"Es ist ja nicht so, dass die 'Spatzen' alle kein Instrument beherrschen"
Die Volksmusik-Gruppe Kastelruther Spatzen habe ihre Fans nicht betrogen, als sie sich bei Plattenaufnahmen von professionellen Instrumentalisten helfen ließ, sagt der Medienmanagement-Experte Martin Lücke. Das sei Alltag in allen Musikrichtungen.
Susanne Führer: 13 Mal haben die Kastelruther Spatzen den Deutschen Musikpreis "Echo" gewonnen, und zwar jeweils für eine CD, auf der von den sieben Spatzen tatsächlich nur einer zu hören war, der Sänger Norbert Rier nämlich. Alle anderen wurden durch professionelle Studiomusiker ersetzt. Die Bild-Zeitung hat das vor einer Woche öffentlich gemacht, und seitdem gibt es viel Häme, aber auch viele Liebeserklärungen der Fans. Manche halten das für die passende Begleitmusik zum ohnehin stattfindenden Untergang des volkstümlichen Schlagers.
Martin Lücke ist Professor für Medienmanagement in München und Autor des Buchs "Die hundert Schlager des Jahrhunderts". Guten Tag, Herr Lücke.
Martin Lücke: Guten Tag, ich grüße Sie.
Führer: Haben die Kastelruther Spatzen betrogen?
Lücke: Also sie haben vielleicht nicht zu 100 Prozent immer die reine Wahrheit gesagt, aber sie haben auch deshalb nicht betrogen, denn sie haben auf ihren CDs ja immer auch geschrieben, dass es Studiomusiker gegeben hat. Dass sich jetzt sozusagen viele darüber aufregen, dass Studiomusiker bei Tonträgerproduktionen im Einsatz sind, überrascht mich schon. Denn es ist eigentlich Alltag. Sonst würde es das Berufsbild Studiomusiker eigentlich gar nicht geben.
Führer: Ist das Alltag in allen Musiksparten oder hauptsächlich beim volkstümlichen Schlager?
Lücke: Nein, es ist tendenziell erst einmal in allen Musikrichtungen Alltag. Nicht jede Band nutzt Studiomusiker, gar keine Frage. Es kommt aber immer auf die Produktion an. Möchte ich einfach eine gute Produktion, eine technisch ausgefeilte Produktion haben, wo auch mehr Instrumente zu hören sind, als sie zum Beispiel eine Band beherrscht. Dann muss ich einfach ganz normal auf Studiomusiker zurückgreifen. Das machen die Jazzer, das machen Rocker, das machen … im Bereich Schlager oder auch im Bereich volkstümlicher Schlager.
Führer: Na gut, okay, da kommen dann zusätzliche Musiker hinzu. Aber in diesem Fall sind die ja ersetzt worden. Das ist ja schon ein bisschen pikant.
Lücke: Pikant, ja.
Führer: Denn es ist immer noch das Foto der Band – ich weiß gar nicht, ob man das in diesem Zusammenhang sagen darf – der sieben "Spatzen" auf dem Cover.
Lücke: Da haben Sie natürlich recht, man muss in dem Sinne unterscheiden: Sie können ja live spielen. Es ist ja nicht so, dass die "Spatzen" alle kein Instrument beherrschen. Man hat sich entschlossen zu sagen, wir nehmen sehr gute, professionelle Studiomusiker, um einfach die Studiozeit so kurz wie möglich zu halten. Das ist einfach etwas, was in der Branche, die mit massiven Tonträger-Rückgängen zu kämpfen hat, einfach ein ganz wichtiges Gut ist, denn eine Studioproduktion ist teuer, Studiozeit ist teuer, und das hat man auf diese Art und Weise versucht zu sparen. Bei ihren Liveauftritten spielen die "Spatzen" selbst.
Führer: Das heißt, man kann aber schon vermuten, dass es vielleicht gerade beim volkstümlichen Schlager besonders häufig vorkommt, wenn man, wie die Kastelruther Spatzen, eben als Dorfkapelle gestartet ist, dann ist irgendwann das Niveau, das musikalische Niveau einfach beschränkt.
Lücke: Ja. Es sind keine studierten Musiker. Das kennt man aber auch aus anderen Bereichen, wo auch Musiker ein bestimmtes Niveau erreichen und irgendwann ist Schluss. Und dann muss man sich einfach entscheiden: Bleiben wir als Gesamtband auf diesem Niveau oder versuchen wir nicht, gerade für Studioproduktionen das Niveau noch mal ein wenig anzuheben.
