"Es muss ein Regimewechsel am Tisch verhandelt werden"
Der frühere UN-Diplomat Hans-Christof von Sponeck bemängelt die fehlende Entscheidungsfähigkeit der Vereinten Nationen. "Man hat das Gefühl, dass die politische UNO, der Sicherheitsrat, im Eisschrank ist", sagte von Sponeck.
André Hatting: Seit Donnerstag reden der russische Außenminister und sein amerikanischer Kollege darüber, wie die syrischen Chemiewaffenarsenale vernichtet werden können. Einigen, zumindest offiziell, konnten sich beide bislang nur darauf, dass es Ende September in New York ein weiteres Treffen geben soll, auf dem dann eine große Friedenskonferenz vorbereitet werden soll. Heute wollen Kerry und Lawrow weiterverhandeln – und in Syrien tobt der Bürgerkrieg weiter.
Nach Angaben der Opposition haben die Regierungstruppen jetzt sogar ihre Angriffe verstärkt, auch gegen Zivilisten. Machtpoker in Genf auf dem Rücken der syrischen Bevölkerung? Darüber möchte ich jetzt mit Hans-Christof von Sponeck sprechen, er war über 30 Jahre lang Diplomat der Vereinten Nationen, jetzt arbeitet er im Zentrum für Konfliktforschung der Uni Marburg. Guten Morgen, Herr von Sponeck!
Hans-Christof von Sponeck: Guten Morgen, Herr Hatting!
Hatting: Herr von Sponeck, Sie waren als UN-Vertreter oft im Irak, haben 1998 auch das Programm "Öl für Lebensmittel" der UNO geleitet. Kann man die Verelendung der Bevölkerung dort mit dem vergleichen, was jetzt gerade in Syrien passiert?
von Sponeck: Nur insoweit, als dass Menschen leiden, Menschen sterben, Unschuldige in einen Prozess hineingerissen werden. Aber die Verelendung im Irak war ein schleichender Prozess, ohne Frage. 13 Jahre Sanktionen, acht Jahre Besatzung – das sind über 20 Jahre, in denen die Bevölkerung des Iraks leiden musste, verelendete. Und in Syrien – man hat das Gefühl, da ist ein Zeitraffer im Spiel, Verelendung und Tod, die Gewalt scheint Überstunden zu machen, also es geht alles viel schneller und die Bevölkerung leidet sehr viel tiefer und brutaler, als das in den Jahren der Sanktionen im Irak der Fall gewesen ist.
Hatting: Spielen die Vereinten Nationen hier eine ähnlich fatale Rolle?
von Sponeck: Ich glaube, man kann sagen, dass in meiner Zeit der Sicherheitsrat zumindest noch entscheidungsfähig gewesen ist, selbst wenn es oft die falschen Entscheidungen waren. Aber man hat heute das Gefühl – und es ist mehr als ein Gefühl –, dass die politische UNO zumindest, der Sicherheitsrat, ja, im Eisschrank ist. Da kommen keine Entscheidungen mehr heraus. Und das drückt sich auch unter anderem dadurch aus, dass eben heute auf vielen Ebenen bilateral gesprochen wird, aber das Gespräch und die rote Linie, von der Präsident Obama spricht, die gehört international rechtlich in den UNO-Sicherheitsrat, und das geschieht nicht.
Hatting: Der hat ja bislang nicht eine einzige Resolution verabschiedet, nicht einmal zu humanitären Hilfen.
von Sponeck: Das ist richtig. Aber gleichzeitig muss man auch anerkennen, dass die UNO wichtige humanitäre Hilfe zurzeit leistet, dass sie dabei ist, mitzuhelfen, aufzuklären, wo die chemischen Waffen in Syrien lagern, wem sie gehören, wer sie dorthin gebracht hat. Also die UNO, zumindest die operationale UNO versucht, ihr Bestes zu geben, aber ohne, ohne politische Führung und Anleitung.
