Ethikkommission befürchtet Medizintourismus
Der Vorsitzende der Zentralen Ethikkommission bei der Bundesärztekammer, Prof. Urban Wiesing, sieht grundsätzliche Probleme beim neuen Gesetz zur Gendiagnostik. Es sei zu befürchten, dass zukünftig illegale Gentests im Ausland durchgeführt würden, sagte Wiesing.
Christopher Ricke: Der Weg für das Gendiagnostikgesetz, er scheint frei zu sein – für ein Gesetz, mit dem das Recht der Patienten bei genetischen Untersuchungen gestärkt und der Missbrauch von Untersuchungsergebnissen verhindert werden soll. Morgen ist das Gesetz im Bundestag.
Der Medizin-Ethiker Urban Wiesing forscht und lehrt an der Uni Tübingen. Er ist der Vorsitzende der Zentralen Ethikkommission bei der Bundesärztekammer. Ich habe vor der Sendung mit ihm gesprochen und ich habe ihn gefragt: Professor Wiesing, da haben wir doch schon die erste Einschränkung. Was in Deutschland verboten ist, kann im Ausland gemacht werden. Wird man also für illegale Gentests in Zukunft ins Ausland fahren, so wie früher zum Schwangerschaftsabbruch nach Holland?
Urban Wiesing: Ja, das steht zu befürchten, und das ist ein grundsätzliches Problem. Diese ganzen Technologien werden ja weltweit entwickelt und auf jeden Fall in Europa sind sie in der Regel zugänglich und wir haben nach wie vor nationale Regelungen. Das führt zu dem Medizintourismus, nicht nur in diesem Bereich, nicht nur im Schwangerschaftsabbruch, sondern auch beispielsweise bei der Präimplantationsdiagnostik. Das ist ein großes Problem und man kann dem Problem nur begegnen, indem man Regelungen auf europäischer Ebene schafft.
Ricke: Jetzt kann man mutmaßen, dass es in Deutschland eine besondere Sensibilität gibt, dass man die Sorge, dass mit immer mehr Erbgutinformation immer näher an die Züchtung eines perfekten Menschen hingekommen wird, dass man da besonders vorsichtig ist, weil man die Wahnsinnsvision der Nazis vor wenigen Jahrzehnten noch in Erinnerung hat. Ist das Gendiagnostikgesetz, das wir jetzt diskutieren, da ein wirklich nachhaltig wirkender Hemmschuh?
Wiesing: Es geht ja hier nicht um Züchtung in irgendeiner Weise. Es geht hier um die Gentherapie.
Ricke: Es geht um Auslese!
Wiesing: Nein, es geht vor allen Dingen um Diagnostik. Es soll festgelegt werden, unter welchen Bedingungen man welche Diagnostik, Gendiagnostik beim Menschen durchführen kann. Und beispielsweise in dem jetzt ergänzten Antrag der SPD- und CDU/CSU-Fraktion will man ja vorgeburtliche Untersuchungen, die keinerlei Krankheitswert haben, oder Eigenschaftsuntersuchungen, die keiner Krankheitswert haben, und vor allen Dingen die Krankheiten untersuchen, die erst nach dem 18. Lebensjahr eintreten, die will man ja ausschließen. Insofern sehe ich dieses Gesetz nicht in dem Zusammenhang mit Verbesserungen oder genetischen Verbesserungen des Menschen, sondern vielmehr im Zusammenhang mit der in der Medizin praktizierten genetischen Diagnostik.
Ricke: Aber genau da ist doch schon ein Widerspruch, den ich nicht verstehe. Wir haben nach wie vor die Gesetzeslage, dass ein Kind, das zum Beispiel am Down-Syndrom erkrankt ist, vorgeburtlich getötet werden kann, ein Kind, dessen Gendefekt erst nach Jahren ausbrechen wird, darf nach dem neuen Gesetz nicht abgetrieben werden. Da erkenne ich die ethische Differenzierung nicht. Abtreibung ist doch Abtreibung.
