Italien pocht auf die Quote
Italien fordert eine gerechte Aufteilung der Bootsflüchtlinge innerhalb der EU. Denn wegen der Dublin-Regel muss das Land alle ankommenden Flüchtlinge aufnehmen, ist aber von dem Ansturm völlig überfordert.
Neben dem römischen Bahnhof Tiburtina gibt es eine Bar, die von einem Eritreer betrieben und die vor allem von dessen Landsleuten besucht wird, die auf der Flucht sind. Die Frage ist müßig: Was war zuerst da? Die Bar oder die Flüchtlinge? Tatsache ist: Rund um den Bahnhof Tiburtina verbringen hunderte Eritreer ihre Tage und ihre Nächte. In einer Zeltstadt, die die Stadt errichtet hat, in einer barackenartigen Flüchtlingsunterkunft oder einfach vor der Bar.
"Hier sind einige Eritreer und ein paar aus dem Sudan und Äthiopien", sagt ein junger Mann in einem bunten T-Shirt mit dem Logo einer Hilfsorganisation. Eine Kleiderspende für einen Menschen, der erst vor wenigen Tagen in Sizilien angekommen und sofort nach Rom Tiburtina weitergereist ist. Auf eigene Faust.
"Wir wollen nicht in Italien bleiben", setzt er an und wird dann von einem Freund vom Mikrofon weggezogen. Keine Interviews. Die Angst erkannt, identifiziert zu werden ist hier groß. Wer einmal im Speicher der italienischen Polizei landet, muss in Italien bleiben. Das ist die Logik von Dublin. Italien ist Erstaufnahmeland, also für die Flüchtlinge zuständig.
Deshalb haben sich die jungen Frauen und Männer vor zwei Wochen so gewehrt, als die Polizei das wilde Flüchtlingslager am Bahnhof Tiburtina geräumt hat. Keine schönen Bilder für Italien, das doch nur seiner Pflicht nachgekommen ist und die Flüchtlinge in eine anständige Unterkunft bringen wollte. Anwohner Michele hat die Jagdszenen am Bahnhof beobachtet.
"Am Tag danach waren neue Leute da, die rücken nach, kommen aus Sizilien in Bussen, für die sie ganz regulär ein Ticket erworben haben. Und von hier aus starten sie zu anderen Zielen."
Weiter nach Deutschland oder Frankreich
Und die liegen normalerweise außerhalb Italiens: in Deutschland oder Frankreich, an dessen Grenze zu Italien sich ganz ähnliche Szenen abspielen wie in Rom Tiburtina. Hunderte Flüchtlinge warten in Ventimiglia darauf nach Frankreich zu kommen. Auch hier ein ständiges Kommen und Gehen. Offenbar schaffen es immer wieder Flüchtlinge Italien zu verlassen. Wenn nicht über Ventimiglia, dann vielleicht über den Brenner in Richtung Deutschland. Ministerpräsident Matteo Renzi gerät vor dem EU-Gipfel in Erklärungsnöte. Auf der einen Seite fordert sein Land eine gerechte Aufteilung der Bootsflüchtlinge innerhalb der EU. Auf der anderen Seite zeigt sich Italien bei der Aufnahme und Registrierung der Flüchtlinge immer wieder völlig überfordert.
Renzi: "Italien ist kein Land, das nach außen weiter ein lächerliches und groteskes Schauspiel abgeben darf. Wir sind ein großes Land und können es uns sogar erlauben, allein weiterzumachen. Aber Europa kann es sich nicht erlauben, uns allein zu lassen."
Das Gefühl von Europa im Stich gelassen zu werden, gibt es auch am Bahnhof in Rom Tiburtina. Michele erwartet endlich konkrete Zusagen von den Nachbarn in der EU:
"Zuallererst müssen sie sich absprechen. Denn es gibt immer noch welche, die Mauern hochziehen, Stacheldraht spannen, die die Flüchtlinge nicht wollen. Ich hätte z.B. das deutsche Schiff, das neulich Flüchtlinge in Salerno abgesetzt hat, weitergeschickt: Entschuldige mal, du hast sie aufgenommen. Dann nimm sie auch mit zu dir nach Hause!"
Die Ungeduld der Italiener ist verständlich: Allein in den letzten Tagen sind wieder mehr als 4000 Bootsflüchtlinge in Italien angekommen.