"Es ist ein lukratives Business"

Rüdiger Kühr im Gespräch mit Ulrike Timm |
Elektroschrott, der auf afrikanischen Müllkippen landet, gefährdet das Leben von Kindern, sagt Rüdiger Kühr vom Forschungszentrum der Vereinten Nationen. So würden viele Minderjährige die giftigen Plastikummantelungen der Kabel verbrennen, um an das verwertbare Kupfer zu kommen.
Ulrike Timm: Und über die Probleme der Elektroschrottentsorgung in der Dritten Welt sprechen wir jetzt mit Rüdiger Kühr vom Forschungszentrum der Vereinten Nationen. Er sucht gemeinsam mit anderen nach einer gerechten und umweltgerechten Lösung des Problems. Schönen guten Tag, Herr Kühr!

Rüdiger Kühr: Hallo, Frau Timm!

Timm: Eigentlich ist doch alles klar: Elektrischer Müll darf nicht exportiert werden, Punkt, wieso passiert das trotzdem?

Kühr: Weil es letztendlich ein lukratives Business ist. Es ist einfacher, sich der Geräte hier aus den entwickelten Ländern wie Deutschland und den europäischen Nachbarländern zu entledigen, noch mit diesem Geld weniger Euro zu verdienen, um sie dann für eine vermeintliche Wiederverwertung in Schwellen- und Entwicklungsländer zu überbringen. Es hat den Vorteil, man kann sich hier dann durch diese Praxis der klaren Vorgaben, die die europäischen Richtlinien und die nationale Gesetzgebung vorschreiben hinsichtlich des Recyclings der Geräte, davon frei machen und hat den Vorteil, in letzter Konsequenz entgegen eigener Zahlung für das approbate Recycling sogar Geld noch zu verdienen.

Timm: Und die Strafgebühr, falls man erwischt wird, ist in der Kalkulation mit drin?

Kühr: Die Strafgebühr ist in der Kalkulation sicherlich bei kleineren Brokern mit inkludiert, aber die Wahrscheinlichkeit, dass man erwischt wird, ist relativ gering, weil es hier Klassifizierungsprobleme gibt.

Timm: Was passiert denn mit so einem alten Laptop, der per Schiff nach Afrika geht? Was ist sein Weg dort, wenn er entsorgt wird?

Kühr: Wenn er in Afrika ankommt – oder zunächst mal artikulieren Akteure Broker aus Afrika, dass sie Bedarf an diesen Geräten haben. Der Bedarf in Afrika an Gebrauchtgeräten ist immens hoch, weil sich die Akteure, die Interessenten in diesen Ländern in der Regel keine neuwertigen Produkte erwerben können. Dessen machen sich diese Broker halt zu Nutzen. Sie fordern diese Geräte an, kaufen sie von Sammlern in Europa letztendlich auf, deklarieren sie für eine Wiederverwertung. Die Geräte kommen dort an, dann wird aber vor Ort festgestellt, dass in der Regel von zehn angelieferten Laptops, Computern nur zwei oder drei unmittelbar funktionsfähig sind. Bei den anderen Geräten wird dann zunächst mal probiert, sie zu reparieren. Ist das nicht der Fall, werden Komponenten, die man vielleicht doch noch mal weiterverwerten könnte, im Reparaturprozess ausgebaut. Und die letztlichen Abfälle werden dann an Sammler weitergegeben, die dann auf primitive Art und Weise versuchen, noch Wertstoffe aus diesen Geräten herauszubekommen.

Timm: Das heißt, die Dinge, die selbst in Afrika als Schrott deklariert werden, landen dann auf einer afrikanischen Müllverbrennungsanlage. Wie muss ich mir das vorstellen?

Kühr: Das ist gar keine Müllverbrennungsanlage im technischen Sinne, sondern es ist in der Regel eine Müllkippe, die Sie sehen, wo sehr viele Kinder rumarbeiten, rumlaufen und hier versuchen dann, auf ganz primitive Art und Weise, auf Feuern zum Beispiel, das Kupfer aus Kabeln zu gewinnen, indem ganz einfach die Kabel auf das Feuer geworfen werden, die Plastikummantelung schmilzt dabei, und somit wird das Kupfer freigelegt. Nur dass dabei Dioxine, Furane und Weiteres freigesetzt werden und somit das Leben der Kinder maßgeblich gefährdet, bleibt dabei zwar nicht unberücksichtigt, aber das Risiko dieser Kinder wird in Kauf genommen, damit sie am Ende eines Tages von dem erworbenen Lohn, der sich meistens an den Rohstoffen, die sie halt zurückgewonnen haben, orientiert, vielleicht mal eine eigene Flasche Getränk oder Ähnliches kaufen können.

