"Es ist ein schmaler Grat, den Brasilien derzeit nimmt"
Das brasilianische Parlament will der Regierung ein Forstgesetz aufzwingen, womit Regenwaldrodungen wieder leichter möglich sind. Dahinter stecke vor allem die Holzlobby, sagt ARD-Korrespondent Julio Segador. Im prosperierenden Fußballland werde viel gebaut, auch die kommende WM und die Olympischen Spiele wollen vorbereitet werden.
Stephan Karkowsky: Und wieder schrumpft der Regenwald: In Brasilien wird weiter drauflos geholzt. Nachdem die Abholzungsquote ein paar Jahre zurückging, geht sie jetzt wieder nach oben – mit dramatischen Folgen, wie Christoph Grabenheinrich berichtet.
Julio Segador ist ARD-Korrespondent für Südamerika. Herr Segador, das Parlament will der Regierung ein neues Forstgesetz aufzwingen – das klingt schon mal skurril. Die Regierung lehnt das ab. Worum geht es denn in diesem Gesetz genau?
Julio Segador: Also es sind im Wesentlichen zwei Zankäpfel, zwei Punkte, um die auch gestritten wird: Zum einen soll, wie auch schon in dem vorherigen Beitrag auch angedeutet worden ist, die Amnestie für Rodungen eben eingeführt werden, zum anderen sollen die Schutzzonen für Küstenstreifen, vor allem für den Küstenurwald Mata Atlântica, der sich parallel zur Atlantikküste zieht, ausgeweitet werden, da soll Baugebiet entstehen.
Also das sind die beiden Punkte, um die es hauptsächlich geht. Da wird erbittert gestritten, aber das Gesetz steckt noch im Senat, und bisher konnten sich die Politiker nicht auf einen Konsens einigen. Das hängt auch damit zusammen, dass die Regierung von einer sehr breiten aber auch sehr vielstimmigen Koalition getragen wird, und da wird heftig gestritten: Manche Parteien wollen natürlich der Staatspräsidentin, der Regierung Dilma Rousseff, eins auswischen. Also da gibt es auch viel innerbrasilianische Politik, viele Punkte, die da Einfluss nehmen. Aber der Stand derzeit ist: Das Gesetz steckt noch im Senat und es ist auch nicht abzusehen, wann darüber wirklich entschieden wird.
Karkowsky: Ist es denn ein Gesetz, hinter dem die brasilianische Holzlobby steht?
Segador: Also es gibt verschiedene Lobbyisten, die dahinterstehen, natürlich die Holzlobby, aber es ist auch so, wie vorher schon angekündigt worden ist: Viele Landwirte, die eben Viehzucht haben, vor allem aber natürlich Soja und Zuckerrohr anbauen, die wollen, nachdem darüber diskutiert wird, dass es diese Amnestie geben wird, jetzt noch sozusagen Tatsachen schaffen und denken sich, na ja, wenn wir jetzt roden, dann werden wir danach nicht zur Verantwortung gezogen. Das ist natürlich eine sehr, sehr ungünstige Diskussion, die es da gibt und die wirklich ausgenutzt wird auch von sehr, sehr vielen Lobbyisten.
Aber es gibt einen anderen Punkt: Es ist nicht einfach, auch für die Regierung, denn Brasilien ist ein Land, das derzeit prosperiert wie kaum ein zweites Land auf dieser Erde: Es ist von der globalen Finanzkrise eigentlich kaum betroffen, ein Riesen-Volk, 190 Millionen Einwohner, und viele dieser Brasilianer sind in den vergangenen acht Jahren und vor allem während der Präsidentschaft von Lula da Silva von der Armenschicht aufgestiegen in die Mittelklasse. Die haben auch mehr Geld in der Tasche, die können mehr konsumieren, können sich mehr leisten, und darauf muss natürlich die Regierung auch Rücksicht nehmen, und wenn ich sage, sie können sich mehr leisten, dann auch neue Wohnungen.
Es wird mehr gebaut, und dazu ist sehr, sehr viel Holz natürlich vonnöten, und dieses Holz gibt es eben auch in den Regenwäldern. 80 Prozent übrigens der Rodungen, die werden verwendet für den innerbrasilianischen Holzmarkt. Also man hat ja immer so ein bisschen die Vorstellung, das sind wertvolle Tropenhölzer hauptsächlich, die abgeholzt werden – das auch, allerdings nur zu einem geringeren Teil. Im Wesentlichen ist es Holz, das in die brasilianische Bauindustrie dann auch geht.
