Wenn fehlende Ohrmarken Bauern den Spaß verderben
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Die EU-Bürokratie macht Bauern das Leben manchmal schwer. Aber Brüssel hat der Landwirtschaft auch viele Vorteile gebracht, sagt der Landwirt Stephan Huber vom Niederrhein. Sein Kollege Frank Heckes klingt da skeptischer.
"Hier links kommt jetzt die Rübenparzelle. Wir haben drei Rübenfelder, hier sehen wir jetzt eins von drei…", sagt Landwirt Stephan Hufer und tritt auf ein staubiges Feld, aus dem in regelmäßigen Abständen kleine, grüne Pflänzchen emporranken. Sie sind nicht größer als ein Daumen.
Hufer nimmt eines dieser Pflänzchen in die Hand. "Sie sehen die Pflanze, die ist ganz eingekräuselt hier." Wenn man unter das Blatt blicke, dann seien viele Läuse zu sehen. "Die Läuse, die dürfen auf der Pflanze nicht verbleiben, die saugen das Blatt zu sehr aus, so wird die Pflanze am Weiterwachsen gehindert", sagt er.
Vor einem Jahr hat Hufer das Saatgut noch mit einem Insektizid behandelt, das die Rüben vor Schädlingen schützt. Das ist in der EU jetzt verboten, denn dieses Insektizid hatte laut den Behörden auch nützliche Insekten geschwächt.
"Das ist die erste Aussaat mit unbehandeltem Saatgut. Wir haben Pflanzenberater, die sich in das Thema tief einarbeiten und den Landwirten mit Rat zur Seite stehen, was jetzt am besten gemacht werden kann."
Der Landwirt wird nun mit Pflanzenschutzmitteln spritzen müssen, mehrfach wahrscheinlich. Schätzungen der Bauernschaft in NRW zufolge könnten die Kosten hierfür pro Hektar bis zu 150 Euro betragen. Ein extra Aufwand, auch in finanzieller Hinsicht. Dennoch ist Hufer ein Fan der EU, wie er auf dem Weg zu seinem backsteinfarbenen Bauernhaus erzählt. Der 43-Jährige hat den Hof und die rund hundert Hektar Land von seinen Eltern übernommen. Schon seit vielen Generationen betreibt die Familie hier im niederrheinischen Alpen Landwirtschaft.
Die Anfänge der EU
Der Diplom-Agraringenieur kann sich deshalb auch gut an die Anfänge der EU erinnern, erzählt er später am Küchentisch. "Neben der Montanindustrie ist ja im Grunde die Landwirtschaft der Sektor gewesen, wo die Europäische Union überhaupt zusammengekommen ist."
Hufer sagt das nicht ohne Stolz. Neben Rüben und Getreide baut er unter anderem auch Kartoffeln an, an deren Beispiel sich die Vorzüge der EU aus seiner Sicht gut erklären lassen, genauer gesagt am Beispiel der Pommes-Frites-Kartoffeln:
"Sie werden mittlerweile in Deutschland zu einem großen Teil angebaut", sagt er. "Allerdings findet die Verarbeitung nahezu ausschließlich in den Niederlanden und in Belgien statt und die fertigen Produkte, die der Verbraucher dann im Supermarkt kaufen kann, die kommen dann zurück."
Über die Ländergrenzen hinweg habe sich aus den Spezialitäten, die jeder am besten kann, ein großes Netzwerk entwickelt.
Die EU hat seit den 1990er Jahren in der Landwirtschaft aber vor allem auf eines großen Einfluss gehabt: Auf das Einkommen der Landwirte. Denn ein nicht unerheblicher Teil davon kommt direkt von der EU – über Subventionen.
"Die Landwirte waren nie diejenigen, die dieses System erfunden haben", stellt Hufer klar. Brüssel hatte die Idee, als es in den 1990er Jahren zu Überproduktionen gekommen war. Weil Europa damals noch für gute Milch-, Butter- oder Fleisch-Preise sorgte, wurde zu viel davon produziert.
Deshalb wurde das System umgestellt, die Preise auf Weltmarktniveau abgesenkt und keine Produktpreise in der EU unterstützt. Stattdessen gebe es einen Ausgleich über die Fläche, die angebaut werde, und dieser werde produktionsmengenunabhängig an Landwirte ausgezahlt.
Immer wieder neue Regeln
Seitdem gibt es die Direktzahlungen – pro Hektar Fläche. Mittlerweile sind sie allerdings an einige Auflagen, sogenannte Cross-Compliance-Kriterien geknüpft. So müssen Landwirte im Bereich Umwelt- oder Tierschutz bestimmte Vorgaben einhalten. "Es ist schon für die Betriebe immer eine Herausforderung, weil unter den Cross-Compliance-Kriterien jedes Jahr neue herauskommen und die sind auch mit Kontrollen behaftet", sagt Hufer. "Kontrolleure kommen raus und schauen sich an: Wird alles geleistet, das ist schon mit einem gewissen Aufwand verbunden."
