drogen kamen dazu – das ist mir aber alles zu einfach. Ich kann diese Frage wirklich nicht beantworten. Sicher hat das auch wieder mit der Biografie der Familie zu tun, die ja viel weiter noch führt, also auch immer von Brüchen begleitet war, auch mit vielleicht nicht genügender Zuwendung der Familie, also meines Vaters natürlich – immer die Kinder in Heime zu bringen, also Internate, Wochenkrippen und Kadettenschulen, kann nicht gesund sein auf die Dauer, das schmälert wahrscheinlich auch so eine Selbstliebe. Aber letztlich kann ich diese Frage nicht beantworten.
Scholl: Zugleich ist immer auffällig, dass die Brüder – und das wird im Gespräch mit Ihnen, also mit der Schwester dann oft deutlich –, dass die Brüder doch immer auch um die Zuneigung des Vaters so wenig gekämpft haben. Selbst als er sie verstoßen hat als nicht zugehörig oder einfach, weil sie der Parteilinie oder seiner Ideologie nicht entsprachen, hört man immer wieder: Wie geht’s dem Alten, was hat er gesagt, hat er was gesagt?
Brasch: Ja, also das war so ein Grundthema, vor allem bei Thomas. Also ihm hat mein Vater am meisten "geschadet", in Anführungsstrichen, seinetwegen musste er letztlich auch das Land verlassen. Andersrum hat Thomas ihm sehr geschadet, denn er wurde von der Karriereleiter geschubst, aber spät hat mein Bruder, also Thomas, auch seine Liebe auch zugeben können. Er hat meinen Vater gehasst für alles, was er ihm angetan hat, aber er hat immer um die Liebe natürlich nicht gebuhlt, aber er hat immer darauf gewartet, dass sie zurückkommt. Und es gab dann auch ansatzweise so eine Annäherung der beiden, aber eine richtige Versöhnung hat auch nicht stattgefunden.
Scholl: Ihr Vater starb im August 1989, er hat den Mauerfall nicht mehr erlebt, Ihre zwei Brüder schon, sie sind beide 2001 gestorben. Sie, Marion Brasch, waren danach rasch erfolgreich beim Radio, haben eine Tochter bekommen, Peter und Thomas kamen mit dem neuen Deutschland nicht zurecht?
Brasch: Nee, also das hat natürlich sicher auch sehr damit zu tun, dass sie Künstler und Schreibende waren, und bei Thomas als auch bei Peter, also bei Thomas natürlich im stärkeren Maße, kam eine größere Sprachlosigkeit mit dem Ende der DDR. Also es heißt nicht, dass die DDR ihn zum Reden inspiriert hat, aber er hat keine Widersprüche mehr empfunden, und das hat ihn sprachloser gemacht, nicht sprachlos, aber sprachloser. Und Peter stand immer im Schatten seines großen Bruders und hat das gewissermaßen dann auch mittragen müssen, auch wenn er etwas völlig anderes gemacht hat.
Scholl: "Ab jetzt ist Ruhe" heißt Ihr Roman, das war der Spruch, mit dem Ihre Mutter die Brasch-Kinder immer zu Bett brachte. Haben Sie jetzt, Frau Brasch, nach diesem Buch auch Ruhe in dieser, vor dieser Familie?
Brasch: Ich hab ja eigentlich gar nicht nach Ruhe gesucht. Ich fand dann irgendwie das so sinnfällig, diesen Spruch. Er steht am Anfang, er steht in der Mitte und am Schluss und ist für mich jetzt, die Geschichte ist geschrieben, das Buch ist zu Ende und ab jetzt ist Ruhe, eher so.
Scholl: Marion Brasch. Ihr Buch "Ab jetzt ist Ruhe. Roman meiner fabelhaften Familie" kommt in dieser Woche ab Donnerstag in die Buchhandlung. Es erscheint im S. Fischer Verlag, hat 400 Seiten und kostet 19,99 Euro. Marion Brasch, Ihnen alles Gute und herzlichen Dank für Ihren Besuch!
Brasch: Danke schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Marion Brasch: Danke schön!
Scholl: Wie stark hat Ihnen, Frau Brasch, diese Familie beim Schreiben dieses Buches über die Schulter geschaut, vor allem die Künstlerbrüder?
Brasch: Schön, dass Sie das fragen, denn sie haben mir eigentlich nicht über die Schulter geschaut, sie saßen vor mir. Über meinem Schreibtisch hängen die Bilder meiner Brüder und meiner Familie, und ich hab manchmal so hochgeguckt, und ja, sie haben mich nicht unbedingt inspiriert, aber sie waren dabei beim Schreiben, und das war ganz wichtig, dass sie dabei waren.
