"Es wird eng für Zeitungen"

Moderation: Liane von Billerbeck |
Der Journalist Hans Leyendecker geht davon aus, dass es trotz Internet und rückläufiger Auflagen auch noch in einigen Jahrzehnten Zeitungen geben wird. Die Verlage müssten jedoch auf die Marktveränderungen reagieren und crossmedial arbeiten.
Liane von Billerbeck: Alles, was in den USA passiert, wird sich so ähnlich auch bei uns wiederholen. In den USA schrumpfen die Zeitungsauflagen jährlich um drei bis fünf Prozent, der Börsenwert der Zeitungen sinkt. Medienwissenschaftler sprechen vom Schlusskapitel der Zeitungsindustrie und geben ihr noch zwischen 15 und 35 Jahren. Schuld sei das Internet, heißt es, denn dahin wechseln die Leser. Herausforderung Internet, so ist unsere Serie betitelt hier im Radiofeuilleton. Welche Konsequenzen und Chancen das Internet für den Enthüllungsjournalismus bietet, das wollen wir jetzt mit Hans Leyendecker besprechen. Der wohl bekannteste investigative Journalist Deutschlands hat früher für den "Spiegel" gearbeitet, schreibt seit langem für die "Süddeutsche Zeitung" und er ist bei Netzwerk Recherche, einer Vereinigung von Journalisten, aktiv, die sich für unabhängigen investigativen Journalismus stark machen. Hans Leyendecker, ich grüße Sie.

Hans Leyendecker: Ich grüße Sie auch.

Billerbeck: Spätestens 2043 ist Schluss, das sagt der US-Medienprofessor Philip Meyer, Schluss mit der Zeitung. Wird sich das, was in den USA passiert, in Deutschland wiederholen?

Leyendecker: Also ich glaube nicht, dass Schluss sein wird. Es wird aber eng für Zeitungen. Es wird auch dann noch Zeitungen geben, ein bisschen so wie beim Buch, das auch immer wieder tot gesagt wurde und lebt. Nur es wird weniger Zeitungen geben, und die Zeitungen werden anders sein müssen und auch die Medienhäuser, um überleben zu können. Man sieht das ja auch in diesen Tagen. Es gibt wieder Meldungen über Anzeigenflaute. Manche Verlage erklären, dass sie im klassischen Anzeigengeschäft ein Minus von bis zu zehn Prozent haben. Die Auflagen gehen doch bei etlichen Häusern zurück. Also es ist Krise, nur ich glaube nicht, dass es ein Ende geben wird.

Billerbeck: Wie anders müssen die Zeitungen denn dann sein?

Leyendecker: Es wird ein ganz anderer Markt sein, glaube ich. Das, was man in unserem Beruf Crossmedia nennt, das heißt, es wird Zeitungen geben, daneben wird es Online-Dienste geben, daneben wird es Bebildertes geben, dann wird möglicherweise auch mit dem Handy etwas machen können. Man kann das in Amerika sehen. Ich war neulich in den USA und habe gesehen, wie Kollegen für ganz unterschiedliche Bereiche arbeiten. Sie machen zunächst die Internetfassung und dann die Printfassung, dazwischen Rundfunkkommentar oder, wenn der Sender wie dieser in Chicago auch die Möglichkeit hat, auch ein Fernsehstück. Also es wird sich im Berufsbild selbst eine Menge verändern. Die Frage ist, wie die Häuser das organisieren werden und wie es halt dann mit der Qualität auch zu vereinbaren sein wird, was wir haben. Es gibt auch Unterschiede zum amerikanischen Markt. Die europäischen großen Häuser haben immer noch den Vorteil, dass es Osteuropa gibt. Derzeit wird in Osteuropa auch durch die Expansion sehr viel Geld verdient. Es hat neulich wieder Meldungen gegeben, dass Springer sich auf dem polnischen Zeitungsmarkt noch mal weiter entwickelt hat, und diese Möglichkeit haben die Amerikaner nicht.

Billerbeck: Fast eine Medienmacht dort hat.

Leyendecker: Ja, oder wenn Sie gucken, wo die Westdeutsche Allgemeine Zeitung, der Verlag mittlerweile in Osteuropa überall der führende Verlag ist, da hat sich eine Menge verändert und da wird auch noch Geld verdient.

Billerbeck: Nun könnte man aber gegenhalten, dass ja die Krise, die seit vielen Jahren ja beschrieben wird, es gibt auch Leute, die sagen, im Moment ist das gar nicht schlimm, zwar sind die Anzeigenerlöse eingebrochen, aber es steigen dafür die Auflagen wieder. Die "Süddeutsche", da steigt die Auflage auch, es müsste nur wahrscheinlich anders mit der Zeitung umgegangen werden. Wie nämlich, wie müsste man reagieren?