Wiesing: Ja. Da sprechen Sie ein ganz schwieriges Gebiet an. Wir haben in der Bundesrepublik Deutschland in Bezug auf den vorgeburtlichen Schutz des Menschen ganz widersprüchliche Gesetze. Wir haben auf der einen Seite das Embryonenschutzgesetz, das ein sehr hohes Niveau an Schutz hat, dann haben wir die Freigabe der Spirale, des Interuterinpessars, der ja nichts anderes als befruchtete Embryonen am Weiterleben hindert, indem die Einpflanzung in die Gebärmutter verhindert wird, und dann haben wir den Paragraphen 218 mit vier verschiedenen Indikationen, die zum Teil sehr liberal sind, und dann haben wir jetzt eben dieses neue Gendiagnostikgesetz, von dem ich ja noch nicht weiß, ob es der Bundestag so entscheiden wird, aber es sieht danach aus, wo eben dann die vorgeburtliche Untersuchung nach Erkrankungen, die nach dem 18. Lebensjahr ausbrechen, verboten ist. In der Tat: Die gesetzliche Situation zum Schutz des ungeborenen Lebens vor der Geburt ist in Deutschland nach meiner Einschätzung widersprüchlich - nicht nur innerhalb dieses Gesetzes.
Ricke: Dieses Gen-Diagnostikgesetz, das jetzt kommen soll, das ist ja in der Abenddämmerung der Großen Koalition relativ zügig verhandelt worden. Die SPD-Fraktion hat es einen substanziellen Schritt nach vorne genannt, die CDU/CSU-Fraktion hat gesagt, der jetzige Zustand werde wesentlich verbessert. Dabei gab es doch eine sehr erhebliche Debatte, fast schon einen Kulturkampf. Wer hat denn, wenn das alles so kommt, wie wir es jetzt besprechen, sich aus Ihrer Sicht durchgesetzt? Waren es die Ethiker, die Moralisten, die Techniker?
Wiesing: Ich glaube, es ist ein politischer Kompromiss gefunden worden, bei dem es Vorteile und nach meiner Situation auch Nachteile gibt. Ich will zunächst einmal die Vorteile nennen. Die genetische Diagnostik ist eine neue Technologie, die können wir erst seit einigen Jahrzehnten, sie wird wachsen, und das ist ja schon brisant, was man dort herausfinden kann. Dass man das jetzt regelt, dass man beispielsweise ein Recht auf Nichtwissen verankert, dass man Qualitätsanforderungen verankert, dass man die Freiwilligkeit und die Aufklärung verankert, dass man ein explizites Diskriminierungsverbot hineinnimmt, dass man einen Arztvorbehalt und bei prädiktiven Untersuchungen, also Untersuchungen, die erst eine Krankheit aufzeigen, die noch gar nicht ausgebrochen ist, dass man den Facharzt dort einfügt und eine Beratung vorschreibt, alles das, würde ich sagen, ist ja außerordentlich sinnvoll. Insofern muss man schon sagen, in dem Gesetz sind viele sinnvolle Dinge drin.
Freilich: Einige Sachen sind nach meiner Meinung bedenklich und einige sind – das ist, glaube ich, typisch deutsch – auch sehr stark überreguliert. Da hat man sehr, sehr gründlich ins Gesetz hineingeschrieben, das haben wir aber häufiger so in Deutschland.
Ricke: Jetzt hat man einen Gesetzestext gefunden, der so verabschiedet werden soll. Die Forschung aber geht weiter und das Gesetz kann jetzt ja noch nicht regeln, was man in zehn Jahren in den deutschen oder in den europäischen Labors herausgefunden hat. Wie lange, glauben Sie, kann so ein Gesetz halten?
Wiesing: Wir müssen davon ausgehen, dass in dem Moment, wo die Technologien sich rapide entwickeln, auch die Gesetze sich ändern werden. Und zur Forschung muss man sagen: Die Forschung ist ja sehr stark geregelt. Die Zahl der Gesetze, Regelungen und Vorschriften, die es in der Forschung gibt, auf den verschiedensten Ebenen, sei es Gesetz, seien es Richtlinien, seien es europäische Richtlinien, sei es eine Deklaration des Weltärztebundes, die Zahl ist ja enorm hoch und die Forschung am Menschen ist sehr stark geregelt. Insofern begrüße ich es, dass das hier noch mal rausgenommen wurde.
Wie die Forschung am Menschen in zehn Jahren in Bezug auf die Diagnostik sein wird, in Bezug auf die genetische Diagnostik, das weiß ja niemand genau. Ich schließe es nicht aus, dass das nicht das letzte Gesetz in Bezug auf Gendiagnostik sein wird.
