Etikettenwahnsinn im Supermarkt
Immer mehr Produkte im Supermarkt sind "frei von" - mal von Milchzucker, mal von Kalorien, mal von Salz. Irgendwas fehlt immer. Und das macht die Produkte auch noch teurer. In erster Linie ist das: frei von Sinn.
Frei zu sein ist ein hohes Gut. Man denke nur an die Begeisterung der Schüler, wenn's "hitzefrei" gibt, oder an "freie Fahrt für freie Bürger" oder ein Fass Freibier. Im Lebensmittelregal ist die Freiheit am größten. Kaum noch ein Produkt, das nicht frei wäre von Lactose, Gluten, Salz, Zucker oder Genen. Doch viele dieser Angebote sind vor allem eins: sinnfrei. Wie soll ich Regalstopper deuten, die mir Sekt als "lactosefrei" anbieten und Rosé als "glutenfrei" – also quasi frei von Milch oder Getreide? Bisher stellt meines Wissens noch niemand Winzersekt aus abgestandener Molke her oder Rosé durch Vergären von Presssaft aus nassem Müsli. Was soll das ganze Theater?
Die wollen nur spielen - die Supermärkte mit ihren Kunden. Als Antwort rät die Ernährungsberatung zum leidigen Thema Deklaration: "Wer lesen kann, ist klar im Vorteil." Doch wer vor dem Weinregal im Supermarkt steht, ist nach der Lektüre der Designer-Etiketten gewöhnlich genauso ratlos wie der Marktleiter. Aber wer lesen kann, dem erleichtert der Hinweis "lactosefrei" den Kaufentscheid. Die könnten auch draufschreiben "frei von Kaulquappen" oder "popelfrei" – hoffentlich.
Dabei bedeutet "frei von Gluten" bei vielen Produkten, die von Natur aus Gluten enthalten wie Baguette, oft einen langen Rattenschwanz an chemischen Tricks. Die Folge sind endlose Zutatenlisten. Eine freie Übersetzung von "frei von Gluten" wäre hier wohl "voll mit". Zum Beispiel "voll mit Zusatzstoffen". Preisfrage: Ist nun ein Produkt, das sich "glutenfrei" nennt, tatsächlich frei von Gluten? Im rechtlichen Sinne meist ja, doch das heißt noch lange nicht, dass ein empfindlicher Patient das auch verträgt.
Auf der nächsten Packung steht "frei von gentechnisch veränderten Ausgangsstoffen". Was heißt das nun wieder? Die geschickte Wortwahl kann ein Hinweis auf Gentechnik sein . Denn viele Zutaten werden mit Hilfe von gentechnisch veränderten Mikroorganismen erzeugt, wie beispielsweise "natürliche" Vitamine oder "natürliche" Farbstoffe. Die Ausgangsstoffe sind logischerweise noch nicht gentechnisch manipuliert. Klasse gemacht, ihr Kreativen im Marketing!
Wenn "ohne geschmacksverstärkende Zusatzstoffe" draufsteht, dann enthalten die Produkte selbstredend geschmacksverstärkende Zusätze. Statt des Zusatzstoffes Glutamat ist halt die Zutat Hefeextrakt drin. Seit die Kundschaft weiß, dass Hefeextrakt nur Glutamat in Grün ist, schreiben einige drauf "frei von Hefeextrakt". Dreimal dürfen Sie raten, was aktuell reinkommt? Klar doch, das gute alte Glutamat. Aber sie deklarieren das lieber als "Aroma", damit der etikettenkundige Kunde nichts merkt. Wer lesen kann, und alles glaubt, ist schon verloren. Etiketten lügen wie gedruckt – dieser Slogan von Foodwatch trifft den Nagel auf den Kopf.
Und was heißt "zuckerfrei"? Sie ahnen es schon: Zuckerfrei heißt nicht unbedingt frei von Zucker. Zwar darf dann nur noch ein halbes Prozent Zucker drin sein, aber nach unserer Zuckerartenverordnung sind die beiden Bestandteile des üblichen Haushaltszuckers, nämlich Trauben- und Fruchtzucker, eben kein "Zucker". Und bei dieser Auslegung bedeutet das, dass ein ganzer Sack Traubenzucker als "zuckerfrei" deklariert werden könnte. Die Deklaration von Lebensmitteln ist die Kunst der falschen Versprechung.