Leyendecker: Also es mag vielleicht komisch klingen, aber die "Süddeutsche" hat ein bisschen eine Sonderrolle. In einem fallenden Markt hat die "Süddeutsche" Auflage gemacht oder zumindest gehalten. Das haben die anderen Blätter nicht. Also wenn Sie Regionalzeitungen anschauen, kontinuierlich wird verloren. Das hängt ein Stück damit zusammen, dass junge Leute keine Zeitung mehr lesen oder kein Abonnement mehr haben, das hängt damit zusammen, dass es auch Armut gibt, dass mittlerweile vier, fünf Mietparteien sich nur noch eine Zeitung gemeinsam halten oder dass die Alten dann eines Tages sagen, ich kann mir die Zeitung gar nicht mehr hoch holen und verzichte darauf. Und von daher haben Zeitungen, von denen man eigentlich sagen kann, sie sind von ihrer Qualität her besser geworden als sie früher waren, heute stark sinkende Auflagen.

Billerbeck: Stichwort Qualität, das ist vielleicht durchaus wichtig, darüber zu sprechen, denn die Qualität ist ja der Grund, weshalb Leute überhaupt noch eine Zeitung halten. Selbst wenn sie vielleicht überlegen müssen, kann ich mir das eigentlich noch leisten. Wie ist das denn bestellt um die Qualität von Printzeitungen, wenn Sie mal über den Tellerrand der "Süddeutschen Zeitung" hinausblicken?

Leyendecker: Es ist schwierig, weil die Verlage machen Einsparungen, das heißt, immer weniger Leute müssen die Seiten füllen. Es gibt zum Teil sehr restriktive Geschichten, was Reisen angeht. Sie müssen ja, wenn sie Recherchieren, sich bewegen – nur am Telefon geht nicht, sondern Sie müssen raus, sie müssen irgendwo hinfahren, sie müssen in Kauf nehmen, dass aus dem, was sie recherchieren wollen, gar keine Geschichte wird. Und da sind doch immer weniger Häuser bereit, dafür noch irgendetwas aufzuwenden. Damit werden die Zeitungen auch in Wahrheit wieder ähnlicher. Die Blätter berichten alle über dasselbe mit ein paar Schattierungen, und das ist kein Anreiz zu kaufen. Die Leute wollen ein Produkt haben, was sich von dem unterscheidet, was sie sonst haben könnten. Sie wollen irgendetwas besonderes haben. Es muss einen Grund geben, warum junge Leute, alte Leute zur Zeitung greifen. So banal das ist, der Grund kann nur die Qualität und das Besondere sein.

Billerbeck: Aber der investigative Journalismus, Sie haben es ja eben schon angedeutet, der kostet eben Geld, und man weiß, wenn man recherchiert, am Anfang eben nicht, was am Ende herauskommt, ob man tatsächlich eine Geschichte bringen kann. Wieso ist bei denen, die die Zeitung finanzieren, nicht klar, dass man dadurch gewinnen kann?

Leyendecker: Ja weil manche von denen auch kein Verhältnis mehr haben zu den Blättern. Die hatten früher Verleger, die liebten ihr Blatt, wie man ein so Lebewesen auch liebt. Sie haben heute doch eine Menge Kaufleute. Die erschreckendste Variante ist ja in Berlin zu sehen ...

Billerbeck: Bei der "Berliner Zeitung"

Leyendecker: ... bei der "Berliner Zeitung", grauenhaft, mit einem Finanzinvestor, der irgendwie 20 Prozent haben will, noch mal Leute raussetzt, die Auflage fällt stark, das Blatt verändert sich natürlich, die Kollegen können das gar nicht mehr leisten. Und das ist schon ein wesentlicher kultureller Unterschied, ob sie jemanden haben, der eine Zeitung macht, um Rendite zu haben, oder ob sie jemanden haben, der damit auch ein kulturelles Anliegen verbindet. Und das haben doch viele Jahre Verleger gemacht und es gibt heute doch sehr viel mehr, denen Renditegedanken – und der verstößt gegen vieles. Unter anderem auch dagegen, was eigentlich das Grundgesetz sagt, nämlich im Artikel fünf die Bedeutung der Zeitung betont und die Bedeutung auch betont, was es an freien Informationen geben kann. Wenn ich auf die freien Informationen verzichte, leiste ich eigentlich nichts mehr, um das zu rechtfertigen.

Billerbeck: Die Herausforderung Internet ist ja auch eine Herausforderung für die Printjournalisten auch in dem Bereich, in dem Sie sich bewegen, im investigativen Journalismus. Welche Möglichkeiten bietet denn das Internet für Ihre Sparte?

