"Es steht nicht jeden Tag Religion auf dem Programm"
Auf der Drei-Religionen-Schule sollen die Schüler auch die Unterschiede zu anderen Religionen kennen und respektieren lernen, sagt Winfried Verburg vom Bistum Osnabrück. Er hat die Idee der konfessionsübergreifenden Schule mitentwickelt.
Kirsten Westhuis: Am Mittwoch dieser Woche haben Prominente aus Politik, Kirche, Sport und Gesellschaft in Berlin ihren Aufruf "Ökumene jetzt" veröffentlicht und damit zur Überwindung der Kirchenspaltung zwischen katholischen und evangelischen Christen aufgerufen. Zur gleichen Zeit, ebenfalls am Mittwochvormittag, begann für 22 Sechsjährige unter ähnlich großer medialer Beobachtung der Start ins Schulleben an der neuen Drei-Religionen-Schule in Osnabrück. Da geht es nicht nur ums Miteinander der Konfessionen, sondern um das Miteinander der abrahamitischen Religionen. Jüdische, muslimische und christliche Erstklässler, sowie Kinder atheistischer Eltern lernen zusammen unter einem Dach. Die Idee der Drei-Religionen-Schule hat Winfried Verburg vom Bistum Osnabrück mitentwickelt. Mit ihm habe ich vor der Sendung gesprochen und ihn zunächst gefragt, was die Drei-Religionen-Schule von anderen Grundschulen unterscheidet.
Winfried Verburg: Die Unterscheidung liegt vor allen Dingen darin, dass es nicht eine katholische Schule wie andere Schulen ist, sondern dass wir diese Schule gemeinsam mit der jüdischen Gemeinde in Osnabrück und zwei muslimischen Verbänden, der Schura Niedersachsen und der DITIB Niedersachsen, gemeinsam gestalten. Wir haben einen Kooperationsvertrag geschlossen, in dem wir Grundregeln für die Schule und das Zusammenleben der Religionen vereinbart haben.
Westhuis: Und was sollen die Kinder lernen? Steht da jetzt jeden Tag Religion auf dem Programm?
Verburg: Nein, es steht nicht jeden Tag Religion auf dem Programm. Selbstverständlich lernen die Kinder genau das, was sie auch in jeder anderen öffentlichen Schule lernen, also Deutsch, Mathematik, Rechnen, Sachkunde, Sport, Musik – der Fächerkanon ist identisch, aber natürlich spielt Religion eine Rolle, zwei Stunden Religionsunterricht haben alle Kinder, aber unterschiedlich. Die jüdischen Kinder haben bei einem jüdischen Religionslehrer, die muslimischen bei einer islamischen Religionslehrerin, und die christlichen im Moment konfessionell kooperativ bei einer katholischen Lehrerin.
Westhuis: Kinder verschiedener Religionen, die zum Religionsunterricht in einen anderen Raum gehen, das ist ja in Deutschland fast in jeder Schule Alltag. Wenn Sie diesen religiösen Aspekt jetzt so betonen, stellen Sie dann nicht die Unterschiede heraus? Was ist anders in Osnabrück?
Verburg: Also zum einen gibt es das Miteinander dieser drei Religionsunterrichte so noch kaum, weil es auch recht wenig jüdische Kinder gibt, sodass es an wenigen Schulen überhaupt jüdischen Religionsunterricht gibt. Der islamische Religionsunterricht ist auch noch nicht reguläres Unterrichtsfach in allen Schulen, da sind die Muslime gemeinsam mit dem Land auf dem Weg, insofern ist das schon etwas anderes, aber wir wollen natürlich auch darüber hinausgehen. Zum einen sollen die Schülerinnen und Schüler ihre religiöse Identität und Verwurzelung kennenlernen, tiefer kennenlernen, zum anderen sollen sie auch die Unterschiede kennenlernen der anderen Religionen, und nicht nur kennenlernen, sondern auch respektieren lernen. Dazu gibt es verbindliche Themen in den jeweiligen Religionsunterrichten, die zeitgleich erarbeitet werden, zum Beispiel das Thema Gebet, was bedeutet das im Judentum, wie beten wir, wann beten wir, in welcher Haltung beten wir, das gleiche in den anderen Religionen, und dann sollen die Kinder in einem Projekthalbtag sich gegenseitig ihre Religion und die Besonderheiten ihrer Religion auch vorstellen.
