"Es kann keine geheimdienstkonforme Demokratie geben"
Die Sozialdemokratin Herta Däubler-Gmelin hat die Bundeskanzlerin zu einem "vollständigen Schwenk" in Sachen Datenschutz aufgefordert. Die ehemalige Bundesjustizministerin beklagte einen Skandal im Umgang mit der Bevölkerung.
Korbinian Frenzel: Es ist das große Thema dieser Tage, die Abhörpraxis der Amerikaner, und die große Frage hierzulande ist die: Wusste Angela Merkel, wussten ihre Minister wirklich nichts von all dem? Eine prominente Zweiflerin haben wir jetzt am Telefon: Herta Däubler-Gmelin, Sozialdemokratin und Justizministerin der ersten rot-grünen Bundesregierung. Guten Morgen ins Ländle.
Herta Däubler-Gmelin: Ja, grüße Sie.
Frenzel: Werden wir gerade regierungsamtlich belogen über die Dinge, die da vorgehen?
Däubler-Gmelin: Also ich glaube schon, und lassen Sie mich das deutlich sagen: Ich glaube, dass die Kanzlerin in Bezug auf Datenschutz, auf Herrn Snowden, in Bezug auf Geheimdienste und auf die USA genauso einen hundertprozentigen Richtungswechsel machen muss, wie sie das in der Energiewende getan hat, weil die Art und Weise, wie man hier mit der Bevölkerung umgeht, ist einfach ein Skandal.
Frenzel: Aber, nun gut, die Frage ist natürlich: Wenn man jetzt sagt, wir haben davon erfahren, wir gehen jetzt einen Richtungswechsel ein, ändern das, dann ist es ja gut. Aber wenn Sie sagen, man hat davon gewusst, man hätte davon wissen müssen, dann ist das ja noch mal ein stärkerer Vorwurf.
Däubler-Gmelin: Ja, ja, klar. Der Vorwurf, der bleibt auch. Aber schauen Sie: Diese Art von Irrungen und Wirrungen, die wir jetzt da in den letzten Wochen sehen, das dient ja zur Vernebelungstaktik. Damit hat sie ja ganz offensichtlich versucht, das Thema wegzukriegen jetzt im Sommer. Und das geht nicht! Ich finde es einfach einen Skandal, wie zum Beispiel mit dem Herrn Snowden umgegangen wird. Das ist kein Verbrecher, sondern das ist ein Whistleblower, der hat die Beweise dafür geliefert oder kann sie liefern zu dem, was ganz offensichtlich seit Langem im Gange ist und sich jetzt in eine Art von Totalüberwachung reingesteigert hat. Das geht nicht!
Und das Zweite, was nicht geht, ist, dass die Haltung "Datenschutz ist ja doch irgendwo Täterschutz" oder "es gibt ein Super-Grundrecht Sicherheit", diese Sachen, die Sie jetzt heute aus der Regierung alle hören, dass das weitergeht. Das geht alles nicht, sondern sie muss sich den Tatsachen stellen, die Regierung muss sich den Tatsachen stellen, und sie muss dann ganz deutlich sagen: Wir machen bei diesen ganzen Schritten jetzt einen vollständigen Schwenk in eine andere Richtung.
Frenzel: Ja, kommen wir mal zu den Dingen. Man muss es ja nicht unbedingt Super-Grundrecht nennen, aber der Staat hat ja eine Verpflichtung gegenüber seinen Bürgern, die Bürger zu schützen, natürlich davor, dass sie nicht ausgespäht werden, aber auch davor, dass ihnen nichts passiert, zum Beispiel durch Terroranschläge.
Däubler-Gmelin: Ja, so ist das. Aber das ist ja auch nicht neu, sondern neu ist, dass man jetzt hergeht und in dieser totalitären Sprache erklärt: Alle anderen Grundrechte sind nicht so wichtig, Super-Grundrecht Sicherheit. Weil Sie ja immer wissen müssen: Das definiert dann der Geheimdienst oder der Herr Innenminister, was das ist.
Herta Däubler-Gmelin: Ja, grüße Sie.
Frenzel: Werden wir gerade regierungsamtlich belogen über die Dinge, die da vorgehen?