Leyendecker: Es ist natürlich ein Stück auch ein Wettlauf, wenn man draufguckt. Es ist nicht nur die hehre Geschichte, dass man am Ende aller Tage, wenn es denn soweit sein sollte, irgendetwas bringt. Sondern wenn Sie beispielsweise die Telekom-Affäre sich anschauen, da sind fünf, sechs Blätter, die wetteifern auch mit den Nachrichten, die wichtig sind, vorne zu sein. Und da kann das Internet durchaus Möglichkeiten schaffen, weil es auch viel beachtet wird. Also im Internet zu schreiben, bedeutet auch wiederum, dass man Informanten gewinnen kann. Das habe ich festgestellt. Es wird sehr stark beachtet, und sie können frühzeitig da auch ein Tempo setzen im Internet, weil es halt das schnellste Medium ist. Wenn sie eine Sache morgens um neun Uhr erfahren, warum soll der Leser bis zum nächsten Tag warten. Der Guardian beispielsweise, die eine gute Recherche, also ein gutes investigatves Ressort haben, machen das auch so. Wenn die eine wichtige Geschichte haben, von der sie glauben, vielleicht am späten Abend erst wird das bekannt oder wir können es sowieso jetzt in einer vernünftigen Form zeigen, dann zeigt man sie im Internet zunächst.

Billerbeck: Aber die Unterschiede zwischen dem Internetangebot, das merkt man immer sehr deutlich, und dem der Printmedien liegen ja auch darin, dass das Internet alles bietet und das Printmedium trifft eine Auswahl, eine Gewichtung und eine Wertung auch. Wie kann man diesen Wiederspruch auflösen?

Leyendecker: Zum einen ist das, was Sie sagen, ganz wichtig. Das Sortieren-Können von Dingen, das Wichtige vom Unwichtigen zu unterscheiden, das ist eine entscheidende Aufgabe für Printleute. Und das ist auch eine Chance für Printleute, dass man zeigen kann, was ist wichtig, was braucht man nicht. Das Internet bietet alles, und das Internet versucht ja diesem Dilemma, das es auch für das Internet ist, dass alles da versacken kann, abzuhelfen, indem man bestimmte Blogs schafft, indem man das alles besser sortiert. Das Dilemma ist ein bisschen, dass Sie sich tatsächlich im Internet verlieren können, auch das gibt es.

Billerbeck: In den USA, habe ich gelesen, gibt es jetzt ein Büro für investigative Recherche, das von einem kalifornischen Unternehmer finanziert wird, zehn Millionen für drei Jahre. Das ist aber ein Büro, das sich unabhängig nennt und unter anderem für 60 Minutes von CBS gearbeitet hat. Was halten Sie von solchen Entwicklungen, und werden wir die auch in Deutschland erleben? Oder fehlt hier uns einfach das Geld für solche Recherchen?

Leyendecker: Also ich finde das wunderbar, muss ich sagen, dass da jemand ist, der sagt, die Medien haben ein Problem, der aufklärerische Journalismus hat ein Problem, weil es auch an Geld fehlt. Das ist ein Milliardär, der das macht, der hat gesagt, da stecke ich jetzt mal zehn Millionen rein für drei Jahre und danach können wir das ja wieder erneuern und ich habe keinerlei Einfluss auf das, was die machen. Und dann kauft man sich eine Redaktion zusammen mit einem der besten, der investigativen Leute, also mit jemand, der bei der New York Times war, einer von der Los Angeles Times, also wirklich gute Blätter, gute Leute, international bekannte Leute. Und die machen das dann. Wir haben Nachholbedarf, was so etwas angeht. Das kann man beispielsweise erkennen an den Stiftungen. In den USA gibt es viel mehr Stiftungen, viel mehr Leute, die bereit sind, Geld in die Hand zu nehmen, um vernünftige Dinge aus ihrer Sicht zu fördern. Vernünftig kann es auch sein, aufklärerischen Journalismus zu fördern. Von daher ist es ein Beispiel. Und vielleicht muss man sich ja nicht nur einen Fußballverein kaufen, sondern man hält sich eine recherchierende Truppe, die aber unabhängig bleiben muss. Das ist natürlich die Voraussetzung für alles.

Billerbeck: Das heißt, Sie machen sich jetzt auf den Weg, einen Milliardär zu finden, der Ihre Recherchen für die nächsten Jahre finanziert, um dann auch so ein Büro wie Pro Publica aufzumachen?

Leyendecker: Sie haben das auch gelesen? Also diese Geschichte fand ich wunderbar, dass es irgendjemand gibt, für den es auch noch ein Anliegen ist. Ich glaube nicht ...

Billerbeck: Ein bürgerschaftliches Engagement.

Leyendecker: Das glaube ich nicht, dass es hier viele Leute gibt, die reich sind und die das auch so sehen, sondern viele der reicheren Leute, die ich kennengelernt habe, betrachten Journalisten als rasende Verfolger oder Leute, die irgendetwas wegschnappen wollen, und sehen weniger den aufklärerischen Impetus, den dieser Beruf auch haben sollte. Vielleicht war der Journalismus auch manchmal zu schlecht, dass er es den Leuten zu leicht gemacht hat wegzuschauen.

Billerbeck: Herausforderung Internet, was aus dem investigativen Journalismus wird, das hat uns Hans Leyendecker erklärt von der "Süddeutschen Zeitung". Ich danke Ihnen.

Leyendecker: Ich danke Ihnen