"Es wartet immer irgendetwas Originelles auf einen"
Der Kabarettist Dieter Hildebrandt denkt noch nicht ans Aufhören. Körperlich spüre er zwar das Alter, aber im Kopf sei "eigentlich noch alles ganz gut geordnet", sagte Deutschlands wohl bekanntester Kabarettist, der seit über 50 Jahren auf der Bühne steht und heute seinen 80. Geburtstag feiert.
Christiane Habermalz: Herr Hildebrandt, wie sind Sie eigentlich Kabarettist geworden, gab es da ein Schlüsselerlebnis?
Dieter Hildebrandt: Einiges hat sich zusammengetan. Ich habe den Druck, den ich hatte, als ich Platzanweiser war in einem der besten deutschen Kabaretts, die es in der Nachkriegszeit überhaupt gab, mit dem immerhin doch berühmten Erich Kästner als Autor, und dem inzwischen ebenso berühmten Martin Morlok, seinem Schüler damals, dies hat mich natürlich schon sehr inspiriert, selber etwas zu tun in dieser Richtung, nur nicht genau das, was damals die Hochblüte des Kabaretts darstellte, nämlich das literarische, das Bühnenkabarett, das inszenierte, sondern ich wollte aus diesem Kessel raus, ich wollte mein eigenes machen. Ich wollte mehr mit den Leuten reden und wollte mehr improvisieren.
Habermalz: Was haben Sie anders gemacht als beispielsweise Erich Kästner? Da hatten Sie ja ein großes Vorbild.
Hildebrandt: Also der wohlgeformte Text meine ich, der ausformulierte, bis zum Schluss ausformulierte, und der nichts dazwischen dulden kann, weil er sonst zerstört wird, der Text, das ist meine Sache nicht. Ich improvisiere gerne das vom Tage, unterbreche das, lasse etwas weg. Es ist also meistens am Abend etwas, was ich mir am Nachmittag ausgedacht habe, mit dem, was ich vorher geschrieben habe.
Habermalz: Sie sind 1927 in Schlesien geboren, Sie haben in der Schlacht um Berlin in der Heeresgruppe Wenck gekämpft – das habe ich zumindest gelesen. Stimmt das?
Hildebrandt: Ja, Wenck, ja.
Habermalz: Bei Kriegsende waren Sie 18 Jahre alt und heimatvertrieben wie so viele andere ja auch. Gab es damals trotz oder vielleicht auch sogar wegen all dieser Erlebnisse, schrecklichen Erlebnisse ja auch, schon in Ihrem Kopf die Idee, Satiriker oder Humorist zu werden?
Hildebrandt: Der Krieg war es weniger, obwohl der chaotisch genug war. Es war mehr die Erinnerung an die Form, in der wir regiert wurden, an die Diktatur, an die Regeln, die wir gerne ändern würden nach dem Krieg, haben wir uns immer gedacht, der absolute Gehorsam, Disziplin, diese Todeslust, das so genannte Heldentum, alles das, ja auch in der Zeit des Militärs und als es uns wirklich dreckig ging und als wir auch nichts zu Essen hatten und gar nichts. Der Humor bleibt nicht aus, der wird nicht knapp. Der wird höchstens ein wenig bissiger. Das hat nach dem Schluss dieses Krieges natürlich dazu geführt, dass man sich Gedanken machte, wie das wohl weitergeht, und dass man ja dabei ist. Wir waren ja jung, und mit uns fing ja viel an.
Habermalz: Sind Sie eher Optimist oder eher Pessimist?
Hildebrandt: Ich bin Optimist.
Habermalz: Das heißt ein Kritiker, der daran glaubt, dass seine Kritik etwas verändern kann?
Hildebrandt: Na ja, wenn ich nicht überborde mit meinem Optimismus – und ich glaube nicht, dass wir also direkt etwas verändern können, ich glaube nur, dass man daran arbeiten muss.
Habermalz: Sie haben vor kurzem mal gesagt, Sie hätten Ihr Leben nicht abgesessen, sondern durchgestanden.
Hildebrandt: Gelaufen, durchgelaufen, weggelaufen, irgendwohin gelaufen, viel gelaufen.