Däubler-Gmelin: Also ich glaube schon, und lassen Sie mich das deutlich sagen: Ich glaube, dass die Kanzlerin in Bezug auf Datenschutz, auf Herrn Snowden, in Bezug auf Geheimdienste und auf die USA genauso einen hundertprozentigen Richtungswechsel machen muss, wie sie das in der Energiewende getan hat, weil die Art und Weise, wie man hier mit der Bevölkerung umgeht, ist einfach ein Skandal.
Frenzel: Aber, nun gut, die Frage ist natürlich: Wenn man jetzt sagt, wir haben davon erfahren, wir gehen jetzt einen Richtungswechsel ein, ändern das, dann ist es ja gut. Aber wenn Sie sagen, man hat davon gewusst, man hätte davon wissen müssen, dann ist das ja noch mal ein stärkerer Vorwurf.
Däubler-Gmelin: Ja, ja, klar. Der Vorwurf, der bleibt auch. Aber schauen Sie: Diese Art von Irrungen und Wirrungen, die wir jetzt da in den letzten Wochen sehen, das dient ja zur Vernebelungstaktik. Damit hat sie ja ganz offensichtlich versucht, das Thema wegzukriegen jetzt im Sommer. Und das geht nicht! Ich finde es einfach einen Skandal, wie zum Beispiel mit dem Herrn Snowden umgegangen wird. Das ist kein Verbrecher, sondern das ist ein Whistleblower, der hat die Beweise dafür geliefert oder kann sie liefern zu dem, was ganz offensichtlich seit Langem im Gange ist und sich jetzt in eine Art von Totalüberwachung reingesteigert hat. Das geht nicht!
Und das Zweite, was nicht geht, ist, dass die Haltung "Datenschutz ist ja doch irgendwo Täterschutz" oder "es gibt ein Super-Grundrecht Sicherheit", diese Sachen, die Sie jetzt heute aus der Regierung alle hören, dass das weitergeht. Das geht alles nicht, sondern sie muss sich den Tatsachen stellen, die Regierung muss sich den Tatsachen stellen, und sie muss dann ganz deutlich sagen: Wir machen bei diesen ganzen Schritten jetzt einen vollständigen Schwenk in eine andere Richtung.
Frenzel: Ja, kommen wir mal zu den Dingen. Man muss es ja nicht unbedingt Super-Grundrecht nennen, aber der Staat hat ja eine Verpflichtung gegenüber seinen Bürgern, die Bürger zu schützen, natürlich davor, dass sie nicht ausgespäht werden, aber auch davor, dass ihnen nichts passiert, zum Beispiel durch Terroranschläge.
Däubler-Gmelin: Ja, so ist das. Aber das ist ja auch nicht neu, sondern neu ist, dass man jetzt hergeht und in dieser totalitären Sprache erklärt: Alle anderen Grundrechte sind nicht so wichtig, Super-Grundrecht Sicherheit. Weil Sie ja immer wissen müssen: Das definiert dann der Geheimdienst oder der Herr Innenminister, was das ist.
"Beweisen müssen die ja nichts"
Frenzel: Aber die Bilanz ist ja nicht so schlecht: 50 Anschläge wurden verhindert, allein in Deutschland fünf. Das ist ein ziemlich konkreter Schutz, eine ziemlich konkrete Zahl.
Däubler-Gmelin: Ja, wenn Sie das so genau wissen. Wissen Sie, eines dieser Probleme, die wir ja spätestens seit 9/11 haben – aber diese Sicherheitsideologie, dass das alles vorrangig vor anderen Rechten und Schutz und Demokratie und Freiheit sei, haben wir auch schon etwas länger – Sie können ja alles behaupten, beweisen müssen die ja nichts, weil das ist ja alles geheim.
Frenzel: Aber braucht das nicht ein bisschen Machiavelli, um zu regieren? Würden uns Geheimdienste irgendetwas bringen, wenn sie ihre Informationen nur aus der Zeitung holen würden?
Däubler-Gmelin: Aber Sie müssen halt einfach wissen und das ist einer der Punkte, die Frau Merkel sich auch die ganze Zeit sagen muss: So, wie es eine marktkonforme Demokratie nicht geben kann – sondern die Demokratie setzt die Regeln für den Markt – kann es schon gar keine geheimdienstkonforme Demokratie geben, sondern die bedeutet, dass es einfach keine Freiheit mehr gibt.
Frenzel: Aber die haben wir ja nicht. Wir haben ja zum Beispiel hier in Deutschland ein parlamentarisches Kontrollgremium, ein Bundestagsgremium, das die Arbeit der Geheimdienste kontrolliert. Reicht das nicht?