Führer: Nun ist das also seit einer Woche in der Welt, und das Gästebuch der Kastelruther Spatzen, also auf deren Homepage, ist nun trotzdem oder gerade deswegen voll mit Liebeserklärungen. Man kann vermuten, dass kritische Stimmen da gar nicht erst veröffentlicht werden, aber ich zitiere trotzdem mal eine: "Die große Fanfamilie ist jetzt noch näher zusammengerückt, und das zeigt doch, wie sehr wir euch lieben und an euch glauben." Wenn man das pars pro toto nimmt, kann man dann annehmen, dass es unter den Fans des volkstümlichen Schlagers vielleicht ein besonders starkes Gefühl des Zusammenhalts gibt? Also stärker, sagen wir, als unter Techno- oder Jazzfans?
Lücke: Ja, das würde ich schon sagen. Also die Fans vieler volkstümlicher Künstler oder auch Schlagerkünstler sind sehr langlebig in dem Sinne. Es geht also wirklich um sehr lange, intensive Fan-Freundschaften oder Fan-Beziehungen, was auch daran liegt, dass viele dann zum Fan werden, wenn sie bereits ein bestimmtes Alter erreicht haben. Es geht also hier nicht immer um die 12-, 13-Jährigen, die alle zwei Wochen ihren Musikgeschmack ändern, sondern es sind Menschen, Männer und Frauen, die bereits im Leben stehen. Und die haben sich, warum auch immer, in dem Sinne dafür entschieden, dass sie so eine Musik wie die der Kastelruther Spatzen gut finden, dieses Image gut finden, ein bisschen heile Welt, was dort vermittelt wird, gute Laune, wenig Probleme, nach dem Motto: Die habe ich schon genug im Alltag. Also bin ich doch froh, wenn ich abends so eine Art von Musik hören kann.
Ich hätte auch mehr kritische Stimmen vielleicht im ersten Moment erwartet, gar keine Frage. Nun sind aber die meisten Fans, ich will nicht sagen – "musikalisch ungebildet" wäre das falsche Wort, das soll jetzt nicht falsch verstanden werden, aber da geht es jetzt nicht darum, ob jetzt sieben, acht oder neun verschiedene Harmonien im Sieben-Achtel- oder Fünfzehn-Sechszehntel-Takt gespielt werden. Das interessiert diese Sorte Fans nicht, sondern sie wollen ein Image einfach haben.
Führer: Der Musikwissenschaftler Martin Lücke im Deutschlandradio Kultur, wir sprechen über den volkstümlichen Schlager und die Kastelruther Spatzen. Herr Lücke, Sie haben jetzt gerade von dieser heilen Welt gesprochen. Nun ist es wahrscheinlich ja nicht so, dass diejenigen, die Beethovens Neunte hören, dabei immer ganz betroffen an den Bürgerkrieg in Syrien denken. Also ich meine, es ist so leicht natürlich, über diesen volkstümlichen Schlager sich so hämisch zu äußern und über diese bisweilen ja wirklich dämlichen Texte, aber trotzdem noch einmal die Frage: Was zeichnet den aus? Also was macht den so beliebt?
Lücke: Der ist einfach rezipierbar. Für alle, theoretisch. Ich brauche kein musikalisches Grundverständnis, um diese Musik zu verstehen, die Texte sind nicht großartig zweideutig, sondern auch die sind einfach zu verstehen. Und das spricht einfach sehr viele Menschen immer noch positiv an. Einfach rezipierbare Musik, die leicht verständlich ist.
Führer: Man konnte sich ja eine Zeit lang vor diesen sogenannten Volksmusiksendungen im Fernsehen kaum retten. Also immer, wenn man einschaltete, war da, wurde da was gesungen. Heute wird immer getalkt. Inzwischen sind ja einige dieser Sendungen wieder eingestellt worden, und auch die Radioprogramme spielen inzwischen kaum noch volkstümlichen Schlager. Steckt diese Musikrichtung also jetzt tatsächlich in der Krise, wie viele meinen?