Habermalz: Aber stehen, durchgestanden – Sie stehen ja auch wirklich im wahrsten Sinne des Wortes auf der Bühne, über 50 Jahre jetzt schon.
Hildebrandt: Genau, richtig. Man nennt das ja auch mit Recht "Stand-up-Komik".
Habermalz: Daher kommt das also.
Hildebrandt: Ja, natürlich.
Habermalz: In Ihrem Fall, die Politiker kommen und gehen, aber Sie bleiben. Ergreift Sie da nicht manchmal eine gewisse Müdigkeit, so nach dem Motto, ist doch alles schon mal da gewesen?
Hildebrandt: Na ja, man kann alles verändern, man kann alles neu machen, man kann alles neu formulieren. Es wartet immer irgendetwas Originelles auf einen – wenn’s einem einfällt.
Habermalz: Wenn man die heutige politische Konstellation anschaut – Angela Merkel kommt in Ihren Satiren oder auch auf der Bühne oder in Ihren Büchern nicht sehr oft vor. Liegt das eventuell daran, dass sie eine Frau ist? Hemmt da der alte Kavalier in Ihnen den Beißreflex?
Hildebrandt: Etwas vom Kavalier hat man immer, ganz klar, natürlich, aber das beschränkt sich wohl mehr auf die Regeln, auf die Sitten. Aber Kavalier einer Bundeskanzlerin gegenüber muss ich nicht unbedingt sein. Sie kommt aber vor, und wenn, dann eben gezielt, also kurz und knapp.
Habermalz: Sie haben Ihr Leben lang selber ausgeteilt und auch teilweise heftig kritisiert – sind Sie manchmal auch konfrontiert mit den Reaktionen derjenigen, die Sie kritisiert haben?
Hildebrandt: Natürlich, es gibt Menschen, die reagieren, die schreiben Briefe, böse Briefe, natürlich, die bin ich gewohnt.
Habermalz: Auch von Politikern?
Hildebrandt: Weniger. Die versuchen richtigzustellen, wenn man etwas gesagt hat, was sie so nicht gesagt haben wollen. Sie wollen ja nach einer gewissen Zeit etwas nicht gesagt haben, wenn es ihnen dann auffällt, was sie gesagt haben. Das nennt man auch dementieren.
Habermalz: Wir haben jetzt ja die Große Koalition, das heißt, die alten Grabenkämpfe von früher weichen auf, und so richtig streitbare Recken wie damals Franz-Josef Strauß werden immer weniger. Gäbe es nicht ab und zu mal einen Bischof Mixa, müsste man sagen, es gibt eigentlich kaum noch Ecken und Kanten in der Politik. Gibt es da für Sie noch genug zu tun?
Hildebrandt: Aber selbstverständlich. Schauen Sie sich um, was für Menschen hin und wieder Richtlinien austeilen, wie Herr Volker Kauder beispielsweise oder Herr Pofalla, die nun im Regierungszentrum sitzen und ein paar Dinge sagen, mit denen man sich wohl beschäftigen muss. Oder die Vorsitzenden der Jungen Union, Mißfelder oder so, das sind alles auch ein paar kantige Typen, die auch einen gewissen Grad von Lächerlichkeit manchmal aufweisen. Und da gibt es genug nachzudenken darüber, was die wollen und wo sie hintreiben.
Habermalz: Wie lesen Sie Zeitung? Lesen Sie immer Zeitung im Hinblick auf mögliche Angriffspunkte?
Hildebrandt: Ich habe natürlich im Hinterkopf immer, dass ich mir was aufschreiben müsste. Und dann, wenn es da ist, das Papier, wo ich gerade sitze – aber das ist nicht der Fall, weil ich fahre ja meistens rum, ich sitze in der Bahn - dann schreibe ich mir das auf natürlich, weil zunehmend ja das Gedächtnis ein wenig nachlässt.
Habermalz: Herr Hildebrandt, Woody Allen soll zu seinem 70. Geburtstag gesagt haben: Altwerden ist nur Scheiße. Wie stehen Sie zum Alter? Fürchten Sie das Alter?
