"Es ist ein Nebel, der da entsteht"

Janusz Tycner im Gespräch mit Susanne Burg |
Die Menschen in Oberschlesien pflegen eine eigene kulturelle Identität, wobei eine kleinere Gruppe immer wieder auch Autonomieforderungen erhebt. Bei vielen Polen löst das eine diffuse Angst aus. Der Publizist Janusz Tycner würde sich mehr Behutsamkeit in dieser Debatte wünschen.
Susanne Burg: Im polnischen Schlesien besinnt man sich wieder verstärkt auf eine ureigene kulturelle Identität. Das ist für Polen wie für Deutsche ein historisch belastetes Terrain, und vieles in der Diskussion um die Schlesier speist sich daraus, dass man da gerne alles mit allem vermengt. Das wollen wir möglichst vermeiden, und dabei hilft uns der polnische Publizist Janusz Tycner. Schönen guten Tag!

Janusz Tycner: Guten Tag!

Susanne Burg: Herr Tycner, wie genau zeigt sich denn diese schlesische Identität im Jahre 2011?

Tycner: Sie zeigt sich durch einen Dialekt, von dem die Betroffenen sagen, es ist eine eigene Sprache, aber ich kann es sehr gut verstehen, als Pole. Ich würde sagen, es ist ein Dialekt der polnischen Sprache. Es ist natürlich eine Volkskunst, die da gepflegt wird, Tänze, besondere Bräuche auch, und ich denke, es ist natürlich eine Identität, geprägt durch eine Industrieregion wie im Ruhrgebiet, durch schwere Arbeit, durch Umweltbelastung, dadurch, dass eine besondere Familienstruktur dort funktioniert, dass immer noch vor allem die Männer arbeiten und die Frauen zuständig sind für den Haushalt, vor allem diejenigen, die in der Schwerindustrie arbeiten. Es ist also eine gewisse, besondere Identität dort vorhanden, die durchaus als eine oberschlesische bezeichnet werden kann.

Susanne Burg: Das klingt jetzt nach einer sehr kulturell geprägten Identität, nach Bräuchen, aber noch nicht sehr politisch. Wie verbindet sich denn das mit politischen Bestrebungen, die ja bis hin zur Forderung nach Autonomie gehen?

Tycner: Wir müssen, glaube ich, das ganze in einen richtigen Kontext setzen. Wir sprechen von einer Region der Woiwodschaft Śląskie, Schlesien, und bei diesen insgesamt 6 Millionen Menschen bekennen sich nach der letzten Volkszählung etwa 170.000 zu dieser schlesischen Identität – ein nicht großer Prozentsatz –, und diese Menschen artikulieren wieder – nicht alle, aber ein Teil von ihnen – artikulieren sich in der Bewegung für die Autonomie Schlesiens, die es nun seit 1990 gibt, und die eine Autonomie dieses Oberschlesiens haben möchte. Dagegen wäre nichts einzuwenden, wenn nicht die führenden Persönlichkeiten dieser Bewegung in der Vergangenheit immer wieder mal sich sehr provozierend und rabiat geäußert hätten, indem sie immer wieder beteuert haben, sie sind keine Polen, sie sind Schlesier, sie haben Polen nichts versprochen und geschworen, und sie sind Polen nichts schuldig, indem sie genüsslich zitieren den britischen Ministerpräsidenten Lloyd George, der bei der Friedenskonferenz in Versailles gesagt haben soll, so ist das überliefert: Wenn man Polen Oberschlesien überlässt, dann ist das so, als würde man einem Affen eine Uhr überlassen. Und Herr Gorzelik, der Chef der ganzen Unternehmung Autonomie Schlesien, sagte neulich: Es hat sich bewahrheitet nach 80 Jahren, der Affe hat die Uhr kaputtgemacht. Das heißt, das Ganze äußert sich kulturell sehr freundlich, sehr schön, wie in anderen Regionen Polens, es äußert sich aber auch manchmal politisch auf eine sehr rabiate Art und Weise und ruft dann Reaktionen hervor, die wiederum auch nicht zimperlich sind.

Susanne Burg: Heißt das, das ist in Polen auch sehr angstbesetzt in der Wahrnehmung, denn in Polen, Schlesien, sind ja immer noch die früheren deutschen Gebiete, und an dieser Angst hat natürlich auch Oppositionschef Jarosław Kaczyński appelliert, aber wenn ich Ihnen zuhöre, habe ich das Gefühl, diese Angst ist generell in Polen einfach dann immer noch vorhanden in dieser Diskussion.