Westhuis: Und wird dann auch zusammen gebetet?
Verburg: Es kann auch zusammen gebetet werden, die Richtlinien der Deutschen Bischofskonferenz sehen vor, dass ein Gebet in Anwesenheit der anderen ist. So haben wir es zum Beispiel auch bei der Einschulungsfeier gehalten, dass der Rabbiner ein Segensgebet gesprochen hat, der Imam und die evangelische Pastorin und der katholische Pfarrer.
Westhuis: Wer unterrichtet an der neuen Drei-Religionen-Schule? Gibt es da bestimmte Voraussetzungen für die Lehrer?
Verburg: Im Kooperationsvertrag ist festgelegt, dass an dieser Schule Lehrerinnen und Lehrer aller drei Religionen unterrichten sollen, und zwar nicht nur im Religionsunterricht. Das werden wir im ersten Schuljahr jetzt mit einer Klasse noch nicht so ganz umsetzen können, aber wir haben einen jüdischen Religionslehrer, eine islamische Religionslehrerin, die auch schon eine AG anbietet, und wenn wir im nächsten Jahr dann zwei zusätzliche Klassen bekommen, kommen wir diesem Ziel dann auch näher. Die Lehrerinnen und Lehrer müssen nicht Fachleute der anderen Religionen sein, wir erwarten aber eine Neugier, eine Offenheit und den Respekt vor den religiösen Überzeugungen der anderen in der Schule.
Westhuis: Jetzt haben Sie mit 22 I-Männchen losgelegt, Anmeldungen fürs nächste Jahr sind da, sagten Sie. Wie ist das Interesse an dieser Schule? Melden Eltern ihre Kinder gezielt bei Ihnen an?
Verburg: Das Interesse ist für uns erfreulich. Man muss sehen, die Kinder, die jetzt eingeschult worden sind, sind bereits im Mai des vergangenen Jahres angemeldet worden. Das ist in Niedersachsen sehr frühzeitig, weil dann auch geguckt wird, sind die Kinder sprachlich schon so weit, dass sie dem Schulunterricht folgen können, sonst gibt es im letzten Kindergartenjahr noch eine Sprachförderung, sodass diese 22 Elternpaare sich schon zu einem Zeitpunkt für diese Schule entschieden haben, als wir noch keine Lehrer präsentieren konnten, als die Genehmigung vom Kultusministerium noch nicht vorlag, die Schule eigentlich nur als Idee auf dem Papier war, und dass Eltern das Wichtigste und Wertvollste, was sie haben – ihr Kind –, dann uns anvertrauen, das finden wir einen hohen Vertrauensbeweis, und für das kommende Schuljahr haben wir jetzt schon 38 Anmeldungen, sodass wir dann unser Ziel, die Zweizügigkeit, erreichen werden.
Westhuis: Die Idee auf dem Papier, und jetzt sind die ersten Kinder eingeschult worden. Sie haben diese Idee von Anfang an begleitet, Herr Verburg. Wie kam es überhaupt zu dieser Idee, wirklich die drei Religionen, die auf Abraham sich beziehen, als Merkmal für eine Schule zusammenzustellen?
Verburg: Die theologische Grundlage ist in einem Ereignis zu finden, was jetzt 50 Jahre her ist, das Zweite Vatikanische Konzil. Das Konzil hat einerseits festgehalten, dass die Juden in einem ungekündigten Gottesbund leben, dass die Christen, die Katholiken die Muslime mit Hochachtung und Respekt zu behandeln haben, und das Konzil sagt auch da, dass Christen und Juden und Muslime gemeinsame Erbe so reich ist, will die Heilige Synode – gemeint ist das Konzil – die gegenseitige Kenntnis und Achtung fördern. Und wenn ich das tun will, wo kann ich das besser, als in einer Schule und bei jungen Menschen?
