Legale Wege für Flüchtlinge nach Europa nötig
Die Grünen-Europapolitikerin Barbara Lochbihler ist der Meinung, dass die aktuellen Vorschläge zur EU-Asylpolitik allein einer weiteren Abschottung Europas dienen. Für Innenminister Thomas De Maizière sei die Hauptsache, dass viele Flüchtlinge nicht kommen.
Die Grünen-Europapolitikerin Barbara Lochbihler sieht die Diskussion um die Einrichtung von Aufnahmezentren für Flüchtlinge in nordafrikanischen Staaten zur Prüfung von Asylanträgen kritisch.
"Ich weiß nicht wie Innenminister De Maizière sicherstellen will, dass man hier in Marokko oder Ägypten rechtsstaatliche Verhältnisse hat, dass ein Flüchtling einen Asylantrag stellen kann, der ordentlich behandelt wird," sagte die Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses des Europäischen Parlaments am Samstag im Deutschlandradio Kultur. Lochbihler befürchtet, dass Marokko durch europäischen Druck zustimmen könnte, solche Pläne aber lediglich der weiteren Abschottung Europas dienten: "Die reale Umsetzung ist dann aber dem deutschen Innenminister wieder egal, Hauptsache viele Flüchtlinge kommen nicht."
Schutzsuchenden legale Einreisewege verschaffen
Lochbihler befürchtet etwa, dass es dann Vorgaben zu bestimmen Herkunftsländern geben werde: "Elfenbeinkünste oder Togo – schnell prüfen, aber nicht genehmigen." Die Idee von Anlaufstellen für Flüchtlinge auf dem afrikanischen Kontinent, in denen bereits eine Entscheidung fallen soll, wer legal nach Europa kommen darf, "müsse man daher eigentlich verwerfen", so die außen- und menschenrechtspolitische Sprecherin der Grünen/EFA-Fraktion im Europäischen Parlament. Es müsse ein Weg gesucht werden, Menschen, die in der Europäischen Union Schutz suchten, legale Einreisemöglichkeiten zu verschaffen.
Flüchtlinge haben Probleme mit der Justiz
Die Grünenpolitikerin, die sich in Marokko mit Flüchtlings-, Frauen- und Menschenrechtsorganisationen in der Hauptstadt Rabat getroffen hat, berichtete von großen Mängeln in der marokkanischen Justiz. Zwar habe sich die Situation der Flüchtlinge durch ein neues Gesetz und die Möglichkeit eines legalen Aufenthalts in Marokko verbessert, doch bislang würden diese Maßnahmen nur begrenzt greifen. Für viele, die sich weiter in der Illegalität versteckten sogar gar nicht. Zudem herrschten innerhalb der einheimischen Bevölkerung auch Vorurteile insbesondere über Afrikaner. Flüchtlinge hätten Probleme mit dem Justizwesen, so Lochbihler: "Die haben erzählt, dass sie oft keine Möglichkeit haben, wenn sie misshandelt oder beraubt werden, sich an die Polizei zu wenden", so Lochbihler, die von 1999 - 2009 Generalsekretärin der deutschen Sektion von Amnesty International war.
Das gesamte Interview im Wortlaut:
Ute Welty: Frauenrechte, Menschenrechte, Flüchtlingsfragen – das ist immer schon das Thema von Barbara Lochbihler gewesen. Zehn Jahre lang war sie Generalsekretärin von Amnesty International Deutschland, und auch im Europaparlament sitzt die grüne Abgeordnete hier einen Schwerpunkt, zum Beispiel als Vorsitzende des dortigen Menschenrechtsausschusse s. Ein Besuch in Rabat in Marokko hat Barbara Lochbihler gleich doppelt genutzt, zum einen hat sie mit Parlamentariern zwei Tage lang über internationale Strafgerichtsbarkeit diskutiert, und zum anderen hat sie sich mit marokkanischen Menschenrechtsaktivisten getroffen, um mehr zu erfahren über die Situation von Flüchtlingen dort. Etwa 40.000 sind es, die einmal davon geträumt haben, nach Europa zu kommen und die jetzt in Marokko festsitzen. Guten Morgen, Frau Lochbihler!