Hildebrandt: Ich habe immer gesagt, der Woody Allen, der sagt das etwas eleganter. Na ja, ich würde sagen, anstrebenswert ist es nicht das Altern, wenn man es abschaffen könnte, würde man wahrscheinlich aber auch einen Fehler machen, weil wir gehen ja den anderen dann nicht von der Pelle. Irgendwie muss das ja auch aufhören, die anderen müssen ja ihren Lebensraum haben. Insofern ist Altern nicht direkt Scheiße, es ist lästig, aber es ist wichtig.
Habermalz: Was verändert sich für Sie durch das Alter? Sie turnen ja mit 80 immer noch die Gegend, Sie schreiben immer noch Bücher, halten Lesungen, Sie stehen auf der Bühne. In welchen Momenten spüren Sie aber dann doch das Alter?
Hildebrandt: Sagen wir mal so, rein körperlich spürt man es halt sehr. Ich meine, im Kopf ist eigentlich das noch alles ganz gut geordnet. Also eine starke Vergesslichkeit, die mich dazu bringen würde, nicht mehr zu wissen, was in dieser Welt passiert, ist es nicht. Es ist schon sagen wir mal die Luft etwas knapper, und die Beine sind etwas sagen wir steifer. Ich meine, das können wir alles bei Goethe nachlesen.
Habermalz: Viele Menschen ereilt ja im Laufe ihres Lebens eine gewisse Altersmilde. Werden Sie davon auch heimgesucht? Oder vielleicht auch anders gefragt: Kann man mit 80 noch so bissig sein wie mit 30?
Hildebrandt: Das hat mir noch keiner gesagt, im Gegenteil, sie bestätigen mir eigentlich immer, dass die Bissigkeit geblieben wäre, aber ich weiß nicht, ob ich alles glauben kann.
Habermalz: Was man Ihnen im Alter sagt?
Hildebrandt: Vielleicht will man schmeicheln, vielleicht ist es Pietät.
Habermalz: Max Frisch hat mal gesagt: Jeder Mensch erfindet sich im Lauf seines Lebens eine Geschichte, die er für sein Leben hält. Was würden Sie sagen, ist Ihre Geschichte, die Sie sich erfunden haben?
Hildebrandt: Ich weiß, neulich hat das jemand für sich in Beschlag genommen und hat gar nicht gewusst, dass er Max Frisch zitiert. Das ist auch ein Kritiker, das ist ein bisschen ein kleiner Fauxpas, aber er hat gesagt, ja, ja, es wäre so, es erzählt jeder sein Leben, und er glaubt dann selber, selbst wenn er geschwindelt hat, dass er das alles erlebt hat. Ich habe dann noch einmal nachgedacht, weil ich ja öfter über die Vergangenheit geschrieben habe, und habe festgestellt, also größere Löcher in meinem Gedächtnis hat es nicht gegeben, und ein ganz neues Leben habe ich nie versucht zu erfinden. Vielleicht stimmen ein paar Sachen nicht, vielleicht wird meine Nase da hin und wieder etwas lang, weil ich habe manchmal richtiges, heftiges Vergnügen daran, Geschichten zu erzählen, die nicht wahr sind, die aber eine Pointe haben, die der Wahrheit nahekommt.
Habermalz: Zum Beispiel?
Hildebrandt: Das weiß ich jetzt nicht, das fällt mir jetzt nicht ein.
Habermalz: Zum Abschluss: Was sind Ihre konkreten Pläne für die Zukunft?
Hildebrandt: Ja Reisen. Ich bin schon unterwegs, ich bin heute Abend in Memmingen, ich bin jeden Abend woanders. Das neue Buch ist jetzt rausgekommen, heißt "Nie wieder 80", und dieses lese ich jetzt vor in meiner Art, und die Leute – es ist erstaunlich, sie könnten das auch alle selber lesen, aber nein, sie wollen es ganz gern vorgelesen haben. Und dann sagen sie nachher: So habe ich das Buch nie gelesen.
Habermalz: Ich habe schon gehört, dass Sie auch Ihr halbes Buch in anderthalb Stunden schaffen sollen?
Hildebrandt: Ach wo, das ist nicht wahr. Das ist zum Beispiel eine Geschichte, die frei erfunden ist.
