Ethnografische Sammlungen Sachsens

Viele Tränen bei Rückgabe von Gebeinen an Hawaii

Blick in den kleinen Schlosshof im Dresdner Residenzschloss, das Besucherfoyer für eines der Museen der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden
Der kleine Schlosshof im Dresdner Residenzschloss, das Besucherfoyer für eines der Museen der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. Aus den ethnografischen Sammlungen wurden Gebeine an Hawaii zurückgegeben. © imago / Rainer Weisflog
Von Alexandra Gerlach |
Erstmals in ihrer Geschichte sind Gebeine aus den ethnographischen Sammlungen der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden an Hawaii zurückgegeben worden. Sie waren geraubt und nach Dresden verkauft worden. Die Zeremonie war für alle Beteiligten sehr bewegend.
Dresden am Nachmittag. Im Japanischen Palais haben das Sächsische Wissenschaftsministerium und die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden zu einem historischen Termin geladen. Hochrangige Gäste aus Hawaii sind angereist. Auf diesen Tag haben sie seit 1991 gewartet. 26 Jahre ist es her, dass sie erstmalig einen Antrag auf Rückgabe der Gebeine ihrer Vorfahren nach Dresden geschickt hatten. Nun ist der große Moment da, dementsprechend emotional ist dieses Zusammentreffen, mit jenen Partnern auf der anderen Seite, die nun freudestrahlend den Wunsch aus Hawaii erfüllen. Nanette Snoep, die Direktorin des Museums für Völkerkunde Dresden, des Grassi Museums für Völkerkunde in Leipzig und des Völkerkundemuseums Herrnhut spricht von einem "sehr wichtigen Tag". Vielleicht, sagt sie, sei es sogar der wichtigste Tag in der gesamte Geschichte ihrer Museen.
Zum ersten Mal werden menschliche Gebeine aus Hawaii zurück in ihr Herkunftsland gegeben. Ende des 19. Jahrhunderts hatte der Handel mit Gebeinen Konjunktur, erzählt Museumsdirektorin Nanette Snoep. Verwendet wurden sie in erster Linie in der Wissenschaft und in der damals intensiv betriebenen Rassenforschung:
"Das ist natürlich eine sehr traurige Geschichte. Die wurden wirklich geraubt aus ihren Gräbern und wurden dann nach Europa mitgenommen. Das ist wirklich so am Ende des 19. Jahrhunderts, Anfang 20. Jahrhundert, können wir wirklich reden über einen Markt für menschliche Gebeine. Überall - es wurde sogar bestellt, ja, man konnte fragen: Ich möchte gerne 50 menschliche Gebeine aus diesem und diesem Land oder Region. Es war wirklich so, in ganz Europa sieht man diese Geschichte."
Jahrelange sorgfältige Provinienzforschung ist dieser Restitution vorausgegangen. Sehr vertrauensvoll habe man mit dem Antragsteller Hawaii zusammengearbeitet, bis zweifelsfrei feststand, dass diese Gebeine wirklich nach Hawaii gehören. Bevor sie wieder zurückkehren können in ihr Heimatland, aus dem sie vor rund 120 Jahren gestohlen wurden, wurden sie an diesem Nachmittag mit rituellem Gesang und Gesten rehumanisiert. Die Gäste aus Hawaii schmückten die deutschen und einen US-amerikanischen Verhandlungspartner mit grünen Blätterranken und Blumenketten. Dazu wurde abwechselnd gesungen. Bewegende Momente:

Hochemotionaler Tag

Ein Gast aus Hawaii: "Wir wollen keine Spezialbehandlung, wir fragen nicht nach etwas Außergewöhnlichem. Alles, was wir erbitten, ist, dass wir unsere Familie wieder nach Hause bringen dürfen. Wir sind dankbar und demütig", sagt dieser Mann aus Hawaii und weint ganz leise am Rednerpult.
Es fließen viele Tränen an diesem Tag. Es ist ein einschneidender Moment, wie auch Marion Ackermann, die Generaldirektorin der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden betont.
"Die Rückübertragung menschlicher Überreste habe eine große Bedeutung, sie sei ein Akt der Humanität", sagt Ackermann bewegt. Nicht nur für sie ist dies ein hochemotionaler Tag, wie sie bekennt. Auch die sonst eher nüchterne und gefasste sächsische Wissenschaftsministerin Eva-Maria Stange ist berührt:
"Dieser Moment war jetzt ganz besonders, weil wir das erste Mal überhaupt menschliche Gebeine an ihre Herkunftsländer und Herkunftsvölker zurückgeben und es war ungeheuer bewegend."

Alte Wunden heilen und neue Türen öffnen

Mit der gelungenen Restitution aus Dresden wird ein ganz neues Kapitel aufgeschlagen. Man werde mit großer Sorgfalt jetzt zunächst die ethnografischen Sammlungen in Sachsen durchforsten nach weiteren Gebeinen und Exponaten, die in ihre Herkunftsländer restituiert werden sollten und könnten, sagt die Ministerin. Grundlegende Voraussetzung sei jeweils die gründliche Provinienzforschung, damit bei der Rückgabe keine Fehler gemacht werden. Die Diskussion an sich beschränke sich jedoch keineswegs nur auf Sachsen:
"Wir werden diese Diskussion auch im ganzen Land führen müssen, denn es gibt natürlich auch andere Sammlungen z.B. in anderen Museen, z.B. an den Hochschulen, die Sammlungen haben. Und diese Diskussion, denke ich, läuft jetzt in ganz Deutschland und wird auch in Sachsen intensiviert werden. Aber es ist nicht – und das muss ich immer dazu sagen – eine einfache Rückgabe von Dingen, sondern es ist eine Rückgabe, die sehr viel Sensibilität erfordert, und auch natürlich eine Rechtssicherheit."
Neben Hawaii haben auch Neuseeland, Australien und Namibia Anträge auf Restitution von Gebeinen an Sachsen gestellt. Die Verantwortlichen in den hiesigen Museen wollen dieses als Chance nutzen, um alte Wunden zu heilen und zugleich neue Türen zu öffnen, um Kooperationen, gemeinsame Forschungsvorhaben und kulturelle Zusammenarbeit zu starten. Die Restitution sei ein Weg der Heilung und der Gerechtigkeit hieß es an diesem Nachmittag in Dresden. Marion Ackermann, die Generaldirektorin der Staatlichen Kunstsammlungen, entschuldigte sich bei den Gästen aus Hawaii dafür, dass es so lange gedauert hat, bis der Traum von einer Rückübereignung der Vorfahren Realität werden konnte.
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