Westhuis: Die jungen Menschen, die Kinder, können ja ziemlich ehrlich sein und auch sehr logische Fragen stellen. Herr Verburg, ist es Grundschülern heute nicht völlig egal, ob ihr Mitschüler und ihr Freund in die Kirche, in die Moschee oder in die Synagoge geht?
Verburg: Das mag so sein, manchmal wissen sie es ja gar nicht. Nur wir sehen ja auch aus aktuellem Anlass in unserer Gesellschaft, dass vielleicht diese Unbefangenheit nicht mehr gegeben ist, wenn die Schüler älter werden, und dass dann, wie wir jetzt in Berlin gesehen haben, es sehr, sehr wichtig ist, dass sie Kinder und Jugendliche mit anderer religiöser Überzeugung kennengelernt und respektieren gelernt haben. Also ich glaube, dass das sehr, sehr wichtig ist, auch wenn vielleicht für viele die Religion heute nicht mehr so wichtig ist, wie das in der Vergangenheit war. Aber es gibt religiös geprägte Elternhäuser, und ich bin davon überzeugt, dass unsere Gesellschaft in Zukunft nicht religionslos sein wird. Und die Herausforderung unserer Kinder wird sein, wie sie diese Gesellschaft gestalten mit Menschen sehr unterschiedlicher religiöser Überzeugungen.
Westhuis: Das Logo der Drei-Religionen-Schule verbindet Kreuz, Halbmond und Menora, den siebenarmigen Leuchter. Was hängt denn an der Wand hinterm Pult in ihrer Schule?
Verburg: Eine Tafel, wie in jeder anderen Schule erst mal. Wir sind in der Startphase, dieses Logo, worauf Sie anspielen, hat eine Schülerfirma einer anderen unserer Schulen gemacht, darüber sind wir auch sehr froh, wir finden, das ist sehr gelungen. Und wir wollen jetzt gemeinsam mit den Eltern und den Lehrern auch überlegen, wie wir den Klassenraum gestalten. Also es ist schon im Kooperationsvertrag festgelegt, dass da keine weiße Wand ist, sondern dass alle Symbole der drei Religionen, wie sie im Logo vereinbart sind, auch in der Schule sichtbar werden wollen. Und unser Ziel ist auch, dass sozusagen im Eingangsbereich deutlich wird, wo in welchem Festkalender der jeweiligen Religion wir stehen.
Westhuis: Das heißt, die Feste, die religiösen Feste, sollen auch ganz bewusst gelebt werden bei Ihnen?
Verburg: Sie sollen zunächst mal wahrgenommen werden. Das fängt damit an, dass man im Schulkalender sie berücksichtigt. Bei uns wird es keine Klassenfeier am Schabbat geben, wenn die orthodoxen Juden Probleme haben, da hinzukommen und deswegen wegbleiben würden. Es wird auch kein fröhliches Fest im Ramadan geben. Darauf muss man einfach Rücksicht nehmen, aber das war schon eine wichtige Arbeit im Beirat, diesen Kalender herzustellen. Das andere ist, dass es Feste gibt, die einen so hohen Rang haben, dass zum Beispiel jüdische Eltern sagen, an dem Tag bleibt unser Kind zu Hause. Es ist ein Festtag, an dem nicht gearbeitet wird. Das wird diese Schule respektieren. Darüber hinaus wird im Wochenanfangs- oder Wochenendkreis natürlich mit allen Schülern darüber gesprochen, welche Feste anstehen, und es gibt auch Feste, die man auch in der Schulgemeinschaft feiern kann wie Chanukka zum Beispiel.
Westhuis: Ich kann mir vorstellen, dass die Kinder, die jetzt lernen und jetzt eingeschult wurden in die Drei-Religionen-Schule, vielleicht noch nicht sofort, aber irgendwann sicherlich mit der Frage nach Gott kommen, mit der Frage nach Gott, nach Jahwe und nach Allah. Was antworten Sie denen, glauben wir alle an den gleichen Gott?
