"Es ist fast schon zu spät“
Die Vorsitzende der israelitischen Gemeinde in München, Charlotte Knobloch, hat die Genehmigung des geplanten NS-Dokumentationszentrums in der ehemaligen NSDAP-Parteizentrale in München begrüßt. Es sei eine "große Erleichterung", dass die Gedenkstätte auf den Weg gebracht sei, sagte Knobloch am Mittwoch im Deutschlandradio Kultur. Die Verhandlungen über die Einrichtung des Zentrums seien "lang und kompliziert" gewesen, betonte sie.
Brink: Frau Knobloch, seit Jahren zieht sich nun die Errichtung einer NS-Dokumentationsstätte hin. Heute wird der Münchner Stadtrat grünes Licht geben. Ist das ein Erfolg für Sie?
Knobloch: Ja, also bei der israelitischen Kultusgemeinde in München herrscht große Erleichterung darüber, dass nun endlich diese zentrale Forschungs- und Dokumentationseinrichtung für NS-Diktatur auf den Weg gebracht wurde. Erleichterung auch deshalb, weil sich die Verhandlungen im Vorfeld zwischen Bund, Freistaat und Landeshauptstadt sehr lange und sehr kompliziert gestalteten.
Brink: Warum hat das so lange gedauert – 60 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges?
Knobloch: Man konnte sich nicht auf einen Ort – wie soll ich sagen – verständigen, man konnte sich nicht auf die finanziellen Themen einigen, die momentan noch etwas in der Luft liegen, aber dadurch, dass jetzt der Standort der Einrichtung gewählt ist, hat sich das alles jetzt sehr positiv entwickelt.
Brink: Auf dem Standort, das ist ja der der ehemaligen NS-Parteizentrale, das so genannte "Braune Haus", will ich gleich noch zu sprechen kommen. Vorher aber noch: Sie haben von Erleichterung gesprochen, warum Erleichterung?
Knobloch: Ja, weil gerade eine solche Verpflichtung, wenn die sich so langwierig hinzieht, dann hinterlässt das einen bitteren Geschmack.
Brink: Also Sie waren enttäuscht, dass das so lange nicht passiert ist.
Knobloch: Ich meine, man sagt "lieber spät als nie", aber es ist fast schon zu spät. Aber Gottseidank ist es jetzt auf den Weg gebracht.
Brink: Fast schon zu spät. München, in der NS-Zeit die Stadt der Bewegung, hat sich lange schwergetan mit diesem Dokumentationszentrum. Es soll ja an die Täter erinnern, nicht an die Opfer. Wo muss denn da noch Aufklärung her?
Knobloch: Ja, also ideal ist zum Beispiel der Standort der Einrichtung in dieser Hinsicht historisch vorbelasteten Ort, an dem die Parteizentrale der NSDAP untergebracht war, an jenem Ort also, an dem das Menschen verachtende Regime seine Basis hatte, und da wird in Zukunft - so gehe ich davon aus - an der Konzeption jenes Regime in aller seiner Grausamkeit und Unmenschlichkeit entlarvt. Ich sehe es als späten Triumph der Demokratie über die Nazidiktatur.
Brink: Muss es Aufklärung auch liefern über die Bedingungen, warum das ausgerechnet in München passiert ist? Es ist ja ein Münchener Dokumentationszentrum.
Knobloch: Es hat sich ja dann auch hier so dargestellt, wenn man zum Beispiel auch den 9. November 1938 sieht, also alle entsetzlichen Themen sind schon auch in München geplant, die Landeshauptstadt hat sich ja von Anfang an sehr positiv zu dieser Frage gestellt, dass das jetzt auch in München stattfindet.
Brink: Sie haben es angesprochen, die Standortfrage ist geklärt, es ist das "Braune Haus", die ehemalige NS-Parteizentrale, also ein authentischer Ort, was denken Sie denn, was da geleistet werden kann an Aufklärung?
Knobloch: Ich gehe davon aus, dass in Zukunft das Forschungs- und Dokumentationszentrum mit seinen Wissenschaftlern und Ausstellungen aufklären wird und erklären wird, denn nur wer um den alltäglichen Terror im ehemaligen Nazideutschland weiß, der kann jetzt heutzutage unsere freiheitliche Gesellschaftsordnung schätzen und verteidigen, und ich meine, gerade junge Leute sind natürlich sehr empfänglich, wenn sie mit dem Ort auch gleich konfrontiert werden, nicht nur mit irgendwelchen Vorgaben, Büchern oder Reden, wenn man es jetzt mal so ausdrücken darf.
Brink: Also, Sie begrüßen es ausdrücklich, dass dort die Tätergeschichte dargestellt wird?
Knobloch: Ja, absolut.
Brink: Also die Opfer nicht zu Wort kommen oder nur wenig?
Knobloch: Nein, für die Opfer haben wir auch hier in der Umgegend Orte, an denen man sich über dieses Thema auch ein gewisses Wissen verschaffen kann.
