Schlemmertour in der märkischen Provinz
Eichwalde, Finsterwalde, Triebkendorf, Fürstenhagen und Beelitz sind nur fünf der neuen Vorposten an Kulinarik in Brandenburg. Viel verdienen kann man dort zwar noch nicht - aber die Umgebung bietet beste Bedingungen.
"Nimm Dir Essen mit, wir fahr'n nach Brandenburg" - so heißt es bei dem Sänger Rainald Grebe. Tatsächlich gilt Brandenburg bis heute als gastronomisches Entwicklungsland. Doch dieses Vorurteil stimmt längst nicht mehr. Auch jenseits des Berliner Speckgürtels kann man eine gute Küche genießen, bis hin zur sternegeschmückten Spitzengastronomie.
"Das ist hier meine Bierdeckelküche. So ein Jungtalent, der könnte hier gar nicht mehr kochen, weil er gar nicht mehr weiß, wann das gar ist - ohne Computer."
Seit einem Vierteljahrhundert steht Carmen Krüger von morgens um acht bis Mitternacht in der winzigen Küche ihres kleinen Restaurants in einer ehemaligen Metzgerei in Eichwalde. Ohne Abwaschhilfe, ohne Sous-Chef. Die technische Ausrüstung ist schlicht, auf einen Kombidämpfer verzichtet die gelernte Fleischerin und Diätköchin ganz bewusst. So ein neumodischer Schnickschnack muss jetzt auch nicht mehr sein: Carmen Krüger wird bald 70 Jahre und darum soll im März 2017 Schluss sein: "Carmens Restaurant" in der Bahnhofstraße, landauf, landab gerühmt für seine verfeinerte Brandenburger Küche, macht zu. Diese Gänsebratsaison, natürlich längst komplett ausverkauft, wird die letzte sein. "Naja, was solls", kommentiert sie ihre eigene Entscheidung.
Schnitzel, Innereien, Leber, Nierchen und Blutwurst
Wenn nicht gerade Gänsezeit ist, gibt es in "Carmens Restaurant" Schnitzel, und auch Innereien, Leber, Nierchen, Blutwurst im Kartoffelmantel, Lammhaxen im Schmortopf. Auf den ersten Blick bodenständige Küche. Aber dank des Könnens der Köchin weit entfernt von plumper Hausmannskost. Einen der wenigen Tische in der unprätentiösen Gaststube muss man lange im Voraus reservieren. Doch viel Aufhebens um ihre Kunst macht Carmen Krüger nicht. Ihre Ausbildung hat sie in Potsdam gemacht:
"Nee, ich koche einfach so, wie ich mein Leben lang gekocht habe, wie ich es gelernt habe. Wir haben schon vor 40 Jahren, als ich gelernt habe, die Vanillesoße aus normaler Vanilleschote und Eigelb gemacht, obwohl ich ja im Krankenhaus gelernt habe. Und den Schokoladenpudding mit Mondamin und Kakaopulver? - Also da ist dieses neue 'Zurück zur Entindustrialisierung' gar nicht so neu. Und so, wie ich es gelernt habe, habe ich dann hier auch gekocht."
Jede Woche ein saisonales Menü mit Zutaten aus der Region: Der Zander kommt vom Fischer aus Wernsdorf; Sattelschweine, Wiesenkälber und Linumer Lämmer vom "Gut Hirschaue" bei Beeskow; Kartoffeln kauft sie von Bauer Hamann aus Heckelberg.
"Frisch muss es sein, frisch. Wenn du es aufmachst, dass die Nase, das ist ja bei allem das wichtigste Organ. Und es muss Spaß machen, das muss schön aussehen, das ist das A und O."
1990, gleich nach der Wende, hat die leidenschaftliche Köchin sich selbstständig gemacht. Damals fuhr sie über Land und erlebte in den Brandenburger Gaststätten allerlei Unerfreuliches:
"Dann habe ich immer bloß gesagt: Ist das eigentlich so schwierig, ein einfaches Kotelett zu braten, einen Blumenkohl dazu, braune Butter rüber und eine Kartoffel? Aber es war wahrscheinlich schwierig." Seitdem habe sich in Brandenburg aber viel getan: "Da muss man nicht verhungern, und man muss auch nicht mit der Kühltasche reisen, das geht auch ohne."