Däubler-Gmelin: Nein. Also ich war ja da Mitglied, und ich weiß, dass Sie dort nur erfahren, was entweder die Dienste bereit sind, Ihnen zu sagen, oder, was Sie ganz konkret erfragen können. Aber Sie können ja nichts erfragen oder wenig erfragen, weil das alles geheim ist.
Frenzel: Aber dann müssen Sie uns mal erklären, Frau Däubler-Gmelin, dann müssen Sie uns mal erklären: Sie waren ja Justizministerin, Sie hatten eine rot-grüne Bundesregierung. Warum haben Sie das nicht geändert, wenn diese Praxis einfach nichts hilft?
Däubler-Gmelin: Weil ich es nicht ändern konnte, und zwar deshalb, weil diese Frage der Sicherheit, dass die alles übersteigt, genau mit solchen Einwürfen, wie Sie sie jetzt ja zu Recht, weil wir sie alle kennen, sagen, weil die ständig stärker waren. Ich sage ja gar nicht, dass die früheren Regierungen da nicht hätten aufmerksamer sein können oder müssen. Ich meine, "Otto-Katalog" oder Schily waren ja nie die Leute, für die ich mich eingesetzt hätte.
Däubler-Gmelin: Ja, wenn Sie das so genau wissen. Wissen Sie, eines dieser Probleme, die wir ja spätestens seit 9/11 haben – aber diese Sicherheitsideologie, dass das alles vorrangig vor anderen Rechten und Schutz und Demokratie und Freiheit sei, haben wir auch schon etwas länger – Sie können ja alles behaupten, beweisen müssen die ja nichts, weil das ist ja alles geheim.
Frenzel: Aber braucht das nicht ein bisschen Machiavelli, um zu regieren? Würden uns Geheimdienste irgendetwas bringen, wenn sie ihre Informationen nur aus der Zeitung holen würden?
Däubler-Gmelin: Aber Sie müssen halt einfach wissen und das ist einer der Punkte, die Frau Merkel sich auch die ganze Zeit sagen muss: So, wie es eine marktkonforme Demokratie nicht geben kann – sondern die Demokratie setzt die Regeln für den Markt – kann es schon gar keine geheimdienstkonforme Demokratie geben, sondern die bedeutet, dass es einfach keine Freiheit mehr gibt.
Frenzel: Aber die haben wir ja nicht. Wir haben ja zum Beispiel hier in Deutschland ein parlamentarisches Kontrollgremium, ein Bundestagsgremium, das die Arbeit der Geheimdienste kontrolliert. Reicht das nicht?
Däubler-Gmelin: Nein. Also ich war ja da Mitglied, und ich weiß, dass Sie dort nur erfahren, was entweder die Dienste bereit sind, Ihnen zu sagen, oder, was Sie ganz konkret erfragen können. Aber Sie können ja nichts erfragen oder wenig erfragen, weil das alles geheim ist.
Frenzel: Aber dann müssen Sie uns mal erklären, Frau Däubler-Gmelin, dann müssen Sie uns mal erklären: Sie waren ja Justizministerin, Sie hatten eine rot-grüne Bundesregierung. Warum haben Sie das nicht geändert, wenn diese Praxis einfach nichts hilft?
Däubler-Gmelin: Weil ich es nicht ändern konnte, und zwar deshalb, weil diese Frage der Sicherheit, dass die alles übersteigt, genau mit solchen Einwürfen, wie Sie sie jetzt ja zu Recht, weil wir sie alle kennen, sagen, weil die ständig stärker waren. Ich sage ja gar nicht, dass die früheren Regierungen da nicht hätten aufmerksamer sein können oder müssen. Ich meine, "Otto-Katalog" oder Schily waren ja nie die Leute, für die ich mich eingesetzt hätte.
"Merkel muss weg von 'Datenschutz ist Täterschutz'"
Aber jetzt ist der Zeitpunkt – und deswegen auch meine Eingangsbemerkung –, wo es mir eigentlich relativ wurscht ist, ob die Frau Merkel Prism kannte oder nicht, sondern sie muss sich jetzt der Tatsache stellen und sie muss sehr deutlich weg von "Datenschutz ist Täterschutz", sie muss weg von der Tatsache, dass es ein sogenanntes Super-Grundrecht gäbe, die also diese Geheimdienste, die Geheimhaltung und das alles erfordert, sondern sie muss ganz klar hin, dass Geheimdienste eingefangen werden müssen, dass wir hier Freiheit und nicht NSA haben, und sie muss sehr deutlich sagen: Wir brauchen ein europäisches Modell, das wir dem der Amerikaner deutlich entgegenstellen.
