Drachentöter mit Handwärmer
Längst ist aus dem Fußball-Spiel ein Wirtschaftszweig geworden. Diese Professionalisierung erlebt inzwischen auch der sogenannte eSport: Bei den Champions-Legue-Wettbewerben des Computerspiels "League of Legends" kämpfen zurzeit in Berlin die zehn besten europäischen Mannschaften um den Titel.
Die Stimmung im Studio Adlershof in Berlin kocht. An diesem Freitagabend sitzen um die 300 Jungs zwischen 15 und 20 Jahren und ungefähr drei Mädchen im Publikum. In wenigen Minuten spielt die deutsche Mannschaft SK-Gaming gegen Roccat aus Polen.
Wie beim Fußball läuft bis zum eigentlichen Spielstart die Vorberichterstattung über den kinoleinwandgroßen Bildschirm. Direkt darunter sitzen nebeneinander schon die beiden Teams mit jeweils fünf Spielern auf einer perfekt durchgestylten, raumschiffähnlichen Bühne. Alle tragen große Kopfhörer, einheitliche Sweatshirts mit Teamlogo, auch Christoph Seitz, der einzige Deutsche im Berliner Team. Der 23-Jährige ist seit ein paar Jahren professioneller Computerspieler, lebt davon. Damit bei zunehmendem Adrenalinspiegel die Finger nicht kalt und unbeweglich werden, liegt neben seiner Mouse ein Handwärmer.
Christoph Seitz: "Jeder ist vor dem Spiel ein bisschen nervös und aufgeregt. Man weiß nie Hundertprozent, was in dem Spiel passiert. Aber bis zu einem gewissen Punkt muss man Vertrauen in seine Fähigkeiten haben und gelassen in das Spiel gehen, Weil wenn es einem wirklich zu Kopf steigt, kann man nicht sein Bestes spielen und der Gegner kann eventuell besser sein."
Die Vorberichte sind zu Ende, beide Mannschaften wählen ihre Figuren. Das Spiel geht los. Abwechselnd beschreiben zwei Kommentatoren auf Englisch, was auf der Leinwand gerade passiert.
Christoph blickt hoch konzentriert auf den Bildschirm vor sich, redet ständig über sein Headset mit den Mitspielern.
Christoph: "Das Ganze ist ein Teamspiel, das heißt ohne Kommunikation geht gar nichts. Und um bestimmte Sachen nehmen zu können, größere Monster zum Beispiel töten, das kann man nicht alleine machen, da braucht man Teamunterstützung für."
Abgesehen von den blitzschnell zuckenden Fingern bewegen sich Christoph und die anderen Spieler kaum. Stattdessen kämpfen auf der Leinwand jetzt Drachen, Helden und kleine bunte Wesen in einer grünen Fantasiewelt gegeneinander. Ziel ist es, die gegnerischen Türme zu zerstören. Wer das Spiel nicht kennt, versteht leider nicht, wer gerade einen Punkt erzielt hat. Kein Problem jedoch für die Jungs in der Halle.
Jeden Monat spielen 30 Millionen Menschen weltweit League of Legends. Wieder Hunderttausende schauen die Profispiele per Live Stream. Auch jetzt rennt ständig ein Kamerateam um Christoph und die anderen Spieler herum, werden Liveaufnahmen von Teams und Publikum ins Bild geschnitten.
Christoph: "Wenn man auf einer Amateurszene spielt, sind die Caste nicht so professionell, das Setup ist nicht so professionell, alles wird so ein bisschen improvisiert. Und wenn man hierher kommt, ist alles sehr stark durchgeplant. Es muss immer auf Punkt sein.
Und immer im Mittelpunkt zu stehen, immer die Kamera auf einen zu haben, das ist schon ein sehr, sehr großer Unterschied zu dem, wo ein Amateur sich nur hinsetzt, bisschen sein Turnier spielt. Man weiß immer, dass die Streams von über 100.000 geschaut werden. Das ist schon ein ganz anderes Gefühl, das man da bekommt."
Haifischbecken, bei dem Zuschauer im Netz derb kommentieren
Dass der eSport dabei ist, sich zu professionalisieren, merkt man am Aufbau der Bühne, der Berichterstattung, am Merchandising-Stand im Eingang aber auch backstage. Es gibt einen eigenen Pressebereich, Catering, Büros, Mannschaftsräume - in jedem Zimmer läuft auf riesigen Flachbildschirmen das aktuelle Spiel. Auch Alex Müller steht in der Mannschaftsküche und schaut zu. Der 39-jährige Familienvater ist Manager von SK-Gaming. Sein Verein beschäftigt Trainer, Co-Trainer, Analysten und neuerdings auch einen Sportpsychologen.
Alex Müller: "Man darf ja nicht vergessen, das sind junge Männer mit Anfang 20 sagen die einfach mal, dass sie für acht Monate hier in Berlin leben, jeden Tag trainieren, sich dem Leistungsdruck aussetzen. Und wenn man in dieses Haifischbecken reingeschmissen wird, von Zuhause kommt, dann ist das nicht so einfach."
Haifischbecken bedeutet in diesem Fall, dass die Zuschauer jeden Fehler eines Spielers auf Facebook und Twitter sofort derb kommentieren, erzählt Müller. Die community ist aktiv und groß, sein Verein hat mehr Zuschauer als die 2. Fußball-Bundesliga.
Alexander Müller: "Früher hat man uns immer gefragt, ja wann schafft ihr denn den Sprung ins Fernsehen. Wenn man sich jetzt überlegt, dass die Streaming-Plattform Twitch, auf der alle unsere Spiele laufen, dass die im letzten Jahr von Amazon für eine Milliarde gekauft wird, da muss man sich nicht fragen, ob wir es ins Fernsehen schaffen, sondern die Frage ist eher, ob das Fernsehen nicht in Richtung Streaming geht, bzw. gehen muss."
Zuschauer-, Spielerzahlen und Umsatz steigen rasant an. Dennoch ist Müller klar, dass es noch eine Weile dauert, bis der eSport League of Legends im Mainstream und bei Älteren angekommen ist.
Alexander Müller: "Wir müssen akzeptieren, dass es eine Jugendkultur ist, ob wir das wollen oder nicht, ist gar nicht die Frage. Die Jugend will sie. Die Frage ist, wie wir damit umgehen? Bauen wir Medienkompetenz auf bei Erwachsenen, wie kontrollieren wir Altersfreigaben, ist Deutschland da überhaupt richtig aufgestellt?"
SK-Gaming hat das Spiel gewonnen. Glücklich gehen Christoph Seitz und seine Mitspieler an den Kameras vorbei, klatschen die Fans ab, verschwinden Richtung Mannschaftsraum. Verschwitzt sind sie nicht, aber lächeln eindeutig entspannter als vor dem Game. Im Moment steht SK-Gaming unangefochten auf Platz eins in der Champions-League. Spieler Christoph und Manager Alex sind zufrieden.
Christoph: "Es ist im Endeffekt ein Computerspiel, dem muss ich zustimmen, aber es spielen mehrere Millionen dieses Spiel und wir sind die Elite momentan, die das Spiel auf diesem Level spielen kann. Wir sind hier im Moment das beste Team in der Liga, aber im internationalen Vergleich, wenn du mal gegen ein Team aus Taiwan oder Korea spielen kannst, das ist dann so der Gradmesser. Da wirst du dann sehen, wie gut du wirklich bist. Wenn jetzt eine Weltmeisterschaft wäre, glaube ich, dass wir unter die Top acht kommen."