"Sensorium für gesellschaftliche Krisenherde"
Esoterik ist harmlos? Nicht immer, sagt Matthias Pöhlmann, Weltanschauungsbeauftragter der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern. Er habe den Eindruck, dass bestimmte Kreise Antisemitismus und antidemokratische Tendenzen verbreiten.
Mit Sorge beobachten Experten, dass Teile der Esoterikszene eng mit rechtsextremen Kreisen und deren Gedankengut verbunden sind. "Ich denke, dass die moderne Esoterik ein spezielles Sensorium hat für gesellschaftliche Krisenherde", sagte der Weltanschauungsbeauftragter der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, Matthias Pöhlmann, im Deutschlandfunk Kultur.
Er habe den Eindruck, dass jetzt sehr stark auch das politische Terrain entdeckt und für eigene Zwecke genutzt werde. Das Bistum Augsburg lädt deshalb zu einem Studientag ein, der sich dieser Entwicklung widmet. Vor allem zwischen Reichsbürgern und Esoterikszene gebe es auffallende Verbindungen, sagte Pöhlmann.
Das Interview im Wortlaut:
Ute Welty: Es ist gar nicht so einfach, Esoterik eindeutig zu definieren, was womöglich in der Natur der Sache liegt. Schließlich geht es grob gesagt bei Esoterik um eine tiefere Erkenntnis von grundlegenden Kausalitäten, wie die Welt eben im Innersten zusammenhängt. Allerdings konstatiert bereits Adorno, dass es durchaus Parallelitäten gibt zwischen Esoterik und Faschismus.
Adorno macht das zu Beginn der 50er-Jahre fest an einer Abkehr von der Moderne, an irrationalem Denken und an einer Hinwendung zu Magie und Autoritäten. Dass sich entsprechende Strömungen in jüngster Zeit verstärken, beobachtet man im Bistum Augsburg mit Sorge, und deshalb hat man für heute zum Studientag eingeladen. Einer der Referenten ist Matthias Pöhlmann, Weltanschauungsbeauftragter der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern. Guten Morgen, Herr Pöhlmann!
"Problematische Anbieter" für alternative Medizin
Matthias Pöhlmann: Guten Morgen, Frau Welty!
Welty: Was genau macht Ihnen Sorge?
Pöhlmann: Es sind Tendenzen in der Esoterikszene zu beobachten, die doch sich sehr stark verbinden mit rechtem Gedankengut, mit Antisemitismus, mit Verschwörungstheorien und, ich möchte sagen, mit problematischen Tendenzen, die für Menschen doch auch erhebliche Risiken und Nebenwirkungen haben.
Welty: Inwieweit funktioniert die Esoterik auch da als eine Art Trojanisches Pferd? Oder anders gefragt, steckt mehr dahinter, als wenn jemand die Schulmedizin ablehnt und sich für alternative Behandlungsmethoden auch in schweren Krankheitsfällen begeistert?
Pöhlmann: Ich denke, man muss genau hinschauen und hier differenzieren. Ich beobachte, dass es eben aufgrund dieser Bedürfnislage in der heutigen Zeit, mit der Suche nach Alternativen gerade im Bereich der Heilung, dass es hier doch sehr problematische Anbieter gibt. Ich erinnere nur an die "Germanische neue Medizin".
Sie geht von einer regelrechten Verschwörungstheorie aus, wonach eben die herkömmliche Medizin in den Händen der Juden sei, und deswegen müsse die "Germanische neue Medizin" sich behaupten. Sie bietet einfache Erklärungen. Die Rede ist davon, Krebs würde durch ein Schockerlebnis ausgelöst. Es wird empfohlen, sich von fachärztlicher Hilfe fernzuhalten. Und es gibt da leider auch schon Todesfälle zu beklagen.
Verbindung zwischen Esoterik und Reichsbürgern?
Welty: Sind Medizin und Gesundheit die Schwerpunkte, die rechte Esoteriker setzen?
Pöhlmann: Ich denke, dass die moderne Esoterik ein spezielles Sensorium hat für gesellschaftliche Krisenherde. Ich beobachte die Esoterikszene seit den 1990er-Jahren, und es kommt immer wieder zu Themensetzungen wie zum Beispiel Ernährung, Gesundheit, die Pädagogik. Und ich habe den Eindruck, jetzt wird sehr stark auch das politische Terrain entdeckt und für eigene Zwecke genutzt.
Welty: Welche Rolle spielen in diesem Zusammenhang die sogenannten Reichsbürger, die ja die Existenz der Bundesrepublik schlichtweg ablehnen?
Pöhlmann: Es gibt hier doch auch Berührungspunkte. Vor Kurzem hat ein Journalist einen Undercover-Bericht vorgelegt. Im Vorfeld seiner Recherchen hatte ich mit ihm auch intensiv zu tun. Und er stellt eben fest, dass etliche in der Reichsbürgerszene über die Esoterik zu dieser Szene gekommen sind, und umgekehrt.
