"Es war ein Fehler, in die Atomkraft einzusteigen"
Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Nikolaus Schneider, hat das Atomkraft-Moratorium der Koalition als zu kurz kritisiert. Drei Monate würden nicht ausreichen, sagte Schneider.
Jan-Christoph Kitzler: Die Katastrophe in Japan kann man sich in ihrem ganzen Ausmaß immer noch kaum vorstellen, und vor allem bei der nuklearen Katastrophe im Kraftwerk Fukushima können wir nur hilflos zuschauen. Viele Menschen haben jetzt Angst, viele sorgen sich um die Zukunft, und es hat eine Debatte darüber begonnen, wie lange wir diese, unsere Zukunft noch mit Strom aus Atomkraftwerken bestreiten wollen, denn ein Restrisiko bleibt. Auch wenn es in Deutschland keine Tsunamis gibt wie in Japan: Die Tatsache allein, dass eine Katastrophe wie die in Japan hierzulande nicht denkbar ist, die bietet uns noch keine Sicherheit, denn auch in Japan konnte man sich schließlich so was nicht vorstellen.
Die Bundesregierung will jetzt eine Diskussion über die Atomkraft auf breiter gesellschaftlicher Basis führen. Am Tisch sollen auch die Kirchen sitzen, und ich bin jetzt verbunden mit dem Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland, mit Präses Nikolaus Schneider. Schönen guten Morgen!
Nikolaus Schneider: Schönen guten Morgen!
Kitzler: Bundeskanzlerin Merkel hat ja gleich nach der Katastrophe gesagt, wir sollen Ehrfurcht haben vor der Natur, und sie hat gesagt, jawohl, wir wissen, dass wir auch ein Stück weit in Gottes Hand sind. Halten Sie das für eine gute Antwort auf die Krise von einer Regierungschefin?
Schneider: Es kommt darauf an, wie sie gemeint ist. Darauf hinzuweisen, dass wir Geschöpfe sind und nicht der Schöpfer, darauf hinzuweisen, dass die Schöpfung für uns eben auch einen unsicheren Boden darstellt, das ist ja durchaus richtig. Auch den persönlichen Glauben in die Gespräche einzubringen und deutlich zu machen, dass sie ein Grundvertrauen zu Gott hat, der sie in der Hand hat und bewahren will – das ist eine Aussage, die ich sehr ernst nehme, denn sie macht ihren persönlichen Glauben damit deutlich, und das entspricht auch meinem Glauben. Das alles ersetzt aber natürlich nicht eine nüchterne Analyse der Situation vor Ort, und es ersetzt auch nicht, dann die entsprechenden Konsequenzen zu ziehen und auch in bestimmter Weise zu handeln. Der Glaube ist keine Alternative zum Handeln und keine Alternative zur nüchternen Analyse.
Kitzler: Man hat ja jetzt den Eindruck, dass es ziemlich schwer ist, über die analytische Seite, über die Lehren zu diskutieren, die man jetzt aus dieser Katastrophe ziehen muss. Das, was gesagt wird, das steht jetzt angesichts der kommenden Landtagswahlen ja schon immer unter Wahlkampfverdacht. Was für eine Diskussion wünschen Sie sich denn?
Schneider: Ich wünsche mir eine Diskussion, die die ethische Seite des Ganzen noch mal stark macht, und in diesem Zusammenhang haben wir als Kirchen immer gesagt – und wie ich jetzt neuerdings hörte, Kardinal Höffner schon vor ganz langer Zeit –, dass ein Restrisiko, und mag es noch so klein sein, dass ein Restrisiko, das Konsequenzen apokalyptischen Ausmaßes nach sich ziehen kann, dass das einfach nicht akzeptabel ist, und dass wir dann so schnell wie möglich aus dieser Technologie raus müssen.
Kitzler: Die Bundesregierung hat ja angekündigt: Man will jetzt in den kommenden drei Monaten eine breite gesellschaftliche Diskussion über die Atomkraft, und dabei sollen auch die Kirchen mitmachen. Haben Sie schon eine Einladung bekommen?
Schneider: Die habe ich bisher nicht bekommen, sondern die ging bisher von Herrn Röttgen durchs Fernsehen an meine Adresse, aber ich kann mir gut vorstellen, dass wir auch eine Einladung zum Gespräch bekommen werden.
Kitzler: Norbert Röttgen, der Umweltminister, hat ja gesagt, er will die Kernkraft aus der Kampfzone herausbringen, auch mithilfe dieser Diskussion, bei der Sie, die Kirchen, mitmachen sollen. Fühlen Sie sich da ein bisschen missbraucht?
Schneider: Also wenn wir sozusagen die weiße Salbe sein sollen, dann wäre das Missbrauch. Wenn die Politik bereit ist, ernsthaft zu hören und auch für sich selber Schritte dann verbindlich zu machen, die aus kirchlichen Erwägungen erwachsen, dann wäre das ein sinnvoller Beitrag – und da müssen wir jetzt mal abwarten, wie es wird.
