Esskultur

Warum in Italien Liebe durch den Magen geht

Nudeln mit karamellisierten Tomaten, Knoblauch und Basilikum auf einem Teller, fotografiert am 11.08.2013 in Berlin.
Eng mit der italienischen Küche verknüpft: Spaghetti mit Tomaten. © picture alliance / dpa / Jens Kalaene
Von Tilmann Kleinjung |
Über kein Thema können sich Italiener länger unterhalten und streiten als über das Essen. Dabei geht es um mehr als um die bloße Nahrungsaufnahme. Auf den Spuren der Geheimnisse der italienischen Küche.
Ein Hof irgendwo in den Bergen. Der Tisch liegt im Schatten, ein paar Weinflaschen stehen darauf, weiße Teller, alles ganz schlicht. Keine Tischdecke. Blankes Holz, reiner Genuss. So müssen sich Italiener das Paradies vorstellen – wenn man der Fernsehwerbung glauben darf: Viele Menschen sitzen an einer Tafel und obwohl sie alle den Mund voll haben, wird ununterbrochen geredet, gequatscht, gelacht, gestritten. Das Idealbild einer Genuss-Gesellschaft!
Das Luxus Ressort, das Antonello Colonna in den Bergen hinter Rom betreibt, kommt dem paradiesischen Urzustand schon ziemlich nahe: Modernste Architektur verbunden mit traditioneller, hochwertiger italienischer Küche:
"Das Essen steht im Zentrum, das ist der Grund, warum man hierher aufs Land kommt. Meine Küche kann leicht zurückverfolgt werden. Das Essen der kurzen Wege, hier haben wir gar keine Wege mehr. Alles, was Sie hier essen, können Sie hier sehen, wie es wächst, wie es geerntet wird. Sie sehen die Getreideernte und essen dann die Pasta, die aus diesem Mehl gemacht ist."
Colonnas Eltern hatten ein Wirtshaus an der Bahnstrecke Rom-Neapel. In Labíco, dem Ort, in dem heute der Sohn sein Luxusressort mit zwölf Zimmern und Küche betreibt. Er sei schon im Mutterleib dazu bestimmt gewesen, Koch zu werden, sagt Colonna, der dann als junger Mann zur wahren Meisterschaft heranreifte.
Rückbesinnung auf die wahre italienische Küche
In der Osteria seiner Eltern bot er Sterneküche, eröffnete dann in Rom ein großes Restaurant und nach mehr als 30 Jahren im Beruf ist er in seinen Heimatort zurückgekehrt. Eine Rückkehr, die er symbolisch versteht, als Rückbesinnung auf die wahre italienische Küche.
"Mein 'Cacio e Pepe' besteht aus zwei Zutaten. Mit zwei Zutaten machen wir ein großartiges Gericht: Käse und Pfeffer. Es gibt keine Soßen, keine Preiselbeeren, keine Butter. Nichts. 'Cacio e Pepe' ist eines der raffiniertesten Gerichte, das man in Italien essen kann. Wie die 'Carbonara'. Ich würde heute diese Gerichte unter Denkmalschutz stellen. Die 'Carbonara' ist das Pantheon und die 'Amatriciana' das Kolosseum."
Es gibt ein ziemlich eindeutiges Indiz dafür, dass ein Koch es geschafft hat. Wenn man so wie Antonello Colonna am späten Vormittag über Pasta "Carbonara" philosophieren darf, statt am Herd zu stehen und selbige "Carbonara" zu kochen, dann muss es wohl in der Küche ein Heer dienstbarer Geister geben, die dafür sorgen, dass die Nudeln pünktlich auf den Mittagstisch kommen.