Viel Geld fürs Auto, aber beim Essen sparen
Aber - Qualität hat ihren Preis, und hier zu Lande sind noch nicht viele bereit, für ein Essen ordentlich in die Tasche zu greifen:
"Für das Auto spielt alles Geld keine Rolle, aber beim Essen wird gespart hier bei uns überall. Dann kommt noch hinzu: Der Nachholbedarf auf unserer Seite ist ja viel Reisen und Bauen und dies. Und wenn das Geld dann eben nicht so locker sitzt, dann erwartet man halt, dass der Teller voll ist, alles überkippt und darf aber nicht mehr als zehn Euro kosten – und wie du das zaubern kannst, das ist ein Rätsel."
Eichwalde liegt unmittelbar am südöstlichen Stadtrand von Berlin, im so genannten Speckgürtel. "Carmens Restaurant", nur wenige Schritte vom S-Bahnhof entfernt, lebt von den anspruchsvolleren Gästen aus der Großstadt. Rund 100 Kilometer weiter südlich werkelt Frank Schreiber in seiner offenen Küche im "Goldenen Hahn" in Finsterwalde. Der 42Jährige ist einer der drei märkischen Küchenchefs, die erst vergangene Woche in der neuen Ausgabe des Restaurantführers "Gault&Millau" als Brandenburgs Spitzenköche gewürdigt wurden – mit 16 von möglichen 20 Punkten. Frank Schreiber nimmt den Begriff "Kochkunst" wörtlich:
"Seesaibling, Pikantes von der Brandenburg Bete und geröstete Hanfsamen, das wäre mal eine Vorspeise. Oder eine Samtsuppe vom Muskatkürbis mit gebackenem Landei vom Gut Besenborstel, dazu ein Kürbis-Chutney und Kernöl-Kieselsteine. Da sieht man so ein bisschen die moderne Küche, trotzdem regional, Kürbis, aber nicht süß-sauer, sondern das Ganze ein bisschen auf pfiffige Art und Weise kombiniert. Oder unser regionales Heidelamm, dazu hausgeräucherter Knoblauch und Haselnuss, dazu Wirsing, Ziegenfrischkäse-Ravioli und Tomate – das so als Hauptgang mal, nicht mediterran, sondern halt neu und Lausitz."
Finsterwalde liegt etwas verloren am Südwestrand des Brandenburger Braunkohlereviers. Schreiber versucht, aus der Abgeschiedenheit das Beste zu machen und setzt selbstbewusst auf die regionalen Besonderheiten. Bevor Schreiber 1997 in das von seinem Großvater gegründete Lokal zurückkehrte, hatte er in Australien, Schweden und Kanada gekocht. Das junge Talent brachte internationales Flair nach Finsterwalde. Zwei Stunden Fahrt von Berlin entfernt war das nicht einfach:
"Es hat zehn Jahre gedauert, bis ich dann komplett meine Küche fahren konnte, unseren Ruf weiter aufgebaut habe, und heute bin ich auch von der internationalen Küche weg. Ich nutze natürlich die ganzen Einflüsse, die ganzen Erfahrungen, die ganzen Inspirationen und koche daraus eine neue Lausitzer Küche."
Ein einsamer Stern in Finsterwalde
Die Gerichte sind auch eine Augenweide, werden kunstvoll geschnitten, arrangiert und mit auch farblich passenden Soßen besprenkelt angerichtet. Farben, Formen und Aromen ergänzen sich perfekt. Trotz der Ansprüche an die Kochkunst und der Silberhauben über den Tellern ist es im Restaurant gemütlich, die Atmosphäre entspannt. Am Nachbartisch sitzt ein junges Paar, das Beziehungsjubiläum feiert:
"Ich finde, das hat auch etwas mit Kunst zu tun: Dieses Anrichten, diese Feinheiten, das Auge ist halt immer mit." – "Dieses nicht immer den Teller voll hauen bis oben hin." – "Das ist halt Kunst. Aber das findet man selten, gerade auf dem Land ist es halt sehr, sehr selten und schon etwas Besonderes."
