Zadie Smith: Sinneswechsel. Gelegenheitsessays
Aus dem Englischen von Tanja Handels
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2015
473 Seiten, 22, 99 Euro
Wie Zadie Smith zur Intellektuellen wurde
Die Kriegserlebnisse ihres Vaters, moderne Literatur und ihr eigener intellektueller Werdegang - diese und andere Themen versammelt die britische Autorin Zadie Smith in ihrem ersten Essayband.
Die englische Schriftstellerin Zadie Smith widmet ihren ersten Essayband "Sinneswechsel" ihrem Vater Harvey Smith, und das passt zur Schlagrichtung des gesamten Buches. Denn obwohl es in den ansteckend schwungvollen Texten um alles Mögliche geht, spielt die Frage nach autobiographischen Prägungen und der eigenen Herkunft mehrfach eine Rolle.
"Ein ganz normaler Held" lautet die Überschrift einer Recherche, die Zadie Smith gemeinsam mit ihrem Vater unternimmt. Es gibt einen äußeren Anlass: Zum sechzigsten Jahrestag des Kriegsendes sucht die BBC nach persönlichen Kriegsgeschichten, und die Autorin hilft ihrem Vater bei der Niederschrift seiner Erinnerungen. Verblüfft bemerkt sie, dass ihr Vater gar nichts dagegen hat, über seine Vergangenheit als Soldat in der Normandie zu sprechen. Der freundliche alte Herr neigt auch nicht zu Verklärungen oder heroischer Überhöhung der eigenen Person, im Gegenteil.
Eine Liebeserklärung an den Vater
Sie sei im Umgang mit ihm keine gute Journalistin gewesen, bekennt Smith, sondern "ungeduldig und reizbar", denn er habe nie das gesagt, was sie von ihm habe hören wollen. Die Schriftstellerin ertappt sich dabei, Erzählungen nach dem Muster des Spielberg-Films "Der Soldat James Ryan" zu erwarten. Doch nun zeigt sich, dass ihr Vater ein normaler junger Arbeiter war, der in den Krieg hineinstolperte, naiv und ohne jeden Plan.
Genau diese Erkenntnis macht die Qualität des Essays aus, der auch eine Liebeserklärung an den Vater ist. Seine Äußerungen vermitteln das erschreckend Alltägliche des Krieges, das Zufällige. Im Gespräch betont der Veteran, der bei der Befreiung von Bergen-Belsen dabei war und einen hohen Nazi gefangen nahm, er sei im Unterschied zu einigen Kameraden, die mit dem Leben bezahlen mussten, gar nicht tapfer gewesen. Zadie Smith attestiert ihm aber eine besondere Heldentat: Nämlich die, sich selbst inmitten des Grauens nicht verloren zu haben.
Zadie Smiths intellektuelle Verpuppung
Andere Essays haben Lektüren oder Filme zum Gegenstand, und hier zeigt sich Smith als scharfsinnige Analytikerin: Auf erfrischend unprätentiöse Weise knöpft sie sich E.M. Forster, George Eliot, Kafka, Nabokov und die schwarze Schriftstellerin Nora Zeale Hurst vor. Ihre eigene Hautfarbe - Smith hat eine jamaikanische Mutter - spielt nicht nur im Zusammenhang mit Hurst eine Rolle, deren typisch schwarze Soulfullness die 14-jährige Zadie Smith tief ergriff, was sie damals aber nicht zugeben konnte.
Smith, im harschen Norden Londons aufgewachsen, nahm während ihrer akademischen Ausbildung den britischen Universitätsakzent an. Sie habe sich angepasst und ihren sozialen Aufstieg auch sprachlich vermitteln wollen, erklärt sie, gleichzeitig deutet sie diese Art der Mehrsprachigkeit als Bereicherung. Entwürfe von Weiblichkeit nimmt Smith in den Texten über Katherine Hepburn, Greta Garbo und Anna Magnani unter die Lupe.
Aufschlussreich sind auch ihre Ausführungen zum eigenen Schreiben: Sie bezeichnet sich als "Mikromanager". Mit Listen und umfangreichen Roman-Bauplänen der "Makroplaner" habe sie nichts am Hut. Sie muss ein Buch von der ersten Seite bis zur letzten schreiben, sich jahrelang darin aufhalten, es mit fremden Stimmen anreichern, bis sie es aus der Hand legt – und abstreift wie eine alte Haut. Wie Zadie Smiths intellektuelle Verpuppung von statten geht, kann man in diesem Band aufs Unterhaltsamste nachvollziehen.