An einem Seil in den Weltraum klettern
Die Mission von Alexander Gerst hat es soeben wieder gezeigt: Raumfahrt mit einer Rakete ist teuer und nicht gerade bequem. Künftig könnte eine Art Fahrstuhl den Transport übernehmen. Wie das funktioniert, erklärt Markus Landgraf von der ESA.
Der deutsche Astronaut Alexander Gerst ist nach 197 Tagen im All wieder auf der Erde gelandet: Seine Sojus-Raumkapsel setzte am frühen Morgen in der Steppe von Kasachstan auf. Ausgedient hat diese Art des Weltraum-Reisens keineswegs - doch es wird an einer Alternative geforscht.
Die Idee erklärte ESA-Experte Markus Landgraf im Deutschlandfunk Kultur: Es handelt sich um ein langes Seil in der Umlaufbahn der Erde. Das Ende dieses Seils hänge frei in der Luft "über den Köpfen der Menschen", sagte Landgraf. Und: "Man kann dieses Seil tatsächlich hochklettern."
Deutlich geringere Kosten
Dies aber nicht unbedingt mit den Händen, schränkte Landgraf ein. Man braucht schon eine Kabine: "Die könnte dann hoch in den Weltraum fahren, elektrisch - und dann dort oben entweder zum Mond oder zum Mars fliegen", sagte er. Die Kosten wären "um den Faktor hundert geringer" als die Summe, die man heute für eine Rakete aufbringen muss. Dann würde es sich sogar lohnen, Platin oder seltene Erden vom Mond auf die Erde zu transportieren.
Landgraf, der bei der Europäischen Raumfahrtagentur Mondsonden entwickelt, räumte ein: "Das Problem ist aber, dass wir einfach nicht genügend Aktivitäten im Weltraum haben, um so einen Fahrstuhl zu rechtfertigen." Dennoch: Es könne schon "morgen passieren", dass jemand einen Aufzug in den Weltraum entwickle. "Es kann aber auch noch hundert Jahre dauern."
(bth)
Das Interview im Wortlaut:
Ute Welty: Die Erde hat ihn wieder. Nach 197 Tagen im All ist Astronaut Alexander Gerst in Baikonur in Kasachstan gelandet, wobei Rückflug und Landung ziemlich ungemütlich gewesen sein müssen, das haben wir eben von Dirk Lorenzen erklärt bekommen. Wie praktisch wäre da ein Aufzug ins All? Für diese Idee begeistert sich seit Langem Markus Landgraf, der für die Europäische Raumfahrtagentur ESA Mondsonden entwickelt. Guten Morgen, Herr Landgraf!
Markus Landgraf: Guten Morgen!
Welty: Was fasziniert Sie so sehr am Weltraumfahrstuhl, dass Sie über Ihre Arbeit hinaus alles verfolgen, was damit zu tun hat?
Landgraf: Der Weltraumfahrstuhl ist natürlich eine Sache, die alles verändern würde im Weltraum. Weil es ist tatsächlich so, dass unsere Möglichkeiten im Weltraum heute dadurch begrenzt sind, dass wir einen relativ teuren Zugang dazu haben. Und wenn wir das verbessern können, wenn wir aus dem, sagen wir mal analog, aus dem Feldweg eine Autobahn machen könnten, dann würde sich viel verändern.
Welty: Wie muss ich mir das denn konkret vorstellen? Wie würde so ein Fahrstuhl ins All aussehen können?
Landgraf: Das ist recht schwierig zu erklären, aber es ist auch sehr faszinierend –
Welty: Ach, versuchen Sie es doch mal.
Landgraf: Deswegen probiere ich es mal, genau. Es handelt sich um ein langes Seil, das in der Umlaufbahn um die Erde ist, und zwar auf einer speziellen Umlaufbahn, nämlich der Umlaufbahn, die genauso schnell sich um die Erde dreht, wie die Erde sich selbst dreht. Sodass das Ende des Seils frei in der Luft hängt über den Köpfen der Menschen. Und man kann dieses Seil tatsächlich hochklettern.
Da ist ein bisschen viel Physik involviert in der ganzen Sache. Das Seil würde nicht runterfallen, wenn man daran hochklettert. Und jetzt braucht man nicht mit den Händen hochklettern. Man kann da eine Kabine dran bauen, und die könnte dann hoch in den Weltraum fahren, elektrisch, und dann dort oben entweder zum Mond oder auch zum Mars fliegen.
Welty: Also ist es eher eine Seilbahn denn ein Aufzug?
Landgraf: Ja. Genau. Seilbahn ist auch ein schönes Wort dafür. Es gibt auch den Begriff Umlauftower oder -turm, weil man kann das auch von unten aufbauen. Aber Seilbahn oder Aufzug ist das richtige Wort.
Weltraumtourismus würde profitieren
Welty: Welche Möglichkeiten der Nutzung würden sich vor allem ergeben?