Um den Finsterwaldern entgegen zu kommen, die mit der Hausmannskost seines Vaters aufgewachsen sind, bietet Frank Schreiber neben Feinschmecker-Menüs von drei bis sechs Gängen auch gehobene Gasthaus-Küche an. Er veranstaltet Kochkurse, und seine Frau Claudia schreibt Kurzgeschichten, zu denen er bei literarisch-lukullischen Abenden das passende Menü gestaltet. Dennoch sind heute Abend nur drei Tische besetzt. In Berlin könnte sich ein Koch von seiner Güte vor Reservierungen wohl kaum retten.
"Mit Sicherheit wäre es woanders viel, viel einfacher. Aber ich habe gesehen, wie mein Großvater hier in Finsterwalde sein Lebenswerk aufgebaut hat, ich habe gesehen, wie meine Eltern das Lebenswerk weitergeführt haben. Und ich bin dann damals nach Hause gekommen, um die Tradition weiterzuführen. Zwei Generationen haben hier ein Lebenswerk geschaffen, das kann ich nicht einfach so zerstören, indem ich nicht nach Hause komme und es nicht weiterführe."
Ein Drei-Gang Menü des Spitzenkochs von der Lausitz-Karte kostet 45 Euro, ein Frischlingsrücken mit Tannenhonig und Haselnuss, Knollensellerie, Romanesco und Kastanien-Knödel schlägt mit 25 Euro zu Buche. Klar ist: Säße Schreiber näher an den Metropolen, würde die Kasse lauter klingeln:
"Ich könnte natürlich für das, was wir bieten, um ein Vielfaches mehr in Berlin oder Dresden verlangen. Wir haben unsere Preise der Region schon angepasst und es ist auch nicht immer ganz einfach. Also es ist schon auch ein harter Kampf, so ist es nicht. Brandenburg hat extrem viel Potenzial, was noch entdeckt werden muss. Es braucht auch viele, die den Mut haben, das in Brandenburg aufzubauen. Weil, der Brandenburger an sich muss doch etwas überzeugt werden, auch mal etwas Neues zu probieren. Der Brandenburger ist ein fantastischer Mensch, aber er muss auch erst ein bisschen aufgeweckt werden in dem Sinne, dass er seine eingetretenen Pfade mal verlässt."
Der Küchenkünstler muss nach Berlin oder Dresden auf die Wochenmärkte fahren, um die Zutaten in der Qualität zu finden, die er braucht. Viel Zeit geht auf der Suche nach hervorragendem Fleisch, Fisch, Gemüse und Käse drauf.
Bresse-Hühner vom "Biogut Besenborstel"
Für Geflügelfleisch immerhin hat Frank Schreiber eine Quelle ganz in der Nähe: Das "Biogut Besenborstel" im nur sechs Kilometer entfernten Goßmar züchtet die berühmten französischen Bresse-Hühner:
"Die Qualität ist dementsprechend fantastisch. Es ist eine besondere Hühnerrasse, es ist die Aufzucht, es ist die Liebe, wie das Huhn auch aufwachsen darf, und es ist auch die Frische, wie es mir dann geliefert wird. Auch die Eier sind sensationell. Ob jetzt poschiert, gegart, als Onsen-Ei zubereitet, auf diese neue moderne Art: Das Onsen-Ei wird bei 68 Grad zirka anderthalb Stunden poschiert und ist innen drin schlotzig wachsweich. Dann wird es aus der Schale ausgelöst, ganz vorsichtig in Semmelmehl paniert, wo wir noch gemahlene Kürbiskerne mit drin haben, dann reichen wir es entweder wahlweise zum Salat oder auch zu einer Kürbissuppe."