Ricke: Urban Wiesing ist der Vorsitzende der Zentralen Ethikkommission bei der Bundesärztekammer. Vielen Dank, Professor Wiesing.
Wiesing: Ja, vielen Dank auch meinerseits.
Der Medizin-Ethiker Urban Wiesing forscht und lehrt an der Uni Tübingen. Er ist der Vorsitzende der Zentralen Ethikkommission bei der Bundesärztekammer. Ich habe vor der Sendung mit ihm gesprochen und ich habe ihn gefragt: Professor Wiesing, da haben wir doch schon die erste Einschränkung. Was in Deutschland verboten ist, kann im Ausland gemacht werden. Wird man also für illegale Gentests in Zukunft ins Ausland fahren, so wie früher zum Schwangerschaftsabbruch nach Holland?
Urban Wiesing: Ja, das steht zu befürchten, und das ist ein grundsätzliches Problem. Diese ganzen Technologien werden ja weltweit entwickelt und auf jeden Fall in Europa sind sie in der Regel zugänglich und wir haben nach wie vor nationale Regelungen. Das führt zu dem Medizintourismus, nicht nur in diesem Bereich, nicht nur im Schwangerschaftsabbruch, sondern auch beispielsweise bei der Präimplantationsdiagnostik. Das ist ein großes Problem und man kann dem Problem nur begegnen, indem man Regelungen auf europäischer Ebene schafft.
Ricke: Jetzt kann man mutmaßen, dass es in Deutschland eine besondere Sensibilität gibt, dass man die Sorge, dass mit immer mehr Erbgutinformation immer näher an die Züchtung eines perfekten Menschen hingekommen wird, dass man da besonders vorsichtig ist, weil man die Wahnsinnsvision der Nazis vor wenigen Jahrzehnten noch in Erinnerung hat. Ist das Gendiagnostikgesetz, das wir jetzt diskutieren, da ein wirklich nachhaltig wirkender Hemmschuh?
Wiesing: Es geht ja hier nicht um Züchtung in irgendeiner Weise. Es geht hier um die Gentherapie.
Ricke: Es geht um Auslese!
Wiesing: Nein, es geht vor allen Dingen um Diagnostik. Es soll festgelegt werden, unter welchen Bedingungen man welche Diagnostik, Gendiagnostik beim Menschen durchführen kann. Und beispielsweise in dem jetzt ergänzten Antrag der SPD- und CDU/CSU-Fraktion will man ja vorgeburtliche Untersuchungen, die keinerlei Krankheitswert haben, oder Eigenschaftsuntersuchungen, die keiner Krankheitswert haben, und vor allen Dingen die Krankheiten untersuchen, die erst nach dem 18. Lebensjahr eintreten, die will man ja ausschließen. Insofern sehe ich dieses Gesetz nicht in dem Zusammenhang mit Verbesserungen oder genetischen Verbesserungen des Menschen, sondern vielmehr im Zusammenhang mit der in der Medizin praktizierten genetischen Diagnostik.
Ricke: Aber genau da ist doch schon ein Widerspruch, den ich nicht verstehe. Wir haben nach wie vor die Gesetzeslage, dass ein Kind, das zum Beispiel am Down-Syndrom erkrankt ist, vorgeburtlich getötet werden kann, ein Kind, dessen Gendefekt erst nach Jahren ausbrechen wird, darf nach dem neuen Gesetz nicht abgetrieben werden. Da erkenne ich die ethische Differenzierung nicht. Abtreibung ist doch Abtreibung.
Wiesing: Ja. Da sprechen Sie ein ganz schwieriges Gebiet an. Wir haben in der Bundesrepublik Deutschland in Bezug auf den vorgeburtlichen Schutz des Menschen ganz widersprüchliche Gesetze. Wir haben auf der einen Seite das Embryonenschutzgesetz, das ein sehr hohes Niveau an Schutz hat, dann haben wir die Freigabe der Spirale, des Interuterinpessars, der ja nichts anderes als befruchtete Embryonen am Weiterleben hindert, indem die Einpflanzung in die Gebärmutter verhindert wird, und dann haben wir den Paragraphen 218 mit vier verschiedenen Indikationen, die zum Teil sehr liberal sind, und dann haben wir jetzt eben dieses neue Gendiagnostikgesetz, von dem ich ja noch nicht weiß, ob es der Bundestag so entscheiden wird, aber es sieht danach aus, wo eben dann die vorgeburtliche Untersuchung nach Erkrankungen, die nach dem 18. Lebensjahr ausbrechen, verboten ist. In der Tat: Die gesetzliche Situation zum Schutz des ungeborenen Lebens vor der Geburt ist in Deutschland nach meiner Einschätzung widersprüchlich - nicht nur innerhalb dieses Gesetzes.