Hatting: Jetzt freuen sich alle darüber, dass die USA lieber mit Russland reden statt Syrien zu bombardieren. Was haben denn die Gespräche zwischen den Außenministern und dem UN-Sondergesandten Brahimi in Genf Ihrer Ansicht nach bislang gebracht?
von Sponeck: Also ich glaube, eines ist ... Zunächst muss man sagen, es ist wichtig und gut, dass Gespräche zu Syrien geführt werden. Syrien ist in aller Munde. Herr Putin schreibt an die amerikanische Öffentlichkeit, der Papst schreibt Putin, überall wird geredet und das ist gut, der Dialog muss eine Chance bekommen, obwohl ich gleich dazusagen muss: Die Gefahr, dass das Gespräch dann überrollt, das, was weiterhin in Syrien geschieht, nämlich das Töten, die Gefahr ist da. Das heißt also, es muss Gespräche geben, die relativ schnell auch zu Resultaten führen und das Gespräch, ... den Sicherheitsrat zurückbringen, wo die Entscheidungen anstehen.
Aber jetzt muss man auch sagen, dass die USA und die UNO wirklich bandagierte Nasen haben. Es sind da zu viele Fehler geschehen. Dialog – mit wem? Die Fakten – woher? Die Anklagen, die gemacht wurden, die ins Leere gingen – also es hat an Initiativen nicht gefehlt. Und das alte Problem der Polarisierung und der Gruppierung, die ist auch in Syrien wieder deutlich zutage getreten, und da fehlt es an Führung.
Hatting: Sie haben die bandagierten Nasen angesprochen. Könnte man vielleicht auch sagen, dass sich die USA an ihrer bandagierten Nase gerade herumführen lassen? Denn Syrien hat zwar jetzt den Beitritt zur Chemiewaffenkonvention eingereicht, aber gleichzeitig, hören wir, verschärft sich gerade wieder der Kampf zwischen Regierungstruppen und Rebellen. Assad gewinnt Zeit, die er offensichtlich nutzt, oder?
von Sponeck: Das ist eine Interpretation. Natürlich will er Zeit, weil er etwas verhindern will. Aber die Tatsache, dass er bereit ist, die Chemiewaffenkonvention zu unterschreiben, ist wichtig. Man muss jetzt ihn auch verpflichten, weiterhin zu kooperieren, und man darf nicht, weil er diese Konvention unterschreiben will, annehmen, dass die Chemiewaffen nur – wenn sie in seinen Händen sind, und das scheint so zu sein, dass sie nur in seinen Händen sind –, ... Das ist viel komplexer als es oft dargestellt wird.
Hatting: Braucht es dazu weiterhin die militärische Drohung der USA?
von Sponeck: Ich glaube, die meisten Regierungen und auch die Öffentlichkeit in allen Teilen der Welt ist der Meinung, dass eine Drohung und die Wahrnehmung dieser Drohung, eine weitere militärische Auseinandersetzung, nur zu einer Eskalation führen kann. Ich glaube nicht, dass das, was die Amerikaner vorgehabt haben, wenn das umgesetzt wird, dass das förderlich ist für eine politische Lösung, die ja im Grunde genommen am Ende jeder haben will.
Hatting: Syrien hat knapp 21 Millionen Einwohner, zwei Millionen davon haben das Land verlassen, weitere vier sind im Inneren auf der Flucht. Was bedeutet das eigentlich für die Zukunft dieser Nation?
von Sponeck: Na ja, wir haben ja eine Kopie dessen, was da passiert, im Irak. Im Irak waren die Zahlen ähnlich. Es waren über zwei Millionen Iraker, die im Ausland waren, es waren über drei Millionen, die im Irak ihre Häuser verlassen mussten und irgendwo anders sich niedergelassen haben. Und was wir heute sehen, ist ein fragmentierter Irak, politisch noch nicht auseinandergebrochen, aber fragmentiert, und Ähnliches auch wegen der soziologischen Struktur. In Syrien wird es ähnlich sein.
Hatting: Und ist dort ein Regimewechsel noch schwieriger als im Irak?
von Sponeck: Also ich spreche ungern als ehemaliger UNO-Mensch über Regimewandel. Es ist schwierig. Man kann es nicht quantifizieren. Man kann nur sagen: Es muss ein Regimewechsel am Tisch verhandelt werden, nicht auf der Straße. Und das wird in Syrien, wie es im Irak war, ungeheuer schwierig sein. Da kommen dann auch neue Aspekte der Tradition, der Kultur in diesen Ländern mit hinein, da geht es auch um Rache, es geht um den Terror der Gruppe, wenn Sie wollen. Das wird danach kommen, und darauf muss man sich heute vorbereiten.
