Es wird "auf Mindestlöhne hinauslaufen"

Gert Wagner im Gespräch mit Ute Welty |
Im Kampf um höhere Löhne kommt es im öffentlichen Dienst zu Warnstreiks, auch weil immer mehr Menschen auf staatliche Zuschüsse angewiesen sind. Die Gewerkschaften fordern deshalb die Einführung von Mindestlöhnen. Eine Forderung, die auch der Wirtschaftsexperte Gert Wagner in vielen Bereichen für notwendig hält.
Ute Welty: Da ist einiges in Bewegung in der Arbeitswelt, was wiederum zu Stillstand führt! Flugreisende dürften es zum Beispiel gespürt haben, denn die Sicherheitsleute an den Flughäfen haben in dieser Woche mehrfach die Arbeit niedergelegt. Im öffentlichen Dienst kommt es ab Montag zu Warnstreiks, und der Kampf für mehr Lohn und für Mindestlöhne stößt bei der Kanzlerin auf Verständnis!

Angela Merkel: Wir brauchen Lohnuntergrenzen, es kann nicht sein, dass es Jobs gibt, wo keine Tarifvereinbarungen sind, wo es gar nichts gibt und wo die Menschen anschließend zum Arbeitsamt gehen müssen, um den Rest ihres Geldes sich abzuholen!

Welty: So weit Angela Merkel und so weit die theoretische Überlegung. Aber wie sieht das dann in der Praxis aus? Das kann ich jetzt mit Professor Gert Wagner besprechen. Der Volkswirtschaftler sitzt im Vorstand des Deutschen Institutes für Wirtschaftsforschung und in der Enquete-Kommission Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität des Deutschen Bundestags. Guten Morgen, Herr Wagner!

Gert Wagner: Guten Morgen!

Welty: Die Streiks, die wir erleben und wohl noch erleben werden, sind die Ihrer Einschätzung nach berechtigt, weil Menschen um ihre Lebensqualität fürchten müssen?

Wagner: Also, ob deswegen Streiks berechtigt sind, das weiß ich nicht. Wenn aber Menschen ihre Lebensqualität beeinträchtigt fühlen, dann ist es ihr gutes Recht in Deutschland, dass sie auch streiken.

Welty: Wie beurteilen Sie denn die gegenwärtige Situation und die gegenwärtige Auseinandersetzung rund um die Tarife?

Wagner: Also, da muss man unterscheiden die Lebensqualität an sich und jetzt ganz spezifisch Tarifkämpfe. Die Lebensqualität in Deutschland ist insgesamt nun wirklich nicht schlecht, wenn man das international vergleicht. Es gibt aber in der Tat Probleme bei sehr niedrigen Löhnen, die dann dazu führen, dass man anschließend noch auf das Sozialamt gehen muss, um dann diese sehr niedrigen Löhne aufzustocken, um davon leben zu können, da hat die Kanzlerin recht. Hier sollten Lösungen gefunden werden, die wahrscheinlich auf Mindestlöhne hinauslaufen, die man am Ende gesetzlich implementieren muss.

Welty: Angela Merkel hat ja vor allem das Problem der Aufstocker angesprochen, Menschen, die eben nicht genug verdienen, um davon leben zu können, und deshalb auf staatliche Unterstützung angewiesen sind. War diese Konstruktion an sich schon ein Fehler, weil der Staat damit Billiglöhne subventioniert hat?

Wagner: Nein, das kann man so nicht sagen, deswegen ist das Problem ja so schwierig. Denn Mindestlöhne können nicht jede denkbare familiäre Situation abdecken. Man kann Mindestlöhne so berechnen, dass ein Alleinstehender davon leben kann, aber sobald Kinder ins Spiel kommen, wird das schwierig, da müsste man Mindestlöhne zahlen, die weit über zehn Euro hinausgehen. Und das ist in bestimmten Bereichen, bei bestimmten Tätigkeiten nicht möglich. Es wäre also leichtfertig zu versprechen, dass man durch Mindestlöhne jedes Aufstocken vermeiden kann. Man kann das allenfalls erreichen für Leute, die alleine leben, also alleine von ihrem Lohn leben müssen.

Welty: Wie viel Handlungsspielraum hat die Politik und wie viel Handlungsspielraum haben die Gewerkschaften, die vielleicht nach vielen Krisen so etwas wie eine Renaissance erleben?

Wagner: Erst mal haben die Gewerkschaften den Handlungsspielraum. Am besten wäre, wenn die Gewerkschaften das Problem lösen. Wenn das nicht der Fall ist, dann kann die Politik in der Tat dann Mindestlöhne, wenn man so will, verordnen.

Welty: Inwieweit ist das alles nicht nur den wirtschaftlichen Fakten geschuldet, sondern auch der Tatsache, dass wir 2013 auf eine Bundestagswahl zusteuern?

Wagner: Da sehe ich keinen Zusammenhang, was das Problem betrifft.

Welty: Da sind Sie aber einer der Einzige!

Wagner: Moment, was das Problem betrifft! Die Frage ist, inwieweit die Bundestagswahl dazu führt, dass jetzt Bewegung in diese Sache hineingekommen ist und in der Tat auch in der Bundesregierung über Mindestlöhne ernsthaft nachgedacht wird! Da gibt es ganz offensichtlich einen Zusammenhang. Das ist aber nicht unanständig, dafür sind ja Wahlen da, dass sie dazu führen, dass die Politik darüber nachdenkt, ob sie bestimmte Probleme löst, die vorher nicht gelöst wurden.

Welty: Was empfehlen Sie der Politik als Maßnahme, die sich eventuell noch vor der Wahl umsetzen lässt?

Wagner: Also, ich gehöre nicht zu denen, die glauben, dass sie schlauer sind als die Politik. Die Politiker sollten darüber nachdenken, inwieweit sie nicht nur die Gewerkschaften gewissermaßen animieren, Mindestlöhne in Tarifverträge einzuziehen, sondern die Politik, der Gesetzgeber kann darüber nachdenken, inwieweit eben er einen gesetzlichen Mindestlohn beschließt. Das ist die einzige Möglichkeit, die der Politik über Appelle hinaus bleibt. Die Politik muss aber entscheiden, wie schnell so etwas durchgeführt wird oder auch nicht.

Welty: Wahlkampf in Deutschland ist offenbar auch Arbeitskampf, dazu Einschätzungen von Professor Gert Wagner vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Ich danke und wünsche ein hoffentlich arbeitsfreies Wochenende!

Wagner: Vielen Dank!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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