2.500 weiße Bresse-Hühner hält Lutz Ulms vom "Biogut Besenborstel". Er beliefert nicht nur den "Goldenen Hahn" in Finsterwalde, sondern auch Spitzen-Restaurants und Sterne-Köche im fernen Berlin. Lutz Ulms und seine Familie sind Quereinsteiger: Als sie 1995 aus Leipzig weg aufs Land zogen und den alten Hof in Goßmar kauften, stellte sich die Frage, was damit anfangen. Über ein Gründerprojekt sind sie dann aufs Huhn gekommen. Als Biobetrieb machen sie beim Schreddern männlicher Küken nicht mit und haben sich darum für die Rasse Bresse entschieden:
"Weil wir ein Huhn gesucht haben, und zwar ein Nutzungshuhn, was Eier legt und auch gutes Fleisch abgibt. Französisch, die essen ja relativ gut, da ist das Fleisch relativ gut und die Legeleistung war zwar mittelmäßig, aber die Eier kann man halt dann noch dementsprechend verkaufen."
Die Hühner halten Ulms in einem "Hühnermobil" auf der Weide und in mehreren Ställen mit Auslauf, in dem jedes Tier sechs Quadratmeter Platz hat:
"Es ist ja so gewollt, dass die Hühner auch an die frische Luft rausgehen, die haben noch einen Wintergarten dran. Meine Frau wollte immer gerne einen Wintergarten, die kriegt keinen, aber die Hühner, die haben einen – gab schon Familienstreit darüber."
Auch Sabine Denell vom "Capriolenhof" in der Uckermark ist eine Quereinsteigerin: Früher war sie Tierärztin, heute macht sie Ziegenkäse. Und der ist so gut, dass selbst französische Restaurants in Berlin ihn ihr aus den Händen reißen, obwohl Frankreich das Land der Käse-Experten ist.
160 Toggenburger Ziegen halten Sabine Denell und Hans-Peter Dill auf dem Capriolenhof bei Bredereiche, einem Ortsteil von Fürstenberg. Sechs Kilometer sind es durch den Wald hier hin, auf unbefestigten Wegen, immer an der Oberen Havel-Wasserstraße entlang. Einsam – und genau richtig für sie und ihre Tiere, meint Sabine Denell. Was braucht eine Ziege, um Milch für guten Käse zu liefern?
"Da braucht sie ja auf jeden Fall erst mal ein angstfreies Dasein, möglichst angstfrei und verhaltensgerecht. Eben viel laufen in der Natur, ohne eingesperrt zu sein. Wir machen mit unseren Ziegen Landschaftspflege und man merkt immer, wenn wir mal einen Tag nicht gehen, dann sind die so richtig so wie Schulkinder, so aufgedreht. Die brauchen das, um runterzukommen, einfach nur durch den Wald streifen und fressen, was sie möchten."
Die Ziegen kommen aus Toggenburg
Jeden Tag führt sie die Tiere vier Stunden durch den Wald, erzählt Sabine Denell, umdrängt von den jungen Nachwuchs-Zicklein dieses Jahres. Toggenburger Ziegen sind robust, geben aber nicht übermäßig viel Milch. Jährlich 5 000 Kilo würzigen Hart- und cremigen Weichkäse stellt Denell her. Er findet Absatz in ihrem kleinen Hofladen, auf Berliner Wochenmärkten und in den gehobenen Küchen der Uckermark. Im Edel-Gasthof "Tenzo" in Triebgendorf zum Beispiel oder beim Sterne-Koch Daniel Schmidtthaler in der "Alten Schule" in Fürstenhagen:
"Der macht aus unserem Käse immer einen Menügang. Also der wird nicht als Käseplatte oder Teller serviert, sondern er macht da was von."
Außerdem bekomme man ihren Käse in derzeit vier der elf Sternerestaurants von Berlin. Der Capriolenhof vermarktet ausschließlich regional, und das liegt nicht nur an der fehlenden EU-Lizenz, ohne die man nur im Umkreis von 100 Kilometern verkaufen darf:
"Das ist das Schöne daran, wenn wir an die Gastronomie abgeben: Da wird das am Samstag oder Freitag geliefert und am Sonntag oder Samstag ist es da auf dem Teller, immer sozusagen auf den Punkt und das jede Woche. Wenn ich jetzt für einen Großhandel produzieren müsste, dann müsste ich mindestens vier Wochen ein gleichbleibendes Produkt haben. Und da mache ich natürlich an die Qualität richtig Abstriche. Und das machen wir gar nicht erst mit!"