Kitzler: Welche Argumente können Sie denn als evangelische Kirche einbringen, welche wollen Sie einbringen?
Schneider: Ich will auf zwei Ebenen argumentieren. Die eine Ebene ist die, dass wir auf das Maß des Menschlichen aufmerksam machen: Menschen sind fehlerhafte Wesen, wir sind Geschöpfe, und da gehört es dazu, dass wir fehlerhaft sind. Daraus gibt es nur eine Konsequenz: Wir müssen mit dieser unserer Natur umgehen, und das heißt, die Technologien, die wir benutzen, müssen fehlerfreundlich sein, man muss sie korrigieren können. Man muss bei Problemen, die auftreten, bei Fehlern, die auftreten, in der Lage sein, diese Fehler denn auch schnell zu korrigieren. Das ist das eine.
Das Zweite ist: Diese Technologien müssen so ausgelegt sein, dass sie eben auch auf die Schöpfung in ihrer Fehlerhaftigkeit reagieren können und es dann nicht zu einer Riesenkatastrophe kommt. Und das Dritte ist, dass die Folgen von Fehlern nicht sozusagen apokalyptisch sein dürfen.
Wir haben mit Verkehrsopfern ständig zu tun, es stürzt ein Flugzeug ab und hunderte Menschen sind tot, es gibt Zugunfälle mit hunderten Toten und es gibt Bergwerksunglücke oder hat sie gegeben, wo die Zahlen auch in den Hunderten sind, oder es gibt auch manchmal Tausende. Aber hier, wenn es um Hunderttausende gehen kann, also das apokalyptische Ausmaß derart ist, dass ganze Bevölkerungsgruppen verstrahlt werden, ganze Regionen nicht mehr bewohnbar sind, dann ist da eben auch eine Grenze dessen erreicht, was Menschen tun können.
Kitzler: Wie sehen Sie es persönlich – ist der Mensch mit dem Nutzen der Atomkraft zu weit gegangen?
Schneider: Ich denke, es war ein Fehler, in die Atomkraft einzusteigen, und ich glaube, das müssen Menschen überhaupt grundsätzlich korrigieren, weil wir reichen mit der Atomkraft an kosmische Kräfte heran, und die sind nicht unser Maß.
Kitzler: Jetzt soll die Diskussion ja angestoßen werden, das Moratorium, also die Verlängerung der Laufzeiten, wird ausgesetzt für drei Monate. Kann man so eine Diskussion, wie Sie sie gezeichnet haben, überhaupt in drei Monaten führen?
Schneider: Also sie muss viel länger geführt werden, man kann sie in drei Monaten vernünftig vorbereiten und anstoßen, aber sie kann nach drei Monaten nicht zu Ende sein.
Kitzler: Präses Nikolaus Schneider, der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland. Haben Sie vielen Dank für das Gespräch!
Schneider: Sehr gerne!
Die Bundesregierung will jetzt eine Diskussion über die Atomkraft auf breiter gesellschaftlicher Basis führen. Am Tisch sollen auch die Kirchen sitzen, und ich bin jetzt verbunden mit dem Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland, mit Präses Nikolaus Schneider. Schönen guten Morgen!
Nikolaus Schneider: Schönen guten Morgen!
Kitzler: Bundeskanzlerin Merkel hat ja gleich nach der Katastrophe gesagt, wir sollen Ehrfurcht haben vor der Natur, und sie hat gesagt, jawohl, wir wissen, dass wir auch ein Stück weit in Gottes Hand sind. Halten Sie das für eine gute Antwort auf die Krise von einer Regierungschefin?
Schneider: Es kommt darauf an, wie sie gemeint ist. Darauf hinzuweisen, dass wir Geschöpfe sind und nicht der Schöpfer, darauf hinzuweisen, dass die Schöpfung für uns eben auch einen unsicheren Boden darstellt, das ist ja durchaus richtig. Auch den persönlichen Glauben in die Gespräche einzubringen und deutlich zu machen, dass sie ein Grundvertrauen zu Gott hat, der sie in der Hand hat und bewahren will – das ist eine Aussage, die ich sehr ernst nehme, denn sie macht ihren persönlichen Glauben damit deutlich, und das entspricht auch meinem Glauben. Das alles ersetzt aber natürlich nicht eine nüchterne Analyse der Situation vor Ort, und es ersetzt auch nicht, dann die entsprechenden Konsequenzen zu ziehen und auch in bestimmter Weise zu handeln. Der Glaube ist keine Alternative zum Handeln und keine Alternative zur nüchternen Analyse.