Lücke: Ja, definitiv. Der Wegfall der Fernsehsendungen ist definitiv das größte Problem für die gesamte Branche. Denn man benötigt immer noch Massenmedien, und das ist idealerweise das Fernsehen, um entweder alte Künstler oder auch neue Künstler einem breiten Publikum bekannt zu machen. Es kann nichts Besseres geben als einen Newcomer bei den "Festen der Volksmusik", die es zum Beispiel noch gibt, zu positionieren. Dann kennen ihn danach sieben Millionen Menschen. Das ist über, ich sag mal, kleine Tourneen und Auftritte einfach viel schwieriger. Und da ist einfach eine Masse an Sendezeit in den letzten Jahren verloren gegangen, und das spürt die Branche.
Führer: Aber es gibt ja auch noch den "Musikantenstadl" und so weiter.
Lücke: Genau! Also es gibt noch den "Musikantenstadl", das ist eigentlich das einzige reine Format, wo noch vor allem volkstümlicher Schlager zu hören ist. Der Rest heißt zum Teil noch so wie die "Feste der Volksmusik", da sehen Sie aber vom volkstümlichen Schlager vielleicht mal einen oder zwei Acts in einer Sendung. Im Großen und Ganzen ist das Schlager bis hin zu Pop, der dort gezeigt wird.
Führer: Also Krise heißt in diesem Fall weniger Sendungen und damit auch weniger Fans?
Lücke: Damit weniger Fans, weil im ersten Moment weniger Fans überhaupt angesprochen werden.
Führer: Wer ist denn überhaupt der typische Fan?
Lücke: Der typische Fan – also bei den Tonträgerkäufern weiß man das relativ genau. Der große Durchschnitt ist über 50, 55. Bei Konzerten ist es auch so 50, 55 aufwärts, was aber nicht bedeutet, dass es keine jüngeren Fans gibt. Das kommt immer dann noch mal auf den entsprechenden Künstler an. Ein Andreas Gabalier, der gerade quasi neu oder relativ neu auf dem Markt aufgekommen ist, oder eine Helene Fischer im Bereich Schlager haben ein jüngeres Publikum als beispielsweise die Kastelruther Spatzen.
Führer: Trotzdem ist es ja ein relativ hohes Durchschnittsalter, ähnlich wie bei der klassischen Musik übrigens, und da geht ja auch die Angst um, dass das Publikum so langsam wegstirbt. Wird das auch passieren?
Lücke: Also sagen wir mal so: Diese Angst hat die Branche definitiv. Und es gibt momentan verschiedenste Versuche, quasi neue Künstlertypen aufzubauen, die durch ihr Image und auch zum Teil durch die gespielte Musik versuchen wollen, eine jüngere Zielgruppe anzusprechen. Ob das wirklich gelingt, zeigen letztendlich erst die nächsten fünf bis sechs Jahre. Dann wird man wirklich sehen können, ob diese Musik ein junges Publikum erreichen kann.
Führer: Volksmusik war ja auch vor 20, 30, 40 Jahren beliebt oder, sagen wir mal volkstümlicher Schlager in diesem Fall korrekterweise. Es gibt ja auch die These, dass erstaunlicherweise immer wieder Publikum nachwächst.
Lücke: Das ist definitiv der Fall. Das kann man auch sehen.
Führer: Also wer mit 25 noch nicht Fan war, wird es dann aber mit 55.
Lücke: Das kann man nicht automatisch sagen. Nicht jeder mit 55 wird auf einmal Fan dieser Art von Musik. Ich muss damit einfach frühzeitig überhaupt erst mal in Berührung gekommen sein. Das ist ebenso wie mit der klassischen Musik. Wenn ich mit klassischer Musik nicht irgendwie mal im Kindes- oder Jugendalter in Berührung gekommen bin, werde ich nicht einfach zum Klassikfan. Und so ähnlich ist es auch mit volkstümlichem Schlager, mit Schlager, womit auch immer. Ich muss damit positiv berührt worden sein. Dann ist eine Chance da, dass ich im Alter mich dieser Musik wieder zuwende. Ansonsten passiert das aber nicht.
Führer: Das heißt, Herr Lücke, wenn ich Sie richtig verstehe, dann gibt es zwar zurzeit eine Krise, aber die Situation ist nicht hoffnungslos für den volkstümlichen Schlager?
Lücke: Hoffnungslos ist die Situation definitiv nicht in meinen Augen. Es wird einfach darauf ankommen, mit neuen Künstlern neue Fans, neue Zielgruppen bewusst anzusprechen. Wir dürfen nicht vergessen, der volkstümliche Schlager hatte in den letzten Jahren bei Tonträgern immer einen Anteil von zweieinhalb Prozent, zwei Prozent. Wir sind jetzt ungefähr bei 1,9 Prozent. Es war jetzt noch nie der riesige Massenmarkt, den sich manche darunter vorstellen, wie Pop- oder Rockmusik. Sondern klein, aber fein in dem Sinne in der Nische, und die ist aber immer noch da.