Ricke: Dieses Gen-Diagnostikgesetz, das jetzt kommen soll, das ist ja in der Abenddämmerung der Großen Koalition relativ zügig verhandelt worden. Die SPD-Fraktion hat es einen substanziellen Schritt nach vorne genannt, die CDU/CSU-Fraktion hat gesagt, der jetzige Zustand werde wesentlich verbessert. Dabei gab es doch eine sehr erhebliche Debatte, fast schon einen Kulturkampf. Wer hat denn, wenn das alles so kommt, wie wir es jetzt besprechen, sich aus Ihrer Sicht durchgesetzt? Waren es die Ethiker, die Moralisten, die Techniker?
Wiesing: Ich glaube, es ist ein politischer Kompromiss gefunden worden, bei dem es Vorteile und nach meiner Situation auch Nachteile gibt. Ich will zunächst einmal die Vorteile nennen. Die genetische Diagnostik ist eine neue Technologie, die können wir erst seit einigen Jahrzehnten, sie wird wachsen, und das ist ja schon brisant, was man dort herausfinden kann. Dass man das jetzt regelt, dass man beispielsweise ein Recht auf Nichtwissen verankert, dass man Qualitätsanforderungen verankert, dass man die Freiwilligkeit und die Aufklärung verankert, dass man ein explizites Diskriminierungsverbot hineinnimmt, dass man einen Arztvorbehalt und bei prädiktiven Untersuchungen, also Untersuchungen, die erst eine Krankheit aufzeigen, die noch gar nicht ausgebrochen ist, dass man den Facharzt dort einfügt und eine Beratung vorschreibt, alles das, würde ich sagen, ist ja außerordentlich sinnvoll. Insofern muss man schon sagen, in dem Gesetz sind viele sinnvolle Dinge drin.
Freilich: Einige Sachen sind nach meiner Meinung bedenklich und einige sind – das ist, glaube ich, typisch deutsch – auch sehr stark überreguliert. Da hat man sehr, sehr gründlich ins Gesetz hineingeschrieben, das haben wir aber häufiger so in Deutschland.
Ricke: Jetzt hat man einen Gesetzestext gefunden, der so verabschiedet werden soll. Die Forschung aber geht weiter und das Gesetz kann jetzt ja noch nicht regeln, was man in zehn Jahren in den deutschen oder in den europäischen Labors herausgefunden hat. Wie lange, glauben Sie, kann so ein Gesetz halten?
Wiesing: Wir müssen davon ausgehen, dass in dem Moment, wo die Technologien sich rapide entwickeln, auch die Gesetze sich ändern werden. Und zur Forschung muss man sagen: Die Forschung ist ja sehr stark geregelt. Die Zahl der Gesetze, Regelungen und Vorschriften, die es in der Forschung gibt, auf den verschiedensten Ebenen, sei es Gesetz, seien es Richtlinien, seien es europäische Richtlinien, sei es eine Deklaration des Weltärztebundes, die Zahl ist ja enorm hoch und die Forschung am Menschen ist sehr stark geregelt. Insofern begrüße ich es, dass das hier noch mal rausgenommen wurde.
Wie die Forschung am Menschen in zehn Jahren in Bezug auf die Diagnostik sein wird, in Bezug auf die genetische Diagnostik, das weiß ja niemand genau. Ich schließe es nicht aus, dass das nicht das letzte Gesetz in Bezug auf Gendiagnostik sein wird.
Ricke: Urban Wiesing ist der Vorsitzende der Zentralen Ethikkommission bei der Bundesärztekammer. Vielen Dank, Professor Wiesing.
Wiesing: Ja, vielen Dank auch meinerseits.