Habermalz: Herzlichen Dank Herr Hildebrandt und alles Gute.
Hildebrandt: Ich danke Ihnen für das Gespräch.
Habermalz: Tschüss.
Hildebrandt: Danke, tschüss.
Dieter Hildebrandt: Einiges hat sich zusammengetan. Ich habe den Druck, den ich hatte, als ich Platzanweiser war in einem der besten deutschen Kabaretts, die es in der Nachkriegszeit überhaupt gab, mit dem immerhin doch berühmten Erich Kästner als Autor, und dem inzwischen ebenso berühmten Martin Morlok, seinem Schüler damals, dies hat mich natürlich schon sehr inspiriert, selber etwas zu tun in dieser Richtung, nur nicht genau das, was damals die Hochblüte des Kabaretts darstellte, nämlich das literarische, das Bühnenkabarett, das inszenierte, sondern ich wollte aus diesem Kessel raus, ich wollte mein eigenes machen. Ich wollte mehr mit den Leuten reden und wollte mehr improvisieren.
Habermalz: Was haben Sie anders gemacht als beispielsweise Erich Kästner? Da hatten Sie ja ein großes Vorbild.
Hildebrandt: Also der wohlgeformte Text meine ich, der ausformulierte, bis zum Schluss ausformulierte, und der nichts dazwischen dulden kann, weil er sonst zerstört wird, der Text, das ist meine Sache nicht. Ich improvisiere gerne das vom Tage, unterbreche das, lasse etwas weg. Es ist also meistens am Abend etwas, was ich mir am Nachmittag ausgedacht habe, mit dem, was ich vorher geschrieben habe.
Habermalz: Sie sind 1927 in Schlesien geboren, Sie haben in der Schlacht um Berlin in der Heeresgruppe Wenck gekämpft – das habe ich zumindest gelesen. Stimmt das?
Hildebrandt: Ja, Wenck, ja.
Habermalz: Bei Kriegsende waren Sie 18 Jahre alt und heimatvertrieben wie so viele andere ja auch. Gab es damals trotz oder vielleicht auch sogar wegen all dieser Erlebnisse, schrecklichen Erlebnisse ja auch, schon in Ihrem Kopf die Idee, Satiriker oder Humorist zu werden?
Hildebrandt: Der Krieg war es weniger, obwohl der chaotisch genug war. Es war mehr die Erinnerung an die Form, in der wir regiert wurden, an die Diktatur, an die Regeln, die wir gerne ändern würden nach dem Krieg, haben wir uns immer gedacht, der absolute Gehorsam, Disziplin, diese Todeslust, das so genannte Heldentum, alles das, ja auch in der Zeit des Militärs und als es uns wirklich dreckig ging und als wir auch nichts zu Essen hatten und gar nichts. Der Humor bleibt nicht aus, der wird nicht knapp. Der wird höchstens ein wenig bissiger. Das hat nach dem Schluss dieses Krieges natürlich dazu geführt, dass man sich Gedanken machte, wie das wohl weitergeht, und dass man ja dabei ist. Wir waren ja jung, und mit uns fing ja viel an.
Habermalz: Sind Sie eher Optimist oder eher Pessimist?
Hildebrandt: Ich bin Optimist.
Habermalz: Das heißt ein Kritiker, der daran glaubt, dass seine Kritik etwas verändern kann?
Hildebrandt: Na ja, wenn ich nicht überborde mit meinem Optimismus – und ich glaube nicht, dass wir also direkt etwas verändern können, ich glaube nur, dass man daran arbeiten muss.
Habermalz: Sie haben vor kurzem mal gesagt, Sie hätten Ihr Leben nicht abgesessen, sondern durchgestanden.
Hildebrandt: Gelaufen, durchgelaufen, weggelaufen, irgendwohin gelaufen, viel gelaufen.
Habermalz: Aber stehen, durchgestanden – Sie stehen ja auch wirklich im wahrsten Sinne des Wortes auf der Bühne, über 50 Jahre jetzt schon.
Hildebrandt: Genau, richtig. Man nennt das ja auch mit Recht "Stand-up-Komik".
