"Es muss Hilfe gegeben werden"
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hat angekündigt, dass es keine reinen Barauszahlungen an Missbrauchsopfer geben soll. Stattdessen sollen Betroffene bei Therapieleistungen wegen der psychischen traumatischen Belastung unterstützt werden, sagte die FDP-Politikerin vor der Präsentation des Abschlussberichts.
Nana Brink: Der Missbrauchskandal hat die deutsche Öffentlichkeit im letzten Jahr erschüttert. Zunächst waren die Enthüllungen auf katholische Schulen und Internate beschränkt, doch bald wurde ja klar: Sexueller Missbrauch wurde auch zum Beispiel in der Odenwaldschule verharmlost und vertuscht, und auch in den Kinderheimen der DDR.
Lange war nicht klar: Wie reagiert man darauf? Letztes Jahr im Frühjahr ernannte die Bundesregierung dann eine unabhängige Missbrauchsbeauftragte und rief den runden Tisch "Sexueller Kindesmissbrauch" ins Leben, und dazu gehörten 60 Fachleute aus Politik, Verbänden, Kirchen, Sport und der Wirtschaft, und dieser runde Tisch legt nun heute seinen Abschlussbericht vor.
Am Telefon ist jetzt die FDP-Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, die an diesem ganzen Prozess natürlich federführend beteiligt war. Schönen guten Morgen, Frau Leutheusser-Schnarrenberger!
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Guten Morgen!
Brink: Was ist das wichtigste Ergebnis dieses runden Tisches?
Leutheusser-Schnarrenberger: Es gibt mehrere Ergebnisse. Einmal: Dass überhaupt so viele Vertreter der Zivilgesellschaft über anderthalb Jahre jetzt sehr, sehr viele Empfehlungen erarbeitet haben an Politik, auch an Gesellschaft – das ist eine hervorragende Leistung. Und die liegt nicht nur in Gesetzgebung, die aber auch schon durch den runden Tisch zur Stärkung der Opferstellung, Kinderschutzgesetz initiiert und teilweise beendet wurde. Aber dass wir alle zusammensitzen und auch alle gemeinsam der festen Überzeugung sind, es muss Hilfe gegeben werden für sexuellen Missbrauch in Institutionen und in Familien, und das soll auch in ein konkretes Hilfesystem münden. Das ist bestimmt der Schwerpunkt.
Brink: Können wir konkret werden? Einer der Knackpunkte war ja immer ein gemeinsamer Entschädigungsfonds. Was ist daraus geworden?
Leutheusser-Schnarrenberger: Es wird ein Hilfesystem für Missbrauchsopfer in diesem Abschlussbericht ganz konkret vorgeschlagen. Der beinhaltet, dass gerade Therapieleistungen, Betreuung – da ist ja teilweise eine psychische traumatische Belastung bis heute vorhanden – auch gewährt wird. Es wird keine reinen Bargeldzahlungen nach diesem Vorschlag geben, sondern Unterstützung solch immaterieller Hilfeleistungen. Und es geht jetzt darum, weil wir dafür eben ein gemeinsames System auflegen wollen, dass Bund und Länder dafür auch die finanzielle Verantwortung tragen, (…) Institution ist.
Brink: Pardon, aber wenn ich Sie verstanden habe, gibt es keinen gemeinsamen Entschädigungsfonds, also nicht Staat, Schulen, Kirche, Sportvereine et cetera zahlen gemeinsam ein?
Leutheusser-Schnarrenberger: Nein, es wird nicht einen Fonds geben, in den alle einzahlen, sondern es wird in jedem Fall die Verantwortung der Institutionen geben für das, was bei ihnen von einzelnen Personen an wirklich Übergriffen, an Verletzungen stattgefunden hat, und das wird natürlich nicht vom Staat übernommen. Aber da ist die Bereitschaft, auch die Übernahme von Verpflichtungen sehr groß, das ist in den letzten Wochen festgestellt worden. Aber es geht darum, dass natürlich ...
Weil wir auch den Missbrauch in familiärem Umfeld mit erfassen – und der betrifft ja nun weite Bereiche der Gesellschaft, und das kann nicht einer Institution zugerechnet werden –, ist eben der Vorschlag enthalten, dass da gemeinsam Bund und Länder eben auch Hilfeleistungen finanzieren. Wir haben schon als wir drei Bundesministerinnen Gespräche mit dem Bundesfinanzminister geführt, und der Bund ist bereit, sich da ganz erheblich, mit 50 Prozent, auch einzubringen.
