"Es ist Kopfschütteln da"

Ulrich Kirsch im Gespräch mit Nana Brink · 18.12.2009
Der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes, Ulrich Kirsch, erwartet von Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU), eine deutlichere Aussage zu dem umstrittenen Luftangriff bei Kundus - und zu seiner Einschätzung der Nichtangemessenheit. "Da fehlt noch die Begründung", sagte Kirsch.
Nana Brink: Der aufgeregte Streit über den tödlichen Luftangriff von Kundus zieht nach der Konstituierung des Untersuchungsausschusses Mitte der Woche weitere Kreise, und der Ton wird giftiger. SPD-Chef Sigmar Gabriel hielt Verteidigungsminister zu Guttenberg vor, er habe einfach einen hoch verdienten General rausgeschmissen, um selbst gut dazustehen.

Gemeint ist die Entlassung des Generalinspekteurs Schneiderhan. Und aus Sicht des Wehrbeauftragten Reinhold Robbe hingegen bedrohe der aufgeregte Streit das Vertrauen der Soldaten in die politische Führung der Bundeswehr.

Was denken denn eigentlich die Soldaten? Darüber möchte ich jetzt mit Ulrich Kirsch, Vorsitzender des Bundeswehrverbandes, der Vertretung der Soldaten, sprechen. Einen schönen guten Morgen, Herr Kirsch.

Ulrich Kirsch: Guten Morgen, Frau Brink.

Brink: Neben dem politischen Wirbel, den die Kundus-Affäre produziert, was sagen Ihnen die Soldaten? Wie bewerten Sie die Vorgänge?

Kirsch: Der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages hat ja gestern in der "Bild"-Zeitung dazu ein Interview abgegeben, und ich kann das nur bestätigen, was er sagt. Das ist auch die Reaktion, die ich erfahre. Es ist Kopfschütteln da.

Es ist Kopfschütteln deswegen da, weil man sich fragt, warum gelingt es dem Auftraggeber Parlament nicht, nun einen Schulterschluss herzustellen, um uns, dem Auftragnehmer, nämlich den Streitkräften, denn wir sind eine Parlamentsarmee, klar zu sagen, wie die Zusammenhänge sind und wie der Auftrag exakt ausschauen muss, vor allen Dingen was die Rechtssicherheit und Verhaltenssicherheit angeht.

Brink: Aber gibt es denn nicht da doch ein paar offene Fragen? Es gibt jetzt neue Informationen, es soll neues Bildmaterial geben, es gab schon Bildmaterial, das Kommando Spezialkräfte hatte dies zur Verfügung.

Danach sieht man nicht nur Taliban, sondern auch Unbewaffnete, und dies, so hört man auch aus dem Verteidigungsministerium, ist ja nicht durch das Mandat gedeckt. Die Tötung von Gegnern ist nicht durch das Mandat gedeckt. Also hat Oberst Klein doch falsch gehandelt?

Kirsch: Es sagt das Verteidigungsministerium genau das Gegenteil im Moment. Das Verteidigungsministerium sagt, hier greift das Völkerstrafrecht. Aber da ist aus meiner Sicht nicht das Verteidigungsministerium gefragt, sondern das Parlament ist gefragt, um deutlich zu machen, dass wir in Afghanistan, speziell im Raum Kundus, nicht in Masar-e Scharif, nicht in Feisabad, sondern im Raum Kundus einen nicht international bewaffneten Konflikt haben und dass wir dort Kriegszustände haben, die sich sehr regional auf den Raum der Paschtunen um Kundus beziehen.

Das müssen wir vom Parlament hören, und dann müssen wir auch vom Parlament hören und nicht von der Bundesanwaltschaft, dass es sich in dem Zusammenhang um die Anwendung des Völkerstrafgesetzbuches handelt und auch letztendlich um das humanitäre Völkerrecht. Das ist eine Aufgabe des Parlaments, das zu debattieren und klarzustellen. Dass das dann hinterher juristisch zu bewerten ist, ist eine andere Frage.

Zu dem, was Sie gerade sagten, was die ständig neuen Bilder angeht: Wissen Sie, das kann ja keiner mehr nachvollziehen, und das kann auch keiner mehr verfolgen. Ich kenne die Geheimberichte natürlich auch nicht, weil ich Interessenvertreter bin und die mir nicht zur Verfügung stehen. Aber nun müssen wir einfach mal aushalten, dass es da irgendwann ein abschließendes Bild gibt, und dafür ist der Untersuchungsausschuss da richtigerweise installiert worden.