Landgraf: Das würde alles beinhalten, was wir im Moment machen, nämlich Nutzlasten, auch Astronauten nach oben zu bringen. Die Kosten sind um den Faktor 100 geringer als das, was man heute für eine Rakete aufbringen muss. Und deswegen sind natürlich Anwendungen wie Weltraumtourismus – einfach mal zum Spaß Richtung Mond zu fliegen – durchaus denkbar in dem Szenario.
Welty: Eine solche Entwicklung, eine solche Forschung kostet viel Geld. Steht dahinter auch, dass man eben eines Tages auch mit dem Weltraumfahrstuhl Geld verdient?
Landgraf: Das würde man durchaus. Man kann nämlich dann erst Rohstoffe aus dem Weltraum nutzen, zur Erde bringen, um sie zu nutzen. Heute ist das viel zu teuer. Ein Kilogramm Gold kostet auf der Erde, glaube ich, im Moment so 40.000 Euro. Ein Kilogramm irgendwas aus dem Weltraum runterzubringen, kostet eine Million.
Es macht zum Beispiel keinen Sinn, selbst wenn der Mond aus Gold wäre, da Gold abzubauen. Mit dem Fahrstuhl würde sich das ändern, und man könnte tatsächlich Geld verdienen. Das Problem ist aber, dass wir einfach nicht genügend Aktivitäten im Weltraum haben, um so einen Fahrstuhl im Moment zu rechtfertigen. Deswegen wird tatsächlich sehr wenig dran geforscht.
Das Problem: die Stärke des Seils
Welty: Also es müsste einfach dann auch mehr passieren, nicht nur eine einzelne ISS beispielsweise.
Landgraf: Genau. Es ist ein Teufelskreis. Man hat zu wenig Aktivität, weil der Transport so teuer ist, und wegen der wenigen Aktivität lohnt sich kein ausgedehnteres Transportsystem.
Welty: Auf welche Schwierigkeiten sind die Entwickler denn bislang gestoßen?
Landgraf: Bei dem Fahrstuhl, der zur Erde runterreichen soll, gibt es tatsächlich eine physikalische Grenze, die wir nicht knacken können, das ist die Stärke des Seils. Dieses Seil müsste ungefähr 30-mal stärker sein als Kohlefaser, und da ist man hängen geblieben. Man dachte, man könnte einfach die Entwicklung immer weiter treiben mit immer stärkeren Materialien, aber leider ist man da nicht viel weiter gekommen als zwei- bis dreimal stärker als Kohlefaser.
Welty: Und das lässt sich auch nicht einfach zusammenbinden oder …?
Landgraf: Da gibt es natürlich Tricks, und da wird auch drüber nachgedacht. Das ist ja oft so, wenn die Tüftler das machen. Und irgendwann gibt es vielleicht eine Lösung. Aber solange es keine gibt, kann man da keine Versprechungen machen. Das Tolle ist natürlich, es gibt ja nicht nur den Erdfahrstuhl, es gibt ja auch einen Fahrstuhl, den man zum Mond bauen könnte.
Und weil der Mond eine geringere Schwerkraft hat, würde mit heutigen Materialien es möglich sein, so einen Fahrstuhl zu bauen. Dann hätte man zumindest die Verbindung zur Mondoberfläche runter.
Technologieentwicklung ist keine gerade Straße
Welty: Welche Rohstoffe oder … Was kann man dann auf dem Mond machen, wenn man einen solchen Fahrstuhl da hin hat?
Landgraf: Der Mond ist ja, wie die Erde auch – er ist ja mit der Erde auch verbunden gewesen mal früher, sehr reich an Rohstoffen. Man könnte eben dort auch Edelmetalle tatsächlich abbauen. Platin, die seltenen Erden, die für unsere moderne Elektronik sehr wichtig sind, gibt es auf dem Mond. Aber all das lohnt sich, wie gesagt, nur dann, wenn man tatsächlich die Transportkosten um mindestens den Faktor 100 senkt.
Welty: Was schätzen Sie, wie lange wird es dauern, bis alle Probleme gelöst sind und es den Weltraumfahrstuhl oder den Mondfahrstuhl tatsächlich gibt?
Landgraf: Es ist leider so, dass Technologieentwicklung keine gerade Straße ist, sonst könnte man das gut vorhersehen. Es kann morgen passieren, dass jemand auf eine geniale Idee kommt, wie man Nanoröhrchen zusammen verwebt und dann eben einen Fahrstuhl baut. Es kann aber auch noch hundert Jahre dauern. Ich kann es schlecht voraussagen. Aber ich bin ganz zuversichtlich, dass, wenn der Druck entsteht, immer mehr Aktivitäten im Weltraum passieren, dass wir auch dann tatsächlich dafür auch technisch eine Lösung finden, sagen wir mal, in 20 Jahren.
Welty: Privat wie professionell ist Markus Landgraf einer, der hoch hinaus will. Für die ESA entwickelt er Mondsonden. Und wir haben gesprochen über die faszinierende Idee des Weltraumfahrstuhls. Herr Landgraf, haben Sie herzlichen Dank!
Landgraf: Ich danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.