Scholl: Im Buch schildern Sie sich als junge Frau, die betont nicht den künstlerischen Weg einschlagen will, nicht Schauspieler wie Klaus, nicht Schriftsteller wie Peter und Thomas, jetzt aber doch ein Buch. Was hat Sie dazu gebracht?
Brasch: Ich glaube, das war dran. Also es gab immer Leute, die gesagt haben, du müsstest doch mal die Familiengeschichte aufschreiben, die Biografie, und ich dachte, nee, also das ist so ein Berg, den will ich nicht erklimmen, das ist mir zu hart und zu schwer. Und dann hab ich irgendwann aber angefangen zu schreiben und habe gemerkt, dass es einen Weg gibt oder gäbe, den ich gehen könnte, und zwar eben die Form des Romans zu wählen, also eine fiktive Form, die mir auch so eine Freiheit lässt, vor allem auch meine subjektive Sicht schweifen zu lassen oder meinen Blick schweifen zu lassen und vor allem meine Subjektivität zu bewahren. Und das hätte sich bei einer Biografie ausgeschlossen.
Scholl: Ich hab jetzt alle Namen genannt, Frau Brasch, Ihrer Familie, im Buch kommen überhaupt keine vor, wenn es um Ihre Familie geht. Das heißt immer nur mein Vater, mein ältester Bruder, mein mittlerer Bruder, mein jüngster Bruder, Ihr eigener Name, Marion, fällt auch nicht so, wenn ich richtig gelesen habe, auch niemals der Familienname Brasch – das ist viel zu auffällig, als dass es nicht Absicht sein kann. Warum haben Sie sich dazu entschieden, warum keine Namen?
Brasch: Das hat auch mit dieser Romanform zu tun. Also in dem Moment, wo ich Namen genannt hätte, also auch die "Klarnamen" in Anführungsstrichen, also meiner Brüder Thomas, Klaus, Peter, meiner Eltern, wäre es dokumentarisch geworden und hätte mich wieder eingeengt. Also vielleicht ist es so eine subjektive Wahrnehmung für mich, wie gesagt, dieses Gefühl der Freiheit zu haben, vielleicht auch hier und da ein bisschen rumzuspinnen. Ich musste ja auch inszenieren, ich musste Szenen inszenieren, die so nicht stattgefunden haben, Dialoge erfinden, die so nicht stattgefunden haben, und wenn die da gestanden hätten, die Namen, dann hätte ich mich schuldig gefühlt. Und wenn da andere Namen, also fremde Namen gestanden hätten, das hätte ich blöd gefunden.
Scholl: Es geht ja auch so weit, dass zum Beispiel auch keine Namen von Politikern fallen, ja. Also ich erinnere mich an eine Szene, Ihr Bruder Thomas bekommt einen großen Preis in Bayern, und dann wird immer von dem stiernackigen Ministerpräsidenten gesprochen. Jeder weiß, also jeder in unserem Alter, so ab 40, 50 weiß, dass Franz Josef Strauß damit gemeint ist und kann sich vielleicht sogar noch erinnern an den Skandal. Das ist auch mit Absicht sozusagen die Geschichte, auch möglichst ja die Historie sogar rauszuhalten?
Brasch: Ja, also ich hab mir gedacht, gerade – also es gibt ja mehrere Figuren, die ich nur so skizziert habe, also buchstäblich, die ich auch nicht beim Namen nenne –, ist das jetzt wichtig zu wissen, wer dieser Politiker oder dieser Schriftsteller, dieser Dichter oder dieser Liedermacher waren, wer die waren. Wenn man will, kann man es rausbekommen, aber es ist nicht notwendig, um die Geschichte zu verstehen, die ich da erzähle.
Scholl: Man könnte ja auch annehmen, dass damit so eine Art Repräsentanz gemeint ist, also das Beispiel einer typischen ostdeutschen Familie, die aus dem Exil in die DDR kommt, mit hochfliegenden sozialistischen Träumen, der Vater wird ein hoher Parteifunktionär, stürzt dann, ja, tragisch in der Hierarchie, weil die Söhne alle rebellieren, bis hin zur Gefängnishaft. Sehen Sie Ihre Familie als auf diese Weise beispielhaft an?
