"Es wird sich da einiges ändern"

Moderiert von Matthias Hanselmann |
Wolfram Lacher von der Stiftung Wissenschaft und Politik spricht über mögliche Konsequenzen des Todes von Gaddafi auf die übrigen afrikanischen Länder und über Gaddafis Bedeutung in der Region. Libyens Außen- und Wirtschaftspolitik sei sehr stark vom Charakter Gaddafis beeinflusst worden.
Matthias Hanselmann: Seit gestern steht fest, der libysche Ex-Machthaber Gaddafi ist tot. Ein Mann, der einmal als König der Könige, der König von ganz Afrika sein wollte, der den Traum hatte von den Vereinigten Staaten von Afrika, natürlich unter seiner Führung.

Es gibt nicht wenige Menschen, die bedauern, dass Gaddafi tot ist, weil er nun nicht mehr vor ein Gericht gestellt werden kann. Wie sich sein Tod auswirkt auf die anderen Staaten, zum Beispiel die Nachbarstaaten Libyens, darüber wollen wir jetzt mit dem Nordafrika-Experten Wolfram Lacher sprechen. Er ist für uns am Telefon - guten Tag Herr Lacher!

Wolfram Lacher: Guten Tag!

Hanselmann: Was bedeutet denn der Tod Gaddafis für das politische Gleichgewicht in Afrika, welche Veränderungen sind zu erwarten?

Lacher: Es wird sich da einiges ändern, zwar nicht direkt durch seinen Tod, aber durch den Sturz seines Regimes und durch die Auswirkungen des Bürgerkrieges. Gaddafi hat in Afrika in den letzten 40 Jahren eine wichtige Rolle gespielt, oftmals eine destabilisierende Rolle. Er hat Allianzen mit Regimes, aber auch mit Rebellengruppen geschmiedet, und sein Sturz, der Sturz seines Regimes stürzt nun einige dieser Allianzen um.

Hanselmann: Sie haben gesagt, er habe eine wichtige Rolle gespielt - ich hab es ja eben schon erwähnt, er wollte König der Könige sein -, wurde er denn als Politiker überhaupt noch von irgendeinem afrikanischen Staat, ich meine jetzt in dieser Endphase, geschätzt oder von fast allen als Verrückter abgetan?

Lacher: Ich glaube, geschätzt wurde er von kaum jemandem, und zwar zu kaum einem Zeitpunkt. Er wurde vor allem gefürchtet und respektiert für seine Möglichkeit, die regionale Lage zu destabilisieren.

Hanselmann: Wie genau haben denn die außenpolitischen Beziehungen Gaddafis ausgesehen zu afrikanischen und anderen Ländern der Welt?

Lacher: Also das hat sich so ein bisschen geändert in den 42 Jahren seiner Herrschaft. In den 70er-, 80er-, 90er-Jahren ist Gaddafi in Afrika vor allem als Unterstützer von Rebellenbewegungen, von Sierra Leone bis Sudan in Erscheinung getreten, er hat auch einige direkte Militärinterventionen im Tschad und Uganda beispielsweise unternommen. Dann in den 90er-Jahren hat er sich verstärkt Afrika zugewandt, um die internationale Isolation Libyens zu brechen.

Er hat sich als Vermittler in Konflikten in der Region profiliert und er hat sich wie gesagt für die Stärkung der Organisation Afrikanische Einheit und für ihre Umwandlung in die Afrikanische Union eingesetzt. Trotzdem, trotz dieses Wandels aber blieb Gaddafi immer vor allem ein Störfaktor, denn in den Konflikten, in denen er vermittelt hat, war er selten daran interessiert, dass es zu einer nachhaltigen Lösung kommt. Er hat auch nicht davor zurückgescheut, die betreffenden Rebellengruppen zu unterstützen, sodass er sich als Vermittler positionieren kann, und sein Einsatz für die Afrikanische Union diente letztendlich dem absurden Ziel, längerfristig eine kontinentale Regierung unter seiner Führung zu bilden.

Hanselmann: Kann man denn sagen, dass Libyens Außen- und Wirtschaftspolitik komplett vom Charakter Gaddafis beeinflusst wurde?

Lacher: Sehr stark, ja. Aber dass das möglich war, das liegt natürlich auch an der Tatsache, dass Libyen durch seine Erdölexporte unabhängig, weitgehend unabhängig in der Formulierung seiner Außenpolitik war, dass es also nicht angewiesen war auf Absatzmärkte, dass es Finanzkraft hatte, dass es keine internationalen Schulden hatte, sodass also Gaddafi weitgehend unbeirrt von internationalem Druck seiner Politik nachgehen konnte.

Hanselmann: Und dann auch noch, wie wir wissen, hofiert wurde von den westlichen Ländern, an die er Erdöl lieferte. Deutschlandradio Kultur, wir sprechen mit dem Nordafrika-Experten Wolfram Lacher über die Auswirkungen des Todes von Muammar al-Gaddafi auf die übrigen afrikanischen Länder und über Gaddafis Bedeutung in der Region. Herr Lacher, welche finanziellen Ströme gab es eigentlich zwischen Gaddafis Libyen und anderen afrikanischen Ländern, wen hat er besonders unterstützt, wen nicht?

Lacher: Also er hat - das war ziemlich wirr, denn er hat öfters mal Regime unterstützt, aber gleichzeitig Rebellengruppen. Er hat Rebellengruppen unterstützt, aber dann, nachdem sie an die Regierung gekommen sind, neue Rebellionen gegen diese Regierungen in Ländern wie Tschad oder Uganda oder dem Sudan. Das heißt also, es gab da relativ wenig konstante Allianzen, und von daher kann man auch jetzt nicht klar Gewinner oder Verlierer definieren, im Bezug auf die Finanzströme, die jetzt nicht mehr da sind.