Außerdem steigen meistens die Produktionskosten, um die Auflagen zu erfüllen. Denn: Umwelt- und Tierschutz kostet Geld.
"Das heißt: Im Grunde ist ein Großteil der Gelder auch schon im Betrieb wieder verbraucht nachher, das gehört zur Wahrheit auch dazu."
Dennoch bleibt Hufer dabei: Die EU hat den Landwirten über die Jahrzehnte hinweg vor allem Vorteile gebracht.
Hufers Berufskollege Frank Heckes aus der etwa 20 Autominuten entfernten Stadt Voerde ist da etwas skeptischer. Der 39-Jährige Landwirt hat eine Ferkelaufzucht und hält Mastbullen und Kühe. Außerdem bewirtschaftet er 90 Hektar Land, ein Teil davon ist Grünland für seine Rinder, auf dem anderen Teil baut Heckes unter anderem Getreide an.
"Meine Meinung ist immer: lieber diese Zahlungen aufhören und dafür wieder diese wertvollen Lebensmittel entsprechend zu bezahlen", sagt er. Der Aufwand, um die EU-Zahlungen zu erhalten, sei enorm, sagt er. Zum Beispiel die Antragstellung: Auf Luftbildern müssen die Landwirte quadratmetergenau einzeichnen, wo sich ihre Flächen befinden.
"Sie müssen aber nicht glauben, dass die Luftbilder so gut sind wie google maps. Die sind also sehr verpixelt, sehr schlecht."
Beschwerde beim Landschaftsamt
Im vergangenen Jahr war das für Heckes ein besonderes Problem, denn nachdem er, wie gefordert, im Mai seinen Antrag eingereicht hatte seien neue Luftbilder gekommen.
"Und diese Auszahlung der Gelder anhand der Flächen, die wurde von irgendwelchen Personen in irgendwelchen Büros sitzend selbständig gemacht und bei uns sind über die Hälfte der Flächen kleiner geworden." Es sei aber nicht eine Fläche größer geworden.
"Weil man nach EU-Recht, so wurde mir später erklärt, Flächen im Nachhinein nicht vergrößern darf von behördlicher Seite, man darf sie nur verkleinern - also wurde uns weniger ausgezahlt."
Heckes hat sich deshalb beim zuständigen Landschaftsamt beschwert, und bekam diese Antwort:
"Ist eben EU-Vorgabe, da müssen wir uns danach richten, da können wir auch nichts dran ändern. Meine Meinung ist dann immer: Wenn ihr nicht mal anfangt, das nach oben zu tragen, wann soll es denn dann geändert werden?"
Der Kampf um die Ohrmarken
Heckes steht jetzt bei seinen Mastbullen im Stall. Auch ein paar Kühe stehen hier. "Die sind auf Stall, weil ihnen eine Ohrmarke fehlt - ist auch so EU"; sagt er. "Sie müssen immer doppelt geohrmarkt sein. Weil denen jetzt eine fehlt jeweils, müssen wir die hier lassen, haben jetzt neue bestellt."
14 Tage dauert es durchschnittlich, bis die neue Ohrmarke da ist. All das, die verlorenen und dann neuen Ohrmarken, die Daten zu den Ferkeln und Bullen und Kühen und Flächen, muss Heckes in Datenbanken einpflegen, fast täglich.
"Also man verliert schon ein bisschen den Spaß, auch durch solche Vorschriften."
Kontrolle von der Kontrolle
Dennoch: Heckes kann sich keinen anderen Beruf vorstellen. Auch er ist in eine Landwirtschaftsfamilie hineingeboren, viele Vorfahren vor ihm haben schon Tiere gehalten und Felder bestellt, aber damals wahrscheinlich noch ohne großen schriftlichen Aufwand. Die Bürokratie, sie ist für Heckes wohl der wichtigste Grund, warum er die EU in manchen Teilen kritisch sieht.
"Also diese Kontrolle von der Kontrolle und nochmal eine Kontrolle hinterher", sagt er. "Und alle Daten mehrfach irgendwo anführen und immer wieder aufschreiben und übermitteln müssen. Im Grunde genommen hat man oft das Gefühl, die sammeln nur alle die Daten, damit man sie wieder miteinander kontrollieren kann, ob man wirklich ehrlich war. Und das ist ein Unding."
Ob er mit seiner Stimme zur Europa-Wahl etwas daran ändern könnte? "Die sind einem einfach zu weit weg, ne? Da hat man keine direkten Ansprechpartner", sagt Heckes. Einen Wunsch hätte er aber, sollte er doch mal einem EU-Abgeordneten begegnen:
"Wenn man uns von außen ein bisschen in Ruhe lassen würde von Seiten der Politik, wäre das manchmal einfacher"