Frenzel: Wenn wir mal dieses Stichwort der Geheimdienste aufnehmen oder Ihr Stichwort auch von der geheimdienstkonformen Demokratie: Ist das nicht am Ende das Problem, dass Geheimdienste nie demokratiekonform sind?
Däubler-Gmelin: Ja, Sie können sich bemühen, Regeln zu machen, wo Sie dann drauf achten, dass die Geheimdienste sich dran halten. Das ist schwierig. Aber wenn Sie sich daran erinnern, die Forderung, die gab es dann auch schon zu meiner Zeit, dass man einen Beauftragten für die Geheimdienste hat, der dann seinerseits wieder berechtigt ist, dem parlamentarischen Kontrollgremium etwas mehr zu sagen, der viel besser in die Einzelheiten hineinschauen kann. Das heißt: Die effiziente Kontrolle der Geheimdienste und eine klare gesetzliche Regelung – das ist das, was wir brauchen.
Frenzel: Also abschaffen müssen wir sie nicht?
Däubler-Gmelin: Also ich meine, zusammenschneiden müssen wir sie sehr deutlich, weil das, was wir jetzt gerade sehen – und ich glaube, das ist auch neu –, ist dieses Zusammenwirken zwischen einer Krake von Geheimdiensten, die alle miteinander zusammenarbeiten, und dann einer Industrie, nämlich diesen Internetmonopolisten, die wir haben, die zum gegenseitigen Nutzen zusammenarbeiten. Und was auf der Strecke bleibt, ist ja nicht nur unsere Privatheit, sondern unsere Freiheit, weil wir manipuliert werden können. Und das ist das Problem, von dem ich eigentlich ausgehe, dass eine Kanzlerin, die in der DDR groß geworden ist, dass sie es endlich kapiert.
Frenzel: Herta Däubler-Gmelin, so sieht es die frühere Bundesjustizministerin. Ich danke Ihnen für das Gespräch.
Däubler-Gmelin: Danke sehr.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Frenzel: Wenn wir mal dieses Stichwort der Geheimdienste aufnehmen oder Ihr Stichwort auch von der geheimdienstkonformen Demokratie: Ist das nicht am Ende das Problem, dass Geheimdienste nie demokratiekonform sind?
Däubler-Gmelin: Ja, Sie können sich bemühen, Regeln zu machen, wo Sie dann drauf achten, dass die Geheimdienste sich dran halten. Das ist schwierig. Aber wenn Sie sich daran erinnern, die Forderung, die gab es dann auch schon zu meiner Zeit, dass man einen Beauftragten für die Geheimdienste hat, der dann seinerseits wieder berechtigt ist, dem parlamentarischen Kontrollgremium etwas mehr zu sagen, der viel besser in die Einzelheiten hineinschauen kann. Das heißt: Die effiziente Kontrolle der Geheimdienste und eine klare gesetzliche Regelung – das ist das, was wir brauchen.
Frenzel: Also abschaffen müssen wir sie nicht?
Däubler-Gmelin: Also ich meine, zusammenschneiden müssen wir sie sehr deutlich, weil das, was wir jetzt gerade sehen – und ich glaube, das ist auch neu –, ist dieses Zusammenwirken zwischen einer Krake von Geheimdiensten, die alle miteinander zusammenarbeiten, und dann einer Industrie, nämlich diesen Internetmonopolisten, die wir haben, die zum gegenseitigen Nutzen zusammenarbeiten. Und was auf der Strecke bleibt, ist ja nicht nur unsere Privatheit, sondern unsere Freiheit, weil wir manipuliert werden können. Und das ist das Problem, von dem ich eigentlich ausgehe, dass eine Kanzlerin, die in der DDR groß geworden ist, dass sie es endlich kapiert.
Frenzel: Herta Däubler-Gmelin, so sieht es die frühere Bundesjustizministerin. Ich danke Ihnen für das Gespräch.
Däubler-Gmelin: Danke sehr.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.