Und was enthält dann ein "Kartoffelsalat mit Ei"? Sie ahnen es schon: Laut Kleingedrucktem sind da stolze ein Prozent Ei drin. Die zulässige Schwankungsbreite erlaubt natürlich gewisse Abweichungen nach unten. Da ist ein Prozent eigentlich gar nix. Als ich die Packung in der Hand hielt, glaubte ich für einen kurzen Moment durch den Plastikdeckel das grinsende Gesicht des Marketingchefs zu erblicken – und er schien zu sagen, "wir vergackeiern nach Strich und Faden". Noch bevor ich ihm eins auf den Deckel geben konnte, verschwand die smarte Visage wieder. Eine korrekte Deklaration wäre gewesen: "Kann sogar Spuren von Ei enthalten". Mahlzeit!
Quellen:
Diverse Einkaufsversuche in Supermärkten und freundliche Mitteilungen unserer Hörer – mit Fotobeleg.
Die wollen nur spielen - die Supermärkte mit ihren Kunden. Als Antwort rät die Ernährungsberatung zum leidigen Thema Deklaration: "Wer lesen kann, ist klar im Vorteil." Doch wer vor dem Weinregal im Supermarkt steht, ist nach der Lektüre der Designer-Etiketten gewöhnlich genauso ratlos wie der Marktleiter. Aber wer lesen kann, dem erleichtert der Hinweis "lactosefrei" den Kaufentscheid. Die könnten auch draufschreiben "frei von Kaulquappen" oder "popelfrei" – hoffentlich.
Dabei bedeutet "frei von Gluten" bei vielen Produkten, die von Natur aus Gluten enthalten wie Baguette, oft einen langen Rattenschwanz an chemischen Tricks. Die Folge sind endlose Zutatenlisten. Eine freie Übersetzung von "frei von Gluten" wäre hier wohl "voll mit". Zum Beispiel "voll mit Zusatzstoffen". Preisfrage: Ist nun ein Produkt, das sich "glutenfrei" nennt, tatsächlich frei von Gluten? Im rechtlichen Sinne meist ja, doch das heißt noch lange nicht, dass ein empfindlicher Patient das auch verträgt.
Auf der nächsten Packung steht "frei von gentechnisch veränderten Ausgangsstoffen". Was heißt das nun wieder? Die geschickte Wortwahl kann ein Hinweis auf Gentechnik sein . Denn viele Zutaten werden mit Hilfe von gentechnisch veränderten Mikroorganismen erzeugt, wie beispielsweise "natürliche" Vitamine oder "natürliche" Farbstoffe. Die Ausgangsstoffe sind logischerweise noch nicht gentechnisch manipuliert. Klasse gemacht, ihr Kreativen im Marketing!
Wenn "ohne geschmacksverstärkende Zusatzstoffe" draufsteht, dann enthalten die Produkte selbstredend geschmacksverstärkende Zusätze. Statt des Zusatzstoffes Glutamat ist halt die Zutat Hefeextrakt drin. Seit die Kundschaft weiß, dass Hefeextrakt nur Glutamat in Grün ist, schreiben einige drauf "frei von Hefeextrakt". Dreimal dürfen Sie raten, was aktuell reinkommt? Klar doch, das gute alte Glutamat. Aber sie deklarieren das lieber als "Aroma", damit der etikettenkundige Kunde nichts merkt. Wer lesen kann, und alles glaubt, ist schon verloren. Etiketten lügen wie gedruckt – dieser Slogan von Foodwatch trifft den Nagel auf den Kopf.
Und was heißt "zuckerfrei"? Sie ahnen es schon: Zuckerfrei heißt nicht unbedingt frei von Zucker. Zwar darf dann nur noch ein halbes Prozent Zucker drin sein, aber nach unserer Zuckerartenverordnung sind die beiden Bestandteile des üblichen Haushaltszuckers, nämlich Trauben- und Fruchtzucker, eben kein "Zucker". Und bei dieser Auslegung bedeutet das, dass ein ganzer Sack Traubenzucker als "zuckerfrei" deklariert werden könnte. Die Deklaration von Lebensmitteln ist die Kunst der falschen Versprechung.
Und was enthält dann ein "Kartoffelsalat mit Ei"? Sie ahnen es schon: Laut Kleingedrucktem sind da stolze ein Prozent Ei drin. Die zulässige Schwankungsbreite erlaubt natürlich gewisse Abweichungen nach unten. Da ist ein Prozent eigentlich gar nix. Als ich die Packung in der Hand hielt, glaubte ich für einen kurzen Moment durch den Plastikdeckel das grinsende Gesicht des Marketingchefs zu erblicken – und er schien zu sagen, "wir vergackeiern nach Strich und Faden". Noch bevor ich ihm eins auf den Deckel geben konnte, verschwand die smarte Visage wieder. Eine korrekte Deklaration wäre gewesen: "Kann sogar Spuren von Ei enthalten". Mahlzeit!
Quellen:
Diverse Einkaufsversuche in Supermärkten und freundliche Mitteilungen unserer Hörer – mit Fotobeleg.