Literatur
Jaana Prüss (Hg): "fair-handeln. Anstiftungen für zukunftsfähiges Handeln", 2014, zu beziehen über fairhandeln@morgengruen.de.
Wolfgang Ullrich: "Alles nur Konsum. Kritik der warenästhetischen Erziehung", Wagenbach-Verlag, 2013
Ist weniger wirklich mehr?
Wenig oder kein Fleisch auf dem Teller, ein Nein zu Billig-Klamotten, den CO2-Ausstoß senken: Umweltbewusster und ethischer Konsum stehen hierzulande hoch im Kurs. Ein Trend mit Wirkung oder nur eine oberflächliche Mode?
Einer aktuellen Studie des Marktforschungsunternehmens GFK zufolge kaufen 58 Prozent aller Menschen hierzulande nur Produkte und Dienstleistungen, die ihren Überzeugungen, Werten oder Idealen entsprechen.
Die Share Economy boomt: Im Internet gibt es jede Menge Leih-Portale, Tausch- und Bettenbörsen und Car Sharing-Anbieter – frei nach dem Motto: "Nicht kaufen – teilen".
Wie nachhaltig sind all diese Ideen? Was bringt "ethischer Konsum"? Kann er sich durchsetzen in unserer Gesellschaft, in der das Shoppen zum Selbstzweck geworden ist? Verschaffen wir uns damit nicht nur ein gutes Gewissen, um anderer Stelle munter weiter zu verschwenden?
Bewusstsein für zukunftsfähiges Handeln
"Für mich gilt: 'reduce, refuse, reuse, rethink, recycle, repair'“, sagt Jaana Prüss. Die Kulturaktivistin leitet die Kommunikationsagentur Morgengrün. In ihrem Buch "fair-handeln. Anstiftungen für zukunftsfähiges Handeln" stellt sie Ideen zum Teilen, Tauschen und Selbermachen vor. Sie lebt dies auch konsequent selbst und vermittelt diese Ideen auch in ihren Projekten. Dabei geht es ihr nicht um moralinsauren Verzicht:
"Wenn man bewusst Dinge anders macht, kann man einen Mehrwert entwickeln: Man bekommt Vertrauen zu den Nachbarn, wenn man etwas leiht oder mit ihnen tauscht. Wenn man auf dem Markt einkauft, statt im Internet. Das kann man mit jedem Schritt versuchen. Ich brauche keinen Kasten mit Wasser, weil ich mir das Leitungswasser aufsprudeln kann. Ich habe mein Auto abgestoßen und fahre mit den Öffentlichen."
Zeit statt Zeugs!
Sie leiht sich Dinge in einem Leihladen, beteiligt sich an Tauschbörsen, kauft in Secondhand-Läden und macht viel selbst:
"Es hat eine Aufladung an Wert, wenn ich beinen Rock verschenke, den ich selbst genäht habe, als wenn ich ihn im Netz kaufe. Es ist eine Zunahme von Selbstbestimmung und von Glücksgefühl."
Ihr Lebensmotto: "Weniger ist mehr, Zeit statt Zeug! Ist nicht gemeinsam im Wald spazieren zu gehen wichtiger, als dem anderen Parfum zu kaufen? Zeit ist unser wichtigster Wertstoff – Lebenszeit!"
Die Versprechen der Warenwelt
"Das was wir kaufen, prägt uns", sagt Wolfgang Ullrich. Der Kunstwissenschaftler und Philosoph beschäftigt sich mit der Frage, warum wir konsumieren – und wie es die Warenwelt immer wieder schafft, neue Bedürfnisse zu wecken:
"Konsumprodukte fungieren als Massenprodukte. Es reicht mir eben nicht, nur fünf Teesorten im Schrank zu haben, ich kaufe auch noch die sechste, weil sie mit einem Versprechen verbunden ist."
Produkte würden heute gezielt auf einen bestimmten Käuferkreis inszeniert, gestaltet, beworben – und wir seien nur allzu bereit, darauf hereinzufallen.
"Konsumgüter versprechen ein erfüllteres, glücklicheres, längeres Leben – man kann sich mit ihnen identifizieren und darstellen, aber sie verändern uns auch."
Letztlich gelte: "Zeige mir, was du kaufst – und ich sage dir, wer du bist"
Produkte stehen für eine Haltung
Mit den Produkten werde auch eine Lebenshaltung gekauft. Mit dem neuen Wellnessdrink verschafften wir uns ebenso ein gutes Gewissen wie mit fair gehandeltem Kaffee.
Den "ethischen Konsum" beobachtet Wolfgang Ullrich mit Interesse; man müsse aber individuell schauen, wie nachhaltig und ehrlich er wirklich sei. Und ob man sich nicht doch nur ein gutes Gewissen verschaffen wolle, nach dem Motto:
"Man geht einmal im Bioladen einkaufen – und dafür kann man sich dann auch einmal Shoppen bei 'Primark' leisten.“
Ist weniger wirklich mehr? Was bringt "ethischer Konsum"?
Darüber diskutiert Klaus Pokatzky von 9 Uhr 05 bis 11 Uhr mit Jaana Prüss und Wolfgang Ullrich. Hörerinnen und Hörer können sich beteiligen unter der Telefonnummer 00800 2254 2254, per E-Mail unter gespraech@deutschlandradiokultur.de sowie über Facebook und Twitter.