"Es ist ein Gegenbuch"

Wolfgang Schorlau im Gespräch mit Susanne Führer |
Der Krimiautor Wolfgang Schorlau versammelt in seinem Buch "Stuttgart 21. Die Argumente" Positionen gegen das Bahnhofsprojekt "Stuttgart 21". Die Befürworter des Projekts hätten enormen Medienzugang, klagt Schorlau. Es sei an der Zeit gewesen, die Gegenargumente zu bündeln.
Susanne Führer: Wolfgang Schorlau ist bisher vor allem als Autor politischer Kriminalromane bekannt geworden. In den Büchern des Stuttgarters geht es um die Ermordung Detlev Rohwedders durch die RAF, um die Privatisierung der Wasserwirtschaft oder auch um das Bombenattentat auf das Oktoberfest 1980. Das jüngste Buch Wolfgang Schorlaus ist allerdings kein Roman, sondern ein Sachbuch, und zwar über den geplanten Bahnhof über Stuttgart 21. Guten Tag, Herr Schorlau!

Wolfgang Schorlau: Guten Tag, Frau Führer!

Führer: Morgen kommt das Buch heraus, und als ich davon hörte, muss ich Ihnen offen sagen, als Nicht-Stuttgarterin habe ich erst mal gedacht: Seit Wochen, also seit Monaten sind alle Sendungen, sind alle Zeitungen voll mit Stuttgart 21, jetzt werden auch noch die Schlichtungsgespräche in voller Länge im Fernsehen und im Internet übertragen. Warum um Gottes Willen jetzt auch noch ein Buch?

Schorlau: Das kann ich gut verstehen! Sie müssten erst mal in Stuttgart leben, dort ist das Thema ... Es gibt kaum mehr eine private Zusammenkunft ohne dieses Thema. Aber dieses Buch ist trotzdem notwendig, glaube ich, weil es die Argumente gegen Stuttgart 21 zum ersten Mal bündelt. Es ist vielleicht ein Kompendium, an dem man an einem Ort alles zusammengetragen hat, was es gegen dieses Mammutprojekt zu sagen gibt.

Führer: Ich habe mich auch gefragt: Warum ein Buch? Also Sie könnten ja auch einen Auftritt im Internet machen, Sie könnten einen Blog machen – Sie wären wesentlich aktueller!

Schorlau: Ein Buch, das ist nun mal mein Beruf. Ich schreibe Bücher und von daher war es für mich naheliegend das zu tun, in einem Buch diese Argumente zu bündeln.

Führer: Ich nehme ja mal an, das ist das Buch, was am schnellsten entstanden ist in Ihrer Karriere. Das waren ja nicht einmal zwei Monate, glaube ich?

Schorlau: Ja, und ich habe mir sagen lassen, es war das schnellste Buch, das Kiepenheuer & Witsch in der Verlagsgeschichte überhaupt produziert hat. Es war in der Tat ein komplexes Zusammenspiel mit 30 Autoren, einem Lektor, der Tag und Nacht glaube ich an diesem Buch gearbeitet hat.

Führer: Sie sind der Herausgeber, das sollten wir noch mal hinzufügen.

Schorlau: Ja.

Führer: Sie schreiben in Ihrem Vorwort, Herr Schorlau, dass Sie die Idee zu dem Buch bekamen auf dieser legendären Demonstration am 30. September im Schlosspark, auf der die Polizei ja Wasserwerfer, Pfefferspray, Schlagstöcke eingesetzt hat, 130 Verletzte hat es gegeben. Sie beschreiben das sehr eindringlich. Also man liest sofort, da ist ein professioneller Autor am Werke. Und nun mal angenommen, der Einsatz der Polizei war so eindeutig und einseitig fehlerhaft, wie Sie das beschreiben, dann kann ja aber der Bau des neuen Bahnhofs trotzdem sinnvoll sein? Ich habe so recht den Zusammenhang zwischen der Demonstration und dem Buch und dem Bahnhof nicht verstanden.

Schorlau: Es war nicht nur dieser schreckliche Polizeieinsatz, der mich zu dem Buch gebracht hat. Ich ging am Abend nach dem Polizeieinsatz pitschepatschenass, und der neue Wintermantel leider ruiniert, nach Hause und sah den baden-württembergischen Innenminister Heribert Rech im Interview mit Frau Slomka. Und ...

Führer: ... im ZDF, im "heute journal" ...

