Jan-Werner Müller: Was ist Populismus? Ein Essay
Suhrkamp Verlag, Berlin 2016
160 Seiten, 15,50 Euro
"Kein Patent-Rezept gegen Populisten"
Der Politologe Jan-Werner Müller sieht die Demokratien angesichts des neuen Populismus vor riesigen Herausforderungen: „Wenn sie mit ausreichenden Mehrheiten an die Macht kommen, werden die Populisten die Demokratie wirklich schädigen.“
Der Politologe Jan-Werner Müller hat davor gewarnt, das Wort Populismus zu oft zu gebrauchen und zu viele Akteure damit zu betiteln. Er wehre sich beispielsweise dagegen, den US-Präsidentschaftskandidaten der Republikaner, Donald Trump, und den demokratischen Politiker Bernie Sanders als angebliche Populisten gleichzusetzen, sagte Müller im Deutschlandradio Kultur. Da heiße es oft, der eine sei Rechts- und der andere Linkspopulist. Es sei der moralische Alleinvertretungsanspruch, der einen Populisten kennzeichne: "Nur ich wahre die wahren Interessen des wahren Volkes." - "Diese Art der Beschreibung passt nur auf Trump", sagte Müller über den Präsidentschaftskandidaten.
Alleinvertretungsanspruch ist entscheidend
Insgesamt werde das Wort ‚Populismus‘ viel zu oft gebraucht, sagte Müller im "Lesart"-Gespräch: "Das ist ein Versagen der politischen Urteilskraft." Die Eliten oder das Establishment zu kritisieren mache noch niemanden zum Populisten. Auch neue Bevölkerungsgruppe zu mobilisieren, die sich vorher nicht als wichtig in der Politik wahrgenommen hätten, sollte man nicht kritisieren. "Zu sagen, da sind Leute mobilisiert worden, die wären mal besser zu Hause geblieben, ist undemokratisch". Trump habe jedoch mehrfach auch Hass gegen Minderheiten geschürt. "Und das ist kein Beitrag zu einer Debatte, das ist keine unschuldige Entfachung von Leidenschaften. Nein, damit wollte er die Message schicken: Amerika soll ein Land bleiben, in dem weiße Männer weiterhin immer das Sagen haben." Gegen eine solche Art der Identitätspolitik "sollte man sich mit guten Gründen wehren".
Gegen Populisten sieht Müller kein Patentrezept. Entgegen weitverbreiteter Annahmen würden sie die Sachprobleme der Welt nicht stets vereinfachen: "Wir können nicht immer von vorneherein sagen, alles was die sagen ist viel zu simpel, und was die etablierten Politiker sagen wird immer der Komplexität der Welt gerecht." Die Vereinfachung von Populisten liege woanders, nämlich in der Behauptung, es gebe "diesen einen, eindeutig zu identifizierenden Volkswillen. Und ich als populistischer Führer kann ihn 1:1 umsetzen. Das ist die eigentliche Vereinfachung in einer komplexen, pluralistischen Gesellschaft". Müller empfahl: "Da müsste man sofort reingrätschen und sagen: Was ihr hier behauptet – dass es diesen einen, wahren Volkswillen gibt – das stimmt nicht."
Populisten können Demokratie schädigen
Die Macht von Populisten zu brechen, wenn sie erst einmal an der Macht sind, sei sehr schwierig, sagte Müller. Das habe sich beispielsweise in Ungarn, in Polen, in der Türkei gezeigt. Opposition werde als illegitim diffamiert. Protest aus der Zivilgesellschaft werde als verräterisch oder vom Ausland gesteuert abgetan und die Gewaltenteilung geschwächt. Und es werde immer schwieriger, solche Regierungen abzuwählen.
Wie groß sind also die Gefahren durch populistische Regierungen? Müller: "Das ist eine riesige Herausforderung. Und wir haben sie in ihrer Größe noch gar nicht erkannt. Und es gibt leider kein Patentrezept." Und er warnte: "Wenn sie ausreichende Mehrheiten haben, dann werden sie die Demokratie wirklich schädigen."