Hatting: Der Konfliktforscher und langjährige UN-Mitarbeiter Hans-Christof von Sponeck. Ich bedanke mich für das Gespräch, Herr von Sponeck!
von Sponeck: Alles Gute, Herr Hatting!
Hatting: Ihnen auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Nach Angaben der Opposition haben die Regierungstruppen jetzt sogar ihre Angriffe verstärkt, auch gegen Zivilisten. Machtpoker in Genf auf dem Rücken der syrischen Bevölkerung? Darüber möchte ich jetzt mit Hans-Christof von Sponeck sprechen, er war über 30 Jahre lang Diplomat der Vereinten Nationen, jetzt arbeitet er im Zentrum für Konfliktforschung der Uni Marburg. Guten Morgen, Herr von Sponeck!
Hans-Christof von Sponeck: Guten Morgen, Herr Hatting!
Hatting: Herr von Sponeck, Sie waren als UN-Vertreter oft im Irak, haben 1998 auch das Programm "Öl für Lebensmittel" der UNO geleitet. Kann man die Verelendung der Bevölkerung dort mit dem vergleichen, was jetzt gerade in Syrien passiert?
von Sponeck: Nur insoweit, als dass Menschen leiden, Menschen sterben, Unschuldige in einen Prozess hineingerissen werden. Aber die Verelendung im Irak war ein schleichender Prozess, ohne Frage. 13 Jahre Sanktionen, acht Jahre Besatzung – das sind über 20 Jahre, in denen die Bevölkerung des Iraks leiden musste, verelendete. Und in Syrien – man hat das Gefühl, da ist ein Zeitraffer im Spiel, Verelendung und Tod, die Gewalt scheint Überstunden zu machen, also es geht alles viel schneller und die Bevölkerung leidet sehr viel tiefer und brutaler, als das in den Jahren der Sanktionen im Irak der Fall gewesen ist.
Hatting: Spielen die Vereinten Nationen hier eine ähnlich fatale Rolle?
von Sponeck: Ich glaube, man kann sagen, dass in meiner Zeit der Sicherheitsrat zumindest noch entscheidungsfähig gewesen ist, selbst wenn es oft die falschen Entscheidungen waren. Aber man hat heute das Gefühl – und es ist mehr als ein Gefühl –, dass die politische UNO zumindest, der Sicherheitsrat, ja, im Eisschrank ist. Da kommen keine Entscheidungen mehr heraus. Und das drückt sich auch unter anderem dadurch aus, dass eben heute auf vielen Ebenen bilateral gesprochen wird, aber das Gespräch und die rote Linie, von der Präsident Obama spricht, die gehört international rechtlich in den UNO-Sicherheitsrat, und das geschieht nicht.
Hatting: Der hat ja bislang nicht eine einzige Resolution verabschiedet, nicht einmal zu humanitären Hilfen.
von Sponeck: Das ist richtig. Aber gleichzeitig muss man auch anerkennen, dass die UNO wichtige humanitäre Hilfe zurzeit leistet, dass sie dabei ist, mitzuhelfen, aufzuklären, wo die chemischen Waffen in Syrien lagern, wem sie gehören, wer sie dorthin gebracht hat. Also die UNO, zumindest die operationale UNO versucht, ihr Bestes zu geben, aber ohne, ohne politische Führung und Anleitung.
Hatting: Jetzt freuen sich alle darüber, dass die USA lieber mit Russland reden statt Syrien zu bombardieren. Was haben denn die Gespräche zwischen den Außenministern und dem UN-Sondergesandten Brahimi in Genf Ihrer Ansicht nach bislang gebracht?
von Sponeck: Also ich glaube, eines ist ... Zunächst muss man sagen, es ist wichtig und gut, dass Gespräche zu Syrien geführt werden. Syrien ist in aller Munde. Herr Putin schreibt an die amerikanische Öffentlichkeit, der Papst schreibt Putin, überall wird geredet und das ist gut, der Dialog muss eine Chance bekommen, obwohl ich gleich dazusagen muss: Die Gefahr, dass das Gespräch dann überrollt, das, was weiterhin in Syrien geschieht, nämlich das Töten, die Gefahr ist da. Das heißt also, es muss Gespräche geben, die relativ schnell auch zu Resultaten führen und das Gespräch, ... den Sicherheitsrat zurückbringen, wo die Entscheidungen anstehen.