Karkowsky: Dann ist es also bei diesen Abholzungen nicht so wie etwa in Argentinien, wo viele Farmer ja die Rinderzucht aufgeben, um Soja anzubauen, was lukrativer ist. Also der Sojaanbau ist es nicht, was die Farmer in Brasilien zum Abholzen bewegt?
Segador: Nur zum Teil, wie gesagt, das ist aber nicht der hauptsächliche Teil. Das hängt auch damit zusammen, dass es ein Moratorium gegeben hat, an das sich auch alle Holzhändler halten, dass nämlich Rodungen oder beziehungsweise Anbauflächen, die extra jetzt da auch dazu verwendet wurden, um noch diese Tatsachen zu schaffen, dass von diesen Leuten kein Holz gekauft wird, also wenn beispielsweise für Anbauflächen von Soja oder Zuckerrohr jetzt abgeholzt wird, dann haben sich die Holzhändler in einem Moratorium dazu verpflichtet, dass sie diesen Leuten kein Holz abkaufen, und das funktioniert auch. Deshalb ist das sicherlich ein Grund, aber nicht der Hauptgrund. Also die Holzlobby ist sicherlich der stärkere Teil.
Karkowsky: Dann lassen wir mal die Begründung fürs Abholzen beiseite. Die Klimaschutzziele Brasiliens hat ja das Land selbst aufgestellt und jeder weiß, wie gefährlich insgesamt die Klimakrise werden kann. Wie kommt es denn, dass Wirtschaftsinteressen noch immer diese Klimaziele torpedieren können? Glauben die Farmer und die Holzlobby den Warnungen der Klimaforscher nicht?
Segador: Doch, sie glauben ihnen schon, aber wie gesagt, es ist ein schmaler Grat, den Brasilien derzeit auch nimmt, zum einen natürlich die Klimaschutzziele, die formuliert worden sind in Kopenhagen 2009, man will ja bis 2020 die Rodungen – die illegalen Rodungen, muss man natürlich auch dazu sagen – um 80 Prozent reduzieren, das ist, um es salopp zu formulieren, viel Holz.
Auf der anderen Seite, wie ich vorhin schon angedeutet habe: Ein prosperierendes Volk, ein Land, das große Ereignisse vor der Tür stehen hat, die Fußball-WM, die Olympischen Spiele in Rio – da sind sehr viele Infrastrukturmaßnahmen auch nötig und da muss viel gebaut werden, da wird viel Holz benötigt. Und es ist nicht einfach auch für die Regierung, diesen schmalen Grat zu gehen, beiden Interessen dann auch wirklich Genüge zu tun. Dazu kommt, dass im kommenden Jahr die große Umweltkonferenz Rio+20 stattfinden wird. Wir erinnern uns, 1992 war ja die erste Klimakonferenz in Rio. Es soll jetzt nach 20 Jahren so etwas wie eine erste große Bilanz auch gezogen werden, und da will natürlich Brasilien als Gastgeber und auch als Gastgeber dieser ersten Konferenz vor 20 Jahren gut dastehen.
Da will man natürlich dann auch sagen können: Wir haben unsere Klimaschutzziele bis dato erreicht und wollen sie auch weiter fortsetzen. Aber wie gesagt: Die wirtschaftliche Entwicklung spielt ein bisschen auch dem Ganzen entgegen. Und man muss einfach mal sehen, auch wie die Staatspräsidentin Dilma Rousseff – die angekündigt hat, eventuell ein Veto einzulegen, sollte dieses Waldgesetz wirklich verabschiedet werden –, wie sie sich dann wirklich verhält, weil sie natürlich auch die Prosperität des eigenen Volkes im Auge behalten muss.
Karkowsky: Also einerseits Wirtschaftsaufschwung ist wichtig, andererseits hat Brasilien für sein Ziel, die Entwaldung zu stoppen, ja den sogenannten Fundo Amazônia gegründet, den Amazonienfonds für Wald- und Klimaschutz. Wissen Sie, welchen Weg man hier gehen will?
Segador: Also dieser Fonds ist eigentlich nur, ja, angesprochen worden, er ist noch nicht mit Leben gefüllt. Es ist auch sehr, sehr schwierig, weil man sich auf die Details dieses Fonds noch nicht genau einigen konnte, also da wird auch noch sehr herumgeredet. Ich denke mal, dass eben zu der großen Klimaschutzkonferenz im kommenden Jahr, die im Juni stattfinden wird, dass es da dann auch Details zu diesem Fonds geben soll.