Führer: Das sagt Martin Lücke, Professor für Medienmanagement in München und Autor des Buchs "Die hundert Schlager des Jahrhunderts". Ich danke Ihnen für das Gespräch, Herr Lücke.
Lücke: Ja, vielen Dank.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Martin Lücke ist Professor für Medienmanagement in München und Autor des Buchs "Die hundert Schlager des Jahrhunderts". Guten Tag, Herr Lücke.
Martin Lücke: Guten Tag, ich grüße Sie.
Führer: Haben die Kastelruther Spatzen betrogen?
Lücke: Also sie haben vielleicht nicht zu 100 Prozent immer die reine Wahrheit gesagt, aber sie haben auch deshalb nicht betrogen, denn sie haben auf ihren CDs ja immer auch geschrieben, dass es Studiomusiker gegeben hat. Dass sich jetzt sozusagen viele darüber aufregen, dass Studiomusiker bei Tonträgerproduktionen im Einsatz sind, überrascht mich schon. Denn es ist eigentlich Alltag. Sonst würde es das Berufsbild Studiomusiker eigentlich gar nicht geben.
Führer: Ist das Alltag in allen Musiksparten oder hauptsächlich beim volkstümlichen Schlager?
Lücke: Nein, es ist tendenziell erst einmal in allen Musikrichtungen Alltag. Nicht jede Band nutzt Studiomusiker, gar keine Frage. Es kommt aber immer auf die Produktion an. Möchte ich einfach eine gute Produktion, eine technisch ausgefeilte Produktion haben, wo auch mehr Instrumente zu hören sind, als sie zum Beispiel eine Band beherrscht. Dann muss ich einfach ganz normal auf Studiomusiker zurückgreifen. Das machen die Jazzer, das machen Rocker, das machen … im Bereich Schlager oder auch im Bereich volkstümlicher Schlager.
Führer: Na gut, okay, da kommen dann zusätzliche Musiker hinzu. Aber in diesem Fall sind die ja ersetzt worden. Das ist ja schon ein bisschen pikant.
Lücke: Pikant, ja.
Führer: Denn es ist immer noch das Foto der Band – ich weiß gar nicht, ob man das in diesem Zusammenhang sagen darf – der sieben "Spatzen" auf dem Cover.
Lücke: Da haben Sie natürlich recht, man muss in dem Sinne unterscheiden: Sie können ja live spielen. Es ist ja nicht so, dass die "Spatzen" alle kein Instrument beherrschen. Man hat sich entschlossen zu sagen, wir nehmen sehr gute, professionelle Studiomusiker, um einfach die Studiozeit so kurz wie möglich zu halten. Das ist einfach etwas, was in der Branche, die mit massiven Tonträger-Rückgängen zu kämpfen hat, einfach ein ganz wichtiges Gut ist, denn eine Studioproduktion ist teuer, Studiozeit ist teuer, und das hat man auf diese Art und Weise versucht zu sparen. Bei ihren Liveauftritten spielen die "Spatzen" selbst.
Führer: Das heißt, man kann aber schon vermuten, dass es vielleicht gerade beim volkstümlichen Schlager besonders häufig vorkommt, wenn man, wie die Kastelruther Spatzen, eben als Dorfkapelle gestartet ist, dann ist irgendwann das Niveau, das musikalische Niveau einfach beschränkt.
Lücke: Ja. Es sind keine studierten Musiker. Das kennt man aber auch aus anderen Bereichen, wo auch Musiker ein bestimmtes Niveau erreichen und irgendwann ist Schluss. Und dann muss man sich einfach entscheiden: Bleiben wir als Gesamtband auf diesem Niveau oder versuchen wir nicht, gerade für Studioproduktionen das Niveau noch mal ein wenig anzuheben.
Führer: Nun ist das also seit einer Woche in der Welt, und das Gästebuch der Kastelruther Spatzen, also auf deren Homepage, ist nun trotzdem oder gerade deswegen voll mit Liebeserklärungen. Man kann vermuten, dass kritische Stimmen da gar nicht erst veröffentlicht werden, aber ich zitiere trotzdem mal eine: "Die große Fanfamilie ist jetzt noch näher zusammengerückt, und das zeigt doch, wie sehr wir euch lieben und an euch glauben." Wenn man das pars pro toto nimmt, kann man dann annehmen, dass es unter den Fans des volkstümlichen Schlagers vielleicht ein besonders starkes Gefühl des Zusammenhalts gibt? Also stärker, sagen wir, als unter Techno- oder Jazzfans?