Schorlau: ... im ZDF, ja genau. Und was mich aber dann wirklich schockiert hat, war, dass er in diesem Interview von den gewaltbereiten Demonstranten sprach, gegen die dieser Polizeieinsatz nötig gewesen war. Und es war diese Lüge, diese maßlose und offensichtliche Lüge, die mich eine Woche lang richtig umgetrieben hat. Das kann man so nicht stehen lassen. Denn ich war dabei, ich hab gesehen, dass es anders war, und das war gewissermaßen die Geburt dieses Buches.

Führer: Es gibt ja viele, die dem Innenminister da widersprochen haben, es ist ja inzwischen sogar ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss eingesetzt worden. Das hat Sie aber in Ihrem Elan dann nicht mehr gebremst?

Schorlau: Nein, ich glaube, das musste sein. Dieses Buch musste sein, weil ich glaube, es gibt überall unterschiedliche Entgegnungen jetzt dazu, zu diesem Projekt. Aber das zu bündeln, das gab es bis dahin noch nicht.

Führer: Der Schriftsteller Wolfgang Schorlau in Deutschlandradio Kultur über Stuttgart 21. Herr Schorlau, wir hatten es gerade gesagt, Sie sind der Herausgeber dieses Buches, es gibt über 30 Beiträge zu dem Thema Stuttgart 21, und das Buch trägt den schönen Titel "Die Argumente". Da habe ich gedacht, aha, das ist so ein richtig schönes Pro-und-Contra-Gegenüberstellungsbuch, so wie bei den Schlichtungsgesprächen. Stimmt aber nicht, es kommen, also bis auf eine Ausnahme kommen nur Gegner des Projekts zu Wort.

Schorlau: Da haben Sie recht. Auf dem Titel ist auch Stuttgart 21, dieses legendäre Symbol verwendet worden eben, Stuttgart 21 mit dem roten Querbalken. Es ist eindeutig, es ist ein Gegenbuch. Wissen Sie, wenn man in Stuttgart lebt, hat man die Pro-Argumente ja wochenlang auf allen Plakatwänden gelesen. Die Befürworter dieses Projektes haben einen enormen Medienzugang, sodass es jetzt einmal Zeit war, die Gegenargumente zu bündeln. Das war der Sinn dieses Buches.

Führer: Ich finde aber, der Titel suggeriert, dass die Befürworter gar keine Argumente haben. Dass es eigentlich nur Argumente dagegen gibt, und die Befürworter ... Weiß ich nicht, was die für Gründe haben dafür, aber zumindest keine Argumente.

Schorlau: Die Befürworter haben schon Argumente, es geht ja nicht zuletzt um sehr viel Geld bei diesem Projekt, und es sind bei Stuttgart 21 enorme wirtschaftliche Interessen im Spiel. Und diese werden in der Tat auch ausgespielt.

Führer: Sie schreiben, Herr Schorlau, dass beide Stuttgarter Zeitungen durch eine Verlagsrichtlinie jahrelang gezwungen wurden, ausschließlich positiv über Stuttgart 21 zu berichten. Können Sie das belegen?

Schorlau: Das ist vielleicht ein bisschen missverständlich ausgedrückt. Was ich sagen wollte, war, dass die "Stuttgarter Zeitung" sehr spät, vor allen Dingen erst sehr spät angefangen hat, ihre Spalten zu öffnen. Das hat sie mittlerweile ganz anders gemacht. Aber in den Anfängen gab es den Protest schon, aber er hat keine öffentliche Resonanz gefunden. Das war ein Problem, und daher entstand der Eindruck, der Protest hätte erst dann begonnen, als alles schon beschlossen war. Aber das ist kein zutreffender Eindruck.

Führer: Und was ist mit dieser Verlagsrichtlinie?

Schorlau: Wahrscheinlich gemeint ist damit eine Blattlinie, eine Richtlinie des Verlages gibt es wohl nicht.

Führer: Hm. Also missverständlich ausgedrückt ist dann noch milde gesagt, das stimmt dann ja gar nicht, was Sie da geschrieben haben?

Schorlau: Es gibt unterschiedliche Aussagen mir gegenüber, ich habe einen empörten Brief des Feuilleton-Chefs bekommen, und mittlerweile bin ich mir an diesem Punkt in der Tat nicht mehr sicher. In der zweiten Ausgabe werde ich das zurücknehmen. Sie müssen entschuldigen, dass ich möglicherweise, möglicherweise tatsächlich zwischen Verlags- und Blattlinie eine Verwechslung begangen habe.

