Es lebe die Datenfreiheit!

Von Christian Heller |
Unsere Welt verwandelt sich in ein Meer von Daten, die von intelligenten Maschinen verknüpft und verarbeitet werden – und das stellt unsere Wissenschaften, unser Selbstverständnis, unsere Kultur, unser Sozialleben auf den Kopf. Manchem bereitet es große Angst.
Vor allem der deutsch-europäische Datenschutz stellt sich mahnend, warnend, verbietend dagegen: Im Namen von Privatsphäre, der sogenannten "informationellen Selbstbestimmung", der freiheitlich-demokratischen Grundordnung und was sonst noch so an abendländischen Werten einfällt.

Trotzdem strömen die Menschen mit wöchentlichem Millionenzuwachs in die großen Verdatungsmaschinen wie Google und Facebook. Denn diese Dienste verwandeln die Daten ihrer Nutzer in zahllose attraktive Angebote – zum Beispiel, um Gleichgesinnte zu finden, sich auszutauschen und sich zu profilieren.

Facebook bietet seinen inzwischen 800 Millionen Nutzern eine Plattform, auf der sie bald ihr ganzes Leben digital archivieren, ergründen, organisieren, erweitern und untereinander verknüpfen können. Wer sein Facebook-Konto aktiv nutzt, für den wird es zum neuen, ergiebigeren Gedächtnis und Selbstbild; zum sozialen Kuppler mit unerschöpflichen Verbindungen und Menschenkenntnissen; zum individuell zugeschnittenen politischen Forum und Informationskanal; und zu einem Personalausweis, der vielerorts Türen öffnet wie früher nur das gleichnamige Staatsbürgerzertifikat.

Der Drang zu solchen Angeboten ist nachvollziehbar – datenschützerische Fundamentalopposition wird weder ihm gerecht noch den technischen Wirklichkeiten des Netzes, die solche Angebote ermöglichen: Dieses Netz lebt und atmet gerade in der Anarchie, der unbegrenzten Kopierbarkeit und Weiterverwertbarkeit der Daten, ohne Kotau vor regionalen Rechtsbesonderheiten wie dem EU-Datenschutz. Dessen strenges Regelungs-Bedürfnis dem Netz aufzubürden hieße nichts Geringeres als den Tod eben der Dynamik, die uns in den letzten Jahren so viel Gutes eingebracht hat.

Zurecht verweisen Datenschützer auf die Gefahr der Machtansammlung unter großen Datenkraken wie Google und Facebook. Einige wenige Unternehmen reißen große Teile der Kommunikation im Netz an sich und unterwerfen sie ihrer jeweiligen Hausordnung. Wenn wir ein Netz wollen, das uns allen gleichermaßen gehört und nützt, muss uns das Sorge bereiten.

Aber Datenprotektionismus ist kein Mittel dagegen. Tatsächlich ist es genau das Spiel von Monopolisten wie Facebook: Daten aufsaugen, Eigentumsansprüche draufstempeln und sie gegen unerwünschte Zugriffe verteidigen. Als neulich ein Nutzer von Facebook Daten über sich einforderte, wehrte sich die Firma mit dem Argument, diese seien ihr geistiges Eigentum.

Solche Macht bändigen wir nicht durch Rufe nach mehr Datenprotektionismus. Facebooks Stärke liegt gerade in seinem Monopol über wesentliche soziale Daten seiner Nutzer. So sind beispielsweise Party-Einladungen oft nur innerhalb der virtuellen Klubräume zugänglich. Das ist Datenschutz als Alibi: Statt der ganzen Welt öffnest du deine Daten nur bestimmten Freunden – beglaubigt über ihre Facebook-Konten.

Solche Datenmonopole bricht man nicht durch die Verknappung, sondern durch die breite Öffnung des Monopolisierten. Wer Facebook eins auswischen will, verteilt seine Daten ans gesamte Netz.

Vergessen wir nicht das nach wie vor größte soziale Netzwerk, das wir mit unserem Browser ansteuern können: das offene World Wide Web. Es gehört niemandem und allen zugleich. Es ist dezentral aufgebaut und unterliegt keiner einzelnen Hausordnung. Auf seine Seiten und Daten darf jeder zugreifen, ob nun Freund oder Feind, Bekannter oder Fremder. Nicht den Monopolisten, sondern uns allen kommt zugute, was wir hier hinein gießen – je mehr Daten, je freier, je unbeschränkter, desto besser.

Christian Heller, geboren 1984 in Berlin, hat Filmwissenschaften und Philosophie studiert. Heller befasst sich mit Internet-Kultur und Medienkunst und betreibt die Website www.plomlompom.de. Im Oktober 2011 erscheint sein Buch "Post Privacy – Prima leben ohne Privatsphäre" im Verlag C.H. Beck.
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