Die nächsten Vorstellungen von "Wir sind die Guten" im Schauspiel Essen sind am 6. Mai 19.30 Uhr, 14. Mai 19 Uhr und 22. Mai 19.30 Uhr.
Die Lebenslügen der Gutmenschen
Die Pegida-Bewegung brachte Zehntausende auf die Straße, die glaubten, Deutschland vor Fremden schützen zu müssen. Hermann Schmidt-Rahmer zeigt nun am Schauspiel Essen das Stück dazu: "Wir sind die Guten" von Mark Ravenhill - eine bösartige Attacke.
"Ich bin ein lieber Mann", sagt der Gatte. Sein Tonfall ist so ruhig und sanft, dass es nicht nur der Gemahlin graust. Kurz darauf explodiert er, zertritt das Lego-Minarett seines Sohnes, erregt sich über Muslime im Sportstudio, die sich beim Duschen nicht die Unterhose ausziehen. Das Schauspiel Essen wagt mit Mark Ravenhills Szenensammlung "Wir sind die Guten" eine satirische Analyse der Pegida-Bewegung.
Die unter dem Originaltitel "Shoot / Get Treasure / Repeat" versammelten 16 Minidramen waren vor acht Jahren eine Reaktion auf die Bombenattentate in der Londoner U-Bahn. Ravenhill selbst stellt es den Regisseuren frei, die Stücke auszuwählen und neu zu sortieren. Hermann Schmidt-Rahmer geht darüber hinaus und kombiniert einige von Ravenhills Szenen mit eigenen Recherchen - eine Arbeitsweise, die schon dem Bochumer Schauspielhaus mit "Gespenster des Kapitalismus" eine bissige Analyse des Finanzsystems bescherte.
Oft auf der Kippe
Die Schauspieler drehen auf und überzeichnen. Doch immer wenn man denkt, dass sie gerade mehr als heftig karikieren, folgt eine Videoeinspielung. Und man hört die eben gesprochenen Sätze noch einmal im Original, von islamistischen Predigern oder Teilnehmern von Pegida-Demonstrationen. Manchmal bleibt einem fast die Luft weg, wenn man eine Drohnenattacke verfolgt oder die Fox-News Moderatorin Jeanine Pirro nach den Anschlägen auf die Satirezeitung "Charlie Hebdo" eine unglaubliche Hetzrede hält. Schnell wird klar, dass es keine Guten und Bösen gibt, dass im Gegenteil das Grauen nahe ist, wenn moralische Begriffe bemüht werden.
Die Inszenierung verstört, weil sie sich oft auf der Kippe bewegt. Der vor Spielwut schäumende Daniel Christensen spielt einen Sicherheitsfanatiker, der sich keine Morddrohung gefallen lassen will, weil er eine Mohammed-Karikatur lustig findet. Das könnten wohl viele im Publikum unterstreichen. Doch direkt danach kippt seine Rede in pure Paranoia, er zittert und zappelt vor Fremdenphobie. Der erste Teil der Aufführung trägt den Titel "Hier" und zeigt eine von Angst zerfressene europäische Gesellschaft.
Im zweiten Teil – "Dort" – geht es in die Krisengebiete. Ein von Thomas Büchel grandios verkörperter Offizier im Auslandseinsatz schreit seine Schuldkomplexe heraus. Und versteht es überhaupt nicht, dass eine arabische Intellektuelle (Silvia Weiskopf) sagt, unter einem grausamen Tyrannen habe sie wenigstens Kaffee zum Frühstück trinken können. Der Hunger im Bürgerkrieg sei noch schlimmer.
Enorm unterhaltsam
Boshaft attackiert Hermann Schmidt-Rahmer politisch korrekte Kunstbemühungen, multikulturelle Projekte, die nur dafür da sind, dass sich die reichen Europäer besser fühlen. Großen Spaß vermitteln die aufgedrehten Schauspieler beim ironischen Song "No Burka", den sie auf YouTube entdeckt haben und in dem eine afghanische Frauenband in blauen Burkas dafür plädiert, die Körper nicht zu verstecken.
Bei aller Informationsfülle sind die zwei Stunden enorm unterhaltsam. Mit zynischer Klarheit karikiert das Ensemble die Lebenslügen der Gutmenschen, verharmlost keinesfalls den Terrorismus - deutet aber auch an, wo seine Wurzeln liegen: In einer Gewaltpolitik, die auf Angst beruht. Und die wiederum basiert auf einem tiefsitzenden Schuldgefühl, weil die Wohlstandsbürger wissen, dass der Kauf von fair gehandeltem Kaffee nur ein sehr kleiner Schritt ist. Während überall Menschen verhungern und sterben, beschäftigen wir uns mit Koffeinunverträglichkeit und mixen Gurken-Avocado-Smoothies.