Antonello Colonna lässt kochen. Beim Besuch in der Küche erklärt er, dass es bei der Carbonara auf die frischen Eier ankommt, die richtigen Rigatoni und den besten Speck. Und ganz wichtig: keine Sahne! Das sei leider auch ein in Italien immer noch weit verbreiteter Irrtum: die Soße mit Sahne zu strecken. Colonna ist vom Koch zum Aufklärer geworden:
"Ein moderner Koch zu sein, heißt vor allem seine Identität zu bewahren, seine Fähigkeiten. Wir können nicht immer auf die Großmutter, die Tante, die Mutter zurückgreifen. Auch die haben ihre Fehler gemacht. Ich habe sie dann korrigiert. Auch meine Mutter hat sich von Industriekäse verführen lassen. Der Sohn ist modern, weil Forschung die wahre Moderne ist"
Fundamente der italienischen Küche freilegen
Antonello Colonna träumt nicht davon, wieder am wachstuchgedeckten Küchentisch der Nonna, der Oma zu sitzen und deren selbst gemachte Tortellini zu essen. Wie ein Archäologe will er die Fundamente der italienischen Küche freilegen. Seine Speisekarte reduziert den Primo, den ersten Gang, auf das Wesentliche, auf den Geschmack: "Spaghettoni alla gricia" - dicke Spaghetti mit Speck und Pecorino. "Ravioli di coda alla vaccinara". Ravioli gefüllt mit Ochsenschwanzragout.
"Was findet der Ausländer, sagen wir: der Deutsche, bei uns? Er findet einen intensiven Geschmack und Vielfalt: die italienische Tomate, Mozzarella aus Kuh- oder Büffelmilch, Käse, Pasta, Wurstwaren, Fleisch. Der Deutsche mag unsere Küche, weil der Geschmack so intensiv ist. Der Geschmack!"
Ein Restaurant im beliebten Stadtteil Trastevere in Rom wirbt für seine italienische Küche.
Ein Restaurant im beliebten Stadtteil Trastevere in Rom wirbt für seine italienische Küche.© picture alliance / dpa / Lars Halbauer
Die Kunst des Koches wäre es demnach, den Geschmack nicht zu verhunzen. Antonello Colonna wirbt für eine essentielle, authentische Küche. Der Kreativität des Koches bleibt es vorbehalten, die Essenzen in der richtigen Weise miteinander zu kombinieren. Da ist dann Geschmackssicherheit gefragt. Schokoflocken auf "Spaghetti Amatriciana"? Undenkbar!
"Da mag ich nicht mal dran denken. Da wäre ja so, als würde der Bürgermeister von Rom morgen Fensterläden am Kolosseum anbringen. Das ist nicht modern. Kakao auf der Amatriciana ist nicht modern. Das ist Blasphemie. Die Geschichte ist wichtig, die müssen wir bewahren."
Im Alltag muss sich Italien anders ernähren
Tradition hat ihren Preis. Eine Nacht in dem durchgestylten Ressort kostet im Doppelzimmer 200 Euro. Und das Menü pro Person an die 100 Euro. Feiertagspreise. Im Alltag muss sich Italien anders ernähren. Die Krise hat dazu geführt, dass italienische Familien immer weniger Geld für Lebensmittel ausgeben können.
Seit es mit Italiens Wirtschaft bergab geht, sind die Ausgaben der Haushalte für Restaurantbesuche und Nahrungsmitteleinkäufe um acht Prozent zurückgegangen. Und das will was bedeuten in Italien, dem Land, in dem sich alles ums Essen dreht, in dem Essen mehr ist als bloße Nahrungsaufnahme. "Mangiare" ist Leidenschaft, Kultur und auch Geschichte. Wer die symbiotische Beziehung dieses Volkes zum Essen ergründen will, muss bei den alten Römern anfangen. Kerstin Thiel Lunghini:
"Das persische Wort für Garten ist Paradies."
Das Paradies liegt mitten in Rom. Die Villa Medici. Oberhalb der spanischen Treppe. Ein prächtiger Renaissancegarten, durch den die Kunsthistorikerin Kerstin Thiel Lunghini führt.
Die hohe Kunst des Genusses
Einst residierte hier ein Kardinal aus der berühmten Medici Familie. Heute ist in dem Palast die Französische Akademie untergebracht. Der Ort ist für die hohe Kunst des Genusses, auf die sich ja Franzosen und Italiener gleichermaßen verstehen, von historisch fundamentaler Bedeutung, denn hier residierte Lucius Licinius Lucullus. Geboren im Jahr 117 vor Christus. Thiel:
"Dieser Lucullus ist ein wichtiger Feldherr für Sulla und dieser Lucullus macht beim dritten Asienfeldzug so reiche Beute, dass man ihn ablöst, nach Hause holt und den Triumph verweigert."