Jetzt zu mutmaßen, dass das nun doch noch mal anders war als vielleicht gestern oder vorgestern, hilft uns keinen Millimeter weiter. Es geht um die Frage der Einordnung der Situation, die wir ganz speziell in Kundus haben, und das verlange ich vom Parlament, von unserem Auftraggeber.

Brink: In der Geschichte der Bundeswehr gab es ja noch nie einen so schwierigen Einsatz, rechtlich wie militärisch. Sie haben es umrissen. Bleiben wir beim Militärischen und bleiben wir noch mal bei diesem Mandat.

Eine gezielte Tötung von Gegnern, wie sie angeblich ja stattgefunden hat, ist nicht vom Bundestagsmandat gedeckt. Das berichtet die "Leipziger Volkszeitung" von heute unter Berufung auf das Verteidigungsministerium. Sie selber haben aber gesagt, wir müssen auch töten, um uns zu schützen.

Kirsch: Ja, natürlich!

Brink: Will man das in Deutschland nicht zur Kenntnis nehmen?

Kirsch: Das will man in Deutschland nicht zur Kenntnis nehmen. Wenn wir in einer kriegerischen Auseinandersetzung einen Gegner klar ausgemacht haben, erkannt haben, dann lässt das Völkerstrafrecht es auch zu, dass man militärisch handelt.

Das setzt aber eben voraus – ich wiederhole mich noch mal -, dass eben anerkannt ist, dass es um einen nicht international bewaffneten Konflikt geht. So sagen das die Völkerrechtler, fürchterlich kompliziert. Man könnte auch Guerilla-Krieg dazu sagen oder eine Art Guerilla-Krieg. Das muss eben besser beim Namen genannt werden, damit das auch in diesem Land verstanden wird. Ich bemühe mich darum.

Brink: Der Verteidigungsminister zu Guttenberg genoss ja bei Amtsantritt, so hatte man zumindest den Eindruck, hohes Ansehen bei den Soldatinnen und Soldaten. Dann hat er innerhalb weniger Tage seine Meinung zum Luftangriff geändert, von "militärisch angemessen" zu "militärisch unangemessen", und er hat den höchsten deutschen Soldaten, Generalinspekteur Schneiderhan, gefeuert. Da wiederum hat der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses Polenz von der CDU gesagt, Herr Schneiderhan solle sich doch ein bisschen zurückhalten mit seiner Kritik. Wie kommt das an in der Truppe?

Kirsch: Zunächst einmal zu der Frage, wie hat der Minister sich letztendlich anders ausgedrückt, was die Angemessenheit und Nichtangemessenheit angeht. Ich erwarte vom Minister zu Guttenberg, dass er klar und deutlich sagt, wie er zu der Einschätzung der Nichtangemessenheit gekommen ist. Da fehlt noch die Begründung.

Was General Schneiderhan angeht, so ist es für jemand, der nicht bei den Gesprächen dabei war, der nicht dabei war, als irgendwelche Schriftstücke paraphiert worden sind, unheimlich schwer, das zu bewerten. Ich hielte es wirklich auch für glücklicher, wenn diese Dinge hinter den Türen besprochen werden.

Offensichtlich ist da aber irgendetwas gelaufen, was jetzt dazu führt, dass es öffentlich gemacht wird. Dass General Schneiderhan darum kämpft, dass er nicht ehrverletzend bezeichnet wird, das verstehe ich gut. Nur es hilft natürlich in der Sache überhaupt nicht weiter, und es hilft vor allen Dingen denen nicht weiter, die weiterhin in Kundus den Kampf und das Gefecht führen müssen.

An die müssen wir doch denken, und wir sind wirklich begnadet in Deutschland, hier die Nabelschau durchzuführen, uns mit Befindlichkeiten und Empfindlichkeiten zu beschäftigen, mit politischen Ränkespielen zu beschäftigen, anstatt an die zu denken, die das vor Ort machen müssen. Das mahne ich an, und das ist mein Petitum, dass wir endlich uns auf die konzentrieren müssen, die das vor Ort tun müssen.

Ich war vor zwölf Wochen in Afghanistan, ich habe mit denjenigen gesprochen, die in der Quick Reaction Force sind und Kampf und Gefecht in Kundus erleben. Die wollen die Antworten haben, und wir verschieben diese Dinge hier in Deutschland auf einen Kriegsschauplatz, dass das wirklich skandalöse Züge hat.

Brink: Ulrich Kirsch, Vorsitzender des Bundeswehrverbandes, der Vertretung der Soldaten. Schönen Dank für das Gespräch.

Kirsch: Gerne, Frau Brink.