Ein Nachruf auf David Graeber von René Aguigah:
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Viele Jobs sind sinnlos und überflüssig
Ein Großteil unserer heutigen Arbeitsstellen könne problemlos gestrichen werden, sagt der Ethnologe und Vordenker der Occupy-Bewegung David Graeber: "Bullshit-Jobs", die niemand brauche. Er plädiert deswegen für die Einführung des Grundeinkommens.
Die Beziehung zwischen dem Menschen und der Arbeitswelt ist kompliziert und in stetiger Veränderung. Der Anthropologe und Vordenker der Occupy-Bewegung David Graeber ist einer, der mit seinen Theorien und Aussagen oft den Finger in die Wunde der westlichen, postindustriellen Gesellschaft legt. In seinem Buch "Bullshit-Jobs: Vom wahren Sinn der Arbeit" zeigt Graeber, warum unsere Ökonomie Tätigkeiten bezahlt, die sie nicht braucht.
Graebers Definition für Bullshit-Jobs: "Es ist eine Arbeit, deren Existenz selbst der Mensch nicht rechtfertigen kann, der sie ausübt." In Umfragen würden rund vierzig Prozent der Menschen zwischen 15 bis 50 Jahren behaupten, dass es keinen Unterschied mache, wenn ihr Job wegfalle. "Und das ist doch genau das, was überhaupt nicht sein dürfte in einer kompetitiven Marktwirtschaft, aber es ist so", sagt Graeber.
Rezeptionisten in Büros, wo niemand anruft
Der Ethnologe unterscheidet fünf Kategorien von "Bullshit-Jobs": "Flunkies",
"Goons", "Duct Tapers", "Box Tickers" und "Taskmasters". "Flunkies" seien Lakaien, die eigentlich nur dafür da seien, damit andere sich besser fühlen. Als Beispiel nennt er Rezeptionisten in Büros, wo niemand zu Terminen erscheint oder anruft.
"Goons", "Duct Tapers", "Box Tickers" und "Taskmasters". "Flunkies" seien Lakaien, die eigentlich nur dafür da seien, damit andere sich besser fühlen. Als Beispiel nennt er Rezeptionisten in Büros, wo niemand zu Terminen erscheint oder anruft.
"Goons" seien fast wie Schlägertypen, die sich aggressiv verhalten, weil ihre Arbeitgeber es verlangten, wie zum Beispiel Firmen-Anwälte, die es eigentlich nur gebe, weil die Konkurrenz auch welche habe. "Duct Tapers", also Flickschuster, lösen Probleme, die es eigentlich gar nicht geben sollte.
Unternehmen mit mehr Managern als Arbeitern
Die "Box Tickers" seien "Kästchenankreuzer", die durch Papierkram vorgeben müssen, eine Aufgabe zu verrichten, diese Aufgabe dadurch aber eigentlich immer weiter verschoben werde. Und dann gebe es noch die "Taskmasters", die Aufgabenverteiler, die Menschen managen, die gar nicht gemanagt werden müssten.
"Ich habe von Unternehmen gehört, die doppelt so viele Manager haben wie Arbeiter. Wofür brauchen die so viele Manager? Managen sie sich grundlos selbst?", fragt Graeber.
Auch im digitalen Sektor ließen sich sogenannte Bullshit-Jobs finden. Ein Software-Entwickler habe Graeber auf den Begriff "Flickschuster" gebracht: "Er meinte, dass zunehmend die Annahme gelte, dass Menschen jede Arbeit kostenfrei machen werden, solange diese interessant sei." Das Ergebnis: Dass die verschiedenen Software-Programme, die sie freiwillig und unentgeltlich entwickelt hätten, nicht aufeinander abgestimmt seien, weil das die langweilige Arbeit daran sei, die keiner verrichten wolle. In der Folge würden nun die gleichen Menschen, die Software aus Spaß in ihrer Freizeit entwickelten, in ihren Jobs Software nur arrangieren.
Nach der Höhe des Leidens bezahlt
Doch gerade die Open-Source-Community basiert auf unbezahlter und freiwilliger Arbeit. Wie können wir als Gesellschaft dieser vorrangig ehrenamtlichen Tätigkeit Wertigkeit und Anerkennung geben?
"Was mir auffällt ist, dass es einem Bruch gibt zwischen dem, wie Menschen vergütet werden und welcher Wert der Arbeit beigemessen wird", sagt Graeber. Arbeit, die sich für die individuelle Person lohne, würde im eigenen Interesse verrichtet. Man brauche dafür eigentlich keine wirtschaftlichen Anreize.
"Aber dann ist da dieses perverse System, in dem Menschen nicht nach dem Wert ihrer Arbeit vergütet werden, sondern danach, wie viel sie dabei leiden müssen. Ich bin daher für die Einführung des Grundeinkommens, mit dem Menschen frei entscheiden können, was ihr Beitrag zur Gesellschaft ist. Die Ergebnisse wären zwar nicht immer vernünftig, aber immerhin vernünftiger als das, was wir jetzt haben", fordert der Ethnologe David Graeber.
Redaktioneller Hinweis: Der Artikel wurde am 4.9.2020 aktualisiert.