Der Triumph ist der feierliche Einzug des siegreichen Feldherrn in die Stadt. Die Kriegsbeute wird präsentiert und ein eigener Triumphbogen errichtet. Bei Lucullus fürchtete man wohl, dass ihm der Erfolg allzu sehr zu Kopf gestiegen ist und ließ ihn vor den Toren der Stadt warten. Eine narzisstische Kränkung mit Folgen. Lukull blieb draußen und errichtete auf dem Hügel Pincio (also am Ort der Spanischen Treppe) eine derart unbescheidene Villa, dass sich jeder Triumphzug dagegen gerade zu lächerlich ausnahm.
"Das persische Wort für Garten ist Paradies. Er ist derjenige, der zurückkommt, der in diesem riesigen asiatischen Bereich formale Gärten gesehen hat, der Gärtner mitbringt, Pflanzen mitbringt. Zum Beispiel die Kirsche. Und er bringt Köche mit. Man darf nicht vergessen, dass zu dem Zeitpunkt in Rom selber keinerlei exquisite Lebensqualität gelebt wird und dass das für Rom was ganz Neues ist."
Mit Lucullus ändern sich Tisch- und Esskultur
Die alten Römer waren Puritaner. In der Zeit der Republik (also in den Jahrhunderten vor Christi Geburt) herrschte Luxusverbot. Essen diente der Nahrungsaufnahme.
"Da hat man dann gerne so einen 'Dinkelbapp' zu sich genommen. Wo man dann Meeresfrüchte oben drauf gab oder Käse, Honig und so weiter."
Mit Lucullus ändern sich die Tisch- und die Esskultur der Römer. Man speiste im Liegen. Natürlich gab es Tänzerinnen und Musik. Natürlich Sklaven, die für einen reibungslosen Ablauf des Gastmahls sorgten. Und mit der Zeit werden auch die Gerichte immer ausgefeilter und raffinierter. Ein Rezept, das es so in Italien heute noch gibt: Ein Ferkel wird ausgenommen, mit Würsten und Obst gefüllt, wieder zugenäht und auf den Grill gelegt. Ausgestorben sind dagegen die extravaganten Verirrungen der antiken Küche.
"Man entwickelt eine sehr exklusive und übertriebene Tischkultur mit der Kaiserzeit. Die sprichwörtlichen Taubenzünglein sind natürlich Dinge, die wir uns heute nicht mehr vorstellen können."
Passanten stehen vor einer Filiale der amerikanischen Fast-Food-Kette McDonald's in Rom.
Passanten stehen vor einer Filiale der amerikanischen Fast-Food-Kette McDonald's in Rom.© picture alliance / dpa / Lars Halbauer
Stattdessen wird Italien heute von anderen Unsitten heimgesucht: Masse statt Klasse. 1986 eröffnet McDonald's seine erste Filiale in Rom. Frühlingsröllchen und Sushi sind als Imbiss zwischendurch mindestens so beliebt wie die Pizza. Und wer als Tourist schon mal in Venedig oder Rom fade Nudeln und aufgewärmte Tiefkühlkost essen musste, ahnt, dass noch lange nicht alles nach Italien schmeckt, was einem im Ristorante vorgesetzt wird. Eine Beleidigung für die Geschmacksnerven.
Bei der Kochkunst ist Italien ein Volk mit einer wachsenden Analphabetenrate. Auch hier wird mittlerweile häufiger in Fernsehshows gekocht als zu Hause. Weshalb Kochkurse Konjunktur haben.
Kurs für die Geheimnisse der italienischen Küche
Sie heißt nicht wie eine Italienerin, sie sieht nicht aus wie eine Italienerin, ist aber eine und will ihren Kurs in die Geheimnisse der italienischen Küche einführen.
Kaba hat rote Haare, ist zierlich, schmal, kann aber sehr bestimmt werden, wenn es darum geht, Zwiebeln richtig zu schneiden. Ein klarer, bestimmter Schnitt mit einem großen Messer. Wenn zu viel Druck ausgeübt wird, wird die Zwiebel schnell schwarz im Öl. "Mi raccomando" fügt sie autoritär hinzu. Was soviel heißt wie: Pass auf! Kaba:
"Wir haben uns auf vier Fischgerichte konzentriert. Wichtig ist, dass die Fische leicht zu besorgen sind, dass sie ausgewogene Nährwerte haben und dass sie gut schmecken. Wir verfeinern sie dann bei der Zubereitung mit verschiedenen Zutaten."