Habermalz: Daher kommt das also.
Hildebrandt: Ja, natürlich.
Habermalz: In Ihrem Fall, die Politiker kommen und gehen, aber Sie bleiben. Ergreift Sie da nicht manchmal eine gewisse Müdigkeit, so nach dem Motto, ist doch alles schon mal da gewesen?
Hildebrandt: Na ja, man kann alles verändern, man kann alles neu machen, man kann alles neu formulieren. Es wartet immer irgendetwas Originelles auf einen – wenn’s einem einfällt.
Habermalz: Wenn man die heutige politische Konstellation anschaut – Angela Merkel kommt in Ihren Satiren oder auch auf der Bühne oder in Ihren Büchern nicht sehr oft vor. Liegt das eventuell daran, dass sie eine Frau ist? Hemmt da der alte Kavalier in Ihnen den Beißreflex?
Hildebrandt: Etwas vom Kavalier hat man immer, ganz klar, natürlich, aber das beschränkt sich wohl mehr auf die Regeln, auf die Sitten. Aber Kavalier einer Bundeskanzlerin gegenüber muss ich nicht unbedingt sein. Sie kommt aber vor, und wenn, dann eben gezielt, also kurz und knapp.
Habermalz: Sie haben Ihr Leben lang selber ausgeteilt und auch teilweise heftig kritisiert – sind Sie manchmal auch konfrontiert mit den Reaktionen derjenigen, die Sie kritisiert haben?
Hildebrandt: Natürlich, es gibt Menschen, die reagieren, die schreiben Briefe, böse Briefe, natürlich, die bin ich gewohnt.
Habermalz: Auch von Politikern?
Hildebrandt: Weniger. Die versuchen richtigzustellen, wenn man etwas gesagt hat, was sie so nicht gesagt haben wollen. Sie wollen ja nach einer gewissen Zeit etwas nicht gesagt haben, wenn es ihnen dann auffällt, was sie gesagt haben. Das nennt man auch dementieren.
Habermalz: Wir haben jetzt ja die Große Koalition, das heißt, die alten Grabenkämpfe von früher weichen auf, und so richtig streitbare Recken wie damals Franz-Josef Strauß werden immer weniger. Gäbe es nicht ab und zu mal einen Bischof Mixa, müsste man sagen, es gibt eigentlich kaum noch Ecken und Kanten in der Politik. Gibt es da für Sie noch genug zu tun?
Hildebrandt: Aber selbstverständlich. Schauen Sie sich um, was für Menschen hin und wieder Richtlinien austeilen, wie Herr Volker Kauder beispielsweise oder Herr Pofalla, die nun im Regierungszentrum sitzen und ein paar Dinge sagen, mit denen man sich wohl beschäftigen muss. Oder die Vorsitzenden der Jungen Union, Mißfelder oder so, das sind alles auch ein paar kantige Typen, die auch einen gewissen Grad von Lächerlichkeit manchmal aufweisen. Und da gibt es genug nachzudenken darüber, was die wollen und wo sie hintreiben.
Habermalz: Wie lesen Sie Zeitung? Lesen Sie immer Zeitung im Hinblick auf mögliche Angriffspunkte?
Hildebrandt: Ich habe natürlich im Hinterkopf immer, dass ich mir was aufschreiben müsste. Und dann, wenn es da ist, das Papier, wo ich gerade sitze – aber das ist nicht der Fall, weil ich fahre ja meistens rum, ich sitze in der Bahn - dann schreibe ich mir das auf natürlich, weil zunehmend ja das Gedächtnis ein wenig nachlässt.
Habermalz: Herr Hildebrandt, Woody Allen soll zu seinem 70. Geburtstag gesagt haben: Altwerden ist nur Scheiße. Wie stehen Sie zum Alter? Fürchten Sie das Alter?
Hildebrandt: Ich habe immer gesagt, der Woody Allen, der sagt das etwas eleganter. Na ja, ich würde sagen, anstrebenswert ist es nicht das Altern, wenn man es abschaffen könnte, würde man wahrscheinlich aber auch einen Fehler machen, weil wir gehen ja den anderen dann nicht von der Pelle. Irgendwie muss das ja auch aufhören, die anderen müssen ja ihren Lebensraum haben. Insofern ist Altern nicht direkt Scheiße, es ist lästig, aber es ist wichtig.