Brink: Zum Beispiel das Konzentrationslager Dachau liegt ja bei München. Sie sagen, Sie waren erleichtert, als es nun endlich stattgefunden hat, es war fast schon zu spät. Muss es denn wirklich in jeder Stadt ein NS-Dokumentationszentrum geben?
Knobloch: Also wir haben in Nürnberg das Reichsparteitagsgelände, das ja in seiner Konzeption, wie das die Geschichte darstellt, hervorragend angenommen wird und gerade auch von jungen Menschen, und ich glaube, in München wird das auch der Fall sein. Berlin hat ja auch seine Einrichtungen, die über die Vergangenheit berichten. Das sind Städte, die natürlich mit dem Nationalsozialismus sehr verbunden waren, und wenn die das jetzt in ihren eigenen Reihen, in ihren eigenen Mauern zeigen, dann ist das schon zu begrüßen.
Brink: Meinen Sie denn, dass man die Kinder eigentlich noch erreicht 60 Jahre später?
Knobloch: Ja, man erreicht sie aber nur unter der Voraussetzung, dass ihnen vermittelt wird, dass sie nicht die Schuldigen sind, sondern dass sie die Verantwortlichen sind für die Zukunft.
Brink: Also Sie meinen, das ist auch ein Ort, wo zum Beispiel Schulen unbedingt hingehen müssen?
Knobloch: Ich gehe davon aus und sehe es ja, wie es in Dachau ist, dass es sehr intensiv von Schulen und von Schulklassen besucht wird, und wenn ich Kontakte habe mit jungen Leuten, Schülern, die sich sehr interessieren für die Vergangenheit, dann sehe ich schon: Sie wollen es aufnehmen, sie wollen nur nicht als Schuldige dastehen. Das wollen sie auf keinen Fall, und das muss man ihnen vermitteln.
Brink: Da muss man eigentlich auch in der Konzeption darauf eingehen, nicht?
Knobloch: Ja, das ist sehr wichtig und ich bin ja im Kuratorium, da werde ich auch sehr großen Wert darauf legen, weil sonst ist alles umsonst.
Brink: Wo gibt es denn noch Lücken in der Erinnerungskultur in München, wenn Sie sagen, dass es ja fast schon zu spät passiert, dieses NS-Dokumentationszentrum?
Knobloch: Also, das war das Einzige, wo ich immer noch gehofft habe, dass es doch mal zu einer guten Lösung für alle Seiten kommt, alle haben sich an den Tisch gesetzt, es ist geschaffen worden, heute hat auch der Stadtrat zugestimmt, die Staatsregierung hat sich auch schon damit befasst und hat ihre Zustimmung gezeigt. Ich glaube, mit diesem Dokumentationszentrum sind alle Lücken aufgefüllt und wir können gut in die Zukunft schauen.
Brink: Zumindest ist auch eine Wunde geschlossen. Herzlichen Dank Charlotte Knobloch, Vorsitzende der israelitischen Kultusgemeinde in München. Schönen Dank für das Gespräch!
Knobloch: Ja, also bei der israelitischen Kultusgemeinde in München herrscht große Erleichterung darüber, dass nun endlich diese zentrale Forschungs- und Dokumentationseinrichtung für NS-Diktatur auf den Weg gebracht wurde. Erleichterung auch deshalb, weil sich die Verhandlungen im Vorfeld zwischen Bund, Freistaat und Landeshauptstadt sehr lange und sehr kompliziert gestalteten.
Brink: Warum hat das so lange gedauert – 60 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges?
Knobloch: Man konnte sich nicht auf einen Ort – wie soll ich sagen – verständigen, man konnte sich nicht auf die finanziellen Themen einigen, die momentan noch etwas in der Luft liegen, aber dadurch, dass jetzt der Standort der Einrichtung gewählt ist, hat sich das alles jetzt sehr positiv entwickelt.
Brink: Auf dem Standort, das ist ja der der ehemaligen NS-Parteizentrale, das so genannte "Braune Haus", will ich gleich noch zu sprechen kommen. Vorher aber noch: Sie haben von Erleichterung gesprochen, warum Erleichterung?
Knobloch: Ja, weil gerade eine solche Verpflichtung, wenn die sich so langwierig hinzieht, dann hinterlässt das einen bitteren Geschmack.
Brink: Also Sie waren enttäuscht, dass das so lange nicht passiert ist.
Knobloch: Ich meine, man sagt "lieber spät als nie", aber es ist fast schon zu spät. Aber Gottseidank ist es jetzt auf den Weg gebracht.
Brink: Fast schon zu spät. München, in der NS-Zeit die Stadt der Bewegung, hat sich lange schwergetan mit diesem Dokumentationszentrum. Es soll ja an die Täter erinnern, nicht an die Opfer. Wo muss denn da noch Aufklärung her?
Knobloch: Ja, also ideal ist zum Beispiel der Standort der Einrichtung in dieser Hinsicht historisch vorbelasteten Ort, an dem die Parteizentrale der NSDAP untergebracht war, an jenem Ort also, an dem das Menschen verachtende Regime seine Basis hatte, und da wird in Zukunft - so gehe ich davon aus - an der Konzeption jenes Regime in aller seiner Grausamkeit und Unmenschlichkeit entlarvt. Ich sehe es als späten Triumph der Demokratie über die Nazidiktatur.