Karkowsky: Über Brasiliens Probleme beim Regenwaldschutz Julio Segador aus dem ARD-Studio Buenos Aires.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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Julio Segador ist ARD-Korrespondent für Südamerika. Herr Segador, das Parlament will der Regierung ein neues Forstgesetz aufzwingen – das klingt schon mal skurril. Die Regierung lehnt das ab. Worum geht es denn in diesem Gesetz genau?
Julio Segador: Also es sind im Wesentlichen zwei Zankäpfel, zwei Punkte, um die auch gestritten wird: Zum einen soll, wie auch schon in dem vorherigen Beitrag auch angedeutet worden ist, die Amnestie für Rodungen eben eingeführt werden, zum anderen sollen die Schutzzonen für Küstenstreifen, vor allem für den Küstenurwald Mata Atlântica, der sich parallel zur Atlantikküste zieht, ausgeweitet werden, da soll Baugebiet entstehen.
Also das sind die beiden Punkte, um die es hauptsächlich geht. Da wird erbittert gestritten, aber das Gesetz steckt noch im Senat, und bisher konnten sich die Politiker nicht auf einen Konsens einigen. Das hängt auch damit zusammen, dass die Regierung von einer sehr breiten aber auch sehr vielstimmigen Koalition getragen wird, und da wird heftig gestritten: Manche Parteien wollen natürlich der Staatspräsidentin, der Regierung Dilma Rousseff, eins auswischen. Also da gibt es auch viel innerbrasilianische Politik, viele Punkte, die da Einfluss nehmen. Aber der Stand derzeit ist: Das Gesetz steckt noch im Senat und es ist auch nicht abzusehen, wann darüber wirklich entschieden wird.
Karkowsky: Ist es denn ein Gesetz, hinter dem die brasilianische Holzlobby steht?
Segador: Also es gibt verschiedene Lobbyisten, die dahinterstehen, natürlich die Holzlobby, aber es ist auch so, wie vorher schon angekündigt worden ist: Viele Landwirte, die eben Viehzucht haben, vor allem aber natürlich Soja und Zuckerrohr anbauen, die wollen, nachdem darüber diskutiert wird, dass es diese Amnestie geben wird, jetzt noch sozusagen Tatsachen schaffen und denken sich, na ja, wenn wir jetzt roden, dann werden wir danach nicht zur Verantwortung gezogen. Das ist natürlich eine sehr, sehr ungünstige Diskussion, die es da gibt und die wirklich ausgenutzt wird auch von sehr, sehr vielen Lobbyisten.
Aber es gibt einen anderen Punkt: Es ist nicht einfach, auch für die Regierung, denn Brasilien ist ein Land, das derzeit prosperiert wie kaum ein zweites Land auf dieser Erde: Es ist von der globalen Finanzkrise eigentlich kaum betroffen, ein Riesen-Volk, 190 Millionen Einwohner, und viele dieser Brasilianer sind in den vergangenen acht Jahren und vor allem während der Präsidentschaft von Lula da Silva von der Armenschicht aufgestiegen in die Mittelklasse. Die haben auch mehr Geld in der Tasche, die können mehr konsumieren, können sich mehr leisten, und darauf muss natürlich die Regierung auch Rücksicht nehmen, und wenn ich sage, sie können sich mehr leisten, dann auch neue Wohnungen.
Es wird mehr gebaut, und dazu ist sehr, sehr viel Holz natürlich vonnöten, und dieses Holz gibt es eben auch in den Regenwäldern. 80 Prozent übrigens der Rodungen, die werden verwendet für den innerbrasilianischen Holzmarkt. Also man hat ja immer so ein bisschen die Vorstellung, das sind wertvolle Tropenhölzer hauptsächlich, die abgeholzt werden – das auch, allerdings nur zu einem geringeren Teil. Im Wesentlichen ist es Holz, das in die brasilianische Bauindustrie dann auch geht.
Karkowsky: Dann ist es also bei diesen Abholzungen nicht so wie etwa in Argentinien, wo viele Farmer ja die Rinderzucht aufgeben, um Soja anzubauen, was lukrativer ist. Also der Sojaanbau ist es nicht, was die Farmer in Brasilien zum Abholzen bewegt?
