Essayist und Kunsttheoretiker László Földényi
László Földényi © imago / gezett
„Das geistige Leben in Ungarn ist vergiftet“
33:16 Minuten
Er gilt als einer der wichtigsten ungarischen Intellektuellen, doch im illiberalen Ungarn von heute findet László Földényi kaum noch Gehör. Feinsinnige Essays sind sein Markenzeichen - über deutsche Maler und Literaten der Romantik und über Melancholie.
Wenn man zwei Bücher über die Melancholie schreibt, muss man ihr auch verfallen sein. So wie László Földényi. „Sie ist eine Einstellung zur Welt“, sagt der ungarische Essayist und Literaturwissenschaftler. Er genieße diesen Gemütszustand. Er sei „eine Art von Reichtum. Der Blick auf die Welt wird weitsichtiger.“ Für seinen Band „Lob der Melancholie. Rätselhafte Botschaften“ erhielt der Kunsttheoretiker und Übersetzer 2020 den Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung.
Faszination für Caspar David Friedrich
Kein Wunder, dass Földényi sich auch dem Maler der Romantik schlechthin gewidmet hat: Caspar David Friedrich. „Was mich an Friedrich immer wieder fasziniert? - Wie genau, wie exakt, wie realistisch er alles in seinen Bildern malt.“ Zum Beispiel bei Friedrichs wohl bekanntestem Werk „Wanderer über dem Nebelmeer“. „Wie entsteht ein Traumbild, eine Traumlandschaft aus lauter realen Einzelstücken?“ Das Bild ziert auch das Cover von Földényis neuestem Buch „Der Maler und der Wanderer. Caspar David Friedrichs Urkino“.
Liebe zur deutschen Literatur
László Földényi ist 1952 in Debrecen, im Osten Ungarns geboren, die Eltern sind Lehrer. Deutsch gehört im Elternhaus ebenso als Sprache dazu wie Russisch. „Meine Eltern und besonders meine Großmutter sind noch in der Tradition aufgewachsen, dass Österreich und Ungarn eigentlich ein Land sind. Für meine Großmutter war Deutsch noch fast eine Amtssprache.“
Die Liebe zur deutschen Literatur vermittelt ihm eine ältere Freundin der Eltern, sie liest mit ihm nicht nur die Märchen der Brüder Grimm, sondern auch Gedichte von Heinrich Heine. Später studiert er Anglistik und ungarische Literatur in Budapest und wird zu einem der anerkanntesten Übersetzer in Ungarn, unter anderem für die Texte von Max Frisch und Heiner Müller. Besonders angetan hat es ihm Heinrich von Kleist, dessen Werke er in Ungarn mit herausgegeben hat.
„Seine Radikalität, das war für mich maßgebend, wirklich fast verführerisch. Ich dachte: 'So ein Mensch, der nur seinen eigenen Weg geht und nicht nach links oder nach rechts schaut – nach ihm soll ich mich richten.'"
„Das geistige Leben in Ungarn ist vergiftet“
Auf das heutige Ungarn blickt László Földényi mit Wehmut und Sorge. „Das kulturelle Leben wird nicht nur unterdrückt, sondern richtig zerstört.“ Die Akademie für Theater und Film, an der jahrelang lehrte, sei von systemtreuen Anhängern von Viktor Orbán übernommen worden.
“Ich konnte mit diesen Leuten, mit dieser Art, wie man eine kulturelle Institution besetzt und mit politischen Kommissaren einfach die Macht übernimmt – das konnte ich nicht ertragen. Also ich habe meine Stelle aufgegeben. Was heutzutage unter dem Stichwort Kulturkampf geschieht – und das wird heute in Ungarn mit diesem deutschen Wort übrigens bezeichnet – das ist eigentlich die Zerstörung des Theaters, des Kinos, nicht aber der Literatur, denn die Verlage, die sind noch Privatverlage, und die können überleben. Das geistige Klima ist wirklich vergiftet. Es gibt fast keine Zeitungen, die man lesen kann, es gibt keinen Rundfunk, den man anhören kann, kein Fernsehen – alles ist irgendwie vergiftet.“
(sus)