Habermalz: Was verändert sich für Sie durch das Alter? Sie turnen ja mit 80 immer noch die Gegend, Sie schreiben immer noch Bücher, halten Lesungen, Sie stehen auf der Bühne. In welchen Momenten spüren Sie aber dann doch das Alter?
Hildebrandt: Sagen wir mal so, rein körperlich spürt man es halt sehr. Ich meine, im Kopf ist eigentlich das noch alles ganz gut geordnet. Also eine starke Vergesslichkeit, die mich dazu bringen würde, nicht mehr zu wissen, was in dieser Welt passiert, ist es nicht. Es ist schon sagen wir mal die Luft etwas knapper, und die Beine sind etwas sagen wir steifer. Ich meine, das können wir alles bei Goethe nachlesen.
Habermalz: Viele Menschen ereilt ja im Laufe ihres Lebens eine gewisse Altersmilde. Werden Sie davon auch heimgesucht? Oder vielleicht auch anders gefragt: Kann man mit 80 noch so bissig sein wie mit 30?
Hildebrandt: Das hat mir noch keiner gesagt, im Gegenteil, sie bestätigen mir eigentlich immer, dass die Bissigkeit geblieben wäre, aber ich weiß nicht, ob ich alles glauben kann.
Habermalz: Was man Ihnen im Alter sagt?
Hildebrandt: Vielleicht will man schmeicheln, vielleicht ist es Pietät.
Habermalz: Max Frisch hat mal gesagt: Jeder Mensch erfindet sich im Lauf seines Lebens eine Geschichte, die er für sein Leben hält. Was würden Sie sagen, ist Ihre Geschichte, die Sie sich erfunden haben?
Hildebrandt: Ich weiß, neulich hat das jemand für sich in Beschlag genommen und hat gar nicht gewusst, dass er Max Frisch zitiert. Das ist auch ein Kritiker, das ist ein bisschen ein kleiner Fauxpas, aber er hat gesagt, ja, ja, es wäre so, es erzählt jeder sein Leben, und er glaubt dann selber, selbst wenn er geschwindelt hat, dass er das alles erlebt hat. Ich habe dann noch einmal nachgedacht, weil ich ja öfter über die Vergangenheit geschrieben habe, und habe festgestellt, also größere Löcher in meinem Gedächtnis hat es nicht gegeben, und ein ganz neues Leben habe ich nie versucht zu erfinden. Vielleicht stimmen ein paar Sachen nicht, vielleicht wird meine Nase da hin und wieder etwas lang, weil ich habe manchmal richtiges, heftiges Vergnügen daran, Geschichten zu erzählen, die nicht wahr sind, die aber eine Pointe haben, die der Wahrheit nahekommt.
Habermalz: Zum Beispiel?
Hildebrandt: Das weiß ich jetzt nicht, das fällt mir jetzt nicht ein.
Habermalz: Zum Abschluss: Was sind Ihre konkreten Pläne für die Zukunft?
Hildebrandt: Ja Reisen. Ich bin schon unterwegs, ich bin heute Abend in Memmingen, ich bin jeden Abend woanders. Das neue Buch ist jetzt rausgekommen, heißt "Nie wieder 80", und dieses lese ich jetzt vor in meiner Art, und die Leute – es ist erstaunlich, sie könnten das auch alle selber lesen, aber nein, sie wollen es ganz gern vorgelesen haben. Und dann sagen sie nachher: So habe ich das Buch nie gelesen.
Habermalz: Ich habe schon gehört, dass Sie auch Ihr halbes Buch in anderthalb Stunden schaffen sollen?
Hildebrandt: Ach wo, das ist nicht wahr. Das ist zum Beispiel eine Geschichte, die frei erfunden ist.
Habermalz: Herzlichen Dank Herr Hildebrandt und alles Gute.
Hildebrandt: Ich danke Ihnen für das Gespräch.
Habermalz: Tschüss.
Hildebrandt: Danke, tschüss.