Verburg: Nach der Aussage des Zweiten Vatikanums ist das so. Dass wir Juden und Christen an den gleichen Gott glauben, ist unbestritten und Nostra Aetate, die Erklärung zum Verhältnis zu den nichtchristlichen Religionen, stellt auch klar, dass auch die Muslime an den Schöpfergott glauben, an den Barmherzigen, der uns am Ende der Zeiten richten wird.
Westhuis: Drei Religionen umfasst noch nicht alles, es sind nicht alle Weltreligionen. Grenzen Sie sich damit auch ab?
Verburg: Es ist sicherlich eine gewisse Abgrenzung. Die Schule ist natürlich offen für Kinder aller religiöser Überzeugungen, aber wir haben die konkrete Partnerschaft nur zwischen den drei Religionen vereinbart, weil wir sagen, das ist schon ein deutlicher Schritt nach vorne, diese gemeinsame Arbeit, und hier gibt es eben auch viele gemeinsame Grundlagen, der Glaube an Gott, die zum Teil gemeinsamen Schriften, hier gibt es also etwas, worauf man aufbauen kann, was so mit anderen Weltreligionen sehr viel schwieriger wäre, und man muss natürlich auch sehen, wie viele Kinder der betreffenden Religionen gibt es überhaupt in der Stadt Osnabrück.
Westhuis: Den Erstklässlern in dieser Woche am Mittwoch wurden sicherlich auch viele, viele Hoffnungen und Erwartungen mit in die Schultüte gesteckt. Sind sich die Kleinen überhaupt bewusst, dass das jetzt was ganz Neues ist?
Verburg: Ich glaube nicht, ich hoffe es auch gar nicht. Also für die Kinder haben wir ja auch versucht, die Einschulung so zu machen, trotz des hohen Medieninteresses, dass sie weitgehend davon verschont geblieben sind. Es war eine Feier für die Schülerinnen und Schüler und deren Eltern. Es war natürlich schon deutlich gerade auch für jüdische und islamische Eltern, dass hier ihre Religion auch willkommen ist, das wurde eben bei der Feier schon deutlich. Sie können das natürlich kaum vergleichen, weil sie ja nur einmal im Leben eingeschult werden.
Westhuis: Interreligiöses Lernen in Osnabrück – das war Winfried Verburg vom Schulamt des Bistums Osnabrück, einer der Ideengeber für die Drei-Religionen-Schule, die in dieser Woche ihren Betrieb aufgenommen hat. Herr Verburg, vielen Dank für das Gespräch!
Verburg: Ich danke Ihnen auch für Ihr Interesse!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Winfried Verburg: Die Unterscheidung liegt vor allen Dingen darin, dass es nicht eine katholische Schule wie andere Schulen ist, sondern dass wir diese Schule gemeinsam mit der jüdischen Gemeinde in Osnabrück und zwei muslimischen Verbänden, der Schura Niedersachsen und der DITIB Niedersachsen, gemeinsam gestalten. Wir haben einen Kooperationsvertrag geschlossen, in dem wir Grundregeln für die Schule und das Zusammenleben der Religionen vereinbart haben.
Westhuis: Und was sollen die Kinder lernen? Steht da jetzt jeden Tag Religion auf dem Programm?
Verburg: Nein, es steht nicht jeden Tag Religion auf dem Programm. Selbstverständlich lernen die Kinder genau das, was sie auch in jeder anderen öffentlichen Schule lernen, also Deutsch, Mathematik, Rechnen, Sachkunde, Sport, Musik – der Fächerkanon ist identisch, aber natürlich spielt Religion eine Rolle, zwei Stunden Religionsunterricht haben alle Kinder, aber unterschiedlich. Die jüdischen Kinder haben bei einem jüdischen Religionslehrer, die muslimischen bei einer islamischen Religionslehrerin, und die christlichen im Moment konfessionell kooperativ bei einer katholischen Lehrerin.