Kitzler: Man hat ja jetzt den Eindruck, dass es ziemlich schwer ist, über die analytische Seite, über die Lehren zu diskutieren, die man jetzt aus dieser Katastrophe ziehen muss. Das, was gesagt wird, das steht jetzt angesichts der kommenden Landtagswahlen ja schon immer unter Wahlkampfverdacht. Was für eine Diskussion wünschen Sie sich denn?
Schneider: Ich wünsche mir eine Diskussion, die die ethische Seite des Ganzen noch mal stark macht, und in diesem Zusammenhang haben wir als Kirchen immer gesagt – und wie ich jetzt neuerdings hörte, Kardinal Höffner schon vor ganz langer Zeit –, dass ein Restrisiko, und mag es noch so klein sein, dass ein Restrisiko, das Konsequenzen apokalyptischen Ausmaßes nach sich ziehen kann, dass das einfach nicht akzeptabel ist, und dass wir dann so schnell wie möglich aus dieser Technologie raus müssen.
Kitzler: Die Bundesregierung hat ja angekündigt: Man will jetzt in den kommenden drei Monaten eine breite gesellschaftliche Diskussion über die Atomkraft, und dabei sollen auch die Kirchen mitmachen. Haben Sie schon eine Einladung bekommen?
Schneider: Die habe ich bisher nicht bekommen, sondern die ging bisher von Herrn Röttgen durchs Fernsehen an meine Adresse, aber ich kann mir gut vorstellen, dass wir auch eine Einladung zum Gespräch bekommen werden.
Kitzler: Norbert Röttgen, der Umweltminister, hat ja gesagt, er will die Kernkraft aus der Kampfzone herausbringen, auch mithilfe dieser Diskussion, bei der Sie, die Kirchen, mitmachen sollen. Fühlen Sie sich da ein bisschen missbraucht?
Schneider: Also wenn wir sozusagen die weiße Salbe sein sollen, dann wäre das Missbrauch. Wenn die Politik bereit ist, ernsthaft zu hören und auch für sich selber Schritte dann verbindlich zu machen, die aus kirchlichen Erwägungen erwachsen, dann wäre das ein sinnvoller Beitrag – und da müssen wir jetzt mal abwarten, wie es wird.
Kitzler: Welche Argumente können Sie denn als evangelische Kirche einbringen, welche wollen Sie einbringen?
Schneider: Ich will auf zwei Ebenen argumentieren. Die eine Ebene ist die, dass wir auf das Maß des Menschlichen aufmerksam machen: Menschen sind fehlerhafte Wesen, wir sind Geschöpfe, und da gehört es dazu, dass wir fehlerhaft sind. Daraus gibt es nur eine Konsequenz: Wir müssen mit dieser unserer Natur umgehen, und das heißt, die Technologien, die wir benutzen, müssen fehlerfreundlich sein, man muss sie korrigieren können. Man muss bei Problemen, die auftreten, bei Fehlern, die auftreten, in der Lage sein, diese Fehler denn auch schnell zu korrigieren. Das ist das eine.
Das Zweite ist: Diese Technologien müssen so ausgelegt sein, dass sie eben auch auf die Schöpfung in ihrer Fehlerhaftigkeit reagieren können und es dann nicht zu einer Riesenkatastrophe kommt. Und das Dritte ist, dass die Folgen von Fehlern nicht sozusagen apokalyptisch sein dürfen.
Wir haben mit Verkehrsopfern ständig zu tun, es stürzt ein Flugzeug ab und hunderte Menschen sind tot, es gibt Zugunfälle mit hunderten Toten und es gibt Bergwerksunglücke oder hat sie gegeben, wo die Zahlen auch in den Hunderten sind, oder es gibt auch manchmal Tausende. Aber hier, wenn es um Hunderttausende gehen kann, also das apokalyptische Ausmaß derart ist, dass ganze Bevölkerungsgruppen verstrahlt werden, ganze Regionen nicht mehr bewohnbar sind, dann ist da eben auch eine Grenze dessen erreicht, was Menschen tun können.
Kitzler: Wie sehen Sie es persönlich – ist der Mensch mit dem Nutzen der Atomkraft zu weit gegangen?
Schneider: Ich denke, es war ein Fehler, in die Atomkraft einzusteigen, und ich glaube, das müssen Menschen überhaupt grundsätzlich korrigieren, weil wir reichen mit der Atomkraft an kosmische Kräfte heran, und die sind nicht unser Maß.
Kitzler: Jetzt soll die Diskussion ja angestoßen werden, das Moratorium, also die Verlängerung der Laufzeiten, wird ausgesetzt für drei Monate. Kann man so eine Diskussion, wie Sie sie gezeichnet haben, überhaupt in drei Monaten führen?
Schneider: Also sie muss viel länger geführt werden, man kann sie in drei Monaten vernünftig vorbereiten und anstoßen, aber sie kann nach drei Monaten nicht zu Ende sein.
Kitzler: Präses Nikolaus Schneider, der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland. Haben Sie vielen Dank für das Gespräch!
Schneider: Sehr gerne!