Brasch: Ich hab meine Familie nie als beispielhaft angesehen, also wahrscheinlich, weil ich einfach dazugehörte, und es wäre komisch, wenn ich die so als etwas Besonderes wahrgenommen hätte. Natürlich, es war meine Familie. Ich bin in dieser Familie groß geworden, es war für mich normal, in dieser Familie groß zu werden. Ich hab diese Familie geliebt, ich hab natürlich wahrgenommen, dass bestimmte Dinge passierten, also schon als Kind, die in anderen Familien nicht passierten – also Thomas kam ins Gefängnis und Ähnliches. Insofern waren da Brüche, die ich zur Kenntnis genommen habe, aber als exemplarisch oder beispielhaft habe ich diese Familie nie verstanden, erst viel später.
Scholl: Ihr Buch ist über weite Strecken die Geschichte eines Kampfes, könnte man vielleicht sagen, der Kampf der Kinder gegen einen übermächtigen Vater. Was war das für eine Situation in Ihrer Familie, was war das für eine Atmosphäre? Also wenn man das Buch liest, denkt man, es muss ständig Krach gegeben haben.
Brasch: Es hat sehr viel Krach gegeben, es hat sehr viel knallende Türen und sehr viel laute Worte gegeben, aber es gab nebenbei eben auch völlig normale Situationen, wie sie in jeder Familie passierten. Das hab ich eigentlich auch versucht zu erzählen, und ich hoffe, dass man das auch so wahrnimmt, also dass für mich der Alltag in dieser Familie ein normaler war, durchschnitten immer durch Tragödien. Ich meine das jetzt nicht so schwerwiegend, aber die man ja auch als Kind – also Krach empfindet man als Kind immer als Tragödie und als schwerwiegenden Eingriff in das eigene Leben –, aber es war eine normale Familie, also mit allem, was dazugehört, mit allem Positivem und Negativem.
Scholl: Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit Marion Brasch. Sie hat jetzt ein Buch, einen Roman über ihre Familie geschrieben. Ihren Vater – ich möchte noch mal bei der Vaterfigur bleiben, weil die einfach so stark und so mächtig ist, und sie hat natürlich auch eine gewisse Repräsentanz, wenn man seine Geschichte dann doch kennt oder nachliest, also Horst Brasch, der einst stellvertretende Kultusminister der DDR –, diesen Vater, den schildern Sie auch als, ja, tragische, gescheiterte Existenz. An einer Stelle spricht er zum Beispiel darüber, dass er immer nur in die zweite Reihe gelassen wurde, also stellvertretender Kultusminister, zweiter Parteisekretär, weil er Exilant war und jüdischer Herkunft, deshalb immer nur Zweiter. Inwieweit war diese Geschichte, Frau Brasch, also das Exil, das Jüdische überhaupt Thema in Ihrer Familie? Sie schreiben kaum etwas drüber.
Brasch: Das Exil war sehr wichtig, also davon hat mein Vater und auch meine Mutter sehr oft gesprochen. Das Jüdischsein wurde in dieser Familie völlig verdrängt, also vor allem von meinem Vater, der auch jahrelang behauptet hatte, er sei überhaupt nicht als Jude ins Exil gegangen, sondern er sei Antifaschist gewesen, und das stimmte natürlich so nicht, natürlich musste er als Jude emigrieren. Also dieses Jüdischsein wurde sehr, sehr stark verdrängt und spielte auch im Leben unserer Familie keine Rolle. Es war eine sehr politische Atmosphäre auch in allen Gesprächen über Vergangenes – also Judentum spielte überhaupt keine Rolle, das musste ich mir dann auch später auch erst suchen, um es dann auch wieder verlassen zu können.
Scholl: Ich meine, Ihr Buch hätte leicht eine Abrechnung mit diesem Vater werden können, das wollten Sie aber nicht?
Brasch: Nee, dazu hab ich ihn auch zu gern gehabt. Was für mich wirklich faszinierend war beim Schreiben, ihn kennenzulernen. Ich musste mich auch in seine Situation versetzen, in seine Lage versetzen, also vor allem beim Dialogeschreiben. Ich hab ihn viel besser verstanden, ich hab auch seine eigene Biografie viel besser verstanden, also dieses immer wieder Konvertieren vom Judentum zum Katholizismus, später zum Kommunismus, diese tiefe Religiosität, die hab ich verstanden. Und ich habe auch seine Großzügigkeit viel mehr anerkennen können und viel mehr beschreiben können, als ich die vielleicht hätte beschreiben können, bevor ich das Buch geschrieben habe.
Scholl: Warum ist das mit Ihren Brüdern so furchtbar traurig ausgegangen? Alle drei bringen sich förmlich selber unter die Erde, mit Alkohol, Drogen, Exzessen. Was hat diese Form von Selbstzerstörung ausgelöst, war es der Vater, das Land, waren es die Verhältnisse?