Segador: Nur zum Teil, wie gesagt, das ist aber nicht der hauptsächliche Teil. Das hängt auch damit zusammen, dass es ein Moratorium gegeben hat, an das sich auch alle Holzhändler halten, dass nämlich Rodungen oder beziehungsweise Anbauflächen, die extra jetzt da auch dazu verwendet wurden, um noch diese Tatsachen zu schaffen, dass von diesen Leuten kein Holz gekauft wird, also wenn beispielsweise für Anbauflächen von Soja oder Zuckerrohr jetzt abgeholzt wird, dann haben sich die Holzhändler in einem Moratorium dazu verpflichtet, dass sie diesen Leuten kein Holz abkaufen, und das funktioniert auch. Deshalb ist das sicherlich ein Grund, aber nicht der Hauptgrund. Also die Holzlobby ist sicherlich der stärkere Teil.
Karkowsky: Dann lassen wir mal die Begründung fürs Abholzen beiseite. Die Klimaschutzziele Brasiliens hat ja das Land selbst aufgestellt und jeder weiß, wie gefährlich insgesamt die Klimakrise werden kann. Wie kommt es denn, dass Wirtschaftsinteressen noch immer diese Klimaziele torpedieren können? Glauben die Farmer und die Holzlobby den Warnungen der Klimaforscher nicht?
Segador: Doch, sie glauben ihnen schon, aber wie gesagt, es ist ein schmaler Grat, den Brasilien derzeit auch nimmt, zum einen natürlich die Klimaschutzziele, die formuliert worden sind in Kopenhagen 2009, man will ja bis 2020 die Rodungen – die illegalen Rodungen, muss man natürlich auch dazu sagen – um 80 Prozent reduzieren, das ist, um es salopp zu formulieren, viel Holz.
Auf der anderen Seite, wie ich vorhin schon angedeutet habe: Ein prosperierendes Volk, ein Land, das große Ereignisse vor der Tür stehen hat, die Fußball-WM, die Olympischen Spiele in Rio – da sind sehr viele Infrastrukturmaßnahmen auch nötig und da muss viel gebaut werden, da wird viel Holz benötigt. Und es ist nicht einfach auch für die Regierung, diesen schmalen Grat zu gehen, beiden Interessen dann auch wirklich Genüge zu tun. Dazu kommt, dass im kommenden Jahr die große Umweltkonferenz Rio+20 stattfinden wird. Wir erinnern uns, 1992 war ja die erste Klimakonferenz in Rio. Es soll jetzt nach 20 Jahren so etwas wie eine erste große Bilanz auch gezogen werden, und da will natürlich Brasilien als Gastgeber und auch als Gastgeber dieser ersten Konferenz vor 20 Jahren gut dastehen.
Da will man natürlich dann auch sagen können: Wir haben unsere Klimaschutzziele bis dato erreicht und wollen sie auch weiter fortsetzen. Aber wie gesagt: Die wirtschaftliche Entwicklung spielt ein bisschen auch dem Ganzen entgegen. Und man muss einfach mal sehen, auch wie die Staatspräsidentin Dilma Rousseff – die angekündigt hat, eventuell ein Veto einzulegen, sollte dieses Waldgesetz wirklich verabschiedet werden –, wie sie sich dann wirklich verhält, weil sie natürlich auch die Prosperität des eigenen Volkes im Auge behalten muss.
Karkowsky: Also einerseits Wirtschaftsaufschwung ist wichtig, andererseits hat Brasilien für sein Ziel, die Entwaldung zu stoppen, ja den sogenannten Fundo Amazônia gegründet, den Amazonienfonds für Wald- und Klimaschutz. Wissen Sie, welchen Weg man hier gehen will?
Segador: Also dieser Fonds ist eigentlich nur, ja, angesprochen worden, er ist noch nicht mit Leben gefüllt. Es ist auch sehr, sehr schwierig, weil man sich auf die Details dieses Fonds noch nicht genau einigen konnte, also da wird auch noch sehr herumgeredet. Ich denke mal, dass eben zu der großen Klimaschutzkonferenz im kommenden Jahr, die im Juni stattfinden wird, dass es da dann auch Details zu diesem Fonds geben soll.
Karkowsky: Über Brasiliens Probleme beim Regenwaldschutz Julio Segador aus dem ARD-Studio Buenos Aires.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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