Timm: Deutschlandradio Kultur, wir sprechen im "Radiofeuilleton" mit Rüdiger Kühr über die Probleme der Entsorgung von Elektroschrott in Drittweltländern. Herr Kühr, wenn es einerseits klar geregelt ist bei uns, wie es nicht sein soll, und andererseits diese Regeln unterlaufen werden, dann sprechen wir ja zugleich über, sagen wir, Schleichwege, die es geben muss, um solchen Elektroschrott dann in größeren Mengen zu exportieren, denn ohne die Möglichkeit eines Schleichwegs wäre das ja in großem Umfang nicht denkbar. Ist das vielleicht eine schlichte Definitionsfrage, was Schrott ist und was unter wiederverwertbar fällt oder reparabel, und diese Definitionsfrage nutzt man dann für Geschäfte?

Kühr: Genau das ist es letztendlich. Es muss klar definiert werden, was wiederverwertbar ist und was nicht. Das ist natürlich bei allen technischen Produkten sehr schwer zu kategorisieren. Vor dem Hintergrund sind dann auch die Autoritäten, die letztendlich die Kontrollfunktion hätten, um Einhaltung der Basler Konvention und anderer Verordnungen zu gewährleisten, stehen also immer wieder vor dem Problem, selber zu kategorisieren, ist es ein wiederverwertbares Produkt oder nicht, weil es hier auch Wertigkeiten geht. Es geht auch darum, ist es ein Produkt, was einen Wert für eine Wiederverwertung hat, enthält es also Komponenten, die vielleicht in Afrika sogar benötigt würden, um hier eine Reparatur vorzunehmen.

Timm: Aber der Zollbeamte im Hamburger Hafen weiß ja nun nicht, ob er Müll vor sich hat oder wiederverwertbares Material. Nun suchen Sie nach einer gerechten und umweltgerechten Lösung, und das klingt für mich alles ein bisschen nach Fass ohne Boden. Wo müsste man denn ansetzen? Die guten Gesetze, die gibt es ja angeblich schon?

Kühr: Es gibt sicherlich Möglichkeiten, hier eine Arbeitsteilung auch zu initiieren im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit, dass man also den Akteuren vor Ort in Afrika, maßgeblich den Kindern und Jugendlichen, wirklich eine Infrastruktur, eine einfache Infrastruktur durch Gebäude und Ähnliches, zur Verfügung stellt und gleichzeitig eine Unterweisung, wie man hier die Geräte sinnigerweise auseinanderbaut und sie dann durch ein Abkommen mit verschiedenen anderen globalen Akteuren im letztendlich rückwärts gewandten Strom des Elektronikschrotts eine Aufgabe zukommen lässt, weil das manuelle Recycling in der ersten Stufe des gesamten Recyclingprozesses ist immer noch das effizienteste. Und somit könnte den Kindern hier, unter Einhaltung bestimmter Maßnahmen aus Gesundheits- und Umweltsicht halt, ihre Partizipation an dem gesamten Rücklauf sicherstellen und somit auch ihr Einkommen weiter gewährleisten.

Timm: Damit wäre dann zumindest die Entsorgung vor Ort im Drittweltland besser organisiert. Gehen wir mal zurück in unser Land: Sehen Sie denn auch Möglichkeiten von Veränderungen und Verantwortung, die beim deutschen Verbraucher liegen?

Kühr: Der deutsche Verbraucher muss sich der Problematik zunächst mal bewusst werden. Er muss reflektieren, wenn er Geräte kauft – und jetzt gerade auch in der Vorweihnachtszeit –, brauche ich dieses neue Gerät tatsächlich. Darüber hinaus wäre es natürlich angebracht, wenn der Verbraucher auch beim Kauf der Geräte schon einmal die Verkäufer dahingehend anspricht, ob Kenntnis darüber besteht, was mit den Geräten am Ende des Lebenszyklus wirklich passiert. Wo kann ich das Gerät verantwortlich entsorgen? Ist hier eine Reparatur des Gerätes auch möglich, sodass ich eine lange Nutzungszeit des Gerätes gewährleisten kann und Ähnliches. Das ist eine Thematik, die bis dato leider Gottes relativ wenig diskutiert wird, wo aber sicherlich Möglichkeiten bestehen.

Timm: Rüdiger Kühr vom Forschungszentrum der Vereinten Nationen, sucht nach einer gerechten und umweltgerechten Lösung für Elektroschrott, der oft genug in die Dritte Welt verschifft wird. Ich danke Ihnen fürs Gespräch!