Brink: Wird das in Gesetzesform gegossen, damit nicht die Gefahr besteht, dass das alles ein Papiertiger ist?
Leutheusser-Schnarrenberger: Also Papiertiger auf gar keinen Fall, sondern das wird ja auch im Kabinett, dieser Bericht, vorgetragen werden. Wir haben schon Gesetze, und wir werden natürlich da, wo es um Verbesserung gesetzlicher Leistungen geht – Opferentschädigungsgesetz –, das wird natürlich in gesetzliche Grundlagen auch gegossen. Und das andere, das wird dann die Vereinbarung zwischen Bund und Ländern sein, wo genau aufgeteilt werden wird, unter welchen Voraussetzungen hier Hilfeleistungen auch finanziert werden.
Brink: Ein besonders wichtiger Punkt für die Opfer war ja auch immer die Verjährungsfrist.
Leutheusser-Schnarrenberger: Ja. Wir haben im Zivilrecht eine sehr kurze Verjährung bis heute, und deshalb liegt ein Gesetzentwurf im Bundestag, die zivilrechtliche Verjährungsfrist von 3 auf 30 Jahre zu verlängern. Das wird beraten, das wird denke ich auch zügig in dem Opfergesetz beschlossen werden. Der Rechtsausschuss befasst sich intensiv damit.
Brink: Ich möchte an dieser Stelle jetzt einen Schnitt machen und das Thema Kindesmissbrauch, die Beratungen des runden Tisches "Sexueller Missbrauch" – das Ergebnis wird ja heute offiziell bekannt gegeben – ... und uns einem anderen wichtigen Thema zuwenden, was uns auch sehr beschäftigt: Wie konnte es zu den Morden der Neonazis kommen? Gestern wurde ja ein NPD-Mitglied in U-Haft genommen, weil er vermutlich die Mörder mit Waffen versorgt hat. Warum wusste niemand davon, oder wurde die Information ignoriert? Jetzt plant der Innenminister Friedrich eine Neonazi-Datei: Alle Behörden sollen per Gesetz verpflichtet werden, ihre bereits erhobenen Daten abzuliefern. Eine gute Idee?
Leutheusser-Schnarrenberger: Alles zu tun, um rechtsstaatlich, aber auch da, wo es wirklich nachweisbare Defizite gegeben hat, Schwachstellen zu beheben, ist bestimmt beim konzentrierten Vorgehen gegen Rechtsextremismus der richtige Ansatz.
Von daher sagen wir auch: Ja, wenn in einer zusammengeführten Datei die Informationen über Neonazis, über Kameradschaften, über gewalttätige Rechtsextreme verbessert werden kann, dann ist das ein Ansatz, über den wir beraten. Es ist ja gestern der Gesetzentwurf des Innenministers formuliert worden, wir haben ihn dann gestern auch, gestern zu später Stunde erhalten, und natürlich werden wir uns jetzt intensiv damit befassen.
Aber ich glaube, wir dürfen eines nicht aus den Augen verlieren: Es muss immer auch ganz klar sein, wo waren die Schwächen, wo waren die Defizite in der Vergangenheit, um auch genau zielorientiert anzusetzen – denn wenn schon überhaupt jemand gar nicht mit rechtsextremer Organisation in Verbindung gebracht wird, nützen die meisten Dateien nichts, weil dann ja gar nicht diese Informationen in Dateien sind. Das haben wir leider auch in der Vergangenheit erlebt. Also die Wachsamkeit und die Bereitschaft von Länderbehörden, sich auch untereinander auszutauschen, nachzufragen, die ist ganz groß, und wir werden um Organisationsänderungen deshalb auch nicht drum herum kommen.
Brink: Eine letzte kurze Frage: Die Ermittlungen sind ja nun im Fall der Zwickauer Neonazizelle immer näher an die NPD herangerückt. Was bedeutet das für ein mögliches NPD-Verbot?
Leutheusser-Schnarrenberger: Ein NPD-Verbotsverfahren muss, wenn es erneut in Angriff genommen werden soll, wirklich hinreichend Aussicht auf Erfolg haben, und ein Verfahrenshindernis muss von Anfang an beseitigt werden – das hat uns ja das letzte Urteil, die letzte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts 2003 gezeigt: Auf keinen Fall dürfen V-Leute in Vorstandsebenen der NPD auf Bundes- und Landesebene wirken. Dann haben wir keine Chance, wenn das der Fall ist. Wenn dieses Hindernis beseitigt wird, das ist natürlich dann die Verpflichtung gerade auch der Länderinnenminister, dann denke ich muss man in der Sache materiell-rechtlich prüfen, und da würde natürlich so eine Verbindung dieser Taten mit der NPD ein wichtiges Element sein.