Allmählich wende sich das lukullische Blatt in Brandenburg, meint Denell: Eine neue Generation von Köchen zöge es in die Uckermark:
"Es entsteht jetzt so ein Pool von guten Köchen, die auch miteinander kommunizieren, das ist für die ganz wichtig, die sich gegenseitig einladen und Ideen haben usw. Wenn da erst mal ein paar sind, kommen auch welche dazu, das wird jetzt mehr. Also es machen ständig Leute Gastronomie, die auch wirklich auf Frische setzen und auf gute Produkte. Das ist für mich Grundlage von einer guten Küche."
Einer Küche, wie Jörg Frankenhäuser sie im "Kochzimmer" in Beelitz zelebriert. "Was hier auf den Teller kommt, ist kreative, ambitionierte Küche, wie man sie eher in Berlin erwarten würde", schrieb der "Guide Michelin" 2016 – und verlieh Frankenhäuser einen Stern. Der Kritiker des Restaurantführers "Gault&Millau" 2017 schlemmte zart gegarten Hummer mit Wassermelone, jungen Erbsen und einem Schaum aus Krustentier und Wasabi – und lobte Frankenhäuser anschließend als "Newcomer des Jahres":
"Gutes Essen bedeutet in erster Linie Geschmackserlebnisse, geschmackliche Vielfalt, die sich nicht eindimensional bewegt, sondern eine gewisse Vielschichtigkeit aufweisen kann."
In Beelitz nicht nur Spargel, sondern auch das "Kochzimmer" mit Stern
Jörg Frankenhäuser stammt aus Potsdam, wo er mit seiner Frau Claudia und zwei kleinen Kindern auch heute wieder lebt. Seine Kochlehre absolvierte er im Schwarzwald, sammelte danach in renommierten Häusern Erfahrungen. 2011 eröffneten Claudia und Jörg Frankenhäuser das "Kochzimmer" in Beelitz im Fläming, mit Backsteinwand, Designerlampen und eigens getöpferten Geschirr. Die Kleinstadt liegt nur 50 Kilometer südwestlich von Berlin, doch der Anfang war trotzdem hart:
"Man muss das aushalten können, also auch als Unternehmer, dass die Leute vor der Tür stehen, auf die Speisekarte gucken und kopfschüttelnd weggehen – und man steht hier in einem leeren Laden. Da muss man einfach die innere Überzeugung haben, dass sich das ändern wird, dass man das kann."
Ein Drei-Gänge-Menü für 54,50 Euro? Perlhuhn hin und Heilbutt her: Für die Beelitzer war das schlicht zu viel, sie gingen lieber zum Griechen auf der anderen Straßenseite. Bis heute seien die Gäste, die aus Berlin anreisen, oft verblüfft, eine solche Gourmetküche hier auf dem Land anzutreffen, erzählt der ehrgeizige Koch.
Dank des Michelin-Stern sei es einfacher geworden, ein Publikum anzulocken, das Eis von der Entenleber, kunstvoll kombiniert mit Räucheraal und Mandeln ebenso zu schätzen weiß, wie eine bei 43 Grad gebeizte Eismeerforelle mit Gurkentapioka und schwarzem Rettich. Echte Brandenburger verirren sich nur selten ins "Kochzimmer". Sein Angebot richte sich an weltoffene, kulinarische Entdecker, sagt der aufstrebende Newcomer selber.
"Und das sehe ich bei zugezogenen Brandenburgern, die da mal ein Häuschen gekauft haben, die eine Nähe zu Berlin suchen, die aber nicht am Abend wieder nach Berlin reinfahren wollen. Aber ich sehe es eben nicht bei Immer-schon-Brandenburger-Eingeborenen. Das wird sich auch nicht ändern. Sie können Mechanismen, die sich jahrzehntelang oder in Brandenburg ja vielleicht sogar jahrhundertelang durch das preußische, durch das protestantische Selbstkasteien nicht abstellen. Das funktioniert nur über Zuzug, über eine Internationalisierung und über neue Eindrücke von außen."
