Es lebe der Atheismus!

Von Jürgen König |
Über drei Millionen Dollar Kopfgeld sind auf den indisch-britischen Autoren ausgesetzt. Seit über 20 Jahren lebt Salman Rushdie in ständiger Gefahr. Dennoch bereut er seine "satanischen Verse" nicht. Im Gegenteil: Religionen werde er auch künftig kritisieren, sagt er auf dem Literaturfestival in Berlin.
Keine Polizei, keine Sicherheitskontrollen, alles ganz normal – die Journalisten sind verwundert; dass sie zunächst nur nach Sicherheit und Terrorismus fragen, findet Salman Rushdie "deprimierend", man möge doch bitte über die Literatur sprechen.

"I think it’s a kind of depressing that the first two questions are about security and terrorism. It will be nice to have some literary questions."

Also die Literatur. "Joseph Anton", sein letztes Jahr erschienener autobiographischer Roman, über die Anfänge in Bombay, über das Leben in London und New York, über die Folgen der "Fatwa" des iranischen Ayatollah Khomeini, ausgesprochen nach dem Erscheinen des Romans "Die satanischen Verse", ständig wechselnde Aufenthalte in geheimen Wohnungen, bewacht von über 100 Polizisten und Geheimdienstleuten. Alles in dem Buch sei wahr, sagt Salman Rushdie, nur habe er die vielen Polizisten zu einigen wenigen Charakteren zusammengefügt, 100 Polizisten in einem Buch, das sind doch zu viele Polizisten, nicht?

"Obviously, you can’t have a hundred policemen as the cast of your book! It’s just… too many policemen…!"

Als wolle Salman Rushdie die Gewalt, die sein Leben umgab - und vielleicht umgibt – ausklammern, nimmt er jede Gelegenheit wahr, über sein tatsächliches Leben während dieser Jahre -, vielleicht bis heute - nicht wirklich etwas zu sagen. Lieber spricht er über Literarisches: wie er sein Tagebuch benutzt habe - das von seiner Freundin Susan Sontag sei zwar viel akkurater geführt gewesen und auch viel inhaltsreicher, aber immerhin habe er seines als Gedächtnisstütze nutzen können, als Ausgangspunkt für das Erzählen. Nein, das Tagebuch werde er nicht veröffentlichen.

Salman Rushdie strahlt Ruhe aus, Gelassenheit auch, er spricht freundlich und zugewandt, hat etwas Lächelnd-Verschmitztes, hin und wieder lacht er und freut sich richtig darüber und lacht noch mehr – und wirkt mit alledem in gar nichts wie ein Weltstar der Literatur und erst recht nicht wie ein Mann, auf den immer noch 3,3 Millionen US-Dollar Kopfgeld ausgesetzt sind. Er spricht konzentriert, sachlich, knapp. Seine Meinung zum "Arabischen Frühling"? – Nun, es fing gut an und jetzt geht es nicht mehr so gut.

"It started well not going so well right now ..."

Ob es ihm leid tue, die "Satanischen Verse" geschrieben zu haben? Ach, wissen Sie, sagt er, seit Jahren fragt man mich das täglich mehrere Mal. Nein, es tut mir nicht leid! Ich bin sehr stolz auf mein Buch. Die Verbrechen wurden gegen das Buch begangen, nicht durch das Buch. Ich sehe keine Fehler in den "Satanischen Versen". Es ist ein Roman, den viele Menschen mögen. Bücher werden dadurch definiert, ob die Leute sie mögen oder nicht. Und es sind nicht die Leute, die sie nicht mögen, die über ein Buch zu bestimmen haben. Wenn Leute ein Buch nicht mögen, sollen sie ein anderes Buch lesen. Nein, ich bedaure gar nichts. Ich bin stolz darauf, dass das Buch diese unglaublichen Angriffe überlebt hat.

Der große Einfluss der Religion sei zu kritisieren, sagt Salman Rushdie, nur deshalb schreibe er ständig darüber, weil sie so einflussreich sei. Hoffentlich breite sich der Atheismus weiter aus. Ob die Religion in seinem neuen Buch eine Rolle spiele, ob er überhaupt an einem neuen Buch schreibe? Ja, sagt er, ich schreibe einen Roman, aber bitten Sie mich nicht, darüber etwas zu sagen.

"... next project… Well, I am writing a novel. But don’t ask me to tell you about it."

Und dann ist die Stunde vorbei, Salman Rushdie lächelt noch einmal in die Runde der Kameras - und geht. Keine Polizei, keine Sicherheitsleute, alles ganz normal – so scheint es.

Weitere Informationen auf der Webseite des Internationalen Literaturfestivals Berlin.