Auch Sonja Zekri, Kulturkorrespondentin der Süddeutschen Zeitung, nennt Karl Lauterbachs Rücknahme der Isolation von Infizierten auf freiwilliger Basis "ein Kommunikationsdesaster". Beschlüsse in einer Talkshow und anschließend auf Twitter zu verkünden, noch bevor sie von seinem Ministerium offiziell bekannt gegeben werden, sei "kein gutes Signal an den demokratischen Diskurs".
Coronakurs der Bundesregierung
Die Maskenpflicht entfällt vielerorts, doch Alte und Vorerkrankte sind nach wie vor besonders gefährdet. Wie gehen wir damit um, wenn es keine staatlichen Vorgaben mehr gibt? © picture alliance / dpa / Peter Kneffel
Als die Eigenverantwortung vom Himmel fiel
08:51 Minuten
Kommunikationschaos zum Ende der Maskenpflicht: Alena Buyx vom Deutschen Ethikrat erwartet von der Politik nun klare und nachvollziehbare Botschaften. Mehr Eigenverantwortung sei nach zwei Jahren Pandemie für viele Menschen eine Herausforderung.
Zum ersten Mai wollte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach die Pflicht für corona-positiv getestete Personen aufheben, sich in Isolation zu begeben. Doch schon einen Tag später nahm er die Ankündigung zurück: Er habe die Gesundheitsämter entlasten wollen, so Lauterbach, sei dann jedoch zu der Einsicht gelangt, das Signal, er halte Covid-19 womöglich nicht mehr für gefährlich, wäre "verheerend".
Lauterbachs jüngstes Hin und Her liefert ein gutes Beispiel dafür, dass die Informationspolitik der Regierung in der Pandemie „nicht unbedingt fantastisch gelaufen“ sei, sagt die Vorsitzende des Deutschen Ethikrats Alena Buyx. Der Rat hat sich soeben zur Corona-Kommunikation der Bundesregierung zu Wort gemeldet und eine ausführliche Stellungnahme mit Empfehlungen an die Politik veröffentlicht.
Reden mit den Menschen
Wenn politisch Verantwortliche sich in Krisensituationen widersprüchlich äußern, hat das "negative Effekte auf das Verhalten von Menschen", so Buyx. Es mindere ihre Bereitschaft, Maßnahmen mitzutragen und könne auch zu Vertrauensverlust führen – gerade, wenn es zu häufig passiere. Der Ethikrat empfiehlt der Politik deshalb dringend, "dass die Information und auch die Kommunikation besser werden sollten“.
Leben mit dem Virus
Das sei umso wichtiger, da wir uns derzeit in einer Phase des "Übergangs Richtung Normalität" befänden, die "einiges an Verwirrung“ mit sich bringe. Es wird in Zukunft darum gehen, das Virus „als Teil des allgemeinen Lebensrisikos“ zu begreifen, so Buyx. "Nach zwei Jahren, in denen immer relativ deutlich Verpflichtungen geherrscht haben", werde es vielen Menschen nicht leicht fallen, mit der zunehmenden Eigenverantwortung umzugehen.
Freiheit sei "ein enorm wichtiges Gut", betont Buyx, ihre Beschränkung müsse immer gut begründet werden, zumal wenn Maßnahmen über längere Zeit hinweg gelten sollten. Durch den Impfschutz für große Teile der Bevölkerung habe sich die Pandemie-Situation inzwischen deutlich verändert. Nur deshalb sei es der Politik überhaupt möglich, mehr Verantwortung an die Menschen zurückzugeben.
Rücksicht auf Gefährdete
Zur Eigenverantwortung gehöre eben „nicht nur das Eigene“, also die Frage: "Was ist gut für mich?", so die Ethikerin, sondern auch Verantwortung für andere. „Die Freiheiten der Menschen berühren sich ja“, sagt Buyx, im menschlichen Zusammenleben könne es keine unbeschränkte Freiheit geben.
Für die nächsten Wochen und Monate bedeute dies, dass jede und jeder Einzelne darauf achte, Personen, die ein erhöhtes Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf haben, zu schützen – zum Beispiel durch das freiwillige Tragen einer Maske in bestimmten Situationen.
(fka)