Führer: Sie haben ja nicht nur, soll ich mal sagen, Sachartikel in diesem Buch versammelt; ganz am Ende findet sich ein Auszug aus dem neuen Roman Ihres ja sagen wir mal Kollegen, Heinrich Steinfest, der ja auch viele Kriminalromane schreibt, aus einem Kriminalroman, der im kommenden Jahr erscheinen wird. So ein Kapitel ist da so abgedruckt, da spielt Stuttgart 21 eine Rolle. Und er macht darin darauf aufmerksam, dass – ich zitiere mal – "anderswo die Eliten eher den Zorn der Vorstädte, der Wohlstandsverlierer fürchten mussten" – also, wir können da zum Beispiel an Frankreich denken, an Griechenland, an England –, "in Stuttgart aber gehen die Bildungsbürger auf die Straße." Haben Sie eigentlich eine Erklärung dafür, Herr Schorlau?

Schorlau: Ja, ich glaube, weil wir hier – jemand hat es mal gesagt – unter unserem Niveau auf den Arm genommen werden. Die Bürger hier in Stuttgart werden ja mittlerweile Spezialisten für alle Arten der Bahntechnik, der Tektonik und der Bahnfinanzierung. Die Argumente für diesen neuen Bahnhof sind so dürftig und die Bürger haben jetzt fast den Eindruck, die Spezialisten sind ja wir, und uns muss man nicht erzählen, dass ein Bahnhof mit acht Gleisen besser ist als einer mit 16. Das glauben wir nicht.

Führer: Trotzdem ist ja die Frage, warum sich die Bürgerwut an einem Bahnhof entzündet? Also jetzt so als Außenstehende betrachtet man das doch erst mal mit großem Staunen und denkt, mein Gott, haben die keine anderen Probleme, warum gehen die nicht gegen Armut auf die Straße oder die schlechte Ausstattung der Schulen? Warum ein Bahnhof?

Schorlau: Ja, das widerspricht sich natürlich auch nicht. Aber an diesem Bahnprojekt spitzen sich schon einige Widersprüche zu. Zum einen aus dem Bahnhof selber, aus dem Projekt selber, dort werden zehn Milliarden Euro aus öffentlichen in Konzernkassen geschaufelt, wo es in Stuttgart wirklich Verkehrsprobleme gibt, Schulprobleme gibt, wesentlich es Punkte gibt, wo dieses Geld wesentlich dringender gebraucht wird.

Zum anderen schiebt sich dieser Bahnhof, der ja nicht wirklich unterirdisch ist, schiebt sich wie ein Riegel quer zu der speziellen Stuttgarter Hügellandschaft. Er riegelt gewissermaßen ein ganzes Gebiet ab und Architekten sprechen hier von der vierten Zerstörung Stuttgarts – nicht ohne Grund. Und das Ergebnis ist ein Bahnhof, der schlechter ist als den, den wir im Augenblick im Blick haben. Das ist der erste Ausgangspunkt.

Und der zweite ist tatsächlich, dass es ein allgemeines Unwohlsein gibt mit der Politik, mit einer Politik, die über die Köpfe der Leute hinweggeht. Das betrifft ganz unterschiedliche Gebiete, aber vielleicht ist dieser Bahnhof und der Widerstand dagegen ein Symbol dagegen, dass man insgesamt eine Politik wünscht, die wesentlich näher an den Bedürfnissen der Bürger ist.

Führer: Als Bürger Stuttgarts sind Sie natürlich wütend über dieses Projekt. Als Krimiautor hätte Ihnen doch fast nichts Besseres passieren können, oder? Betrachten Sie das auch so ein bisschen so von diesen beiden Persönlichkeiten her, die jetzige Auseinandersetzung?

Schorlau: Na, als Krimiautor, der politische Stoffe bearbeitet, hab ich keinen Mangel an Gegenständen in meinen Romanen. Aber als Bürger bin ich dort sehr dagegen. In dem nächsten Roman werden auch meine Figuren dazu Stellung nehmen, die einen sind dafür, die anderen sind dagegen. Es ist auf jeden Fall ein absolut spannendes Thema!

Führer: Der Autor Wolfgang Schorlau über Stuttgart 21 und die Kriminalliteratur. Morgen erscheint das von ihm herausgegebene Buch "Stuttgart 21. Die Argumente" bei Kiepenheuer & Witsch. Danke für das Gespräch, Herr Schorlau!

Schorlau: Ich danke Ihnen!