Reni Eddo-Lodge: Warum ich nicht länger mit Weißen über Hautfarbe spreche
Aus dem Englischen von Anette Grube
Tropen 2019, 263 Seiten, 18 Euro
Wer privilegiert ist, soll von Rassismus schweigen
15:37 Minuten
"Warum ich nicht länger mit Weißen über Hautfarbe spreche“, erklärt die britische Journalistin Reni Eddo-Lodge in einem fulminanten Essay. Er ist zugleich der Beginn eines neuen Streits über das Verhältnis von Schwarz und Weiß.
Sie war vier Jahre alt, als sie sich wünschte, weiß zu sein. Denn in der Massenkultur ihrer Kindheit waren alle guten Menschen weiß und alle bösen Menschen dunkelhäutig.
"Ich betrachtete mich als guten Menschen", so erinnert sie sich, "deswegen dachte ich, dass ich irgendwann weiß werden würde". Und weiter: "Weiß ist neutral. Weiß ist die Norm. (...) Diejenigen, die in unserer kollektiven Vorstellung eine Gefahr darstellen, sind nicht weiß. Diese Botschaften sind von so durchschlagender Wirkung, dass mein vierjähriges Ich sie dank des Fernsehens bereits entschlüsselt hatte und wusste, dass alle, die aussahen wie ich, schlimmstenfalls Verbrecher und bestenfalls aufsässige Nebenfiguren waren."
Wunsch, die Farbe zu wechseln
Reni Eddo-Lodge wurde 1989 in London geboren, als Tochter einer Nigerianerin. Die Erinnerung an den unerfüllbaren Wunsch, die Farbe zu wechseln, stammt aus ihrem Buch "Warum ich nicht länger mit Weißen über Hautfarbe spreche". Ein Titel wie ein Widerhaken, schon wegen des performativen Widerspruchs: Das Gespräch, dessen Ende der Titel erklärt, ist in Wirklichkeit in vollem Gang, nicht zuletzt dank Reni Eddo-Lodge selbst: 2014 erschien ihr Blogeintrag "Why I’m No Longer Talking to White People About Race". 2017 erweiterte sie den kurzen Text zum gleichnamigen Buch, das ein mit dem British Book Award ausgezeichneter Bestseller wurde. Jetzt, 2019, da Übersetzungen auf Französisch und Deutsch veröffentlicht sind, tourt sie durch Lesesäle auf dem Kontinent. Ein einziges großes Gespräch – eher über "Race" als über "Hautfarbe", nebenbei gesagt –, das bei dem Publikum, wie Buchmärkte es adressieren, ohne Weiße nicht vorstellbar ist.
Zu den bewundernswerten Zügen des Buches gehört, dass es den Sog, die Wut, die Belesenheit, kurz: das Bezwingende, das schon den Blog-Text auszeichnete, über 230 Seiten hinweg aufrechterhält. Die kindlich schmerzhafte Sehnsucht, weiß zu werden, eröffnet ein Kapitel namens "Was ist White Privilege?". Es gibt auf diese Frage eine so bündige wie offene Antwort: "Abwesenheit der negativen Folgen von Rassismus".
Wenn abschätzige Blicke, soziale Benachteiligung oder Gewalterfahrung in einem Leben systematisch nicht vorkommen, ist vermutlich White Privilege am Werk. Jedenfalls gibt es umgekehrt keine von der weißen Norm abweichende Sozialisation, die nicht auf die eine oder andere Weise auf Ausgrenzung und Ressentiment stoßen würde. Sei es das Kultur- oder Bildungsangebot noch der Gegenwart, in dem nichtweiße Figuren und Perspektiven fehlen. Sei es der Job, den bei gleicher Qualifikation die weiße Mitbewerberin bekommt. Sei es die Schwierigkeit, darüber mit der weißen Mitbewohnerin zu reden, ohne als überempfindliche Querulantin abgestempelt zu werden.
Blind für die herrschende Normalität
Wesentlich am White Privilege ist, dass seine Träger es in der Regel nicht unwillkürlich selbst sehen: Was so fundamental mit ältesten Darstellungs- und Wahrnehmungsweisen, mit tief sitzenden Verhaltensmustern, also mit der herrschenden Normalität verwoben ist, lässt sich kaum von allein als spezifische Perspektive erkennen. Schärfer sieht man vom Rand aus.
Reni Eddo-Lodge erzählt zu Beginn eine kurze Geschichte von Sklaverei und Rassismus in Großbritannien, die zeigt, wie eng beides zusammenhängt – und eben nicht rückstandslos mit dem "Slavery Abolition Act" von 1833 verschwunden ist. In einem nächsten Kapitel beschreibt sie das Strukturelle am Rassismus – am spektakulärsten mit dem Beispiel eines Mordes an einem 18-jährigen Schwarzen 1993, der jahrelang nicht aufgeklärt wurde. Eine spätere Untersuchung kam zum Schluss, dass die Ermittlungen selbst von institutionalisiertem Rassismus ausgebremst wurden.
Anderes Beispiel im selben System: das Konzept der "Farbenblindheit", die nicht auf Hautfarben zu achten glaubt, denn wir seien ja alle gleich. Was diese Einstellung tatsächlich nicht sieht, sind die so unterschiedlichen Lebensverhältnisse und Chancen, wie sie mit Hautfarbe oder "Race" verknüpft sind. Die Blindheit nicht zuletzt von wohlmeinenden Liberalen entlarvt Eddo-Lodge als Lüge, die den strukturellen Rassismus subtil stützt: "Meine Hautfarbe wurde gegen meinen Willen politisiert, aber ich möchte nicht, dass sie in dem Bemühen, eine Art falscher Harmonie herzustellen, vorsätzlich ignoriert wird."
Lockerungsübungen und Perspektivwechsel
Reni Eddo-Lodge definiert nichts von der Kanzel herab. Sie entwickelt ihre Positionen aus Lektüre und Anschauung, sie erzählt und argumentiert, alles beglaubigt durchs eigene Ich. Ihr Buch illustriert eindrucksvoll die These, dass die Wahrheit manchmal nur sieht, wer eine eindeutige, ja, einseitige Perspektive einnimmt.
Dennoch zwei Vorbehalte. Ihre Mischung von Analyse und Aktivismus neigt zu Totalisierung. Ob jede Ritze auch unseres Liebes- oder Arbeitslebens von rassistischen Mustern durchzogen sind, wie dieses Buch behauptet? Ja, klar, zumindest potenziell. Stellt sich nur die Frage, ob analytischer Scheinwerfer oder aktivistischer Protest in jeder Lebenslage die passenden Maßnahmen sind. Es bleibt an der Leserin herauszufinden, ob es Situationen gibt, in denen so etwas wie Lockerungsübungen der antirassistischen Sache am besten helfen.
Der andere Vorbehalt lässt sich am einfachsten mit einer persönlichen Erfahrung sagen, der Erfahrung als Sohn einer Deutschen und eines Togolesen. In Togo werde ich als Weißer wahrgenommen. Wie überall gilt auch dort, dass die Frage nach Schwarz oder Weiß nicht aufgeht in der Frage nach der physikalischen Farbe: Es mögen meine westlichen Jeans und T-Shirts sein, die mich dort zum Weißen machen; mein Habitus. Worin auch immer genau die zwei Körnchen Wahrheit bestehen, die in den Wahrnehmungen stecken, die mich in Deutschland als schwarz, in Westafrika als weiß rastern – jemand mit einer Geschichte wie dieser im Hintergrund wird selbst mehr als nur eine Perspektive brauchen.