Ethik

Gentechnik, Spionage, Stammzellforschung: Wie weit darf man gehen?

Von Andreas Rinke · 09.12.2013
Es ist immer wieder der technologische Fortschritt, der die großen gesellschaftlichen Debatten auslöst. Es werden anstrengende Abwehrkämpfe geführt - doch reine Verbote helfen auch nicht.
Was haben die Abhöraffäre der NSA, die Feldversuche mit gentechnisch veränderten Pflanzen und die Forschung an Stammzellen gemeinsam? Gar nichts, möchte man meinen. Seit berichtet wurde, dass der amerikanische Geheimdienst das Handy der Kanzlerin ausspionierte, wird zunächst einmal empört festgestellt, dass die Affäre ein Vertrauensbruch unter Freunden sei.
Doch letztlich steckt mehr dahinter. Denn egal, ob es um Telefone, Stammzellen oder Kartoffeln geht: Es ist immer wieder der technologische Fortschritt, der die großen politischen, die ethischen Debatten auslöst, die auf die Kernfrage hinauslaufen: Sollen Menschen alles machen dürfen, was sie können?
Die Suche nach einer Antwort begleitet die Menschheit: Seit Adam und Eva werden Regeln für das Zusammenleben formuliert – anfangs in der Schöpfungsgeschichte wurde verlangt, die eigenen Triebe zu kontrollieren; heute wird erwartet, die Risiken der enormen technologischen Fähigkeiten abzuschätzen und zu beherrschen.
Technische Entwicklungen greifen immer schneller in den Alltag ein
Am deutlichsten sind diese Anläufe zur Selbstkontrolle beim Umgang mit immer wirksameren Waffen. Als Flugzeuge entwickelt wurden, musste etwa vereinbart werden, dass keine Krankenhäuser aus der Luft angegriffen werden. Es gibt bescheidene Ansätze für Verhaltensregeln im Weltall. Derzeit grübeln Regierungen darüber nach, wie sie Cyber-Kriege verhindern können. Völlig ungeklärt ist der Einsatz bewaffneter, unbemannter Drohnen.
Mittlerweile greifen technische Entwicklungen mit immer größerer Geschwindigkeit in immer größere Bereiche des zivilen Alltags und in das Privatleben von Menschen ein. Die NSA-Affäre hat klar gemacht, dass die digitale Kommunikation über Telefon und Internet die Spionage mitten in unsere Haushalte gebracht hat. Die grüne Gentechnik erlaubt die sehr gezielte Veränderung der Nahrungsmittel, die wir essen. Die Stammzellforschung dringt zum Kern der menschlichen Existenz vor.
Das alles beeinflusst gesellschaftliche Debatten massiv: Es werden überall anstrengende Abwehrkämpfe geführt, um die Privatsphäre, die herkömmliche Pflanzenwelt und den natürlichen Zeugungsakt zu schützen. Erwartet wird die freiwillige oder erzwungene Selbstbeschränkung derjenigen, die über neue Technologien verfügen.
Wer glaubt, mit simplen Verboten weiterzukommen, irrt gewaltig. Sie mögen hierzulande mehrheitsfähig sein, nicht aber unbedingt in anderen Nationen einer eng vernetzten Welt. Seit langem haben wir Deutschen eine unschöne Tradition, Unangenehmes dem Ausland zu überlassen.
Deutschland muss sich den Debatten stellen
Wir wollen eine saubere Weste und einen möglichst hohen ethischen Standard haben. Aber natürlich wird auch in Deutschland millionenfach preisgünstig produziertes, gentechnisch verändertes Soja eingesetzt. Natürlich wollen auch deutsche Patienten von den medizinischen Fortschritten profitieren, die etwa Forscher in Israel oder Großbritannien an embryonalen Stammzellen erarbeiten.
Nicht anders gehen wir mit der Spionage um. Einseitig wird der amerikanische Einsatz neuer Abhörtechnologien kritisiert, eben jener Teil, bei dem wir uns selbst als Opfer empfinden. Unerwähnt bleibt, dass auch deutsche Behörden gerne Informationen nutzen, die aus dieser Ausspähung stammen. Nicht offen diskutiert wird, wie weit auch deutsche Dienste diese Techniken nutzen, ja nutzen sollten, um Erkenntnisse zu gewinnen - etwa in Afghanistan oder Nordafrika.
Es ist richtig, von Ingenieuren, Unternehmern und Politikern zu verlangen, die Risiken moderner Technologien abzuschätzen, dabei kulturell und gesellschaftlich, rechtlich und ethisch sensibel vorzugehen. Doch die Debatte, welche Konsequenzen daraus zu ziehen sind, wo Selbstbeschränkungen im Umgang mit neuen Technologien beginnen oder auch enden sollten, diese Debatte hat gerade erst begonnen. Und die Welt zwingt Deutschland, sich ihr zu stellen.
Andreas Rinke. Jahrgang 1961, ist ausgebildeter Historiker und hat über das Schicksal der französischen "Displaced Persons" im Zweiten Weltkrieg promoviert. Er hat als politischer Beobachter bei der "Hannoverschen Allgemeinen Zeitung" und dem "Handelsblatt" gearbeitet. Heute ist er politischer Chefkorrespondent der internationalen Nachrichtenagentur „Reuters“ in Berlin.
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