Westhuis: Kinder verschiedener Religionen, die zum Religionsunterricht in einen anderen Raum gehen, das ist ja in Deutschland fast in jeder Schule Alltag. Wenn Sie diesen religiösen Aspekt jetzt so betonen, stellen Sie dann nicht die Unterschiede heraus? Was ist anders in Osnabrück?
Verburg: Also zum einen gibt es das Miteinander dieser drei Religionsunterrichte so noch kaum, weil es auch recht wenig jüdische Kinder gibt, sodass es an wenigen Schulen überhaupt jüdischen Religionsunterricht gibt. Der islamische Religionsunterricht ist auch noch nicht reguläres Unterrichtsfach in allen Schulen, da sind die Muslime gemeinsam mit dem Land auf dem Weg, insofern ist das schon etwas anderes, aber wir wollen natürlich auch darüber hinausgehen. Zum einen sollen die Schülerinnen und Schüler ihre religiöse Identität und Verwurzelung kennenlernen, tiefer kennenlernen, zum anderen sollen sie auch die Unterschiede kennenlernen der anderen Religionen, und nicht nur kennenlernen, sondern auch respektieren lernen. Dazu gibt es verbindliche Themen in den jeweiligen Religionsunterrichten, die zeitgleich erarbeitet werden, zum Beispiel das Thema Gebet, was bedeutet das im Judentum, wie beten wir, wann beten wir, in welcher Haltung beten wir, das gleiche in den anderen Religionen, und dann sollen die Kinder in einem Projekthalbtag sich gegenseitig ihre Religion und die Besonderheiten ihrer Religion auch vorstellen.
Westhuis: Und wird dann auch zusammen gebetet?
Verburg: Es kann auch zusammen gebetet werden, die Richtlinien der Deutschen Bischofskonferenz sehen vor, dass ein Gebet in Anwesenheit der anderen ist. So haben wir es zum Beispiel auch bei der Einschulungsfeier gehalten, dass der Rabbiner ein Segensgebet gesprochen hat, der Imam und die evangelische Pastorin und der katholische Pfarrer.
Westhuis: Wer unterrichtet an der neuen Drei-Religionen-Schule? Gibt es da bestimmte Voraussetzungen für die Lehrer?
Verburg: Im Kooperationsvertrag ist festgelegt, dass an dieser Schule Lehrerinnen und Lehrer aller drei Religionen unterrichten sollen, und zwar nicht nur im Religionsunterricht. Das werden wir im ersten Schuljahr jetzt mit einer Klasse noch nicht so ganz umsetzen können, aber wir haben einen jüdischen Religionslehrer, eine islamische Religionslehrerin, die auch schon eine AG anbietet, und wenn wir im nächsten Jahr dann zwei zusätzliche Klassen bekommen, kommen wir diesem Ziel dann auch näher. Die Lehrerinnen und Lehrer müssen nicht Fachleute der anderen Religionen sein, wir erwarten aber eine Neugier, eine Offenheit und den Respekt vor den religiösen Überzeugungen der anderen in der Schule.
Westhuis: Jetzt haben Sie mit 22 I-Männchen losgelegt, Anmeldungen fürs nächste Jahr sind da, sagten Sie. Wie ist das Interesse an dieser Schule? Melden Eltern ihre Kinder gezielt bei Ihnen an?
Verburg: Das Interesse ist für uns erfreulich. Man muss sehen, die Kinder, die jetzt eingeschult worden sind, sind bereits im Mai des vergangenen Jahres angemeldet worden. Das ist in Niedersachsen sehr frühzeitig, weil dann auch geguckt wird, sind die Kinder sprachlich schon so weit, dass sie dem Schulunterricht folgen können, sonst gibt es im letzten Kindergartenjahr noch eine Sprachförderung, sodass diese 22 Elternpaare sich schon zu einem Zeitpunkt für diese Schule entschieden haben, als wir noch keine Lehrer präsentieren konnten, als die Genehmigung vom Kultusministerium noch nicht vorlag, die Schule eigentlich nur als Idee auf dem Papier war, und dass Eltern das Wichtigste und Wertvollste, was sie haben – ihr Kind –, dann uns anvertrauen, das finden wir einen hohen Vertrauensbeweis, und für das kommende Schuljahr haben wir jetzt schon 38 Anmeldungen, sodass wir dann unser Ziel, die Zweizügigkeit, erreichen werden.