Eindrücke, wie Ulrike Laun sie ihren Gästen verschafft, zugewandert aus Franken, früher Krankenschwester, Geschäftsführerin eines Herrenausstatters, auch mal Kosmetikerin. Ulrike Laun zog ins Dörfchen Körzin, unweit von Beelitz, weil ihr Mann Stephan hier in der Gegend bei der Luftwaffe stationiert war. Die beiden pflanzten im Garten ihres alten Hofes allzu viele Kürbisse. Aus der unverhofften Gemüse-Flut kochte Ulrike Laun Chutneys, verkaufte sie erst an der Straße, dann in einem winzigen Hofladen, der immer weiter wuchs. Seit zehn Jahren führt sie die "Landlust Körzin". Das geschmackvoll eingerichtete Lokal zieht Gäste sogar aus dem fernen Leipzig an. Ihre Küche beschreibt die leidenschaftliche Gastgeberin so:
"Genussvolles Essen, was überrascht, was für mich von den Geschmäckern her gut kombiniert ist und was einfach die Dinge in einer anderen Situation noch mal zusammenkommen lässt. Gerade Reh ist mein absoluter Favorit, weil das einfach ein ganz fantastisches Fleisch ist. Ich könnte nicht sagen, welches Tier noch so eine zarte Faser hat wie ein Rehlein. Das ist einfach wirklich für mich so das absolute Highlight."
In Körzin kommt vieles aus Nachbars Garten
Das Rehlein in der "Landlust Körzin" stammt meist aus der Jagd von Stephan Laun, der regelmäßig mit seiner Kleinen Münsterländerhündin los zieht. Kartoffeln und Gemüse holt Ulrike Laun vom Biobauern gegenüber oder aus dem eigenen Garten:
"Nachdem ich auch total gerne in der Erde wühle und aussäe, das Wachsen finde ich einfach etwas Lebendiges, es ist toll, wenn du einen Kern in die Erde bringst und danach kommt eine Frucht, von der du essen kannst und von der du zehren kannst. Das ist für mich immer wieder ein Geschenk der Natur."
Ulrike Laun ist neugierig und vielseitig interessiert, daher auch die vielen Berufswechsel, das sich öfter mal neu erfinden:
"Also Kochen ist schon eine totale Leidenschaft von mir, weil ich schon immer ein absoluter Genussmensch war. Meine Oma hat immer zu mir gesagt: "Ich glaube, es gibt nichts, was du nicht im Mund hattest!" Ich habe schon als Kind wirklich an allem rumgenascht. Ich habe auch Marienkäfer und Regenwürmer probiert – ja, gut, (lacht) war nicht so meins, ist nicht auf der Karte."
Dafür findet sich dort Blutwurst mit einem elegant gewürzten Sauerkraut-Kartoffel-Flan. Oder ein perfekt gegartes Stück vom Reh - auf geschmorten Rinderbacken. Ein Wildkräutersalat, Pastinakencremesüppchen mit Haselnussbiskuit und Granatapfel, oder ein feines Ragout von der Kalbsniere, dazu Maronenschnitte und Soße von Schokolade und Chili:
"Meine Großmütter haben mich halt machen lassen, und haben mir das in Ruhe beigebracht, weil ich halt Interesse dafür hatte. Na ja, und dann habe ich so mit 14 Jahren wirklich mir zu Weihnachten Kochbücher gewünscht. Mittlerweile habe ich bestimmt 400 Stück."
Anders als im "Kochzimmer" haben die Launs mittlerweile auch relativ viele Brandenburger unter ihren Gästen. Vielleicht, weil sie eine Brücke bauen, zwischen gehobener Kochkunst und bester Landhausküche:
"Wir haben uns das schwer erarbeitet, aber es freut uns natürlich, dass die Leute, wenn sie halt einen besonderen Anlass haben oder sich wirklich mal was gönnen möchten, dann zu uns kommen. Das finde ich schon toll."