Brink: Muss es Aufklärung auch liefern über die Bedingungen, warum das ausgerechnet in München passiert ist? Es ist ja ein Münchener Dokumentationszentrum.
Knobloch: Es hat sich ja dann auch hier so dargestellt, wenn man zum Beispiel auch den 9. November 1938 sieht, also alle entsetzlichen Themen sind schon auch in München geplant, die Landeshauptstadt hat sich ja von Anfang an sehr positiv zu dieser Frage gestellt, dass das jetzt auch in München stattfindet.
Brink: Sie haben es angesprochen, die Standortfrage ist geklärt, es ist das "Braune Haus", die ehemalige NS-Parteizentrale, also ein authentischer Ort, was denken Sie denn, was da geleistet werden kann an Aufklärung?
Knobloch: Ich gehe davon aus, dass in Zukunft das Forschungs- und Dokumentationszentrum mit seinen Wissenschaftlern und Ausstellungen aufklären wird und erklären wird, denn nur wer um den alltäglichen Terror im ehemaligen Nazideutschland weiß, der kann jetzt heutzutage unsere freiheitliche Gesellschaftsordnung schätzen und verteidigen, und ich meine, gerade junge Leute sind natürlich sehr empfänglich, wenn sie mit dem Ort auch gleich konfrontiert werden, nicht nur mit irgendwelchen Vorgaben, Büchern oder Reden, wenn man es jetzt mal so ausdrücken darf.
Brink: Also, Sie begrüßen es ausdrücklich, dass dort die Tätergeschichte dargestellt wird?
Knobloch: Ja, absolut.
Brink: Also die Opfer nicht zu Wort kommen oder nur wenig?
Knobloch: Nein, für die Opfer haben wir auch hier in der Umgegend Orte, an denen man sich über dieses Thema auch ein gewisses Wissen verschaffen kann.
Brink: Zum Beispiel das Konzentrationslager Dachau liegt ja bei München. Sie sagen, Sie waren erleichtert, als es nun endlich stattgefunden hat, es war fast schon zu spät. Muss es denn wirklich in jeder Stadt ein NS-Dokumentationszentrum geben?
Knobloch: Also wir haben in Nürnberg das Reichsparteitagsgelände, das ja in seiner Konzeption, wie das die Geschichte darstellt, hervorragend angenommen wird und gerade auch von jungen Menschen, und ich glaube, in München wird das auch der Fall sein. Berlin hat ja auch seine Einrichtungen, die über die Vergangenheit berichten. Das sind Städte, die natürlich mit dem Nationalsozialismus sehr verbunden waren, und wenn die das jetzt in ihren eigenen Reihen, in ihren eigenen Mauern zeigen, dann ist das schon zu begrüßen.
Brink: Meinen Sie denn, dass man die Kinder eigentlich noch erreicht 60 Jahre später?
Knobloch: Ja, man erreicht sie aber nur unter der Voraussetzung, dass ihnen vermittelt wird, dass sie nicht die Schuldigen sind, sondern dass sie die Verantwortlichen sind für die Zukunft.
Brink: Also Sie meinen, das ist auch ein Ort, wo zum Beispiel Schulen unbedingt hingehen müssen?
Knobloch: Ich gehe davon aus und sehe es ja, wie es in Dachau ist, dass es sehr intensiv von Schulen und von Schulklassen besucht wird, und wenn ich Kontakte habe mit jungen Leuten, Schülern, die sich sehr interessieren für die Vergangenheit, dann sehe ich schon: Sie wollen es aufnehmen, sie wollen nur nicht als Schuldige dastehen. Das wollen sie auf keinen Fall, und das muss man ihnen vermitteln.
Brink: Da muss man eigentlich auch in der Konzeption darauf eingehen, nicht?
Knobloch: Ja, das ist sehr wichtig und ich bin ja im Kuratorium, da werde ich auch sehr großen Wert darauf legen, weil sonst ist alles umsonst.
Brink: Wo gibt es denn noch Lücken in der Erinnerungskultur in München, wenn Sie sagen, dass es ja fast schon zu spät passiert, dieses NS-Dokumentationszentrum?
Knobloch: Also, das war das Einzige, wo ich immer noch gehofft habe, dass es doch mal zu einer guten Lösung für alle Seiten kommt, alle haben sich an den Tisch gesetzt, es ist geschaffen worden, heute hat auch der Stadtrat zugestimmt, die Staatsregierung hat sich auch schon damit befasst und hat ihre Zustimmung gezeigt. Ich glaube, mit diesem Dokumentationszentrum sind alle Lücken aufgefüllt und wir können gut in die Zukunft schauen.
Brink: Zumindest ist auch eine Wunde geschlossen. Herzlichen Dank Charlotte Knobloch, Vorsitzende der israelitischen Kultusgemeinde in München. Schönen Dank für das Gespräch!