Tycner: Wenn man diese Aussagen nimmt – und sie werden natürlich von der Presse breitgewälzt –, dann geht es nicht um Angst, sondern um eine gewisse Frage: Wohin soll das gehen? Was soll eigentlich passieren? Was wird gewünscht? Und mittlerweile, da die Vertreter der Autonomiebewegung mittlerweile in der Regionalregierung mit vertreten sind, sie sind ja ein Koalitionspartner – bei den letzten Wahlen, Kommunalwahlen, haben sie acht Prozent der Stimmen bekommen, also auch nicht besonders viel. Im Grunde ist das eine sehr diffuse Erscheinung, diese Bewegung für die Autonomie Schlesiens hat ein Autonomiestatut entworfen, das man im Internet nachlesen kann, den Entwurf einer neuen polnischen Verfassung veröffentlicht, in der Polen ein Regional- und Föderalstaat wird, wobei man sagen muss, diese Traditionen gibt es in Polen nicht. Um das zu verwirklichen, müsste man im Grunde den gesamten polnischen Staat einer totalen Reform unterziehen. Das wäre vergleichbar, glaube ich, bei Ihnen, wenn man versucht, Bundesländer zusammenzulegen. Sie wissen, wie schwer das war bei Berlin und Potsdam. Wir haben in Oberschlesien Millionen von Menschen, die dort zugezogen sind aus Ostpolen, aus Mittelpolen, nach dem Zweiten Weltkrieg, ihre Nachkommen, die eigentlich mit dieser Tradition nicht viel zu tun haben, die natürlich auch vor einer Frage stehen, was soll das werden? Es ist auch die deutsche Minderheit im Oppelner Schlesien, die auch, wie mein Eindruck ist, eher skeptisch dem Ganzen gegenübersteht – nicht feindlich, aber sich auch fragt, auf den Internetseiten der Landsmannschaften dieser deutschen Verbände, kann man immer wieder nachlesen, dass sie sich auch die Frage stellen, was das eigentlich werden soll. Eine diffuse Geschichte, die im Rahmen des politischen Kampfes in Polen jetzt ausgenutzt wurde, weil sich Jarosław Kaczyński so krass geäußert hat. Ich darf da aber auch darauf hinweisen, dass auch Staatspräsident Komorowski vorher sehr skeptisch das ganze beurteilt hat, Europaparlamentspräsident Buzek, Vertreter der Allianz der Demokratischen Linken, also der polnischen Linken, der Postkommunisten, so dass das überall in Polen, wenn nicht auf Ablehnung, so auf eine gewisse Skepsis stößt und nicht gerade Jubelstürme hervorruft.

Susanne Burg: Und wie begegnen die Schlesier dieser Skepsis? Kaczyński sagt ja, diese Schlesier sind so was wie die verkappte Option für Deutschland. Er spricht das ja ganz deutlich aus.

Tycner: Ja, weil natürlich er hat Grund dazu. Diese Art dieser – sagen wir so – neuen oberschlesischen Minderheit oder schlesischen Minderheit oder Autonomiebewegung, sich zu artikulieren, ist oft eine sehr unglückliche. Sie haben dort ein Internetgeschäft, in dem auch T-Shirts angeboten werden, deutsch in gotischer Schrift: "Oberschlesien ist meine Heimat" zum Beispiel, in dem immer wieder Polen angegriffen wird, oft mit Argumenten, die vor 30, 40 oder vielleicht vor sogar 80 Jahren vor allem deutsche Nationalisten gerne gebraucht haben.

Susanne Burg: Das heißt aber doch, er trifft in eine Stimmung, in ein Gefühl von Bedrohung, das real ist. Ich meine, wenn die Leute in einem T-Shirt rumlaufen und sagen, ich bin Schlesier und ich bin Pole, das ist eine politische Aussage, die einen beängstigen kann.

Tycner: Ich denke, er bringt auf den Punkt eine gewisse Frage, die Frage: Wohin geht das Ganze? Wenn sich Staatspräsident Komorowski oder Europaparlamentspräsident Buzek kritisch äußert, zurückhaltend, auch durch die Blume davor warnt, wird kein Wort gesagt. Aber dass es Kaczyński ist, nicht wahr, dann ist das ein Teil des innenpolitischen Konfliktes, in dem das natürlich auch benutzt wird.

Susanne Burg: Und es ist ein Teil des Wahlkampfes!

Tycner: Und es ist ein Teil des Wahlkampfes, der Wahlkampf beginnt in Polen, wir haben im Herbst Parlamentswahlen. Aber ich würde nicht gleich mit Angst und Panik und Besorgnis und so weiter arbeiten, also mit diesen Begriffen – es ist ein Nebel, der da entsteht, und man versucht sich da zurechtzufinden. Und die Betroffenen selbst – entweder aus politischem Kalkül, ich meine die sogenannten Separatisten, aus Unerfahrenheit oder aus Freude an der Provokation – tragen erheblich dazu bei. Sie wären gut beraten, wenn sie ihre Ziele und Forderungen, die sie stellen dürfen, auf eine politische Art und Weise stellen würden, das heißt, eine konsenssuchende. Dann wäre Vieles vermieden. Sie suchen das nicht, oder immer wieder greifen sie zu sehr harten Ausdrücken, und ich würde dort den Grund für diese ganze Besorgnis sehen und nicht in der Reaktion darauf sagen, sei es des Staatspräsidenten Komorowski oder der härteren Reaktion von Jarosław Kaczyński.

Susanne Burg: Der polnische Publizist Janusz Tycner über schlesische Autonomiebestrebungen in Polen, denen man dort mit großer Skepsis begegnet.