Lücke: Ja, das würde ich schon sagen. Also die Fans vieler volkstümlicher Künstler oder auch Schlagerkünstler sind sehr langlebig in dem Sinne. Es geht also wirklich um sehr lange, intensive Fan-Freundschaften oder Fan-Beziehungen, was auch daran liegt, dass viele dann zum Fan werden, wenn sie bereits ein bestimmtes Alter erreicht haben. Es geht also hier nicht immer um die 12-, 13-Jährigen, die alle zwei Wochen ihren Musikgeschmack ändern, sondern es sind Menschen, Männer und Frauen, die bereits im Leben stehen. Und die haben sich, warum auch immer, in dem Sinne dafür entschieden, dass sie so eine Musik wie die der Kastelruther Spatzen gut finden, dieses Image gut finden, ein bisschen heile Welt, was dort vermittelt wird, gute Laune, wenig Probleme, nach dem Motto: Die habe ich schon genug im Alltag. Also bin ich doch froh, wenn ich abends so eine Art von Musik hören kann.
Ich hätte auch mehr kritische Stimmen vielleicht im ersten Moment erwartet, gar keine Frage. Nun sind aber die meisten Fans, ich will nicht sagen – "musikalisch ungebildet" wäre das falsche Wort, das soll jetzt nicht falsch verstanden werden, aber da geht es jetzt nicht darum, ob jetzt sieben, acht oder neun verschiedene Harmonien im Sieben-Achtel- oder Fünfzehn-Sechszehntel-Takt gespielt werden. Das interessiert diese Sorte Fans nicht, sondern sie wollen ein Image einfach haben.
Führer: Der Musikwissenschaftler Martin Lücke im Deutschlandradio Kultur, wir sprechen über den volkstümlichen Schlager und die Kastelruther Spatzen. Herr Lücke, Sie haben jetzt gerade von dieser heilen Welt gesprochen. Nun ist es wahrscheinlich ja nicht so, dass diejenigen, die Beethovens Neunte hören, dabei immer ganz betroffen an den Bürgerkrieg in Syrien denken. Also ich meine, es ist so leicht natürlich, über diesen volkstümlichen Schlager sich so hämisch zu äußern und über diese bisweilen ja wirklich dämlichen Texte, aber trotzdem noch einmal die Frage: Was zeichnet den aus? Also was macht den so beliebt?
Lücke: Der ist einfach rezipierbar. Für alle, theoretisch. Ich brauche kein musikalisches Grundverständnis, um diese Musik zu verstehen, die Texte sind nicht großartig zweideutig, sondern auch die sind einfach zu verstehen. Und das spricht einfach sehr viele Menschen immer noch positiv an. Einfach rezipierbare Musik, die leicht verständlich ist.
Führer: Man konnte sich ja eine Zeit lang vor diesen sogenannten Volksmusiksendungen im Fernsehen kaum retten. Also immer, wenn man einschaltete, war da, wurde da was gesungen. Heute wird immer getalkt. Inzwischen sind ja einige dieser Sendungen wieder eingestellt worden, und auch die Radioprogramme spielen inzwischen kaum noch volkstümlichen Schlager. Steckt diese Musikrichtung also jetzt tatsächlich in der Krise, wie viele meinen?
Lücke: Ja, definitiv. Der Wegfall der Fernsehsendungen ist definitiv das größte Problem für die gesamte Branche. Denn man benötigt immer noch Massenmedien, und das ist idealerweise das Fernsehen, um entweder alte Künstler oder auch neue Künstler einem breiten Publikum bekannt zu machen. Es kann nichts Besseres geben als einen Newcomer bei den "Festen der Volksmusik", die es zum Beispiel noch gibt, zu positionieren. Dann kennen ihn danach sieben Millionen Menschen. Das ist über, ich sag mal, kleine Tourneen und Auftritte einfach viel schwieriger. Und da ist einfach eine Masse an Sendezeit in den letzten Jahren verloren gegangen, und das spürt die Branche.
Führer: Aber es gibt ja auch noch den "Musikantenstadl" und so weiter.