Das hängt offensichtlich damit zusammen, dass in der Esoterik auch ein Unbehagen gegenüber jeglicher Form von Organisationen vorliegt. Man spricht auch von einem antiinstitutionellen Affekt. Der richtet sich nicht nur gegen die Medizin, die Religion, sondern jetzt zunehmend eben auch gegenüber der Politik und gegenüber den Medien.
"Viele übernehmen die Aussagen einfach"
Welty: Wo verlaufen die Kontakte, beziehungsweise wo werden da Kontakte hergestellt? Ist das Netz?
Pöhlmann: Die neuen sozialen Medien, das ist sicherlich ein beliebter Tummelplatz. Die sogenannten Echokammern. Es gibt Videoportale, es ist sehr leicht, so etwas ins Netz zu stellen und vor allem rasant zu verbreiten. Hinzu kommen Bücher. Ich denke da jetzt insbesondere an die Anastasia-Bewegung. Es ist eine Buchreihe aus Russland, von einem russischen Autor. Da wird sehr stark der Ökogedanke in den Vordergrund gestellt. Es ist die Rede von Familienlandsitzen, die man errichten soll. Und in den Büchern eingestreut sind, ich möchte wirklich sagen, antisemitische Stereotypen, auch antidemokratische Aussagen.
Es gibt ein Gleichnis in diesen Büchern, wo die Rede davon ist, dass ein "Dämon Kratie" die Welt beherrschen würde, es ist die Rede von einer "Clique von Leviten". Es ist nicht mehr die Rede von Juden, aber Leviten sind jüdische Priester, die die Weltgeschicke lenken würden. Und für viele ist das auf den ersten Blick gar nicht sichtbar, aber viele übernehmen das einfach und sagen, na ja, da wird schon was dran sein.
Welty: Wer ist besonders empfänglich für solch abstruse Ideen?
Pöhlmann: Ich denke, es sind Menschen, die auf der Suche nach Durchblick sind. Wir erleben ja, dass diese Welt immer komplexer, immer undurchschaubarer wird. Und hier gibt es eine Sehnsucht nach einfachen Antworten. Und diese esoterischen Prediger und Bewegungen, die wir hier beobachten können, erheben eben diesen Anspruch, über ein Wissen zu verfügen, das sich eben nur sensiblen Erleuchteten erschlossen hat. Und damit grenzt man sich ganz stark gegenüber der Wissenschaft ab. Aber letztendlich finden diese Prediger auch ihre Hörer und Hörerinnen.
Größe der Szene ist unbekannt
Welty: Offensichtlich handelt es sich ja um ein paar mehr Leute, als dass man die einfach weglächeln könnte. Gibt es konkrete Zahlen?
Pöhlmann: Es ist sehr schwer, genaue Zahlenangaben zu machen. Es ist in der Esoterikszene, wie der Name schon sagt, eine Szene mit offenen Zugangsbedingungen. Ich hab bei meinen Recherchen festgestellt, dass die Verbreitung von solchem Gedankengut einerseits an bestimmten Orten stattfindet – in Bayern haben wir etwa den sogenannten "Regentreff".
Ich möchte sagen, das ist ein Umschlagtreff für radikalisierte Esoterik. Begonnen hat man mit ufologischen Themen. Dann hat man auch für die germanische neue Medizin Werbung gemacht. Wir haben den "Chiemgau-Treff", wo eben dieses Gedankengut auch kursiert. Da werden Menschen angelockt, die sagen, na ja, vielleicht ist da wirklich was dran, und so werden da Menschen auch mit diesem Gedankengut in Berührung gebracht.
Wo bleibt Esoterik harmlos, wo fängt Antisemitismus an?
Welty: Was wünschen Sie sich dann vom heutigen Studientag in Augsburg, um beispielsweise mehr Aufklärung zu erreichen?
Pöhlmann: Es ist wichtig, die Hintergründe auch aufzuzeigen und vor allem auch Menschen klar zu machen, welche Risiken und Nebenwirkungen das haben kann. Es ist wichtig, zu differenzieren, jetzt nicht die Alarmglocke zu läuten. Aber es muss hier wirklich aufgepasst werden, wo die Grenzen fließend werden zwischen harmloser Esoterik, des Antisemitismus und antidemokratischem Denken.
Welty: Rechte Esoterik – das Erzbistum in Augsburg will aufklären, und deshalb nimmt Matthias Pöhlmann am Studientag teil. Er ist Weltanschauungsbeauftragter der Evangelisch-lutherischen Kirche in Bayern, und er war im "Studio 9"-Gespräch. Danke dafür!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.