"Ein reines Verbotsregime wäre nicht gerecht"
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Hessen setzt auf 2G: Dort können Supermärkte und andere Läden des täglichen Bedarfs nun selbst entscheiden, ob sie Getesteten den Zutritt verwehren. Der Ethiker Andreas Lob-Hüdepohl hält dies für "ethisch sehr grenzwertig", vorrangig auf dem Land.
In Hessen ist seit Donnerstag eine neue Corona-Verordnung in Kraft. In dieser ist nun auch vorgesehen, dass Geschäfte wie Supermärkte selbst entscheiden können, ob sie ihre Türen nur für Geimpfte und Genesene öffnen. Mit der so genannten 2G-Regel würde auf das Coronavirus getesteten Menschen der Zutritt verwehrt, gleichzeitig fielen Hygieneregeln wie das Tragen von Masken oder das Einhalten eines Mindestabstands weg.
Respekt vor Ungeimpften
Aus ethischer Sicht sei eine solche 2G-Regelung "grenzwertig, wenn Läden des täglichen Bedarfs den Zugang für Ungeimpfte verwehren", sagt Andreas Lob-Hüdepohl. Dies gelte nicht nur für die Güter des täglichen Bedarfs, sondern auch für den öffentlichen Nahverkehr. Eine Solidargemeinschaft müsse es in diesen Fällen auch respektieren, wenn sich Menschen nicht impfen lassen wollen, "auch wenn wir vielleicht deren Motive nicht verstehen können", so der Professor für Theologische Ethik an der Katholischen Hochschule für Sozialwesen in Berlin.
Es sei legitim, wenn bestimmte Geschäfte wie Optiker oder Apotheken in Städten darauf drängten, nur 2G-Personen Einlass zu gewähren. Das wäre, räumt der Ethiker ein, bereits heute rechtlich möglich: "Denn jeder Ladenbesitzer entscheidet selbst, wen er als Kunde reinlässt."
"Doch wir müssen auch auf das Land sehen", so Lob-Hüdepohl. "Wenn dort beispielsweise der einzige Supermarkt weit und breit eine 2G-Regelung einführen würde, dann würden die freiwillig oder unfreiwillig Ungeimpften außen vor bleiben." Sie wären dann von den Gütern des täglichen Bedarfs abgeschnitten, stellt Lob-Hüdepohl fest.
Erreichen und informieren
"Ich vermute, dass ein solches Optionsmodell nie greifen könnte, auch nicht greifen dürfte – zumindest aus ethischer Perspektive." In Städten oder dort, wo es Alternativen gebe, sei eine solche Ausschlussoption "durchaus nachvollziehbar", sagt Lob-Hüdepohl. "Das finde ich grundsätzlich auch nicht unstatthaft."
Mit der nun in Hessen eingeführten Regelung steigt der Druck auf bislang Ungeimpfte. Es müsse weiterhin versucht werden, diese heterogene Gruppe zu überzeugen, denn es gebe viele Menschen, die mangelhaft oder fehlinformiert seien, weil etwa ihre Alltagssprache nicht Deutsch sei. Diese müssten über unterschiedliche Kanäle erreicht und informiert werden, unterstreicht Lob-Hüdepohl. "Da wäre ein reines Verbotsregime nicht gerecht. Man muss alles versuchen, an diese Menschen heranzukommen."