Allgemein glaube ich, hat er natürlich versucht, sich als Kreditgeber und als auch Investor in Szene zu setzen, hat in Prestigeobjekte in Afrika investiert, aber realwirtschaftlich, glaube ich, war seine Rolle weitaus weniger wichtig, als das den Anschein erweckte. Und ich glaube auch, für das Überleben der Regime waren die Gelder, die aus Libyen kamen, nicht überlebenswichtig.

Hanselmann: Also Sie könnten jetzt kein einziges afrikanisches Land nennen, das sozusagen vom Versiegen dieser Geldströme betroffen wäre oder besonders zu leiden hätte?

Lacher: Nein.

Hanselmann: Es hat sich durch die Öffnung der libyschen Waffenarsenale ein enormer Waffenschmuggel entwickelt, nicht nur mit kleinen Waffen, sondern auch mit Raketen, mit Sprengstoff und so weiter. Vielleicht so diesen Punkt: Wie sehen Sie das, was könnte das bedeuten für die Zukunft?

Lacher: Also das ist ein Aspekt, durch den der libysche Bürgerkrieg eine ganz starke Destabilisierung des regionalen Umfelds zur Folge haben wird. Ich denke, das ist schon jetzt absehbar. Denn diese Waffen, man hat die also teilweise abgefangen in letzter Zeit im Niger oder in Mali oder in Algerien, und in dieser ganzen Region herrscht natürlich eine sehr, sehr starke Nachfrage, denn es gibt unzählige Konflikte, Rebellengruppen, Terroristen und kriminelle Gruppen in dieser Region, die von diesem enorm angestiegenen Waffenschmuggel jetzt profitieren können.

Hanselmann: Und dann gibt es ja Tausende von Männern, die auf der Seite Gaddafis gekämpft haben, bis vor Kurzem, als Söldner aus anderen afrikanischen Ländern und jetzt mit ihren in Libyen erhaltenen Waffen zurückkehren in ihre Heimatländer. Stellen diese nicht auch ein großes Sicherheitsrisiko dar?

Lacher: Ja, also ich würde das sogar noch für wichtiger halten als die Auswirkungen des Waffenschmuggels, denn es gibt zwar bisher keine gesicherten Zahlen darüber, wie viele Leute aus den Sahelstaaten und dem Sudan auf Gaddafis Seite gekämpft haben, aber man kann davon ausgehen, dass es insgesamt, also sagen wir für die Staaten Sudan, Tschad, Niger und Mali, insgesamt mehrere Tausend Kämpfer waren, die jetzt in den letzten Wochen und Monaten in ihre Heimatländer zurückgekehrt sind, teilweise mit ihren Waffen, und in ihre Heimatländer zurückgekehrt sind, in denen Konflikte entweder schon im Gange sind oder schwelen, wie zum Beispiel die Tuareg-Rebellionen in Niger und Mali. Und ich glaube, da besteht wirklich ein sehr akutes Risiko, dass es zur Eskalation dieser Konflikte kommt, jetzt, nachdem diese Leute zurückgekehrt sind.

Hanselmann: Und bewaffnet zurückgekehrt sind. Eine Frage, die mich besonders interessiert, ist die, dass die unmittelbaren Nachbarstaaten Ägypten und Tunesien, in denen die Demokratiebewegung ja schon gesiegt hatte, dass die sich während des Libyen-Konfliktes überwiegend neutral verhalten haben. Wieso eigentlich? Hatten die befürchtet, letztlich doch mit Gaddafi als Nachbar leben zu müssen, bis kurz vor Schluss?

Lacher: Also aufseiten Ägyptens, glaube ich, war da vor allem ausschlaggebend, dass es immer noch mehrere Hunderttausend ägyptische Migranten in Libyen während des Bürgerkrieges gab. Also vielleicht ein Drittel dieser über eine Million ägyptischer Migranten in Libyen haben das Land verlassen während des Bürgerkrieges, aber die Mehrzahl ist wohl immer noch da geblieben, und Ägypten hat sich also deswegen vor allem neutral verhalten, um die Sicherheit seiner Staatsbürger in Libyen nicht zu gefährden.

Hanselmann: Herr Lacher, vielleicht noch kurz zum Schluss: Hätte Gaddafi aus Ihrer Sicht eher verhaftet und vor ein Gericht gestellt werden müssen beziehungsweise hätte dies eine bessere Aufklärung der Beziehung Gaddafis zu den anderen afrikanischen Ländern bedeutet?

Lacher: Das ist schwierig zu beantworten. Ich glaube, dass da noch einiges zum Vorschein kommen wird, wenn auch hohe Offiziere seines Regimes zum Beispiel Enthüllungen über die Beziehungen mit afrikanischen Staaten geben werden. Es hat sich da auch schon in den letzten Monaten sehr viel gezeigt, beispielsweise indem ein hoher libyscher Offizier, ein sehr eng mit Gaddafi verbundener Offizier, zusammen mit dem ehemaligen Anführer der Tuareg-Rebellion in Niger in den Niger zurückgekehrt ist. Da hat man gesehen, wie eng die Beziehungen zwischen manchen der Rebellengruppen, die dann auch auf Gaddafis Seiten gekämpft haben, und dem Regime waren.

Hanselmann: Vielen Dank, Wolfram Lacher von der Stiftung Wissenschaft und Politik, Nordafrika-Experte, danke schön und guten Tag noch!

Lacher: Gerne, danke!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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