Brasch: Ach, wenn ich das beantworten könnte. Ich hab natürlich versucht, das auch beim Schreiben herauszufinden, aber eine endgültige Antwort kann ich darauf auch nicht geben. Man könnte mal sagen, ja, das sind Künstler und diese politischen Zerwürfnisse in dieser Familie haben sie zerrüttet und so weiter, die Drogen kamen dazu – das ist mir aber alles zu einfach. Ich kann diese Frage wirklich nicht beantworten. Sicher hat das auch wieder mit der Biografie der Familie zu tun, die ja viel weiter noch führt, also auch immer von Brüchen begleitet war, auch mit vielleicht nicht genügender Zuwendung der Familie, also meines Vaters natürlich – immer die Kinder in Heime zu bringen, also Internate, Wochenkrippen und Kadettenschulen, kann nicht gesund sein auf die Dauer, das schmälert wahrscheinlich auch so eine Selbstliebe. Aber letztlich kann ich diese Frage nicht beantworten.
Scholl: Zugleich ist immer auffällig, dass die Brüder – und das wird im Gespräch mit Ihnen, also mit der Schwester dann oft deutlich –, dass die Brüder doch immer auch um die Zuneigung des Vaters so wenig gekämpft haben. Selbst als er sie verstoßen hat als nicht zugehörig oder einfach, weil sie der Parteilinie oder seiner Ideologie nicht entsprachen, hört man immer wieder: Wie geht’s dem Alten, was hat er gesagt, hat er was gesagt?
Brasch: Ja, also das war so ein Grundthema, vor allem bei Thomas. Also ihm hat mein Vater am meisten "geschadet", in Anführungsstrichen, seinetwegen musste er letztlich auch das Land verlassen. Andersrum hat Thomas ihm sehr geschadet, denn er wurde von der Karriereleiter geschubst, aber spät hat mein Bruder, also Thomas, auch seine Liebe auch zugeben können. Er hat meinen Vater gehasst für alles, was er ihm angetan hat, aber er hat immer um die Liebe natürlich nicht gebuhlt, aber er hat immer darauf gewartet, dass sie zurückkommt. Und es gab dann auch ansatzweise so eine Annäherung der beiden, aber eine richtige Versöhnung hat auch nicht stattgefunden.
Scholl: Ihr Vater starb im August 1989, er hat den Mauerfall nicht mehr erlebt, Ihre zwei Brüder schon, sie sind beide 2001 gestorben. Sie, Marion Brasch, waren danach rasch erfolgreich beim Radio, haben eine Tochter bekommen, Peter und Thomas kamen mit dem neuen Deutschland nicht zurecht?
Brasch: Nee, also das hat natürlich sicher auch sehr damit zu tun, dass sie Künstler und Schreibende waren, und bei Thomas als auch bei Peter, also bei Thomas natürlich im stärkeren Maße, kam eine größere Sprachlosigkeit mit dem Ende der DDR. Also es heißt nicht, dass die DDR ihn zum Reden inspiriert hat, aber er hat keine Widersprüche mehr empfunden, und das hat ihn sprachloser gemacht, nicht sprachlos, aber sprachloser. Und Peter stand immer im Schatten seines großen Bruders und hat das gewissermaßen dann auch mittragen müssen, auch wenn er etwas völlig anderes gemacht hat.
Scholl: "Ab jetzt ist Ruhe" heißt Ihr Roman, das war der Spruch, mit dem Ihre Mutter die Brasch-Kinder immer zu Bett brachte. Haben Sie jetzt, Frau Brasch, nach diesem Buch auch Ruhe in dieser, vor dieser Familie?
Brasch: Ich hab ja eigentlich gar nicht nach Ruhe gesucht. Ich fand dann irgendwie das so sinnfällig, diesen Spruch. Er steht am Anfang, er steht in der Mitte und am Schluss und ist für mich jetzt, die Geschichte ist geschrieben, das Buch ist zu Ende und ab jetzt ist Ruhe, eher so.
Scholl: Marion Brasch. Ihr Buch "Ab jetzt ist Ruhe. Roman meiner fabelhaften Familie" kommt in dieser Woche ab Donnerstag in die Buchhandlung. Es erscheint im S. Fischer Verlag, hat 400 Seiten und kostet 19,99 Euro. Marion Brasch, Ihnen alles Gute und herzlichen Dank für Ihren Besuch!
Brasch: Danke schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.