Barbara Lochbihler: Guten Morgen!
Welty: Was haben Sie darüber erfahren können, wie es diesen Menschen geht, wie sie wohnen oder sich versorgen?
Lochbihler: Da gibt es die ganz schwierige Situation zur Grenze zu Spanien, in Ceuta und Melilla, dass die Flüchtlinge dort immer wieder versuchen, diese schwer befestigte Grenze zu überrennen und quasi zurückgeworfen werden, und der Staat hier kümmert sich nicht. Sie leben dann wieder versteckt in den Wäldern oder in solchen provisorischen Lagern. Und das haben die Flüchtlinge, die sich teilweise selber organisieren, mir erzählt. Und dann gibt es Flüchtlinge, die durchaus in Marokko bleiben wollen, und da hat der Staat angefangen, jetzt die Leute aus der Illegalität zu holen mit einem neuen Gesetz. Das gelingt in geringem Umfang. Hier ist die Aufgabe, dass man mehr informiert, dass die wissen, dass sie dann eine Identitätskarte bekommen, dass sie überhaupt hier sind. Und dann die Flüchtlinge, die hier auf Transit sind, die auch in den Menschenhandel kommen. Das waren so die drei Themen, und in Marokko ist es so, dass die einheimische Bevölkerung sehr herunterschaut auf die Schwarzafrikaner, auch aus früherer Tradition aus dem Sklavenhandel. Und die haben also erzählt, dass es ihnen sehr, sehr schlecht geht, dass sie oft keine Möglichkeit haben, wenn sie misshandelt werden oder bestohlen werden oder beraubt werden, sich an die Polizei zu wenden.
Welty: Sie beschreiben drei unterschiedliche Themen, drei unterschiedliche Gruppen auch von Menschen, die wahrscheinlich auch sehr unterschiedliche Bedürfnisse haben und unterschiedliche Betreuung und Unterstützung brauchen. Wie geht der marokkanische Staat denn mit diesen drei Gruppen um?
Lochbihler: Zur ersten Gruppe: Die Grenzschützer, auch die spanischen Grenzschützer beklagen sich, dass sie so viel Elend sehen müssen, dass sie sehr oft blutüberströmte Körper sehen müssen von Afrikanern, die sich an diesen Zäunen verletzen, reagieren aber nicht, dass man die Zäune vielleicht abbaut, dass man vielleicht Möglichkeiten schafft, dass die Leute hierherkommen können.
Welty: Es geht um diese Zäune, die die spanischen Exklaven umgrenzen und abschotten praktisch.
Lochbihler: Genau. Und da müsste man nicht nur von marokkanischer Seite reagieren, sondern auch von europäischer Seite. Man muss also doch Wege schaffen, dass Leute, die zu uns kommen und hier Schutz suchen, in der Europäischen Union, dass die legale Möglichkeiten haben, hierher zu kommen. Für die Flüchtlinge, die in Marokko bleiben wollen, da denke ich, ist es der richtige Ansatz, dass sie die aus der Illegalität holen. Es müssen nur dann auch bessere Beratungsstellen eingerichtet werden. Und sicher muss man auch die Leute, die Einheimischen hier, die die sehr ausbeuten, misshandeln, auch zur Rechenschaft ziehen mit auch öffentlichen Kampagnen, dass das Königshaus und ja auch das Parlament deutlich sagen, sie wollen das eigentlich nicht. Und es muss gelingen, dass man miteinander lebt.
Welty: Die deutsche Regierung, namentlich der deutsche Innenminister denkt über Auffanglager noch auf afrikanischem Boden nach, um die Einreise nach Europa zu regeln, möglicherweise zu verhindern. Was hält man in Marokko von diesem Vorschlag?