Westhuis: Die Idee auf dem Papier, und jetzt sind die ersten Kinder eingeschult worden. Sie haben diese Idee von Anfang an begleitet, Herr Verburg. Wie kam es überhaupt zu dieser Idee, wirklich die drei Religionen, die auf Abraham sich beziehen, als Merkmal für eine Schule zusammenzustellen?
Verburg: Die theologische Grundlage ist in einem Ereignis zu finden, was jetzt 50 Jahre her ist, das Zweite Vatikanische Konzil. Das Konzil hat einerseits festgehalten, dass die Juden in einem ungekündigten Gottesbund leben, dass die Christen, die Katholiken die Muslime mit Hochachtung und Respekt zu behandeln haben, und das Konzil sagt auch da, dass Christen und Juden und Muslime gemeinsame Erbe so reich ist, will die Heilige Synode – gemeint ist das Konzil – die gegenseitige Kenntnis und Achtung fördern. Und wenn ich das tun will, wo kann ich das besser, als in einer Schule und bei jungen Menschen?
Westhuis: Die jungen Menschen, die Kinder, können ja ziemlich ehrlich sein und auch sehr logische Fragen stellen. Herr Verburg, ist es Grundschülern heute nicht völlig egal, ob ihr Mitschüler und ihr Freund in die Kirche, in die Moschee oder in die Synagoge geht?
Verburg: Das mag so sein, manchmal wissen sie es ja gar nicht. Nur wir sehen ja auch aus aktuellem Anlass in unserer Gesellschaft, dass vielleicht diese Unbefangenheit nicht mehr gegeben ist, wenn die Schüler älter werden, und dass dann, wie wir jetzt in Berlin gesehen haben, es sehr, sehr wichtig ist, dass sie Kinder und Jugendliche mit anderer religiöser Überzeugung kennengelernt und respektieren gelernt haben. Also ich glaube, dass das sehr, sehr wichtig ist, auch wenn vielleicht für viele die Religion heute nicht mehr so wichtig ist, wie das in der Vergangenheit war. Aber es gibt religiös geprägte Elternhäuser, und ich bin davon überzeugt, dass unsere Gesellschaft in Zukunft nicht religionslos sein wird. Und die Herausforderung unserer Kinder wird sein, wie sie diese Gesellschaft gestalten mit Menschen sehr unterschiedlicher religiöser Überzeugungen.
Westhuis: Das Logo der Drei-Religionen-Schule verbindet Kreuz, Halbmond und Menora, den siebenarmigen Leuchter. Was hängt denn an der Wand hinterm Pult in ihrer Schule?
Verburg: Eine Tafel, wie in jeder anderen Schule erst mal. Wir sind in der Startphase, dieses Logo, worauf Sie anspielen, hat eine Schülerfirma einer anderen unserer Schulen gemacht, darüber sind wir auch sehr froh, wir finden, das ist sehr gelungen. Und wir wollen jetzt gemeinsam mit den Eltern und den Lehrern auch überlegen, wie wir den Klassenraum gestalten. Also es ist schon im Kooperationsvertrag festgelegt, dass da keine weiße Wand ist, sondern dass alle Symbole der drei Religionen, wie sie im Logo vereinbart sind, auch in der Schule sichtbar werden wollen. Und unser Ziel ist auch, dass sozusagen im Eingangsbereich deutlich wird, wo in welchem Festkalender der jeweiligen Religion wir stehen.
Westhuis: Das heißt, die Feste, die religiösen Feste, sollen auch ganz bewusst gelebt werden bei Ihnen?