Aber jetzt muss man auch sagen, dass die USA und die UNO wirklich bandagierte Nasen haben. Es sind da zu viele Fehler geschehen. Dialog – mit wem? Die Fakten – woher? Die Anklagen, die gemacht wurden, die ins Leere gingen – also es hat an Initiativen nicht gefehlt. Und das alte Problem der Polarisierung und der Gruppierung, die ist auch in Syrien wieder deutlich zutage getreten, und da fehlt es an Führung.
Hatting: Sie haben die bandagierten Nasen angesprochen. Könnte man vielleicht auch sagen, dass sich die USA an ihrer bandagierten Nase gerade herumführen lassen? Denn Syrien hat zwar jetzt den Beitritt zur Chemiewaffenkonvention eingereicht, aber gleichzeitig, hören wir, verschärft sich gerade wieder der Kampf zwischen Regierungstruppen und Rebellen. Assad gewinnt Zeit, die er offensichtlich nutzt, oder?
von Sponeck: Das ist eine Interpretation. Natürlich will er Zeit, weil er etwas verhindern will. Aber die Tatsache, dass er bereit ist, die Chemiewaffenkonvention zu unterschreiben, ist wichtig. Man muss jetzt ihn auch verpflichten, weiterhin zu kooperieren, und man darf nicht, weil er diese Konvention unterschreiben will, annehmen, dass die Chemiewaffen nur – wenn sie in seinen Händen sind, und das scheint so zu sein, dass sie nur in seinen Händen sind –, ... Das ist viel komplexer als es oft dargestellt wird.
Hatting: Braucht es dazu weiterhin die militärische Drohung der USA?
von Sponeck: Ich glaube, die meisten Regierungen und auch die Öffentlichkeit in allen Teilen der Welt ist der Meinung, dass eine Drohung und die Wahrnehmung dieser Drohung, eine weitere militärische Auseinandersetzung, nur zu einer Eskalation führen kann. Ich glaube nicht, dass das, was die Amerikaner vorgehabt haben, wenn das umgesetzt wird, dass das förderlich ist für eine politische Lösung, die ja im Grunde genommen am Ende jeder haben will.
Hatting: Syrien hat knapp 21 Millionen Einwohner, zwei Millionen davon haben das Land verlassen, weitere vier sind im Inneren auf der Flucht. Was bedeutet das eigentlich für die Zukunft dieser Nation?
von Sponeck: Na ja, wir haben ja eine Kopie dessen, was da passiert, im Irak. Im Irak waren die Zahlen ähnlich. Es waren über zwei Millionen Iraker, die im Ausland waren, es waren über drei Millionen, die im Irak ihre Häuser verlassen mussten und irgendwo anders sich niedergelassen haben. Und was wir heute sehen, ist ein fragmentierter Irak, politisch noch nicht auseinandergebrochen, aber fragmentiert, und Ähnliches auch wegen der soziologischen Struktur. In Syrien wird es ähnlich sein.
Hatting: Und ist dort ein Regimewechsel noch schwieriger als im Irak?
von Sponeck: Also ich spreche ungern als ehemaliger UNO-Mensch über Regimewandel. Es ist schwierig. Man kann es nicht quantifizieren. Man kann nur sagen: Es muss ein Regimewechsel am Tisch verhandelt werden, nicht auf der Straße. Und das wird in Syrien, wie es im Irak war, ungeheuer schwierig sein. Da kommen dann auch neue Aspekte der Tradition, der Kultur in diesen Ländern mit hinein, da geht es auch um Rache, es geht um den Terror der Gruppe, wenn Sie wollen. Das wird danach kommen, und darauf muss man sich heute vorbereiten.
Hatting: Der Konfliktforscher und langjährige UN-Mitarbeiter Hans-Christof von Sponeck. Ich bedanke mich für das Gespräch, Herr von Sponeck!
von Sponeck: Alles Gute, Herr Hatting!
Hatting: Ihnen auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.