Brink: Die FDP-Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Herzlichen Dank, Frau Schnarrenberger, für das Gespräch!
Leutheusser-Schnarrenberger: Danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Lange war nicht klar: Wie reagiert man darauf? Letztes Jahr im Frühjahr ernannte die Bundesregierung dann eine unabhängige Missbrauchsbeauftragte und rief den runden Tisch "Sexueller Kindesmissbrauch" ins Leben, und dazu gehörten 60 Fachleute aus Politik, Verbänden, Kirchen, Sport und der Wirtschaft, und dieser runde Tisch legt nun heute seinen Abschlussbericht vor.
Am Telefon ist jetzt die FDP-Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, die an diesem ganzen Prozess natürlich federführend beteiligt war. Schönen guten Morgen, Frau Leutheusser-Schnarrenberger!
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Guten Morgen!
Brink: Was ist das wichtigste Ergebnis dieses runden Tisches?
Leutheusser-Schnarrenberger: Es gibt mehrere Ergebnisse. Einmal: Dass überhaupt so viele Vertreter der Zivilgesellschaft über anderthalb Jahre jetzt sehr, sehr viele Empfehlungen erarbeitet haben an Politik, auch an Gesellschaft – das ist eine hervorragende Leistung. Und die liegt nicht nur in Gesetzgebung, die aber auch schon durch den runden Tisch zur Stärkung der Opferstellung, Kinderschutzgesetz initiiert und teilweise beendet wurde. Aber dass wir alle zusammensitzen und auch alle gemeinsam der festen Überzeugung sind, es muss Hilfe gegeben werden für sexuellen Missbrauch in Institutionen und in Familien, und das soll auch in ein konkretes Hilfesystem münden. Das ist bestimmt der Schwerpunkt.
Brink: Können wir konkret werden? Einer der Knackpunkte war ja immer ein gemeinsamer Entschädigungsfonds. Was ist daraus geworden?
Leutheusser-Schnarrenberger: Es wird ein Hilfesystem für Missbrauchsopfer in diesem Abschlussbericht ganz konkret vorgeschlagen. Der beinhaltet, dass gerade Therapieleistungen, Betreuung – da ist ja teilweise eine psychische traumatische Belastung bis heute vorhanden – auch gewährt wird. Es wird keine reinen Bargeldzahlungen nach diesem Vorschlag geben, sondern Unterstützung solch immaterieller Hilfeleistungen. Und es geht jetzt darum, weil wir dafür eben ein gemeinsames System auflegen wollen, dass Bund und Länder dafür auch die finanzielle Verantwortung tragen, (…) Institution ist.
Brink: Pardon, aber wenn ich Sie verstanden habe, gibt es keinen gemeinsamen Entschädigungsfonds, also nicht Staat, Schulen, Kirche, Sportvereine et cetera zahlen gemeinsam ein?
Leutheusser-Schnarrenberger: Nein, es wird nicht einen Fonds geben, in den alle einzahlen, sondern es wird in jedem Fall die Verantwortung der Institutionen geben für das, was bei ihnen von einzelnen Personen an wirklich Übergriffen, an Verletzungen stattgefunden hat, und das wird natürlich nicht vom Staat übernommen. Aber da ist die Bereitschaft, auch die Übernahme von Verpflichtungen sehr groß, das ist in den letzten Wochen festgestellt worden. Aber es geht darum, dass natürlich ...
Weil wir auch den Missbrauch in familiärem Umfeld mit erfassen – und der betrifft ja nun weite Bereiche der Gesellschaft, und das kann nicht einer Institution zugerechnet werden –, ist eben der Vorschlag enthalten, dass da gemeinsam Bund und Länder eben auch Hilfeleistungen finanzieren. Wir haben schon als wir drei Bundesministerinnen Gespräche mit dem Bundesfinanzminister geführt, und der Bund ist bereit, sich da ganz erheblich, mit 50 Prozent, auch einzubringen.
Brink: Wird das in Gesetzesform gegossen, damit nicht die Gefahr besteht, dass das alles ein Papiertiger ist?