Kaba unterrichtet an der Kochschule ZEST, die Kurse für Amateure anbietet. Gelernt, gekocht und genossen wird in einer eleganten römischen Altbauwohnung.
"Secondi di mare" stehen auf dem Kursprogramm, also Fischgerichte. Claudia lernt hier mit zehn anderen interessierten Laien, wie man Tomaten richtig häutet und entkernt, so dass sie keine Bitterstoffe mehr freisetzen. Was nach etwas übertriebener Sorgfalt klingt, ist dringend erforderlich, damit die feinen Fischfilets nicht ruiniert werden.
"Hier lerne ich neue Techniken"
Lernt man deren Zubereitung denn nicht mehr in der Familie?
"Eigentlich schon, aber hier lerne ich neue Techniken, welche Kräuter dazu passen. In der Regel brät man doch ein Fischfilet in Öl, mit Petersilie und Zitrone. Hier lernst Du, wie Du Fisch mit verschiedenen Zutaten wie Pinienkernen, Kapern, Limetten kombinierst."
Die Kursteilnehmer stehen um einen riesigen Tisch. Kaba geht mit ihrer eleganten schwarzen Schürze von Schüler zu Schülerin und dirigiert.
Man muss die Kapern zuerst zerdrücken und dann zerschneiden. Kaba gibt klare Anweisungen. Denn so selbstverständlich, wie Claudia behauptet, sind die Techniken der italienischen Küche nicht mehr.
Um den Baccalà anzubraten, den Stockfisch, verwendet Kaba unglaubliche Mengen Olivenöl und stellt damit das Vorurteil auf eine harte Probe, dass italienisches Essen besonders gesund und bekömmlich sei. Kaba:
"Manchmal muss man die Vorurteile auch überwinden. Zum Beispiel das Frittieren: Besser wenig Öl benutzen! Ganz falsch! Zum Frittieren braucht man ganz viel Öl, damit das Lebensmittel es nicht aufnimmt. Es gibt da also oft auch technische, chemische Gründe. Es scheint, dass wir viel benutzen, doch wichtig ist, was nachher auf dem Teller landet. Das merkt man auch bei der Verdauung. Denn fette Gerichte sind ganz schwer zu verdauen."
"Man schmeckt tatsächlich das Meer"
Es ist angerichtet. Gemeinsam mit Kaba haben die Kochschüler vier "secondi di mare" zubereitet, Fisch satt! Natürlich wird das am Ende eines langen Abends gemeinsam verspeist und begutachtet.
"Man schmeckt tatsächlich das Meer", sagt Claudia. "Und alle Zutaten."
"Also, das ist ein 'Pesce Spatola', mit Kirschtomaten und klein gehackten Kräutern, gerösteten Pinienkernen und Leinsamen. Den mariniert man eine Stunde, und dann kommt er noch mal in den Ofen für zehn Minuten. Das Gericht ist sehr delikat, alle Zutaten bleiben frisch, und es ist leicht, denn dazu kommt nur Olivenöl."
Auf einmal stehen auch zwei Flaschen Wein auf dem Tisch. Und diese bunt und zufällig zusammen gewürfelte Gruppe wird zur italienischen Großfamilie, die über nichts leidenschaftlicher sprechen kann als über die Teller, die gerade vor ihr stehen. Kaba, die Chefköchin, hat ihre Pflicht getan und plaudert entspannt mit. Eigentlich gehe es doch gar nicht so sehr um raffinierte Rezepte und erlesene Zutaten:
"Hier kochen wir nicht um die Wette, und wir müssen niemandem etwas beweisen. Es geht darum, etwas in Gesellschaft zu machen. Das ist ein anderes Geheimnis. In Italien legen wir viel Wert auf Geselligkeit, das zeichnet uns aus. Und bei uns wird Essen mit Geselligkeit verbunden."
Kochen kann man lernen, Geselligkeit nicht. Doch, wer will, kann bei Kaba dem italienischen Traum von der großen gedeckten Tafel ein entscheidendes Stück näher kommen. Es gibt sogar Spezial Kurse für Touristen bei ZEST. Die Kochschule arbeitet mit einem Reiseveranstalter zusammen und versucht Ausländern eine Ahnung von dem zu vermitteln, was die "Cucina Italiana" ausmacht. Kaba Corapi macht Werbung in eigener Sache: So ein Kurs sei doch allemal besser als sich in irgendeinem Touristenschuppen neppen zu lassen.
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