Auch die Köche der Region würden inzwischen aufwachen und Ehrgeiz zeigen, meint die Neubrandenburgerin aus Bayern:
"Ich finde, hier hat sich in den letzten fünf Jahren extrem viel getan, finde ich einfach toll. Jeder hat so seinen eigenen Stil, das ist klasse. Also ich finde es schön, man befruchtet sich gegenseitig."
Auch bei den Getränken hat sich in der Mark viel getan. Sternekoch Jörg Frankenhäuser schenkt in seinem "Kochzimmer" einen Quitten-Secco aus, wie er auch in der Kelterei des "Gutshofes Kraatz" entsteht. Palettenweise werden in einer denkmalgeschützten Scheune im gleichnamigen Dorf im Norden Brandenburgs Quitten und Äpfel der Ernte dieses Herbstes entsaftet:
"Wir nutzen die alten Streuobstbestände der Region, die sonst einfach keiner mehr nutzt. Da ist viel Schatzsuche gerade dabei, das macht die Sache so interessant, dass man hier noch Dinge finden kann. Weil hier noch so viel Platz ist und so wenig Mensch, ist nicht jede Ecke aufgeräumt worden."
Nicht nur Essen aus der Gegend, sondern auch Apfelwein
Florian Profitlich war früher Fotograf, seine Frau Edda Müller PR-Beraterin. Als sie den "Gutshof Kraatz" vor 15 Jahren gekauft hatten, schauten sie eine Weile zu, wie das Obst im Herbst von den Bäumen fiel und ungenutzt vergammelte, derweil die Leute im Supermarkt Äpfel aus Neuseeland kauften. Dann übernahmen sie die technische Ausstattung einer kleinen Lohnmosterei und legten los mit ihrem Experiment Apfelwein:
"Wir brauchen in den Äpfeln mehr Säure und mehr Gerbstoff als das, was man im modernen Tafelobst noch finden kann. Damit kommen aus dem alten Obstsortiment einige Dinge infrage, die wir jetzt für uns hier ausprobieren, wobei es vordergründig darum geht, nicht zu versuchen, einen typischen saarländischen Viez zu imitieren, sondern hier etwas aus dem Sortiment zu entwickeln, was ich hier vor der Tür vorfinde."
Apfelweine aus Kraatz wurden auf der Apfelweinmesse in Frankfurt/Main mit einem "Pomme D’Or" ausgezeichnet – dem Michelin-Stern der Obstwinzer-Szene. Weil die Vermarktung im Norden und Osten Deutschlands trotzdem etwas schwierig ist, werden in Kraatz neuerdings auch naturbelassene Obstsäfte gepresst, auf kleine Flaschen gefüllt und an Restaurants geliefert.
"Durch einen sehr trockenen Sommer dieses Jahr haben fast alle Früchte weniger Säure. Bei den Quitten ist dann die Balance zwischen Zucker und Säure für diese Verwendung als Direktsaft, der nicht verdünnt wird, kein Zucker zugesetzt wird, genau richtig."
Ein Direktsaft von der Quitte, duftend und intensiv im Aroma. Nur dank der alten Streuobstwiesen könnten sie diese Intensität erreichen, sagen Florian Profitlich und Edda Müller:
"Auch vor dem Hintergrund der Welle von alten Obstsorten und alten Gemüsesorten, die einfach auch mehr Geschmack haben. Ich denke mal, das ist so eine Modewelle, wo das ganz gut reinpasst, diese Rückbesinnung auf hochwertige Lebensmittel."
Florian Profitlich ergänzt:
"Den Quittensaft zum Beispiel sehen wir als guten Essenbegleiter, anstelle von Wein, wo eben sonst in der Gastronomie nur verhältnismäßig einfache Produkte häufig zu süß für diejenigen angeboten werden, die keinen Alkohol haben wollen. Quitte als Saft, so wie wir es jetzt gerade probieren, lässt sich ganz hervorragend anstelle von Wein servieren."