Lücke: Genau! Also es gibt noch den "Musikantenstadl", das ist eigentlich das einzige reine Format, wo noch vor allem volkstümlicher Schlager zu hören ist. Der Rest heißt zum Teil noch so wie die "Feste der Volksmusik", da sehen Sie aber vom volkstümlichen Schlager vielleicht mal einen oder zwei Acts in einer Sendung. Im Großen und Ganzen ist das Schlager bis hin zu Pop, der dort gezeigt wird.
Führer: Also Krise heißt in diesem Fall weniger Sendungen und damit auch weniger Fans?
Lücke: Damit weniger Fans, weil im ersten Moment weniger Fans überhaupt angesprochen werden.
Führer: Wer ist denn überhaupt der typische Fan?
Lücke: Der typische Fan – also bei den Tonträgerkäufern weiß man das relativ genau. Der große Durchschnitt ist über 50, 55. Bei Konzerten ist es auch so 50, 55 aufwärts, was aber nicht bedeutet, dass es keine jüngeren Fans gibt. Das kommt immer dann noch mal auf den entsprechenden Künstler an. Ein Andreas Gabalier, der gerade quasi neu oder relativ neu auf dem Markt aufgekommen ist, oder eine Helene Fischer im Bereich Schlager haben ein jüngeres Publikum als beispielsweise die Kastelruther Spatzen.
Führer: Trotzdem ist es ja ein relativ hohes Durchschnittsalter, ähnlich wie bei der klassischen Musik übrigens, und da geht ja auch die Angst um, dass das Publikum so langsam wegstirbt. Wird das auch passieren?
Lücke: Also sagen wir mal so: Diese Angst hat die Branche definitiv. Und es gibt momentan verschiedenste Versuche, quasi neue Künstlertypen aufzubauen, die durch ihr Image und auch zum Teil durch die gespielte Musik versuchen wollen, eine jüngere Zielgruppe anzusprechen. Ob das wirklich gelingt, zeigen letztendlich erst die nächsten fünf bis sechs Jahre. Dann wird man wirklich sehen können, ob diese Musik ein junges Publikum erreichen kann.
Führer: Volksmusik war ja auch vor 20, 30, 40 Jahren beliebt oder, sagen wir mal volkstümlicher Schlager in diesem Fall korrekterweise. Es gibt ja auch die These, dass erstaunlicherweise immer wieder Publikum nachwächst.
Lücke: Das ist definitiv der Fall. Das kann man auch sehen.
Führer: Also wer mit 25 noch nicht Fan war, wird es dann aber mit 55.
Lücke: Das kann man nicht automatisch sagen. Nicht jeder mit 55 wird auf einmal Fan dieser Art von Musik. Ich muss damit einfach frühzeitig überhaupt erst mal in Berührung gekommen sein. Das ist ebenso wie mit der klassischen Musik. Wenn ich mit klassischer Musik nicht irgendwie mal im Kindes- oder Jugendalter in Berührung gekommen bin, werde ich nicht einfach zum Klassikfan. Und so ähnlich ist es auch mit volkstümlichem Schlager, mit Schlager, womit auch immer. Ich muss damit positiv berührt worden sein. Dann ist eine Chance da, dass ich im Alter mich dieser Musik wieder zuwende. Ansonsten passiert das aber nicht.
Führer: Das heißt, Herr Lücke, wenn ich Sie richtig verstehe, dann gibt es zwar zurzeit eine Krise, aber die Situation ist nicht hoffnungslos für den volkstümlichen Schlager?
Lücke: Hoffnungslos ist die Situation definitiv nicht in meinen Augen. Es wird einfach darauf ankommen, mit neuen Künstlern neue Fans, neue Zielgruppen bewusst anzusprechen. Wir dürfen nicht vergessen, der volkstümliche Schlager hatte in den letzten Jahren bei Tonträgern immer einen Anteil von zweieinhalb Prozent, zwei Prozent. Wir sind jetzt ungefähr bei 1,9 Prozent. Es war jetzt noch nie der riesige Massenmarkt, den sich manche darunter vorstellen, wie Pop- oder Rockmusik. Sondern klein, aber fein in dem Sinne in der Nische, und die ist aber immer noch da.
Führer: Das sagt Martin Lücke, Professor für Medienmanagement in München und Autor des Buchs "Die hundert Schlager des Jahrhunderts". Ich danke Ihnen für das Gespräch, Herr Lücke.
Lücke: Ja, vielen Dank.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.