Verburg: Sie sollen zunächst mal wahrgenommen werden. Das fängt damit an, dass man im Schulkalender sie berücksichtigt. Bei uns wird es keine Klassenfeier am Schabbat geben, wenn die orthodoxen Juden Probleme haben, da hinzukommen und deswegen wegbleiben würden. Es wird auch kein fröhliches Fest im Ramadan geben. Darauf muss man einfach Rücksicht nehmen, aber das war schon eine wichtige Arbeit im Beirat, diesen Kalender herzustellen. Das andere ist, dass es Feste gibt, die einen so hohen Rang haben, dass zum Beispiel jüdische Eltern sagen, an dem Tag bleibt unser Kind zu Hause. Es ist ein Festtag, an dem nicht gearbeitet wird. Das wird diese Schule respektieren. Darüber hinaus wird im Wochenanfangs- oder Wochenendkreis natürlich mit allen Schülern darüber gesprochen, welche Feste anstehen, und es gibt auch Feste, die man auch in der Schulgemeinschaft feiern kann wie Chanukka zum Beispiel.
Westhuis: Ich kann mir vorstellen, dass die Kinder, die jetzt lernen und jetzt eingeschult wurden in die Drei-Religionen-Schule, vielleicht noch nicht sofort, aber irgendwann sicherlich mit der Frage nach Gott kommen, mit der Frage nach Gott, nach Jahwe und nach Allah. Was antworten Sie denen, glauben wir alle an den gleichen Gott?
Verburg: Nach der Aussage des Zweiten Vatikanums ist das so. Dass wir Juden und Christen an den gleichen Gott glauben, ist unbestritten und Nostra Aetate, die Erklärung zum Verhältnis zu den nichtchristlichen Religionen, stellt auch klar, dass auch die Muslime an den Schöpfergott glauben, an den Barmherzigen, der uns am Ende der Zeiten richten wird.
Westhuis: Drei Religionen umfasst noch nicht alles, es sind nicht alle Weltreligionen. Grenzen Sie sich damit auch ab?
Verburg: Es ist sicherlich eine gewisse Abgrenzung. Die Schule ist natürlich offen für Kinder aller religiöser Überzeugungen, aber wir haben die konkrete Partnerschaft nur zwischen den drei Religionen vereinbart, weil wir sagen, das ist schon ein deutlicher Schritt nach vorne, diese gemeinsame Arbeit, und hier gibt es eben auch viele gemeinsame Grundlagen, der Glaube an Gott, die zum Teil gemeinsamen Schriften, hier gibt es also etwas, worauf man aufbauen kann, was so mit anderen Weltreligionen sehr viel schwieriger wäre, und man muss natürlich auch sehen, wie viele Kinder der betreffenden Religionen gibt es überhaupt in der Stadt Osnabrück.
Westhuis: Den Erstklässlern in dieser Woche am Mittwoch wurden sicherlich auch viele, viele Hoffnungen und Erwartungen mit in die Schultüte gesteckt. Sind sich die Kleinen überhaupt bewusst, dass das jetzt was ganz Neues ist?
Verburg: Ich glaube nicht, ich hoffe es auch gar nicht. Also für die Kinder haben wir ja auch versucht, die Einschulung so zu machen, trotz des hohen Medieninteresses, dass sie weitgehend davon verschont geblieben sind. Es war eine Feier für die Schülerinnen und Schüler und deren Eltern. Es war natürlich schon deutlich gerade auch für jüdische und islamische Eltern, dass hier ihre Religion auch willkommen ist, das wurde eben bei der Feier schon deutlich. Sie können das natürlich kaum vergleichen, weil sie ja nur einmal im Leben eingeschult werden.
Westhuis: Interreligiöses Lernen in Osnabrück – das war Winfried Verburg vom Schulamt des Bistums Osnabrück, einer der Ideengeber für die Drei-Religionen-Schule, die in dieser Woche ihren Betrieb aufgenommen hat. Herr Verburg, vielen Dank für das Gespräch!
Verburg: Ich danke Ihnen auch für Ihr Interesse!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.