Leutheusser-Schnarrenberger: Also Papiertiger auf gar keinen Fall, sondern das wird ja auch im Kabinett, dieser Bericht, vorgetragen werden. Wir haben schon Gesetze, und wir werden natürlich da, wo es um Verbesserung gesetzlicher Leistungen geht – Opferentschädigungsgesetz –, das wird natürlich in gesetzliche Grundlagen auch gegossen. Und das andere, das wird dann die Vereinbarung zwischen Bund und Ländern sein, wo genau aufgeteilt werden wird, unter welchen Voraussetzungen hier Hilfeleistungen auch finanziert werden.
Brink: Ein besonders wichtiger Punkt für die Opfer war ja auch immer die Verjährungsfrist.
Leutheusser-Schnarrenberger: Ja. Wir haben im Zivilrecht eine sehr kurze Verjährung bis heute, und deshalb liegt ein Gesetzentwurf im Bundestag, die zivilrechtliche Verjährungsfrist von 3 auf 30 Jahre zu verlängern. Das wird beraten, das wird denke ich auch zügig in dem Opfergesetz beschlossen werden. Der Rechtsausschuss befasst sich intensiv damit.
Brink: Ich möchte an dieser Stelle jetzt einen Schnitt machen und das Thema Kindesmissbrauch, die Beratungen des runden Tisches "Sexueller Missbrauch" – das Ergebnis wird ja heute offiziell bekannt gegeben – ... und uns einem anderen wichtigen Thema zuwenden, was uns auch sehr beschäftigt: Wie konnte es zu den Morden der Neonazis kommen? Gestern wurde ja ein NPD-Mitglied in U-Haft genommen, weil er vermutlich die Mörder mit Waffen versorgt hat. Warum wusste niemand davon, oder wurde die Information ignoriert? Jetzt plant der Innenminister Friedrich eine Neonazi-Datei: Alle Behörden sollen per Gesetz verpflichtet werden, ihre bereits erhobenen Daten abzuliefern. Eine gute Idee?
Leutheusser-Schnarrenberger: Alles zu tun, um rechtsstaatlich, aber auch da, wo es wirklich nachweisbare Defizite gegeben hat, Schwachstellen zu beheben, ist bestimmt beim konzentrierten Vorgehen gegen Rechtsextremismus der richtige Ansatz.
Von daher sagen wir auch: Ja, wenn in einer zusammengeführten Datei die Informationen über Neonazis, über Kameradschaften, über gewalttätige Rechtsextreme verbessert werden kann, dann ist das ein Ansatz, über den wir beraten. Es ist ja gestern der Gesetzentwurf des Innenministers formuliert worden, wir haben ihn dann gestern auch, gestern zu später Stunde erhalten, und natürlich werden wir uns jetzt intensiv damit befassen.
Aber ich glaube, wir dürfen eines nicht aus den Augen verlieren: Es muss immer auch ganz klar sein, wo waren die Schwächen, wo waren die Defizite in der Vergangenheit, um auch genau zielorientiert anzusetzen – denn wenn schon überhaupt jemand gar nicht mit rechtsextremer Organisation in Verbindung gebracht wird, nützen die meisten Dateien nichts, weil dann ja gar nicht diese Informationen in Dateien sind. Das haben wir leider auch in der Vergangenheit erlebt. Also die Wachsamkeit und die Bereitschaft von Länderbehörden, sich auch untereinander auszutauschen, nachzufragen, die ist ganz groß, und wir werden um Organisationsänderungen deshalb auch nicht drum herum kommen.
Brink: Eine letzte kurze Frage: Die Ermittlungen sind ja nun im Fall der Zwickauer Neonazizelle immer näher an die NPD herangerückt. Was bedeutet das für ein mögliches NPD-Verbot?
Leutheusser-Schnarrenberger: Ein NPD-Verbotsverfahren muss, wenn es erneut in Angriff genommen werden soll, wirklich hinreichend Aussicht auf Erfolg haben, und ein Verfahrenshindernis muss von Anfang an beseitigt werden – das hat uns ja das letzte Urteil, die letzte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts 2003 gezeigt: Auf keinen Fall dürfen V-Leute in Vorstandsebenen der NPD auf Bundes- und Landesebene wirken. Dann haben wir keine Chance, wenn das der Fall ist. Wenn dieses Hindernis beseitigt wird, das ist natürlich dann die Verpflichtung gerade auch der Länderinnenminister, dann denke ich muss man in der Sache materiell-rechtlich prüfen, und da würde natürlich so eine Verbindung dieser Taten mit der NPD ein wichtiges Element sein.
Brink: Die FDP-Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Herzlichen Dank, Frau Schnarrenberger, für das Gespräch!
Leutheusser-Schnarrenberger: Danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.