Lochbihler: Die marokkanische Regierung möchte sehr viel von der Europäischen Union, also bessere Handelsabkommen, schneller auf den Markt, den europäischen, zu kommen, und sie sind da sehr drauf angewiesen, auf das Wohlwollen der EU. Deshalb werden sie nicht groß protestieren. Ich habe aber gehört, gerade auch mit den Flüchtlings- und Menschenrechtsorganisationen, dass es hier große Mängel gibt in der Justiz. Und ich weiß nicht, wie der Innenminister de Maizière und auch schon frühere Innenminister wie der Herr Schily, der hatte auch schon die Idee, sicherstellen wollen, dass man hier in Marokko oder in Ägypten rechtsstaatliche Verhältnisse hat, dass ein Flüchtling einen Asylantrag stellen kann, der ordentlich behandelt wird. Das muss man fast verneinen. Das kann man nicht. Und wenn man das weiter beibehalten möchte, und das ist auch unsere Gesetzeslage auch in Deutschland, dann muss man die Idee eigentlich verwerfen. Ich denke, da wird versucht, dann eher auf die marokkanische Regierung einzuwirken, dem zuzustimmen. Wie sie es dann umsetzen, ist dann wahrscheinlich den Europäern und dem deutschen Innenminister wieder egal. Hauptsache, viele Flüchtlinge kommen nicht. Dann wird es wahrscheinlich so sein, dass man schon auch ein bisschen vorgibt, na ja, also, wenn jemand aus Togo kommt oder aus der Elfenbeinküste, dann schnell prüfen, aber nicht genehmigen.
Welty: Haben Sie feststellen müssen, dass die Situation für Frauen besonders schwierig ist?
Lochbihler: Ich habe mit drei Generationen von Frauenrechtsaktivisten gesprochen, und die waren sich einig, dass man seit den 90er-Jahren große Fortschritte gemacht hat, also dass man jetzt ein sehr gutes Familienrecht hat, dass auch Scheidung ermöglicht, und dass man eigentlich diese Reformen weiter gehen will. Die große Herausforderung, die sie jetzt sehen, ist, dass man auch das Strafrecht reformiert. Das hat man überhaupt noch nicht angegangen, das basiert eben auf sehr viel Diskriminierung, also, wie haben die Frauen Zugang zum Justizwesen. Und das ist jetzt die Auseinandersetzung von den Frauenrechtsgruppen. Das andere große Problem ist hier, dass ja gut die Hälfte der Kinder keine Grundschulbildung hat, und sehr viele Frauen Analphabeten sind und die auf dem Land und auch hier in den Städten oft in sehr großer Armut noch leben. Deshalb, wenn jetzt auch eine Frau sich scheiden lässt, wenn ihr Ehemann sie schlägt und misshandelt, hat sie dann ja oft überhaupt keine Möglichkeit, allein sich durchzubringen. Das ist ein großes Phänomen. Und dann wirklich ein sehr schlimmes ist, dass man hier oft von entfernten Verwandten, die arm sind, die kleinen Mädchen in Haushalte gibt von entfernten Verwandten in der Stadt. Und die haben überhaupt keinen Schutz. Die werden misshandelt, die werden ausgebeutet, niemand kümmert sich. Das ist quasi so akzeptiert in der Gesellschaft. Und das wird jetzt thematisiert. Da überlegt man sich im Parlament ein Gesetz. Aber das wird noch lange dauern, bevor sich das durchsetzt.
Welty: Aus Rabat in Marokko Barbara Lochbihler, die grüne Europaabgeordnete hat sich dort ein Bild der Lage der Flüchtlinge und der Frauen in Marokko gemacht. Ich sage Danke fürs Gespräch, und ich wünsche einen guten Heimflug!
Lochbihler: Danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.